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BESCHICHTE DES CLAYIERS
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vom Ursprünge
den modernsten Formen dieses Instrnnuynts
nebst einer
febersicht über die musikalische Abtheiliino«
der Pariser Weltaiisslplliing im Jahre 1867.
Von
Dr. Oscar Faul.
Mit zahlreichen Holzschnitten.
Leipzig.
Verl arg von A. H. Payne.
1808.
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GESCHICHTE DES CLAWS
vom Ursprünge
Ms ZU den modernsten Formen dieses Instruments
nebst einer
üebersicht über die musikalische Abtheilung
der Pariser Weltausslelluug im Jahre 1867.
Von
Dr. Oscar Paul.
Mit zahlreichen Holzschnitten.
Leipzig.
Verlag von A. H. Payne.
1868.
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HERRN M. VON A8ANT8CHEW8XY
GEWIDMET
VOM
VERFASSER.
Zur gütigen Beachtung.
Indem ich dieses Buch der OefFentHchkeit übergebe, bitte
ich zugleich alle Sachverständigen, mir Berichtigungen der in
meiner Darstellung etwa enthaltenen Irrthümer so bald als mög-
lich zugehen zu lassen, da ich jedes Jahr nicht nur eine Fort-
setzung dieser Geschichte des Claviers, sondern auch Ergänzun-
gen und Verbesserungen des Inhalts in ausgeführter Weise mit
jener verbunden herauszugeben gedenke. Aus diesem Grunde
ersuche ich die geehrten Herren Instrumentenbauer, mir — dem
Nichtinstrumentenbauer — alle neuen Erfindungen in Wort und
Zeichnung mitzutheilen, weil ich eine fortlaufende (jeschichte
des Clayiers als das geeignetste Mittel zur Verbreitung aller
Fortschritte und zur Hebung der Intelligenz in diesem Zweige
betrachte.
Leipzig, im Februar 1868.
Dr. Oscar Paul.
Digitized by the Internet Archive
in 2010 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/geschichtedesclaOOpaul
INHALT.
Seite
Vorbemerkung 1
Erste Abtheilung.
I. Einleitung 2
II. Schall-Unterschied von Geräusch und Klang 5
III. Schwingungen der Saiten • • 8
IV. Schwingungen der Platten — Resonanzboden 14
V, Tonmessung 16
VI. Reine Stimmung und Temperatur 22
VII. Das Wesen des Klanges — Stärke und Klangfarbe 32
Zweite Abtheilung.
I. Der Ursprung 42
IL Die ältesten Formen der besaiteten Ciavierinstrumente .... 52
III. Die Construction der besaiteten Ciavierinstrumente bis Ende des
achtzehnten Jahrhunderts 61
IV. Die Ciavierbauer bis zur Einführung der Hammermechanik . . 73
V. Ursprung und Einführung der Hammermechanik 82
VI.~Erntwickelung des modernen Pianofortebaues 119
VII. Der Standpunkt des Pianofortebaues auf den Ausstellungen . . 149
Nachträge.
Zu Seite 7 233
Zu Seite 49 234
Zu Seite 187 242
Zu Seite 208 243
yORBEMERKUNG.
Die musikalische Abtheilung der Pariser Weltausstellung, auf wel-
cher man das Vollkommenere mit dem Unvollkommeneren vergleichen,
das Dagewesene und Nachgeahmte vom neuesten Fortschritt sicher
unterscheiden konnte, gab mir Veranlassunsf, eine Geschichte des Claviers
zu verfassen, deren Tendenz die Darstellung der stufenweisen Entwicke-
lung desjenigen Instrumentes ist, das in Folge seiner vielseitigen Ver-
wendbarkeit zur Bildung des Geistes und Herzens wesentlich beigetragen
hat. Da die Construction der besaiteten Clavierinstrumcnte, welche
wir unter dem Gattungsnamen „Ciavier" allein verstehen, an gewisse
akustische Bedingungen geknüpft ist und selbst zur wissenschaftlichen
Forschung in der Akustik vielfache Anregung gab, so hielt ich es für
nöthig, das Wesentlichste aus diesem Gebiete zum Verständniss des
Mechanismus mit Vermeidung aller das Ciavier nicht direct bei-ührenden
Erörterungen in gedrängter Form der historischen Abhandlung voran-
zuschicken, während ich selbstverständlich dem gegenwärtigen Stand-
punkt der drei gebräuchhchen Arten des Claviers: Flügel, tafelförmiges
Pianoforte, Pianino, die Schlussbetrachtung widmete. Der Vollständig-
keit halber lasse ich als Anhang einen mit historischen Bemerkungen
durchflochtenen üeberblick über die musikalische Abtheilung der Pariser
Ausstellung folgen, welcher zur Orientirung bezüglich des musikalischen
Bildungsgrades verschiedener Völkerschaften einen Beitrag lieferti soll.
Möchten die Musiker, Instrumentenbauer und Kunstfreunde dem vor-
liegenden Buche ihre wohlwollende Theilnahme schenken.
Leipzig, im August 1867.
Der Verfasser.
ERSTE ABTIIEILÜNG.
Einleitung'.
Wenn auch im Alterthume die Instrumentalmusik einen integriren-
den Theil des gesammten Culturlebens ausmachte und alle Feste zu
Ehren irgend welcher Gottheit durch Saiten- und Flötenspiel verheri'licht
wurden: so konnte sich dieselbe doch zu keiner Selbständigkeit erheben,
zu keiner künstlerischen Freiheit emporarbeiten; selbst das hochgebildete
antike Culturvolk Griechenlands war nicht im Stande, der Instrumental-
musik eine der Vocalmusik ebenbürtige Stellung zu erringen. Erstere
blieb Dienerin der letzteren, so lange der Praxis noch die geoi'dneteren
Grundlagen des modernen Tonsystems fehlten, so lange sich die akusti-
schen Forschungen noch im Stadium' der Kindheit befanden. Zwar ist
nicht zu leugnen, dass Griechenland als die Wurzel unserer heutigen
Tonkunst angesehen werden muss und dass wir aus jenem Urquell der
Wissenschaft und Kunst auch jetzt noch Wasser des Lebens trinken
können, welches in seiner Reinheit so mancher trüben Flüssigkeit moderner
Kunstanschauungen vorzuziehen ist; doch blieb das Griechenthum auch
immer 'nur die Wurzel, die erste Strömung musikwissenschaftlichen
Denkens. Erst die modernere Cultur brachte Männer hervor, welche in
richtiger Erkenntniss des Guten mit gewissenhafter Forschung das Wahre
vom Falschen sonderten und mit dauernder Kraft, beharrlichem Willen
und edlem Streben das Gebäude der Kunst stützten und höher fülirten.
Während in Griechenland trotz der bewundernswerthesten, theilweise
jetzt noch dem Lernbegierigen nützlichen Untersuchungen die theoretische
Forschung nicht bis zur eigentlichen Polyphonie ia unserem Sinne durch-
dringen konnte, weil den akustischen Ergebnissen die praktischen Ver-
suche nicht immer entsprachen und der Experimentaltheorie in der Inter-
vallmessung der richtige Ausgangspunkt, d. h. der musikalische Drei-
klang, fehlte; während auch das frühere Mittelalter einen festern Stand-
punkt noch nicht erringen und die Instrumente nur zur Unterstützung
des Gesanges benutzen konnte, weil auf damaliger akustischer Basis nur
eine empirische Nachahmung der Menschenstimme, des von der Natur ja
selbst gegebenen Instrumentes, möglich war: gelang es endlich nach
manchen scharfsinnigen, wenn auch oft vergeblichen Experimenten dem
sechzehnten Jahrhundert, durch kritische Betrachtung der griechischen
Klanglehren das Wesentliche zu erkennen und somit den richtigen Boden
zu gewinnen, aus welchem die Keime moderner Musikwissenschaft empor-
spriessen und blüthentragend, fruchtbringend der Praxis einen hÖhern
Culturgrad sichern konnten. Fast zu gleicher Zeit treten im 1 6ten Jahr-
hundert die im Studium des Clmidkis Ftolemaens (2tes Jahrh. nach Chr.)
und SoefhiifS (5tes und 6tes Jahrh. nach Chr.) musikalisch-mathematisch
gebildeten Männer: G/area?nn der Schweiz*), Za;V»('0 in Italien, Calvisius
und Praetorius in Deutschland, Salinas in Spanien, John Bull in England
auf, von denen namentlich Zarlino und CaJvisws den theoi'etischen Fort-
schritt anbahnten und mit Zugrundelegung der ionischen Tonart, welche
unserem Dur entspricht, den Durdreiklang als Grundelement, als Anfangs-
und Endpunkt alles musikalischen Denkens feststellten, woraus sich in
der Folge nach Ueberwinduug des Nebeneinanders der Accorde das
*) Glarean's Dodecachordon, Basel 1547, ist ein sehr gründliches Werk, welches
aber trotz aller scharfsinnigen und der Nachwelt nützlichen Erörterungen nicht verkennen
lässt, dass Glarean in der praktischen Musik Dilettant war, hingegen Zarlino den
schärfsten Verstand, die gründlichsten mathematischen Kenntnisse mit einer ausgezeichne-
ten praktisch-musikalischen Durchbildung vereinigte. Dasselbe kann vom Salinas
gesagt werden , während Praetorius mehr die Stelle eines vorzüglichen Compilators
beanspruchen darf. John Bull ist der fortstürmende Bekämpfer des Alten, hinge-
gen Calvisius mit grösster Ruhe und Klarheit als Auseinanderleger und Vertheidiger des
Neuen auftritt. — Die Summe aller Streitigkeiten lässt sich in dem kurzen Satze aus-
drücken: ,.Ist das natüilicheDur oder das natürliche Moll Grundsystem, steht die grosse
Terz im Verhältniss von 4:5, ist sie Consonanz oder nicht, und welchen Emfluss hat
sie auf die Stimmführung?" Hieran reihen sich noch die Explicationen über Consonanz
und Dissonanz und über Einführung der letzteren in den mehrstimmigen Satz. — Die
Tonarten und Diciklänge des sechzehnten Jahrhunderts siehe Paul, „Die absolute Harmonik
der Griechen", S. 40 — 44.
1*
Ineinandersein derselben, die organische Accordkette entwickelte»
War es doch schon Mcimeau, welcher mit seiner Grundbasstheorie den
Stimmengang dem modernen Tonsystem entsprechend begründete, und
brachten doch Sacli und Händel die Compositionspraxis mit ihrem In-
einander vonAccorden zur höchsten Combinationsstufe. Neben und nach
diesen Männern verarbeiteten Heinchen, Mattheson, Kirnberger, Marpitrg
und Andere mehr oder weniger selbstschöpferisch das im Genie Ge-
borene und verbreiteten dasselbe zum Nutzen der Künstler, Kunstfreunde
und Instrumentenbauer, welche letzteren die zunächst den Singstimmen
zu Gute kommende Theorie erfassten und derselben mit Hülfe der von
Galilei, Kepler, Neivton, Huygens, Mersenne, Guerike gewonnenen Re-
sultate auch auf den Instrumenten Geltung verschafften.
Zunächst erhielt natürlich der bis in's hohe Alterthum zurückzuver-
folgende Orgelbau durch jene periodischen Errungenschaften der Wis-
senschaft eine vorher ungeahnte Ausdehnung und Bedeutung, wo hingegen
die Beobachtungen der akustischen Gesetze bei dem Erklingen der Saiten
erst nach Daniel Bernouilli, Leonliard Eider, La Grange, J. H. Lam-
bert, Giordano jRiccati u. A. durch Ghladni die zum rechten Ziele führende
Richtung und für die Verbesserung der Ciavierinstrumente eine tiefgrei-
fende Nutzbarkeit gewannen. Welchen grossen Einfluss dieser treffliche
Forscher auf das gründlichere Denken der Instrumentenbauer und in
Folge dessen auf die Vervollkommnung der Ciavierinstrumente ausge-
übt hat , geht aus der alten „Allgemeinen musikalischen Zeitung" deut-
lich genug hervor, und es gereici^t den Mitarbeitern derselben zur Ehre,
die Forschungen Chladni's in umfassender Weise beachtet und mit rich-
tigem, kritischem Tacte dem grössern Publicum vermittelt zu haben.
Als jedoch auch Chladni's und nach ihm Weber' s Theonendurch spätere
hervorragende Akustiker, z. B. durch Savart, Pellisov, Handel, Müller etc.
in einzelnen Punkten zum klarern Verständniss gebracht und von der
Praxis zum grössten Theile acceptirt worden waren, machte sich das
Bedürfniss nach weiteren Ermittelungen in der Weise geltend, dass man
ein neues selbständiges Werk über Akustik mit wahrer Sehnsucht er-
wartete. Dieselbe wurde denn auch durch den grössten Akustiker der
Jetztzeit H. Helmholtz*) so umfassend befriedigt, dass die Instrumenten-
*) H. Helmholtz, die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage
für die Theorie der Musik: Braunschweig 1863.
5
bauer zur Verarbeitung der eindringlicben Lehren jenes Meisters noch
langer Zeit bedürfen werden. Neben jenem bedeutungsvollen Forscher
ist nun der berühmteste musikalische Theoretiker der Gegenwart Moritz
Hauptmann*) namhaft zu machen, auf dessen musikalisch-theoretischer
Grundlage i/t'/w/zo/'/'^ seine physikalische Accordlehre aufbaute, und wenn
sich auch der Letztere nicht inmier mit der Hauptmann'schen Ausdrucks-
weise, d. h. mit der Hegel'schen Dialektik, einverstanden erklärte **) —
jedenfalls eine rein subjective Betrachtung des deutschen Styls — , so zollte
er doch als Mann der Wissenschaft den „feinen musikalischen Anschau-
ungen", sowie der ganzen Forschungsmethode Haiiptmumi's die vollkom-
menste Hochachtung. Dass die Helmholtz'schen Ermittelungen bereits
im lustrumentenbau eine gewisse Verwerthung gefunden haben, dafür
liefert die Pariser Weltausstellung den unzweideutigsten Beweis; diese
Thatsache aber auf den Schluss der Abhandlung verlegend, haUen wir
es aearenwärtio; für unabweisliche Pflicht, die zur Construction des Cla-
viers nöthigen akustischen Vorbedingungen in kürzester Fassung dar-
zulegen.
II.
Schall — riiterschied vou (Tieräusch uud Klansr.
Schon die (iriechen erkannten mit scharfsinniger Genauigkeit die
Abstufungen des Hörbaren und unterschieden bezüglich der Verschieden-
artigkeit des Schalles in klaren Definitionen die Geräusche von den
musikalischen Klängen. Zu den Geräuschen gehört alles Das, was
dem Ohre die Empfindung der Unregelmässigkeit verursacht und ohne
messbare Verhältnisse in fortwährendem Wechsel die verschiedenartig-
sten Laute hervorbrmgt***). Man könnte vielleicht die Definition kurz
so fassen, dass unter „Geräusch" die Unregelmässigkeit alles Hörbaren
zu verstehen sei, da sich dieselbe auf alle Arten von Geräuschen anwen-
*)M. Hauptmann, die Natur der Harmonik und der Metrik; Leipzig 1853.
**) Vergl. Helmholtz, die Lehre von den Tonemptindungen, Seite 427 Anmerkung.
***) Die Griechen unterschieden sehr genau die feineren Geräusche von den musi-
kalischen Klängen ; z. B. erklärten sie die Laute beim Sprechen als die regellose Thätig-
keit des Stimmorgans, hingegen sie die Thätigkeit der Stimme bei der Erzeugung eines
musikalischen Klanges als geregelte auffassten. Vergl. Paul, die absolute Harmonik
der Griechen, S. 2.
den Jässt, z. B. auf das Sausen und Heulen des Windes, auf das Zischen
der Dampfkessel, auf das Plätschern des Wassers, auf das Rollen des
Donners, Rasseln des Wagens u. s. w., hingegen der musikalische
Klang in seiner Dauer dem Ohre die Empfindung der Gleichmässigkeit
und Regelmässigkeit erregt und keinen Wechsel verschiedener Arten
des Schalles erkennen lässt. Da nun die Luft als die Trägerin des
Schalles erkannt worden ist, so kann man nach der Empfindung des
Ohres schliessen, dass bei den Geräuschen die Erschütterungen der Luft
in ihren einzelnen Bewegungen unregelmässig sind und daher keine in
Grenzen zu fassenden Verhältnisse gewinnen lassen; dass aber die Em-
pfindung des musikalischen Klanges nur durch regelmässige Bewegungen
der Luft hervorgebracht werden könne, welchen wiederum die Bewegun-
gen des tönenden Körpers in gleichmässiger Weise entsprechen müssten.
Die Quelle des Schalles, d. h. der tönende Körper, und die Leitung des-
selben, d. h. die Luft, sind also nur dann zur Hervorbringung eines mu-
sikalischen Klanges befähigt, wenn die regelmässigen Bewegungen bei-
der in einer gewissen Gleichartigkeit zu einander in Beziehung stehen.
Die Regelmässigkeit der Bewegungen entsteht nun dadurch, dass eine
Bewegung der anderen in gewissen gleichen Zeitabschnitten und in gleich-
artiger Weise auf einander folgt, weshalb man dieselben auch perio-
dische Bewegungen genannt hat. Daher fasst Heimholte, auf dessen
sonst weit ausgeführte Erörterungen wir hier natürlich nicht eingehen
können, seine Definition in folgende Worte zusammen: „Die Empfindung
eines Klanges wird durch schnelle periodische Bewegungen der tönenden
Körper hervorgebracht, die eines Geräusches durch nicht periodische
Bewegungen". Die Akustik bedient sich für die Art solcher regelmässi-
gen .Bewegungen des Ausdruckes Schwingungen, welche, wie schon
gesagt, ingleichenZeitabschnitten, d.h. periodisch, erfolgen müssen. Aus
diesem Grunde nennt man die Länge der gleichen Zeitabschnitte, d. h.
die Dauer von einer Schwingung zur nächstfolgenden, die „Schwin-
gungsdauer" oder die „Periode" der Bewegung.
Wie bereits bemerkt, vermittelt die Luft jene periodischen Bewegun-
gen dem Ohre, und um dies zu können, müssen analog den tönenden
Körpern die Lulttheilchen periodisch sich wiederholende Schwingungen
ausführen. Zur Veranschaulichung dieses Gesetzes von der Fortpflanzung
des Schalles haben schon die Griechen die Wasserwellen in Betracht
gezogen, weshalb auch die neueren Akustiker mit Einschluss Helmholti^
nichts Neues sagen, wenn sie an den Wasserringen die gleichmässige
Ausbreitung der Erschütterungen beschreiben und dann zu dieser Be-
schreibung der ringförmigen Wasserbewegungen die kugelförmig fort-
schreitenden Luftwellen in Parallele setzen. So sagt z. B. übereinstim-
mend mit den Principien der modernen Akustik Boethius, der lateinische
Interpret griechischer Tonlehren im 5ten und 6ten Jahrhundert nach
Christo, in seinem Werke über Musik*): „Wenn man einen Stein in
eine ruhige Wassermasse wirft, so entsteht eine ganz kleine ringförmige
Welle; dann aber zerstreuen sich die Wellenmassen in grössere Kreise,
bis die unruhige Bewegung von der Hervorlockung der Wogen ablässt
und sich nach und nach beruhigt, indem sich die Wellchen in immer
weiteren und grösseren Umkreisen verlaufen. Nachdem der Stein die
wachsenden Wellen gewissermassen angestossen hat, wird jene Beweguno-
zurückgewendet und gleichsam nach dem Mittelpunkte zu, wovon sie aus-
gegangen ist, abgerundet. Wenn also auf dieselbe Weise ein Luftstoss
einen Ton erzeugt hat, so treibt dieser zunächst einen andern Luftstoss
an und setzt so gewissermassen einen runden Luftstrom in Bewegung.
Auf diese Art wird der Ton vertheilt und berührt zugleich das Gehör
aller Umstehenden."
Denkt man sich anstatt eines in das Wasser fallenden Steines meh-
rere Steine von gleicher Quantität und Qualität, welche in gleichmässi-
gen Zwischenräumen hinter einander in das Wasser fallen, so werden
dieselben bewirken, dass auf der Wasserfläche regelmässige Reihen
concentrischer Ringe entstehen und sich ausbreiten. Das Zeitverhältniss,
in welchem die hierdurch erregten Wellen hinter einander einen schwim-
menden Körper treffen, ist dann gleich den Zeitabschnitten, in denen die
einzelnen Steine in das Wasser fallen. „In derselben Weise", sagt Heim-
holte, „bringt in der Luft ein periodisch bewegter tönender Körper eine
ähnliche periodische Bewegung zunächst der Luftmasse, dann des Trom-
melfells in unserem Ohre hervor, deren Schwingungsdauer der des tönen-
den Körpers gleich sein muss."
*) Boethius lib. 1, cap. 14.
III.
Schwinguiig-en der Saiteu.
Da zur Klangentstehung die Vibration eines elastischen Materials
erfordert wird, so sind natürlich die Saiten als ein für dieselbe günstiges
Mittel schon frühzeitig in Anwendung gekommen, obgleich man die
Gesetze für die Schwingungen der Saiten erst'in neuerer Zeit correct
darlegte und nachwies. Dass die elastische Schwingung eine wesentliche
Veränderung des innern Cohäsionszustandes und Rückkehr in den nor-
malen ist, kann leicht an einer massig gespannten Saite beobachtet wer-
den, welche man in einem Punkte aus ihrer Gleichgewichtslage zieht
und dann wieder sich selbst überlässt. Wenn wir z. ß. die Saite x y
I »^ ■ ' I
X I ^ -^ y
im Punkte s aus ihrer Lage nach r ziehen und dann loslassen, so wird sie
in schwingende Bewegung gerathen, welche man so lange mit dem Auge
verfolgen kann, als sie in bedeutender Raumweite vor sich geht; ihre
Schwingungsform ist dann diese*):
y
Dieselbe erlangt sie dadurch, dass sie vom Punkte r bis s „in be-
schleunigter, von s bis v in abnehmender Geschwindigkeit sich bewegt,
bis die schwingende Kraft in v durch die vermehrte Spannung, welche
die Saite in der Curve erhält, aufgehoben, die Geschwindigkeit = 0 wird
und die Saite sonach momentan still steht, hier aber nicht verweilen kann,
wieder durch r nach s zurückgeht und so fort auf gleiche Weise in glei-
chen Zeiträumen nur nach und nach in kleineren Raumdimensionen hin
und her bewegt wird". Wenn also die bewegte Saite bei Ausführung
der Schwingungen durch die Gleichgewichtslage hindurchgeht, dann wird
*) Vergl. M. Hauptmann , .,Klang" in Chrysandei''s Jahrbüchern für musikalische
Wissenschaft Band I. S. 17; HelmhoUz S. 78; desgleichen Chladni. Akustik: über die
Transversalschwingungen S. 63. wobei S. 64 die A.nmerkung zu beachten ist.
9
offenbar die Geschwindigkeit der Bewegung den höchsten Grad erreicht
haben, während die äussersten Grenzen der Schwingung, wie hier r und v,
den höchsten Grad von Langsamkeit, d. h. momentanen Stillstand, wahr-
nehmen lassen. In dieser Schwingungsform giebt die Saite nur einen
Ton, und zwar den tiefsten Ton im Verhältniss zu ihrer Spannung. So-
bald aber diese Saite von derselben Spannung in der Mitte berührt wird,
entsteht ein Knotenpunkt, und sie nimmt dann diese Schwingungsforra
an, in welcher sie die Octave des ersten Tones, den wir Grundton
nennen wollen, angiebtund im Punkte ^j ihren Knotenpunkt hat. Zwei
solcher Knotenpunkte erhält die Saite bei der Berührung im Dritttheile,
wo sie diese Schwinofunssform zeigt und in der Duodecime des Grund-
tones erklingt, hingegen sie bei drei Knotenpunkten in dieser Schwingungs-
form erscheint und die Doppeloctave ertönen lässt.
Ebenso ist das Gesetz zu beobachten, dass der Ton in dem Maasse
höher wird, als man die Länge der Saite verkürzt, während die Menge
der Schwingungen in demselben Maasse wächst. Die Hälfte der Saite
wird also doppelt so viel Schwingungen machen als die ganze Saite, das
Drittel dreimal so viel Schwingungen u, s. w., was man bereits in der
griechischen Klanglehre genau angegeben findet. Dagegen entwickelte
erst Mersenne im 17ten Jahrhundert, dass eine Saite bei unvei-ändert be-
lassener Länge erst dann in der höhern Octave erklingen könne, mithin
Schwingungen von doppelter Menge und Schnelligkeit ausführe, wenn
man ihre Spannung viermal vergrössert habe, und dass die neunfache
Spannung dazu gehöre, um mit derselben Saite die Duodecime des
Grundtones zu erzeugen. Die Spannungen wachsen somit im Verhält-
niss der Quadrate der Schwingungszahlen *).
*) Johannes Müller fasst in seinem Lehrbuche der Physik die ' Schwingungsgesetze
in folgende vier Formeln zusammen:
10
Zu derartigen Messungen benutzten schon die Pythagoräer früh-
zeitig ein den Instrumentenbauern wohlbekanntes Instrument: das Mo-
nochord, an welchem auf einem Kesonanzkasten eine einzicre Saite aus-
gespannt ist, unter der sich ein Maassstab befindet, um den Steg richtig
setzen zu können. Mit diesem Instrumente machte man auch die Be-
obachtung, dass die Schwingungen von den beiden Befestigungspunkten
der Saite wieder zurückgeworfen werden und dieselbe der ganzen Länge
nach durchlaufen.
Durch die Begegnung der Wellen, welche durch die Befestigung
der Saite an zwei Punkten mit veranlasst wird, bilden sich systematisch
liegende Ruhepunkte, an denen man nicht bloss, wie soeben gezeigt wurde,
die Saite berühren kann, um höhere Töne hervorzubringen, sondern welche
auch neben der einfachen Schwingung der ganzen Saite, die den Grund-
ton hören lässt, noch Partialschwingungen erzeugen, aus denen sich die
sogenannten harmonischen Obertöne herleiten lassen. Schon G. S.
1) Die Schwingungszahl einer Saite verhält sich umgekehrt wie ihre Länge, d. H.
wenn eine Saite auf irgend einem Instrumente, wie einer Violine, einer Guitarre etc., auf-
gespannt ist und in einer gegebenen Zeit eine bestimmte Anzahl von Schwingungen
macht, so macht sie in derselben Zeit zweimal, dreimal, viermal u. s. w. so viel Schwin-
gungen, wenn man bei unveränderter Spannung nur Va? Vsi V4 ^*^- ^^^ ganzen Länge
schwingen lässt; sie würde ^1^, ^jz, */4 mal so schnell schwingen, wenn man nur ^/s, 3/^,
^/g der ganzen Länge schwingen liesse.
2) Die Zahl der Schwingungen einer Saite ist der Quadratwurzel aus den spannen-
den Gewichten proportional, d. h. wenn das Gewicht, welches die Saite spannt, viermal,
neunmal, seehzehnraa! so gross gemacht wird, während ihre Länge unverändert bleibt,
so wird die Geschwindigkeit der Schwingungen zweimal, dreimal, viermal so gross.
3) Die Schwingungszahlen verschiedener Saiten derselben Materie verhalten sich
umgekehrt wie ihre Dicke. Wenn man z. B. zwei Stahlsaiten von gleicher Länge
nimmt, deren Durchmesser sich wie 1:2 verhalten, so wird die dünnere bei gleicher
Spannung in derselben Zeit doppelt so viel Schwingungen machen als die dickere. Für
Darmsaiten ist dieses Gesetz wohl nicht immer genau wahr, weil sie nicht immer abso-
lut gleichartig sind.
4) Die Schwingungszahlen von Saiten verschiedener Materien verhalten sich umge-
kehrt wie die Quadratwurzeln ihrer specifischen Gewichte. Wenn z. B. eine Saite von
Kupfer, deren specifisches Gewicht 9 ist, und eine Darmsaite, deren specifisches
Gewicht 1 ist, gleiche Länge und gleichen Durchmesser haben und wenn beide durch
gleiche Gewichte gespannt sind, so schwingt die Kupfersaite dreimal langsamer als die
Darmsaite.
Es versteht sich von selbst, dass diese Gesetze nur für solche Saiten gelten, die
ihrer ganzen Dicke und Länge nach homogen sind, dass sie also nicht auf Darmsaiten,
welche mit Metallfäden übersponnen sind, angewendet werden können. Die metallische
Hülle ist hier eine träge Masse, welche durch die Elasticität der Saite in Bewegung
gesetzt werden muss und welche also die Schwingungsdauer vergrössert.
11
Ohm hat bewiesen, dass es nur eine einzige Schwingungsform giebt, an
welche sich keine harmonischen Obertöne knüpfen, und dies ist die pen-
delartige oder einfache SchAvingung, welche dem Pendel und der
Stimmgabel eigenthümlich ist. Sonst wird man bei fast allen tönenden
Körpern in höherem oder geringerem Grade harmonische Obertöne wahr-
nehmen können, deren Vorhandensein einzelnen Musikern und Physi-
kern zwar lange genug bekannt gewesen ist, von denselben aber nur als
Curiosum betrachtet wurde.
Hdmliolis hat für sich das Verdienst in Anspruch zu nehmen, die;
Allgemeinheit und Bedeutung derselben in das rechte Licht gesetzt und
praktisch verwerthet zu haben. Aus dem oben Gesagten geht nun her-
vor, dass eine über einen Resonanzboden gespannte und in Schwingung
versetzte Saite nicht bloss einen Tonangiebt, sondern das Ohr vernimmt,
namentlich wenn es mit einem Hörapparat, dem Helmholtz'schen Reso-
nator*), bewaffnet ist, noch eine ganze Reihe höherer Töne, welche im
Gegensatze zu dem Grundtone harmonische Obertöne des Klanges ge-
nannt werden. In der Regel ist der Grundton von allen der stärkste;
mit diesem bilden die Obertöne zusammen dieTheiltöne oder Partial-
töne eines Klanges, von welchem man also nicht bloss den Grundton,
sondern auch die Octave, Duodecime, Doppeloctave und von dieser letz-
teren noch die Terz, Quinte, Septime, Octave, None, Decime hört; in No-
tenschrift ausgedrückt besteht z. B. das kleine c aus folgenden Partial-
tönen;
1 Z 3 ^ 5 G 7 89 10
s
^^
^
Kämen die Obertöne mit dem Grundtone in gleicher Stärke zu Ge-
hör, so würden wir selbstverständlich nur Discordanzen in unserer Cla-
viermusik haben; erstere besitzen aber nicht die Fülle des letzteren, und
durch geschickte Anwendung der Mechanik ist es möglich, den 7ten,
9ten und lOten Partialton wenn auch nicht immer ganz zu entfernen,
so doch in einer Weise zu mildern, dass ihr Vorhandensein kaum be-
*) Schon Pellisov gebrauchte Hörröhre ; Helmholtz beschreibt die von ihm erfundenen
und gebrauchten Seite 74
12
merkbar ist. Dass von diesen Obertönen die Klangfarbe abhänorior ist,
wollen wir weiter unten bemerken; gegenwärtig halten wir es für hin-
reichend, die drei wichtigen Sätze, welche Helmholts über die Empfindung
der Obertöne aufgestellt hat, unseren Lesern mitzutheilen*):
1) „Dass die Ohertöne, welche den einfachen Schwingungen einer
zusammengesetzten Luftbewegung entsprechen, empfunden werden, wenn
sie auch nicht immer zur bewussten Wahrnehmung kommen."
2) „Dass sie ohne andere Hülfe, als eine zweckmässige Leitung der
Aufmerksamkeit, auch zur bewussten Wahrnehmung gebracht werden
können."
3) „Dass sie aber auch in dem Falle, wo sie nicht isolirt wahrge-
nommen werden, sondern in die ganze Klangmasse verschmelzen, doch
ihre Existenz in der Empfindung erweisen durch die Veränderung der
Klangfarbe, wobei sich namentlich auch der Eindruck ihrer grösseren
Tonhöhe in charakteristischer Weise dadurch äussert, dass die Klangfarbe
heller und höher erscheint."
Durch die Beobachtung der Obertöne gewinnt die Ansicht PeZ/i'sou's,
welcher Hclinliolts geringere Beachtung geschenkt zu haben scheint,
eine sehr wirksame Unterstützung. Pellisov glaubt nämlich, dass der
musikalische Ton der Saiten von ihrer Totalschwingung, als solcher, un-
mittelbar nicht erzeugt werde und dass der Grund der musikalischen
Töne tiefer liegend gesucht werden müsse, nämlich in den Molecular-
schwingungen. Molecularschwingungen bedeuten die durch die kleinen
Theilchen des elastischen, tönenden Körpers erregten, zu denen auch Sa-
vart seine Zuflucht nimmt, wenn er von den verschiedenartigen Formen
spricht, in welchen die Schwingung von einem Körper auf den andern
übertragen ward. Pellisov erkennt durch seine Experimente, dass die
Totalschwingungen einer Saite nicht die tönenden Schwingungen sind,
sondern dass in einem Falle die Totalschwingungen bloss das Mittel seien,
welches die erste momentane Erregung der Molecular- oder Tonschwin-
gungen in abgemessenen Intervallen wiederholt und erneuert, wodurch
die Dauer des Tones bestimmt wird, und dass im andern Falle die Mo-
lecularschwingung die eigentlich tönende sei, ja dass der Ton der Mole-
«•) Helmholtz S. 112.
13
cularschwingungen desto klingender und reiner sei, je weniger die Saite
als Ganzes dabei beunruhigt werde.
Bringen wir z. B. die gespannte Saite aus ihrer Gleichgewichtslage
mit dem Finger, so entsteht eine Beugung oder Krümmung, von deren
Winkeln die erste Tonerregung ausgeht; der Schlag des Hammers ver-
setzt die Saite ebenfalls in eine winkelförmige Biegung, die desto grösser
und kürzer wird, je stärker der Schlag des Hammers die Saite triift.
Derselbe giebt zugleich mit Veranlassung zur Vernehmbarkeit der Ober-
töne. Die durch die ersterregte Krümmung der Saite erzeugte, sogenannte
locale Compression des Saitentheiles läuft gleichmässig durch die
ganze Saite, wird aber, so oft sie auf eine veränderte Lage der Saiten-
Molecule trifft, was bei jedem Schwingungsknoten der Fall ist, nach die-
ser veränderten Lage der Molecule neu erzeugt und vervielfältigt, d. h.
die Geschwindigkeit der fortlaufenden Molecularerzitterung ist, so lange
die Saite ihre nämliche Spannung behält, immer die nämliche, aber die
verschiedenen sich bildenden Schwingungsknoten bringen diese jedesmal
neuerzeugten Molecularschwingungen in verschiedenen, den aliquoten
Theilen entsprechenden, systematischen Zeiträumen in unser Ohr. Wenn
nun der Ton überhaupt nur in der beweglichen Masse, denMoleculen
eines Körpers, seinen Grund hat, so hängt auch die Intensität und die
Qualität eines Tones nur von den Moleculen eines tönenden Körpers ab.
Im Grunde genommen scheinen die Ansichten Pellisov's mit denen von
Helmholtjs übereinzustimmen, nur sieht Letzterer mehr auf die Wirkung,
indem er den Klangcharakter durch die Obertöne bestimmt, hingegen
Ersterer die Ursache im Material zu ergründen sucht.
Die Masse oder die Molecule einer transversal schwingenden Saite
sind viel zu unbedeutend, als dass man ihr einen eigentlichen Ton zu-
schreiben könnte; als eigentliches Tonwerkzeug ist nicht der schwingende,
bloss tonerregende Körper, die Saite nämlich, sondern das Instrument,
aus welchem die Saite den Ton hervorlockt, zu betrachten. Wir nennen
dieses Instrument den Resonanzboden.
14
IV.
Schwingungen der Platten — Resonanzboden.
CMadni, welchev mit kreisförmig, oval, quadratisch, rechteckig, drei-
eckig oder sechseckig geschnittenen Scheiben — und grössere Holzschei-
ben verwendet man ja zu Resonanzdecken — die mühsamsten Unter-
suchungen anstellte, hat an diesen in Schwingung versetzten Platten ge-
zeigt, dass die Form der Molecularvibrationen von der Structur der
Klangtafeln abhängig ist und dass die vibrirenden Platten ebenso wie
die vibrirenden Saiten Töne erzeugen, welche bald höher, bald tiefer sind.
Er beobachtete, dass sich die Platte für jeden dieser Töne in schwin-
gende Theile abtheilt, welche durch Ruhelinien oder Knotenlinien ge-
trennt sind, deren grössere Zahl die Ausdehnung der schwingenden Theile
um so kleiner, den Ton also um so höher erscheinen lässt. Zur Nach-
weisung dieser Kuotenlinien streute er auf die obere Fläche der Tafeln
feinen trockenen Sand, welcher während des Tönens in die Höhe hüpft
und niederfällt und sich endlich an den Knotenlinien anhäuft, auf welche
Weise die sogenannten Chladni'schen Klangfiguren entstehen, deren Ab-
druck auf Papier Savarf in äusserst geschickter Weise bewerkstelligte.
Derselbe wandte nämlich statt des Sandes Lackmus an, welches mit
Gummi pulverisirt und zu einem Teige angemacht, getrocknet, von Neuem
pulverisirt und durchgesiebt wird, um Körnchen von passender Dicke zu
erhalten. Wenn dieses farbige und hygroskopische Pulver auf der Platte
sich in den Knotenlinien angesammelt hat, so reicht es hin, auf die Platte
ein mit etwas Gummiwasser befeuchtetes Blatt Papier zu legen, um die
Figur durch einen leichten Druck auf demselben zu fixiren. Auf diese
Weise ist es Savart gelungen, mehrere Hundert solcher Figuren derselben
Platte zu sammeln, welche verschiedenen Tönen entsprechen.
Dass diese Vielseitigkeit der Tonerregung günstig ist, ja dass ohne
Resonanzplatte die Tonerregung bis zum Minimum herabsinkt, können
wir leicht erfahren, indem wir eine Saite mit wenig Masse an irgend
einen Körper, der nicht sehr leicht zum Mitschwingen zu bewegen ist,
spannen — z. B. an eine massive Mauer — , und dieselbe dann in
beliebiger Tonhöhe zum Schwingen bringen; der Ton wird in diesem
Falle schon in serino-er Entfernuno- nicht mehr zu hören sein. Verbinden
wir hingegen die nämliche Saite durch einen langen hölzernen Leiter
15
mit einem so entfernt als möglich stehenden Resonanzboden, so wird
der Ton sehr laut und zwar nicht von der Saite, sondern vom Resonanz-
boden aus erschallen.
PeUisov nahm, um diese Erfahrung auffallender zu machen, von
seinem Flügel alle Saiten weg, spannte sie mittelst einer oft veränderten
Vorrichtung, senkrecht unter einander, in der alten Ordnung an einer
massiven Mauer auf und brachte sie, bloss mittelst eines vom Steg aus-
gehenden Leiters aus Fichtenholz durch eine kleine Oeffnung in der
tämlicheri Wand, mit dem im Nebenzimmer stehenden Resonanzboden
in Verbindung. An den Saiten brachte er eine Claviatur mit Winkel-
haken an, wie man sich ihrer bei senkrecht stehenden Fortepianos be-
diente, und so vermochte er dann Melodien zu spielen, die nur der im
Nebenzimmer befindliche Zuhörer sehr deutlich und rein vernahm, wäh-
rend sie dem Spielenden selbst nur als ein leises, kaum vernehmliches
Geräusch erschienen. Er stellte auch in Folge seiner weiteren Experi-
mente das bis zu seiner Zeit nicht hinreichend beachtete Gesetz auf, dass
ein Resonanzboden gerade an jenem Punkte von einem schwingenden
Körper am stärksten zum Tönen gebracht wird, der in Beziehung auf
den ganzen Körper der unbeweglichste ist, ohne seine Verbindung mit
dem ganzen tönenden Gehäuse zu verlieren. Dies sei, sagt PeUisov, der
Zweck der sogenannten „Seelen", die man unter flache Resonanzböden
leimt und leimen muss.
Von dieser Erfahrung kann man sich sehr leicht durch Hülfe einer
Stimmgabel überzeugen. Je entfernter die schwingende Stimmgabel von
der Seele eines flachen Resonanzbodens aufgesetzt wird, je mehr beweg-
lich also die Fläche des Resonanzbodens ist, desto schwächer ist der
erscheinende Ton; je näher die schwingende Stimmgabel der Seele rückt,
desto lauter klingt der Ton.
Daher fand PeUisov, dass gerade diejenige Bauart eines Reso-
nanzbodens die beste sei, welche ihn verhindert, Transversal-
schwingungen zu machen, oder sich als Ganzes zu bewegen,
ohne dass seine innere Elasticität dadurch gehemmt werde.
Zur Tonerregung gehört also das Schwingen der Saite, die Ueber-
leitung der Stösse auf den Resonanzboden, und die Molecularschwingun-
gen des letzteren. In der Praxis war man durch den Instinct schon auf
16
die Construction eines Instrumentes gekommen, welche annähernd jene
Bedingungen erfüllte, nämlich auf die des vielerwähnten Monochords.
Tonmessmig.
Das Monochord wurde nach unseren früheren Andeutungen bereits
im Alterthume zur Tonmessung benutzt, und durch die Theilungen der
Saite fand man sehr bald die einfachsten Intervalle, welche man mit dem
Ausdruck Consonanzen bezeichnete, da die beiden das Intervall bildenden
Töne im Zusammentönen oder besser im griechischen Sinne: im Nach-
einandertönen die Empfindung harmonischer Zusammengehörigkeit her-
vorbrachten und dem Hörer ein gewisses Gefühl der Ruhe erzeugten.
Man fand in der Hälfte der Saite die Octave und bemerkte, dass diese
Hälfte die doppelte Menge von Schwingungen hatte, als der Grundton,
mithin im Verhältniss von 1:2 stand; die Quinte ergab 2/3 der Saiten-
länge und 3/2 der Schwingungssahl, die Quarte endlich ^/^ der Saiten-
länge und ^'3 der Schwingungszahl*). Nach empirischer Gewinnung
dieser Consonanzen begann die Speculation, welche von dem Verhältniss
eines Ganztonintervalles ihren Anfang nahm. Dasselbe fand man im
Unterschiede der Quinte und Quarte, in Zahlen ausgedrückt nach
Schwingungen: ^'a"-* 3» i^^ch Saitenlängen: ^'3:^/4, und man erhielt daher
für das Ganztonintei vall das Verhältniss von 8 : 9. Da man nun durch
das Gehör fand, dass die Quarte, welcher die Griechen von allen Conso-
nanzen den kleinsten Umfang zuschrieben, aus zwei Ganztonintervallen
und einem Halbtonintervali bestand, so musste natürlich das Halbton-
intervall ein Zahlenverhältniss haben, welches aus dem Unterschiede der
Summe zweier Ganztöne, also ^/gX^ s» und der Quarte selbst, d. h. */3,
hervorging. Dieser Unterschied ^'/ei:* 3 ergab das Verhältniss von 243:
256, und die ganze Reihe: Halbton, Ganzton, Ganzton, z.'Q.hcde oder
e f g a, deren Verhältnisse waren: 243:256, 8:9, 8:9, nannte man ein
Tetrachord, welches genau den Umfang der Consonanz Quarte inne-
halten musste. Für dasselbe bildeten die eben angegebenen Zahlen-
*) Ausführlich habe ich mich über die griechische Klanglehre in meiner Schrift
„Die absolute Harmonik der Griechen", ausgesprochen.
17
Verhältnisse (las sogenannte diatonisch-ditonische Klanggeschlecht, das
man als Grundgeschlecht ansah, hingegen andere durch Speculation ge-
wonnene Stimmungen Abarten darstellten *). Die alten Saiteninstrumente
der Griechen, welche als Grund für die spätere Entwickelung des Claviers
anzusehen sind, waren zumeist in diesen Verhältnissen gestimmt, und
ihre Monochordberechnung lässt einen interessanten Vergleich mit der
Tonmessung für die Construction unserer Saiteninstrumente ziehen. Jene
Abarten oder Abweichungen in der Stimmung von dem Grundgeschlechte
nannten die Griechen Klangfärbungen, deren Charakter im Bau ihrer
Tonarten eine grosse Rolle spielte . Merkwürdig bleibt die Thatsache
dass das Verhältniss der grossen Terz 4:5, welches dem Archjtas (4. Jahrh.
V. Chr.) und Bklymus (um Christi Geburt) bekannt gewesen ist, und das
sogenannte „angespannte diatonische" Geschlecht des Claudius Piole-
mceus in den Verhältnissen 15:16, 8:9 und 9:10, das also ganz der
modernen Anschauung entspricht, nicht eher als im 16. Jahrhundert
durch Zarlino zur vollen Geltung gebracht wurden, wo man dann auch
die o-rosse Terz den Consonanzen zugesellte und vom musikalischen
Durdreiklang bei allen theoretischen Auseinandersetzungen auszugehen an-
fing. Denselben finden wir schon unter den Obertönen im 4., 5. und 6. Par-
tialton , wie es die früheren Entwckelungen erkennen liessen. Durch die
Experimente an der Sirene von Seeheck, Cagniard la Tour, Bove, von
*) Der Vollständigkeit halber bemerken wir hier die griechischen KlanggescHechter,
weil sie zum Verständniss für die Stimmung griechischer Instrumente von Wichtig-
keit sind:
ienharmonisches Geschlecht
chromatisches Geschlecht
diatonisches Geschlecht .
ienharmonisches Geschlecht
chromatisches Geschlecht
diatonisches Geschlecht .
ienharmonisches Geschlecht
chromatisches Geschlecht
diatonisches Geschlecht .
( enharmonisches Geschlecht . . . . = ^Y"
weich chromatisches Geschlecht . . = "^^j-n
Ptolemaeus
angespannt chromatisches Geschlecht = ^"^j^x X 'Vii X Ve = *lz
weich diatonisches Geschlecht
tonisches Geschlecht . . .
ditonisches Geschlecht . .
angespanntes Geschlecht
gleiches Geschlecht . . .
= 2«/27 X
= =^72. X
= ^727 X
= ^739 X
= =^719 X
= "72,3X
= ^2/3. X
= >7i5 X
= '7.5 X
'^'35 X 74 = 73
^722, X ^727 =73
77 X 78 = 73
=»738 X '7.5 = 73
'7.8 X 75 = ^'3
78 X 78 = 73
^'/30 X 74 = V3
"/2-. X 75 = ^'3
'79 X 78 = 73
X 'V23 X 74 = 73
X '7l4 X 75 = 73
= 2'/2o X '"/g X 77 = Va
= '% X 77 X 78 = 73
= "<'/2.'.3X 78 X 78 = 73
= '7-5 X 78 X '7o = 73
= '% X "/.O X '79 = 73
2
18
denen der Letztere die vollkommenste Art dieses Instrumentes, nämlich
die mehrstimmige Sirene, herstellte, wird nun auch deutlich das
Verhältniss des Durdreiklangs 4:5:6 als das richtige erwiesen, und aus
diesem können wir das für unsern Zweck noth wendige Dursystem mit
Leichtigkeit ableiten. AYenn wir die grosse Terz eines Dreiklangs mit
einem kleinen Buchstaben, den Grundton und die Quint aber mit grossen
Buchstaben bezeichnen, gleichwie es M. Hanjjtmann in seiner Natur der
Harmonik und der Metrik zuerst gethan und nach ihm Heimholte in sei-
ner Lehre von den Tonempfindungen acceptirt hat, so können wir den
Dreiklans:
i
^
4:5:6
in dieser Form darstellen: C — e—G; an dem Quinttone G bildet sich ein
4:5:6
Dreiklanor gleicher Gestalt: G—h—B, und an dem Grundtone C nach
. . 4 : 5 : 6 _
abwärts ebenfalls ein solcher von gleicher Form: F — a — G. Diese drei Drei-
4:5:6
klänge -F— a — C — e—G — h—B in Noten ausgedrückt:
4:5:6 4:5:6
^
enthalten in ihrer Verbindung die wesenthchen Momente der C dur-
Tonart, in welcher man G—e — G den Grundaccord, G — h — D den
Oberdominantdreiklang, F — a — G den ünterdominantdreiklang nennt.
Mit Anwendung des in jeder Stimmung unveränderlich bleibenden
Octavverhältnisses gewinnen wir aus jener Accordkette die diatonische
Durtonleiter mit ihren Verhältnissen von Ton zu Ton. Denn wenn wir
auf G als den Ausgangspunkt des ganzen Systems alle Töne beziehen, so er-
halten wir den zw^eiten Ton der Scala durch die Versetzung desi) in die
nächst tiefere Octave. G ist von C ^/^ = a/^ und B von G ebenfalls
3/2, von C also ^2X^/2 = ^/4; dies in die nächst tiefere Octave versetzt,
giebt i/2XV4=®/8- (^'D ist daher gleich 8:9. Der zweite Ton der
Durscala macht mithin in derselben Zeit 9 Schwingungen, während der
Grundton 8 macht, oder umgekehrt wird auf dem Monochord die Saite
B nur 89 der Länge von der Saite G haben, e als dritter Ton der
Leiter ist bereits als ^[^ von G gegeben. F in die höhere .Octave versetzt,
nämlich 2 X * /g = 2 X 2/3 = 4/3, giebt den vierten Ton oder die Quarte;
19
G^^j^ als fünfter Ton oder Quinte ist gegeben; a in die höhere Octave
versetzt, also 2 X ^/g = i^'/g = ^3, bildet den sechsten Ton oder die grosse
Sexte; h = ^^ 4 X ^4 =^ 2 X ^4 = *^8 ist der siebente Ton der Scala oder
die grosse Septime, welche zur Octave des Grundtones, nämlich zu c = 2,
den Leitton bildet. Wenn also die Octave C—c gegeben ist, so haben die
Töne der Scala auf den Grundton bezogen folgendes Schwingungsverhält-
niss: C, D, e, F, G, a, h, c (die Saitenlängen würden natürlich die umge-
1 % 5/4 */3 '/2 ^;'3 '^/8 2 ^ _
kehrten Brüche zeigen), woraus die Differenz der einzelnen Tonstufen von
selbst hervorgeht, z. B. giebt das Intervall D — e den Unterschied von®/«
und5/4=9/8:^4 = *0/3(, = *<^/9, odere-F=5/^:*/3=%5 "• s. w. Die
ganze Seal stellt sich daher, wenn wir über die Tonbezeichnungen die
Verhältnissae zum Grundton und unter dieselben die Differenzen der neben
einander liegenden Intervalle durch Zahlen ausdrücken, unseren Augen
so dar:
1 9/. 5/4 </3 % 5/3 15/^ 2
C, D, e, F, G, a, h, c
Wollten wir nun das Verhältniss eines griechischen Tetrachordes
mit Beibehaltung der Hauptmann'schen Buchstabenbezeichnungen, z. B.
€, F, G, a, welchem im Grundgeschlecht folgende Verhältnisse zukommen:
1 ^%« «/h % . . . , .
€, F, G, a, mit unserem Tonartverhältniss vergleichen, so würden wir
zwischen unserm Halbton 15:16 und dem griechischen 243:256 die
Differenz *6/i5 : ^^^,243 = ^Vso finden und daraus erkennen , dass unser
Halbtonverhältniss der Berechnung nach ein wenig grösser sei, als das
von den Griechen und im Mittelalter bis zum 16. Jahrhundert n. Chr.
gebrauchte, während unser sogenannter kleiner Ganzton zwischen D und
€ oder G und a um dasselbe Verhältniss 80 : 81 kleiner ist, als der grosse
Ganzton 8 : 9, den die Griechen im Grundgeschlechte allein anwandten.
Wenn die Griechen einem Saiteninstrumente die Stimmung von C dur,
welche Tonart sie das lydische Diapason nannten, gegeben hatten, so
mussten ihrer Monochordberechnung zufolge die Töne e, a und h etwas
höher erklingen, als es bei uns in der natürlichen Stimmung der Fall ist,
und zwar haben diese Töne eine um dieselbe Differenz höhere Stim-
mung, als welche nach moderner Anschauung zwischen der vierten Ober-
quint vom Grundton aus gerechnet und der grossen Terz desselben be-
steht. Zählen wir z.B. vom grossen CvierQuinten nach oben ab nämlich:
C — G — d — a — e',
20
80 ist das eingestrichene e' die vierte Quint vom grossen C, welche zu
diesem im . Verhältniss von (3/2)*i= ^Vie steht; versetzen wir die Terz
des grossen C, also ^/4, in die Octave der vierten Quint = 2x2x5/4 =
2oy^ = 8o/jg, so sehen wir, dass sich die Terz zur vierten Quint wie 80:81
verhält, mithin erstere etwas tiefer ist als letztere.
Um dasselbe Verhältniss diiFerirt aus ebendemselben Grunde der
zweite Ton in der G dur Scala mit dem sechsten Tone in der C dur Scala; es
ist das a in C dur dem musikalischen Begriffe nach ein anderer Klang,
als der zweite Ton in der G dur Scala, den wir mit A bezeichnen wollen,
obgleich wir für beide auf dem Claviere nur ein einziges Saitenchor, nur
eine einzige Taste haben. Noch grössere Unterschiede finden statt zwi-
schen Cis und Des, Eis und F u. s. w., deren Vermittelung auf den
Tasteninstrumenten weiter unten besprochen ist *).
*) Chladni giebt in seiner Akustik für das moderne Tonsystem folgende Tabelle
(Seite 27):
%
"/18
1) Einklang c : c
2) Der kleine halbe Ton c : cis (wird bisweilen auch
die übermässige Prime genannt)
3) Die kleine Secunde c : des
4) Die grosse Secunde c: d
5) Die verminderte Terz c : eses oder cis : es . . .
6) Die übermässige Secunde c: dis
oder
7) Die kleine Terz c : es . . . . . •
8) Die grosse Terz c : e
9) Die verminderte Quarte c : fes
10) Die vollkommene Quarte c :/
11) Die übermässige Quarte c -.ßs
12) Die verminderte Quinte c : ges
13) Die vollkommene (reine) Quinte c: g ....
14) Die übermässige Quinte c : gis
15) Die kleine Sexte c : as
16) Die grosse Sexte c: a
17) Die verminderte Septime c : bb oder cis : b . .
oder auch
18) Die übermässige Sexte c: ais
19) Die kleine Septime c: b
oder
20) Die grosse Septime c:h .
21) Die verminderte Octave c : ces'
22) Die vollkommene Octave c: c' .'
Welcher von Gontershausen, welcher diese Tabelle unverändert abdruckt, wie er
überhaupt in der Akustik fast nur Chladni benutzt, scheint den groben Fehler unter 2)
nicht bemerkt zu haben. Da derselbe aus Chladni leider auch in manche Lehrbücher
der Physik übergegangen ist, so wollen wir denselben hiermit berichtigen. Von C aus-
gehend kann Cis zu C niemals im Verhältniss von 25:24 stehen; das Verhältniss würde
Verhältnisse der
Schwingungen
1
1,04162/3
1,06662/3
1,111179
/i25 1,152
'108 1,15742/2,
1,17183/4
1,2
1,25
1,28
1,3333V3
1,38888/9
1,44
|1,5
1,5625
1,6
1,66662/3
1,70662,3
1,728
1,7361V9
1.777779
1,8
1,875
1,92
2
Verhältnisse der
Saitenlängen
~l"\ 1
0,96
0,9375
0,9
'■27„4 ,0,86805/»
'°«/,25 0,864
0,853373
0,833373
0,8
0,781272
0,75
0,72
0,6944V9.
0,66662/3
0,64
0,625
0,6
0,58593/8
'"/216 0,578772r
'V125 i0,576
Vie 0,5625
/9 ; 0,5555V
/i5 10,533379
25/48 ! 0,5208' '3
V2 :o,5
"/2
25/
/32
'V25
•725
^8
21
Man kann sich den Uml^ing des Tonrcichcs nach der Höhe und
Tiefe unendUch gross denken; die Beschaffenheit unseres Gehörorgans,
sowie das Material der Saiten bedingen aber ein gewisses Maass, welches
auf Ciavierinstrumenten in der Höhe gewöhnlich über das viergestrichene
a*'" und in der Tiefe über das zweiunddreissigfüssige A„ nicht hinaus-
geht, mithin einen Umfang von sieben vollen Octaven repräsentirt , ob-
schon die überhaupt wahrnehmbaren Töne in einem Klangbereiche von
elf Octaven liegen.
Von der deutschen Naturforscherversammlung ist im Jahre 183^
die für die Tonhöhe der musikalischen Scala von Scheihler gegebene
Bestimmuno; festg-ehalten worden, dass das eingestrichene a' in der Se-
cunde 440 Schwingungen zu machen habe, während die Pariser Akademie
für denselben Ton 437,5 Schwingungen annimmt. Wir halten das deutsche
Maass fest und geben nach den bereits erklärten Verhältnissen der Scala
€ine Tabelle von A,, bis zu «"":
27.5
30 9375
33
1^,
37,125
E,
41,25
F.
44
G, 1
49,5
A,
55
H,
61,875
C
66
D
74,25
E
82,5
F
88
ö 1
99
A
110
H
123,75
c
132
d
148,5
. e
165
f
176
198
220
h
247,5
c'
264
d'
297
330
f
352
39 i3
- a'
440
a"
880
h'
495
c"
528
d"
594
660
f"
704
792
h"
990
c'"
1056
d'"
1188
e"'
1320
1408
1584
a'"
1760
h'"
1980
2112
d""
2376
e""
2640
f""
2816
3168
a""
3520
fius welcher man sogleich das Schwingungsverhältniss für alle Octaven
der diatonischen Scala erkennen kann. Für die chromatische Scala er-
geben sich die Verhältnisse, wenn man die hierzu nöthigen Zahlenbe-
stimmungen in Anwendung bringt. Wenn z. B. das grosse Ganzton-In-
tervall C— Z) = 8:9 gegeben ist, in welchem G 66 und D 74,25 Schwin-
o-uno-en macht, so nimmt man entweder G als Leitton, um Des zu finden,
oder I) als Grundton, um zu diesem den Leitton Gis zu erhalten. Im
richtig sein, wenn wir von A ausgehen wollten; denn dann wäre Cis die grosse und C
die kleine Terz von A, mithin C: Cjs= 6/6:^4 = 24: 25. Von C ausgehend ist aber Cis
der chromatische Ton von C, welcher zu D den Leitton bildet, zu letzterem also im
Verhältniss von 15:16 steht, mithin von C "s/j^g sein rauss. CiCis verhält sich also in
diesem Sinne =128:135.
22
ersteren "Falle Ist C — Des eine diatonische und Des — D eine chromatische
Stufe, im letzteren Falle ist C — Cis chromatisch und Cis — D diatonisch.
Der diatonische Halbton ist stets nur im Verhältniss von 15: 16 denkbar,
Des ist also von C ^^ji^; mithin macht, wenn dem C 66 Schwingungen
zukommen. Des ^^15 X 66 = 70,4 Schwingungen, und zwischen Des und
D besteht dann das chromatische Verhältniss von 128: 135, dessen Rich-
tigkeit hier leicht dadurch bewiesen wird, dass man 70,4 mit *^Vi28 naul-
tiplicirt, durch welche Rechnung in der That das richtige Schwlngungs-
verhältniss für D = 74,25 gefunden wird. Cis steht nun zu Cm demselben
Verhältniss wie D zu Des; wollen wir also Cis finden, so haben wir die
Schwingungszahl von (7 ^ 66 mit *'^/i28 zu multipliciren, woraus für Cis
die Schwingungszahl 69,609375 hervorgeht. Da Cis als Leitton von D
zu diesem das Verhältniss von 15:16 hat, so ergiebt die Multiplication
von 1^/15 mit 69,609375 die Schwingungszahl von D= 74,25. Wollen wir
nun die chromatischen Stufen zwischen dem kleinen Ganzton, z. B. zwi-
schen D — -Ersuchen, welcher das Zahlen verhältniss 9:10 besitzt, so be-
trachten wir wiederum entweder D als Leitton, welchem der Ton Es
folgen muss", zu dem E Im chromatischen Verhältnisse steht, oder wir
sehen E als den Auflösungston an, dem Dis als Leitton vorausgeht, in
welchem Falle D : Dis dasselbe Verhältniss hat, wie vorher Es : E, und
zwar Ist dieses chromatische Verhältniss D:Dis und Es:E durch die
Zahlen 24 : 25 auszudrücken. Dis finden wir also, wenn wir entweder die
Schwingungszahl von D mit 2^/24» oder diejenige von E mit ^^/jg multi-
pliciren; Es finden wir, wenn wir entweder die Schwingungszahl von D
mit ^^/i5, oder die von JE" mit 2* g^ multipliciren.
VL
Beine Stimmung und Temperatur.
Aus dem Vorhergehenden dürfte die Auffindung chromatischer Ton-
stufen und der Unterschied, welcher z. ß. zwischen Cis und Des, Dis und
Es besteht, unzweideutig hervorgehen. Dieser Unterschied darf aber auf
den Tasteninstrumenten nicht zu hören sein, weil wir ja z. B. für Cis und
Des, Dis und Es u. s. w. nur ein Saitenchor, nur eine Taste zur Be-
23
nutzung haben. Es muss also eine Vermittelung derartiger Differenzen
bewerkstelligt werden, deren Herstellung durch die sogenannte „gleich-
schwebende Temperatur" geschieht, die zu der reinen Stimmung,
in welcher jene Unterschiede festgehalten werden, im Gegensatze steht.
Wollten wir die reine Stimmung bei den Tasteninstrumenten anwen-
den, so würden wir zur Herstellung aller Unterschiede weit mehr Tasten
nöthig haben, als jetzt in der Praxis gebräuchhch sind, und. durch die
Vermehrung der Tastatur die Handhabung der Instrumente ausseror-
dentlich erschweren. Z. B. würden die Tone c, Ms, desdes drei verschie-
dene Tasten erfordern, während wir für alle drei Klänge, welche dem
BegrifFe nach ganz von einander getrennt sind, nur eine Taste besitzen.
Es ist also ausser jener auszugleichenden Differenz zwischen der
Terz eines Grundtones und dessen vierter Quint noch die sogenannte
„enharmonische", wie sie z. B. zwischen Ms und c vorkommt, zu ver-
mitteln. Diese Differenz kann aus der Terzprogression als C — His zu-
sammentreten, z.B. C — JE— Gis — His, oder als C—Uis aus der Quintreihe
C— G—D—Ä—E—H—Fis— Cis— Gis—Dis—Äis—Eis—His,\md wird
nach der verschiedenen Entstehungsart auch in den Verhältnissen ver-
ßchieden resultiren. Es führt aber jede Art solcher Progressionen so weit
vom Ausgangstone hinweg, dass es ausser allem musikalischen Interesse
liegt, die Differenzen dieser Differenzen namhaft zu machen. An einen
inneren Einklang ist dabei nicht zu denken, wie nahe die Töne auch
äusserlich zusammenkommen möchten*).
Für das beste und praktischste Stimmverfahren zur Vermittelung der
Unterschiede halten wir das von M. Hauptmann angegebene, welches
wir durch Notenbeispiele weiter ausführen.
Ein Ciavier temperirt zu stimmen, wird man von einem Tone aus-
gehend m Quinten fortstimmen bis zur vierten und diese vierte Quint
als Terz zum Dreiklang in das erste Quintintervall brauchbar zu erhalten
suchen. Das Verfahren hierbei, um nicht in höher liegende Octaven zu
*) Moritz Hauptmann, „Temperatur" S. 32. — Chladni hat für die Temperatur alle
Formeln beigebracht, welche vor und zu seiner Zeit bereits aufgefunden worden waren.
Es findet sich aber in allen diesen Berechnungen so viel Unnöthiges und Zweckloses,
dass wir es vorgezogen haben, die Hauptmann'sche Abhandlung „Temperatur" zu Grunde
zu legen, in welcher zwar selbstverständlich keine neue Formel erklärt ist, die sich aber
durch ihre Darstellung des Wesentlichsten vor der Masse anderer Abhandlungen über
diesen Gegenstand vortheilhaft auszeichnet.
.24
gerathen, ist so, dass man zu der zweiten Quint die tiefere Octave rein
stimmt, von diesem tieferen Tone sodann die dritte und vierte Quint, und
die tiefere Octave dieser letzteren in das erste Quintintervall versetzt,
z. B. Ä ^
Es ist offenbar, dass diese Quinten sämmtlich etwas tiefer als die reine
zu halten sind, weil die aus der Dreizahl resultirende vierte Quint
C, G, D, A, E ausserdem gegen die Terz, welche aus der Fünfzahl her-
13 9 27 81
vorgehend 1, 5, 10, 20, 40 nach e = 80 führt, zu hoch und für diese nicht
anzuwenden sein würde. Diese, von uns bereits oben besprochene Diffe-
renz von 80:81 ist in die vier Quinten so zu vertheilen, dass keine der-
selben unerträglich tief, der letzte Quintton aber in das erste Quintinter-
vall als Terz nicht unerträglich hoch gerathe. Dass auf praktischem
Wege hier eine mathematisch gleich bestimmte Vertheilung nicht zu
verlangen ist, wie sie nicht nachzuweisen sein würde, leuchtet ein.
Nach dieser ersten Terzbestimmung ist auf gleiche Weise fortzu-
fahren. Der fünfte Quintton wird in das zweite Quintintervall, der sechste
in das dritte den Terzton abgeben müssen, bis sich der Zirkel schliessen
lässt. Nachfolgende Tabelle, in welcher wir vom kleinen a, der Oötave
des eingestrichenen «', ausgehen, weil die meisten Stimmgabeln auf
a' gestimmt und die mittleren Tonregionen dem Gehöre am fasslich-
sten sind, wird das Verfahren hinreichend erklären, nach dessen prakti-
scher Ausführung nur die Stimmung der Octaven von jedem einzelnen
Tone übrig bleibt; denn die Octave ist nicht zu temi^eriren, sie ist das
sich selbst Gleiche, oder wie Hatq)tmmin sagt: „Die Octav, das Intervall,
in welchem die Hälfte eines klingenden Quantums sich gegen das Ganze
des Grundtones hören lässt, ist in akustischer Bestimmung der Ausdruck
für den Begriff der Identität, der Einheit und Gleichheit mit sich selbst.
Es bestimmt die Hälfte das mit sich Gleiche als andere Hälfte."
25
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In früherer Zeit hat man auch wohl andere Temperaturen als die
„gleichschwebende" anzuwenden und dabei die Charakteristik der Ton-
arten geltend zu machen versucht, wobei die damals weniger gebräuch-
lichen Tonarten, namentlich die mit den meisten Kreuzen versehenen,
zu kurz kamen und ihnen die aus der Stimmung hervorgegangenen
Unreinheiten aufgebürdet werden sollten.
„Wie wenig das aber überhaupt pratkisch, wie theoretisch zu er-
langen ist, lässt sich leicht begreifen, wenn man bedenkt, dass die Terz
des ersten Dreiklangs, wenn sie erträglich rein, d. h. nicht zu sehr ge-
26
schärft hervorgehen soll, schon vier temperirte Quinten erfordert, dass
also von grösserer Reinheit oder gar von absoluter Reinheit dieser näch-
sten Quinten, wie die sogenannte Kirnberger'sche sie verheisst, gar nicht
die Rede sein kann, indem diese nächsten Quinten direct auf die Terz
des ersten Dreiklangs influiren."
Dass Bach bei der Composition seines „wohltemperirten Claviers"
nur die gleichschwebende Temperatur im Sinne gehabt haben kann,
bezeichnet sein historisch beglaubigtes Verfahren, manche der Präludien
und Fugen aus ihren ursprünglich zu Grunde gelegten Tonarten in
andere zu transponiren, in welcher späteren Gestalt sie in jene erwähnte
Sammlung übergegangen sind. Und gewiss ist auch die gleichschwebende
Temperatur ein ganz erträghches Uebel, wie w^r es tagtäglich an aller
Ciavier- und Orgelmusik erfahren; ja möchte es nur Stimmer geben
welche wirklich im Stande wären, ein Instrument genau nach der gleich-
schwebenden Temperatur zu stimmen, wir würden dann sicherlich er-
kennen, dass unsere Ohren jetzt an weit grössere Verstimmungsübel
gewöhnt sind, als sie uns durch jene „methodische Verstimmung" vor-
geführt werden können. In der That nähert sich die gleichschwebende
Temperatur weit mehr der reinen Stimmung, als die Stimmung so
mancher Flügel, die wir in Concerten doch immerhin noch erträglich
finden.
Wenn nun auch fast in jedem physikalischen Lehr buche die Berech-
nung der gleichschwebenden Temperatur angegeben ist, so dürfte doch
der Nachweis für obige Behauptung, wie ihn Morits Hauptmann in klar-
ster Darlegung gegeben hat, nicht uninteressant sein, weshalb wir den-
selben hier folgen lassen.
„Es ist zwischen dem Octavverhältniss, das wir nach Schwingungs-
zahl mit C:c ausdrücken, eine Reihe von elf Gliedern zu finden, die in
1 ; 2
geometrisch gleichem Verhältniss zu einander stehen, so dass von den
Tönen , die durch die Grössen dieser Zwischenglieder bestimmt werden,
jeder gleich weiten Abstand von seinen Nachbartönen erhält. Der all-
gemeine Ausdruck für die Reihe ist, wenn wir das erste Glied mit a, die
Anzahl der Glieder mit n, das letzte Glied mit s und das multiplicirende
Progressionsquantum mit x bezeichnen: a, ax, ax^, ax^ z. Der
Werth für x ergiebt sich aus dem letzten Gliede, als: x=\l-' Die obige
27
Reihe ist aber, da uns das erste Glied als 1, das letzte Glied als 2, die
Anzahl der Glieder als 13 bekannt sind;
13—1 13-1 13-1 13—1
oder 1, \^2, V^% V^2"3 V's^
ebenso 1, 2'/i2, 2'/»2, 2^.'i2 . . . o . . . 2^''.2
und in der Anwendung auf die temperirt chromatisch -enharmonische
Tonleiter:
1 = C 2'/i2 = g
2'/i2 = eis =^ des 2'/i2 = gis = as
2^/12 = d 2'/i2 = rt
2^/12 = dis = es 2'°/i2 = als = 5
2^/i2 = e 2"/i2 = h
2^12 = /" 2'"i2 = c
2®/i2 =^ ßs =^ ges
„Dass diese Töne, von denen hier nur die nächsten Doppelbedeutun-
gen angegeben sind, auch jede andere, die auf denselben Clavis fällt,
erhalten können, ist selbstverständlich. So z. B. C = Ms = desdes,
F = eis = gcsges u. s. w.
„Wenn wir nach den Gliedern dieser Reihe ein Quint- und ein Terz-
verhältniss untersuchen, so wissen wir, dass alle übrigen Quinten und
Terzen diesen ganz gleich sind. Jedes einzelne Intervall hat die Grösse
aller übrigen gleichnamigen. Der Dreiklang C—e — G ist verhältniss-
gleich dem Dreiklang Cis—eis—Gis, gleich dem Dreiklang B—fis—A
u. s. f. In einem C dur Dreiklang setzen wir nach dem Schwingungszahl-
verhältniss:
C = 1,000
G = 1,500 (3/2 X 1,000)
e = 1,250 e/4 X 1,000).
„Das temperirte G finden wir in der Reihe der gleichschwebenden
Temperatur bestimmt als:2''i2, nach dem Vorstehenden also mit 2,000'/i2
auszudrücken. Es ist aber
Log. 2,000 = 0,3010300 X V12 = 0,1756008 = Log. 1,498 .
Das reine G = 1,500
Das temperirte G =^ 1,498
Differenz = 0,002
„Letzteres hat zwei Schwingungen weniger, ist mithin tiefer als das
reine. Das temperirte e finden wir in der Reihe unter dem Ausdruck
2*/i2 (= 2^'3), mit den Decimalstellen ist es demnach 2,000\
Log. 2,000 = 0,3010300 X 1/3 = 0,1003133 = Log. 1,259*).
Das temperirte e =^ 1.259
Das reine e = 1,250
Differenz = 0,009
„Das temperirte e hat neun Schwingungen mehr, ist mithin höher
als das reine, und zwar wird die Terz durch die Temperatur in einem
bedeutenderen Grade erhöht, als die Quint durch dieselbe vertieft wird.
Diese differirt in der dritten Decimalstelle um zwei, die Terz um neun.
„Nach demselben Verfahren finden wir
fis rein = 1,406
ges rein = 1,423
Der temperirte Ton (2,000"^) ist für Beides 1,414
f\s temperirt = 1,414
fiS rein = 1,406
Differenz = 0,008
Das temperirte um acht Schwingungen höher.
ges rein = 1,423
ges temperirt =1,414
Differenz = 0,009
„Es scheint nach diesen Ergebnissen, als ob einige Stufen einen
geringeren, andere einen grösseren Eintrag an Reinheit durch die Tem-
peratur erlitten, wir haben aber die reinen Intervalle hier nur von einem
Punkte aus, nämlich von dem als Einheit gesetzten Caus betrachtet, und
zwar nur in der einen Geltung, wie sie in der von C nach der Ober-
und Unterdominantseite ausgehenden Progression zuerst vorkommen:
*) Die Werthe der gleichschwebenden Temperatur mit Logarithmen berechnet geben
in relativen Schwingungsverhältnissen:
C = 1,00000
eis oder des = 1,05946
d = 1,12246
dis oder es = 1,18920
e = 1,25992
/ = 1,33484
ßs oder ges = 1,41421
9
=
1,49830
(fis
oder
as
=
1,58740
a
=
1,68180
ais
oder
b
=
1,78180
h
=
1,88774
c
=
2,00000
29
die Töne e, fis, ges sind hier als Terztöne, e= 1,250, fis= 1,406, ges =
1,423 gesetzt; es sind aber noch andere, ja es sind unendlich viele Gel-
tungen für einen mit demselben Clavis ausgedrückten Ton vorhanden,
so dass die Ausgleichung; der Verschiedenheit aller nahe bei einander
liegenden Tonstufen durch die gleichschwebende Temperatur auch eine
gleichmässige sein wird. Es ist aber, wie schon bemerkt, weder von
praktischem noch theoretischem Interesse, diesen Differenzen der Diffe-
renzen weiter nachzugehen; es sollte in dem hier von der Temperatur
und ihrer Berechnungsweise Nachgewiesenen nur gezeigt werden, wie
wenig es eben die reale Abweichung von mathematischer Reinheit der
Intervalle ist, die man durch die Temperatur erhält, was diese von
unserer Musik in theoretischer Bedeutung abweichen lässt; denn ob eine
Quint 1,500 Schwingungen zu 1000 des Grundtones macht oder 1498,
wird ihrem Verständniss keinen Eintrag thun, und wir werden ganz gut
eine solche Quint für rein halten können.""
Diese kurze Darstellung ist vom Autor noch weiter ausgeführt und
mit polemischen Erörterungen gegen die vermeintliche ungleichschwebende
Temperatur wissenschaftlich interessant ausgestattet; es bleibt nur zu
bedauern, dass diese Abhandlungen „Klang" und „Temperatur" nicht
auch selbständig erschienen smd, weil sie in Chrysander's Jahrbüchern
vielleicht nicht die wünschenswerthe Verbreitung finden dürften. Wie
nöthig eine solche Verbreitung ist, sehen wir aus dem im Jahre 1864 zu
Frankfurt am Main bei H. B. Brönner erschienenen Werke: „Der Ciavier-
bau in seiner Theorie, Technik und Geschichte unter Hinweisung seiner
Beziehungen zu den Gesetzen der Akustik", bearbeitet von H. Welcher
von Gontershausen, in welchem wir noch das umständlichste Stimm-
verfahren angegeben und die für dasselbe ganz unnöthigen Explicationen
über das pythagoreische Komma aus Clüadni beigebracht finden, wäh-
rend die akustischen Resultate des Seidenfabrikanten Scheibler aus
Crefeld in geringschätzender Weise ebendaselbst erwähnt sind. Aller-
dings hat der Scheibler'sche Apparat, welcher aus der Construction von
dreizehn Stimmgabeln besteht, die genau den gleichschwebenden Halb-
tönen im Umfange einer Octave entsprechen, jetzt seinen praktischen
Nutzen verloren, weil man dabei an eine ganz bestimmte, nicht überall
anwendbare Tonhöhe gebunden ist. Die bezüglich des Scheibler'schen
Systems gemachte Bemerkung Welcher' s von Gontershausen, dass es nun
30
eben keine Stimmer gäbe, „die neben der Tonhöhe auch noch das
Husten der Mücken hören und das Gräslein wachsen sehen" könnten, zeigt
aber von grosser Voreingenommenheit gegen das Scheibler'sche System,
das nach vorangegangenen genauen Untersuchungen der Pulse verschie-
den gestimmter Stimmgabeln aus einem Tonmesser von zweiundfünfzig
Gabeln von a bis a' bestand, deren Vibrationszablen der Verfertiger
genau kannte. Zu diesen berechnete er Tabellen, in denen nachgewiesen
ist, zu welchem Metronomgrade jede dieser Gabeln gegen ihre nächst
höhere vier Pulse hören lässt. Es ist dann, um zu einer temperirten
Stufe, welche nach Schwingungszahl mit keiner der Gabeln vollkommen
übereinstimmt, die Intonation zu finden, nur nöthig, den Pendelgrad zu
ermitteln, bei welchem die vier Pulse zwischen der nächst tieferen Gabel
und dem gesuchten Tone eintreten*). Der Erfinder muthet aber diese
Berechnungen dem ausübenden Stimmer keineswegs zu, sie sind nur zu
Fertigung der chromatisch-enharmonisch-temperirten Gabel selbst nöthig
gewesen. Von diesen Gabeln waren Sätze zu sechs und zu dreizehn
*) Dr. Joh. Jos. LoeJir sagt in seiner Schrift „lieber die Scheibler'sche Erfindung
überhaupt und dessen Pianoforte- und Orgel-Stimmung insbesondere", Crefeld 1836'
Seite 30 Folgendes:
„Die Stimmung des Pianoforte geschieht am besten und einfachsten auf folgende
"Weise: Man stimme nach zwölf Stimmgabeln, welche nach § 16 gleichschwebend
temperirt sind, nämlich 6, h,^c', eis', d', dis', e', f, ßs', g', gis' und a\ die gleichnami-
gen Töne des zu stimmenden Instrumentes möglichst genau unison und stimme sodann
weiter in Octaven; — oder auch noch einfacher und fast gleich sicher: Man stimme
bloss nach sechs Gabeln h, eis', dis', f, g' und a' die gleichnamig n Tasten und deren
theils auf-, theils absteigende Octaven h', eis", dis", dis, f, g und a, und stimme so-
dann die sechs anderen Scalatöne b, c', d', e', ßs' und gis', so, dass sie als aufsteigende
und absteigende Quinten gleich rein sind, dass also b als aufsteigende Quint von dis
und als absteigende Quint von ß, e' als aufsteigende Quint von / und als absteigende
Quint von g', d' als aufsteigende Quint von g und als absteigende Quint von a' , e' als
aufsteigende Quint von a und als absteigende Quint von /(', ßs' als aufsteigende Quint
von h und als absteigende Quint von eis", und gis' als aufsteigende Quint von eis' und
als absteigende Quint von dis" gleich rein gestimmt wird; was um so gewisser richtig
zu vollbringen ist, als man dabei nach der Regel verfährt, dass alle aufsteigenden
Quinten etwas tiefer, und alle absteigenden etwas höher genommen werden müssen. —
Wer sieht nicht auf den ersten Blick, dass diese Stimmweise ausser ihrer Sicherheit auch
um sehr vieles bequemer ist, als die sonst übliche?
Anmerkung. Es ist, wie sich von selbst versteht, die obige Stimmung nur dann
anwendbar, wenn das Instrument die Orchesterstimmung a' = 880 Vibrationen (d. h.
880 einfache oder 440 Doppelschwingimgen) erhalten soll; ausserdem müssten die
Stimmgabeln eigens so wie sie für das besondere a' des Instrumentes passen, ge-
stimmt sein,"
31
Stück, die ersteren liir die Ganztöne a,h, eis, dis, f, g, die letzteren für
die zwölf Stufen der chromatisch-enharmonisch-temperirten Leiter von
a bis a', käuflich zu haben. Auch mit sechs Gabeln ist es schon leicht,
eine Stimmung von wohlthuendster temperirter Reinheit zu erlangen,
indem zwischen einer None die mittlere Quint nicht leicht zu verfehlen
ist und die Terzen a—cis, h — dis (dis=es), cis—f{f=eis), dis — g{g=-fisfis)
durch die Gabeln selbst schon gesichert sind. Mit dreizehn Gabeln aber
ist für jeden Halbton eine feste Bestimmung gegeben, nach der man die
Töne nur' im Einklang zu stimmen hat. Wie praktisch die Vortheile'
dieser Stimmung sich auch ergeben hatten, so hat sie doch zu allgemei-
ner und dauernder Anwendung nicht gelangen können; daran ist aber
die unabänderlich feststehende Tonhöhe dieses Apparates Schuld. So
wenig an verschiedenen Orten zu derselben Zeit, wie zu verschiedenen
Zeiten an demselben Orte ist eine Stimmung in gleicher Höhe zu finden
und zu erhalten.
Für das musikalische Denken erscheint allerdings eine temperirte
chromatische Scala als ein Unding, und ein guter Musiker wird in seiner
Schreibweise niemals eis = f oder = gesges setzen mögen; für den Musiker
kann der Begriff einer chromatischen Fortschreitung nur in der steten
Gewinnung eines weiterführenden Leittons bestehen, er wird das Ver-
hältniss dieses Leittons zu dem nächst höher liegenden Auflösungston
stets als 15^16 erkennen und mit ihm die chromatischen Stufen durch
die Ganztonverhältnisse 8:9 und 9:10 bestimmen. Daher können wir
von C aus die chromatische Tonleiter entweder in dieser Form schreiben:
15 :
16
15
: 16
128
: 135
24
: 25
15
: 16
15
: 16
a
. eis . .
D .
. dis .
. e .
. F.
. ßs .
. G.
. gis ,
. . a .
.B .
.h .
. c
128
: 135
24 :
•25
15
: 16
15 ;
: 16
15 ;
16
128
: 135
ier
auch in
dieser:
15
: 16
15
: 16
15
: 16
15 :
16
128 :
135
128 :
135
c.
. des . .
, D .
. es .
. e .
. F.
.fis.
. G .
. as .
. a .
. B .
. h .
. c
128 :
135
24 :
25
128 :
135
15 :
16
15 :
16
15 :
16
jenachdem wir den Ausgangston C als Grundton oder als Leitton
betrachten.
32
VII.
Das Wesen des Klanges — Stärke nud Klangfarbe.
Nachdem wir uns mit den Bedingungen bekannt gemacht haben,
unter welchen die Erzeugung und Messung der Klänge bezüglich
der besaiteten, durch Anschlag zum Ertönen gebrachten Ciavierinstru-
mente möglich ist, bleibt uns als Schlusscapitel der akustischen Zusam-
menstellung noch die Erörterung der Frage über den Charakter des
Klanges übrig, damit wir wenigstens annähernd zum Bewusstsein ge-
langen, aus welchen Gründen sich die Klänge ihrer Stärke und ihrer
Farbe nach unterscheiden. Schon die Griechen sprechen von den „Fär-
bungen", deren Wesen sich bei ihnen aber lediglich auf die verschiede-
nen Tonhöhen in der Zusammenstellung ihrer Klanggeschlechter bezieht,
mithin nichts weiter als eine grössere oder kleinere Schwingungszahl
eines Tones bedeutet, von welcher ja stets die Höhe desselben abhängig
ist. In unserem Sinne scheinen sie wohl das Gefühl für die Eigenthüm-
lichkeit der Klangfarben besessen, nicht aber die Gesetze für dieselbe
untersucht zu haben. Dagegen ist ihnen das Gesetz von der grösseren
oder geringeren Stärke eines Klanges vollständig bekannt gewesen;
denn Soethms schreibt aus griechischen Schriftstellern sehr richtig die
Beobachtung von der Schwingungsweite der Klänge ab und erklärt mit
voller Sicherheit an den Ringen der Wasserwellen, dass dieselben nach
und nach die Grösse verlieren und sich endlich verlaufen; dasselbe fände
bei den durch Stösse erzeugten Schallwellen statt, welche ebenfalls in
gewisser Raumweite nach und nach verschwinden müssten. Daher höre
ein Näherstehender einen Klang von einer gewissen Schwingungsweite
weit besser als ein in grösserer Entfernung sich Befindender, und umge-
kehrt würde man einen Klang von grösserer Schwingungsweite in weite-
rer Entfernung hören, als einen Klang von geringerer Schwingungsweite*).
Ganz mit diesem alten Theoretiker übereinstimmend sagt auch HelniholiZy
dass t Breite (Amplitude) der Schwingungen der Grund von der Stärke
oder Schwäche eines Klanges sei, oder um seine Worte zu gebrauchen:
*) Botthius lib. I, cap. 14, sagt : Ita igitur cum aer pulsus fecerit sonum, pellit alinm
proximum et quodammodo rotundum fluctum aeris 'ciet. Itaque diffunditur et omnium
circumstantium simul ferit auditum, atque illi est obscurior vox, qui longius steterit,
quoniam ad eum debilior pulsi aeris unda pervenit.
33
„dass die Stärke der Klänge mit der Breite (Amplitude) der Schwm-
gungen des tönenden Körpers wachse und abnehme". Was jedoch der-
selbe Forscher über die dai'auf folgenden Schwingungen der Saite sagt,
auf welche allein er die Stärke des Klanges zurückzuführen scheint,
ist uns nicht recht einleuchtend, und wir werden auch dagegen die ge-
wichtigen Gründe anderer Akustiker anzuführen uns erlauben.
Hclmlwlt.^ meint: „Wenn wir eine Saite anschlagen, sind ihre Schwin-
gungen anfangs ausgiebig genug, dass wir sie sehen können; dem ent-
sprechend ist ihr Ton anfangs am stärksten. Dann werden die sichtbaren
Schwingungen immer kleiner und kleiner; in demselben Maasse nimmt
die Stärke des Tones ab." Dies hat auch schon Chladni gesagt, wäh-
rend Oersted in Gehler's Journal der Physik und Chemie im Sten Bande
S. 241 dieser Ansicht widersprach*). Die genialen Experimentatoren, Ge-
brüder Weber,hahen aber die Ansicht Oersted^s zu widerlegen versucht, in-
dem sie erklärten: „Es ist nicht zu läugnen, dass zwar an einem schwin-
genden Körper eine unendliche Zahl von Schwingungsarten vorhanden
sein kann; allein sie fallen nicht in's Ohr und nur die Hauptschwingung
des ganzen Körpers bringt den Ton hervor", woraus sich allerdings
logisch folgern liesse, dass je grösser diese Hauptschwingungen seien,
desto stärker sich auch der Klang vernehmen lassen würde. Dagegen
macht nun PcUisov mit der t'efsten und längsten Saite eines flügeiförmi-
gen Pianoforte ein sehr gelungenes Experiment. Er fasst dieselbe in der
Mitte, zieht sie aus ihrer Gleichgewichtslage so Aveit als möglich fort und
lässt sie dann schnell fahren; dann entstehen Schwingungen der Saite
von so bedeutender Excursion, dass ihre Bahn oft mehr als einen halben
Zoll beträgt. Diese bedeutenden Excursionen der Saite nehmen natür-
lich mit jedem Augenblicke an Grösse ab, bis endlich die Saite ganz zur
Kühe kommt. Bei dieser Wiederkehr zur Ruhe tritt jedoch der merk-
würdige Umstand ein, dass der Ton der Saite längst aufgehört hat oder
verschwunden ist, wenn die Excursionen der Saite oft noch von einer
Linie Breite sind. Bringt man jedoch die nämhche Saite mittelst des
Hammerschlages zum Schwingen und Tönen, so ist der Ton der Saite
äusserst stark, während die Excursionen der Saite von kaum messbarer
Breite sind.
'■) Pellisov, Berichtigung,' eines Fnndamcntalsatzes der Akustik S. I.
3
34
Aus allen den resultatlosen Untersuchungen, welche de la Hire, Chladni,
Wheatstone etc. anstellten und die PeUisov mit Glück Aviderlegte, geht
nun mit Sicherheit hervor, dass die Schwingungsweite in der Luft nicht
von der Eaumweite der Saitenschwingung, sondern von der Kraft des
auf die Saite ausgeübten Stosses abhängt, und dies stimmt merkwürdiger-
weise mit dem feinen Urtheil der Griechen vollständig, überein, welche
den Klang als einen „unaufgelösten Luftstoss" betrachten. DerStoss ist
in seiner Anwendung von zweifacher Art: entweder er ist ein einziger
durchgreifender Stoss, wie bei allen Schlaginstrumenten, oder «s sind
mehrere sehr kurze, in bestimmten Zeiträumen aufeinander folo^ende Stösse,
wie bei den Streichinstrumenten, an welche sich nach PeUisov noch die
Aeolsharfe anreiht. Wir haben es hier nvu' mit der durch den Ciavier-
hammer geschlagenen Saite zu thun, deren stärkeres oder schwächeres
Erklingen einerseits von der Beschaffenheit des Stosses, nämlich des
Hammerschlages, abhängen wird, jenachdem der Stoss mehr oder weni-
gere Molecule des Saitenkörpers zugleich zu bewegen vermag.
Andererseits haben wir aber auch schon gesehen, dass keine Saite
zur Tonerzeugung befähigt ist, wenn sie nicht durch einen Resonanz-
körper unterstützt Avird, dessen Beschaffenheit wir bereits andeuteten.
Der stärkere oder schwächere Stoss der Saite würde ohne Unterstützung
eines Resonanzkörpers spurlos verschwinden, und von dieser Unterstü-
tzung wird nun die Wirkung des Stosses oder Schlages abhängen. Pel-
lisov hatte bereits gefunden, dass der beste Resonanzboden dadurch ent-
stehe, wenn man ihn durch angebrachte Leisten verhindere, Transver-
salschwingungen zu machen. Dr. Schafhaeidl*), welcher mit Pe??/.50y
eine und dieselbe Person zu sein scheint, hat jene Ansichten noch weiter
ausgeführt und mit kurzen Worten diellauptgrundsätze von der Beschaf-
fenheit des Resonanzbodens angegeben; demselben sind die Ansichten
Kütsing' s**) vorangegangen, und dieser stellt ebenso wie seine Vorgänger
am Resonanzboden ohne Steg und Rippen das Experiment mit der
Stimmgabel an, aus welchem man das Resultat gewinnt, dass eine ange-
schlagene Stimmgabel an gewissen Stellen stärker als an anderen klingt.
„Hieraus lässt sich schliessen, dass der Resonanzboden, wenn er durch
*) Die Tianofortebaukuust der Deutschen. Kcpräsentirt auf der ungemeinen deut-
schen Industrie-Ausstellung zu München im Jahre 1854, München 1855.
**) Beiträge zur praktischen Akustik, 1838
35
die Stimmgabel oder auch durch jeden andern schwingenden Körper
zum Klange gebracht wird, sich in gewisse, der Höhe des erscheinenden
Tones angemessene, schwingende Theile theilt, so dass Stellen (Knoten-
linien genannt) in Ruhe bleiben, sowie es bei der Her vorbringung der
Klangfiguren auf Flächen der Fall ist. Trifft nun die schwingende
Stimmgabel auf eine solche Knoteulinie, so klingt sie stärker, als wenn
sie auf einen schwingenden Theil triff't. Wird aber eine angeschlagene
Stimmgabel auf eine Rippe des Resonanzbodens oder auf einen Steg
gestellt, so erscheint ihr Klang stärker, als auf demselben ohne Steg und
Rippen, ein Beweis für das Gesagte, dass die Rippe oder der Steg hier
eine feste Stelle ist, die der Stimmgabel als KnotenUnie dient"*).
Während bei der Stimmgabel die Schwngungen von dieser unmittelbar
auf den Resonanzboden übertragen werden, dient für die Transversal-
schwingungen der Saiten der Steg als Mittel, dessen Entfernung vom
Resonanzboden von Einfluss auf die Stärke des Tones ist. KütnngS^nd
nach einer Reihe von Beobachtungen, dass sich die Dicke des Resonanz-
bodens zu der Entfernung des Steges wie 1 zu 20 verhalten müsse, wel-
ches Verhältniss sich auch jederzeit als das beste bewährt habe. Mau
dürfe also nur die o-eoebene Entfernuno; durch 20 dividiren, um die Dicke
des Resonanzbodens zu erhalten, oder die gegebene Dicke des Resonanz-
bodens mit 20 muhipliciren, um die Entfernung zu gewinnen. (NB). Um die
TransversalschAvingungen des Resonanzbodens, d. h. seine Bewegung als
Ganzes, zu hindern, ist die Berippung desselben von Wesenheit, weil „der
Ton der Resonanzdecke nicht dadurch entsteht, dass sie als Ganzes gleich
der Saite oder gleich einer elastischen Fläche schwingt (eine Gleichför-
migkeit der Scala auf solche Weise hervorzubringen, wäre unmöglich)
sondern dadurch, dass die kleinsten Theilchen, aus welchen die Masse des
Resonanzbodens besteht, in schwingende Bewegung versetzt werden,
welche sich in dem Zeitmaasse regelmässig wiederholen müssen, in welchem
die Saite schwingt, die auf den Resonanzboden wirkt"**). — Die Elasticität
des Resonanzbodens, hervorgebracht durch seine Dicke, Spannung und
Berippung, steht also in Wechselwirkung zur Elasticität der Saiten, auf
welche Material, Länge, Dicke und Spannung derselben influiren. Die
*) Carl KiUsinrj, Beiträge zur praktischen Akustik, Bern, Chur und Leipzig 1838
NB. Kützings Behauptungen sind nielit stichhaltig. .
**) Dr. Schafhaeutl, Seite 75
3*
36
Wechselwirkung in der Saiten- und Resonanzbodenschwingung ist trotz je-
ner Experimente im Besonderen noch hauptsächlich Sache der Erfahrung,
weil der Bau jedes einzelnenlnstrumentes besondere Modificationen bedingt,
deren Berechnung kaum festgestellt werden dürfte. So viel ist aber als aus-
gemacht zu betrachten, dass überhaupt von der Erregung der Molecular-
schwingungen des Resonanzbodens, welche durch den Stoss der schwin-
genden Saite hervorgebracht wird, die Stärke der Schallwellenströraung
in der Luft abhängt, deren Weite unter gewissen räumlichen Bedingun-
gen (Akustik eines Saales, eines Zimmers) als Maass für die Stärke an-
zusehen ist. Daher hat man mit Recht als technischen Ausdruck „das
Tragen des Tones" eingeführt, welcher die Weite der Schwingung kenn-
zeichnet. Selbstverständlich wird bei vorhandener Gleichmässio;keit in
der Wechselwirkung ein gi'össerer Resonanzboden mit einem stärkeren
Saitenbezug einen welter tragenden Ton hervorzubringen im Stande sein,
als ein kleinerer Resonanzboden und ein schwächerer Saitenbezug, weil
die Molecüle eine grössere Fläche zur Ausbreitung haben, vorausgesetzt,
dass die Dichtigkeit im entsprechenden Verhältnisse steht. Wenn nun
diese kleinen Theilchen der ganzen Fläche des Resonanzbodens in volle
Bewegung gesetzt werden, so theilt dieser schwingende Boden eine Ton-
welle der Luft mit, deren Querschnitt dem Flächeninhalte des Resonanz-
bodens gleichkommt, und der Flächeninhalt des Querschnittes der Ton-
welle ist also gleich dem Flächeninhalte des Resonanzbodens. Hat aber
die Saite nicht Kraft genug, die ganze IMoIecular- Masse des Resonanz-
bodens in freie Vibration zu versetzen, so ist der Ton stumpf und matt*). Der
Ton kann nun aber stark und durchdringend, die Amplitude der Schwin-
gungen mithin sehr ausgedehnt sein, ohne dass wir den Ton voll und an-
genehm finden; wir werden dann sagen, der Ton habe eine schlechte
Klangfarbe. Der Unterschied der Klangfarbe ist bei den verschiedc-r
nen Gattungen von Listrumenten am auffallendsten, und jeder Naturalist
wird die Tonfärbung einer Trompete von derjenigen einer Oboe, Violine
etc. leicht unterscheiden können. Schwerer ist es schon, die Klangfarbe
bei Instrumenten einerlei Gattung zu beobachten, llelmliolts hat, auf sei-
ner Theorie der Obertöne fortbauend, durch scharfsinnige Beobach-
tungen gefunden, dass verschiedene Schwingungsformen verschiedene
Klangfarben bedingen. Da nun von den Schwinsungsformen die Natur der
*) Vergl. Schafhatntl, S. 76.
S7
Obertöne abhUno-Io; Ist, so wird die Art des Mitklinoens derselben für
die Klangfarbe entscheidend sein. Ilelmholts hat daher auch sein beson-
deres Augenmerk auf die Combination der Obertöne gerichtet und dar-
gethan, wie dieselbe den Verschiedenheiten der Klangfarbe zu Grunde
liegt; wobei sich gewisse allgemeine Regeln für diejenigen Anordnungen
der Obertöne herausstellen, welche den in der Sprache als weich, scharf,
schmetternd, leer, voll oder reich, dumpf, hell u. s. w. unterschie-
denen Arten der Klangfarbe entsprechen*). Wenn nun aber dieser so
verdienstvolle Forscher die Stärke der Obertöne im Klange einer ange-
schlagenen Saite allein abhängen lässt:
1) von der Art des Anschlags, '
2j von der Stelle des Anschlags,
3) von der Dicke, Steifigkeit und Elasticität der Saite,
so hat derselbe die Construction des Resonanzbodens wohl ausser Acht
gelassen. Man kann die beste Art des Anschlages, die geeignetste Stelle
für den Anschlag und dazu eine Saite wählen , welche alle Anforderun-
gen zur Erzeugung des Klanges erfüllt; man wird aber doch keinen guten
Ton hervorzubringen im Stande sein, Avenn die Saite über eine soge-
nannte Blase des Resonanzbodens zu liegen kommt , welche durch allzu
grosse Wärme oder Feuchtigkeit, oder auch unregelmässige Spannung
entstehen kann. Die Erfahrungen der Firma Steinwmj wicl Söhne in
New- York, deren Instrumente auf der Pariser Ausstellung unbestreitbar
die schönste Klangfarbe besassen, lehren auf das Genaueste, dass durch
Ausübung eines starken Druckes auf die Ränder des Resonanzbodens
die Spannung desselben gegen den Druck der Saiten hin* steigt. Die
Wirkung ist dann zunächst eine bedeutende Zusammenpressung der Holz-
fasern des Resonanzbodens, welche sich von den Rändern her auch den
in der Mitte des Resonanzbodens befindlichen kleinsten Theilchen (Mole-
culen) mittheilt und denselben befähigt, die empfangenen Einwirkungen
der Saiten sehr energisch zu reproduciren, wodurch, selbst bei den leise-
sten Erresrung-en der Saiten, der Ton Fülle und Rundung erhält. Wir
werden also nach solchen Beobachtungen erst dann mit de>- Helmholtz'-
schen Behauptung einverstanden sein, wenn zuvor die Voraussetzung ge-
*) Helm/iollz, S. 118.
macht worden ist, dass die Coustruction des Resonanzbodens in allen
Punkten mit den gespannten Saiten ein richtiges Verhältniss zur Klang-
erzeugung bewahrt. -
Wir hatten früher kennen gelernt, dass PeZE9or von dem Anschlage-
punkte des Hammers die Erregung der Saitentheilchen ausgehen lässt
und beweisend erklärt, wie erst nach und nach die ganze Saite in
SchwinsunsT gerathe. Helmholtä scheint da, wo er von den Klängen
der Saiten spricht (Seite 129), diese Ansi(;ht zu acceptiren, denn er
sagt: „Wird die Saite mit einem harten scharfkantigen metallenen Ham-
mer geschlagen, der gleich wieder abspringt, so wird nur ein einziger
Punkt, der vom Schlage getroffen ist, direct in Bewegung gesetzt. Un-
mittelbar nach dem Schlage ist der übrige Theil der Saite noch in Ruhe;
er geräth erst in Bewegung, indem von dem geschlagenen Punkte eine
Beuo-uno^swelle entsteht und über die Saite hin- und herläuft. Die Be-
schränkung der ursprünglichen Bewegung auf einen Punkt der Saite
giebt die schärfste Discontinuität und dem entsprechend eine lange Reihe
von Obertönen, deren Intensität zum grossen Theile der des Grundtones
o-leichkommt oder ihn übertrifft. Wenn der Hammer weich elastisch ist,
hat die Bewegung auf der Saite Zeit sich auszubreiten, ehe der Hammer
wieder zurückspringt, und durch den Anschlag eines solchen Hammers
wird der geschlagene Theil der Saite nicht ruckweise in Bewegung ge-
setzt, sondern seine Geschwindigkeit wächst allmälig und stetig während
der Berührungszeit des Hammers. Dadurch wird die Discontinuität der
Beweo-uno- sehr vermindert, um so mehr, je weicher der Hammer ist, und
dem entsprechend nimmt die Stärke der hohen Obertöne bedeutend ab."
Wenn die Obertöne im Verhältniss zum Grundtone zu stark sind, so
klin>Tt der Ton leer und scharf, wogegen ein massiges Zurücktreten der-
selben wegen den Grundton den ganzen Klang voll und rund erscheinen
lässt. Die praktische Erfahrung ist hier der Theorie vorausgeeilt und es
hat dieselbe nach und nach das annähernd richtige Verhältniss gefunden,
wie der Anschlag des Hammers für die Schwingungen der elastischen
Saite am zweckdienstlichsten ist. Die sorgfähige Befilzung und Beledo-
runo-, die grösseren Hämmer für die tieferen, die kleineren für die höhe-
ren Saiten, der Absprung derselben: alle diese Einzelnheiten üben auf
die Klano-farbe einen gewissen Einfluss aus. Nach Heimholte ergiebt
die Theorie, ,,dass diejenigen Obertöne beim Anschlage besonders begün-
39
stigt werden, deren halbe Schwingungsdauer nahe gleich ist der ^e\t,
während welcher der Ilanmicr anliegt, dass dagegen diejenigen ver-
schwinden, deren halbe Schwingungsdauer 3, 5, 7 etc. Mal so gross ist".
Dass sich jedoch im Verschwinden der Obertöne oft Verschiedenheiten
bei neben einander lieo;enden Tasten herausstellen, mithin eine feste Norm
für die einzelnen Klangregionen nicht aufzustellen ist, giebt auch Heim-
holt^: zu, und er zieht nur yius seinen Experimenten die Folgerung, dass
die Zeit, während welcher der Ilanmier anhegt, ungefähr der halben
Schwingungsdauer des zweiten Tones der Saite entsprechend sei. In
den höheren Octaven dageo-en scheine die «enannte Zeit sich der hal-
ben Schwingungsdauer des Grundtones zu nähern, oder sie selbst zu
übertreffen.
Wie grosses Gewicht die Instrumentenbauer auf die Stelle des An-
schlags legen, geht aus allen über den Pianofortebau erschienenen Schrif-
ten hervor. Die Untersuchungen der Instrumentenbaucr stützen sich,
natürlich nur auf die Erfahrung, ohne dass man ein bestimmtes Gesetz
zu Grunde legte. Ganz anders liegt die Sache jetzt, wo Heimholt!^ die
Ohm'schen Gesetze für die Analyse der Klänge durch das Ohr einer
Prüfung unterzogen und bemerkt hat, dass sowohl im Klange gerissener
als geschlagener Saiten diejenigen Obertöne fehlen, welche am Orte des
Anschlags einen Knotenpunkt haben, und dass umgekehrt diejenigen an-
deren verhältnissmässig am stärksten sind, bei welchen an der geschlage-
nen Stelle ein Schwingungsmaximum zu beobachten ist. „Schlägt man
die Saite z. B. gerade in ihrer Mitte, so fällt ihr zweiter Ton fort, dessen
einziger Knotenpunkt dort liegt. Der dritte Ton dagegen, dessen Kno-
tenpunkte in ^3 oder -j^ der Saitenlänge liegen, tritt kräftig heraus, weil
die Anschlagstelle in der Mitte dieser beiden Knotenpunkte liegt. Der
vierte Ton hat seine Knotenpunkte in *,4, -/ ^ ( =^ ^/o) und ^/z, der Saitenlänge.
Er ))leibt aus, weil die Anschlagstelle mit seinem zweiten Knotenpunkte
zusammenfällt; ebenso der 6te, 8te, überhaupt alle gradzahligen Töne,
^\•ällrend der 5te, 7te, 9te und die anderen ungcradzahligen gehört werden
u. 8. w." Helniholt.'i behauptet nun, dass bei den mittleren Saiten die
Anschlagstelle auf ^^ bis ^/g der Saitenlänge verlegt sei und fügt hinzu:
.,Wir müssen annehmen, dass diese Stelle hauptsächlich deshalb so ge-
wählt ist, weil sie erfahruno;so;emäss den musikalisch schönsten und für
7 OD
harmonische Verbindungen brauchbarsten Klans; liefert. Es hat dazu
40
keine Theorie geleitet, sondern allein das Bedürfniss des künstlerisch
orebildeten Ohres und die technische Erfahruno; zweier Jahrhunderte.'"
Hiermit stimmen aber die Erfahrungen Welclefs und unsere eigenen
nicht vollkommen überein. ,Jm tiefen Bass", meint Welcher, „so weit
die übersponnenen Saiten reichen, theilt man die ganze Länge jeder Saite
in 10 gleiche Theile und nimmt */io davon als Punkt für die Anscidag-
stelle. Die ersten unbesponnenen Saiten theile man bis zum ungestriche-
nen a in 8 gleiche Theile und nehme ^/g der Länge als Anschlagspunkt.
Von diesem a aus nimmt man nun nach und nach Vg, ^ jo, ^/ii, bis zum
viergestrichenen a */j2 der Saitenlänge für diesen Punkt." Der Hofpiano-
fortefabrikant Julius Blnthner in Leipzig, dessen Fabrikate zu den besten
Europas gehören, sucht bei den mittleren Saiten ebenfalls niemals in
*/7 der Saitenlänge die Anschlagstelle, sondern hält im Allgemeinen vom
tiefsten Bass bis zum höchsten Discant die Verhältnisse von 1/7 bis zu
1/12 der Saitenlänge als Anschlagstelle fest. Die Hochachtung vor den
Forschungen Hehnlwlig' nöthigt uns aber, die Gründe für seine Behaup-
tungen anzuführen, damit die Instrumentenbauer durch praktische Ver-
suche die Stichhaltigkeit derselben erproben können.
„Ein wesentlicher Vorzug für die Wahl dieser Stelle", meint Helm-
Jioli/c, „scheint darin zu liegen, dass der siebente und neunte Partialton
des Klanges wegfallen oder mindestens sehr schwach werden. Es sind
diese Töne die ersten in der Reihe, welche dem Durdreiklange des Grund-
tones nicht angehören." Die Reihe der Obertöne ist unseren Lesern be-
kannt, weshalb wir die Helmholtz' sehen Angaben über dieselben nicht
mehr wiederholen; wohl aber haben wir zu beachten, dass Heimholte
den tieferen und mittleren Saiten die Fähigkeit zuspricht, hohe Obertöne
bis zum löten und Uten Partialton bilden zu können, dagegen nach
seinen Erfahrungen die Saiten der höheren Octaven zu kurz und "steif
sind, um die Bildung hoher Obertöne durch irgend welche Erregung
der Saiten zuzulassen. Daher pflegten manche Instrumentenbauer die
Anschlaestelle auch näher dem Ende zu zu wählen, wodurch ein hellerer
und durchdringenderer Klang dieser hohen Saiten erzielt werde, weil in
diesem Falle die Wahl der Anschlagstelle die Stärke der Obertöne ge-
genüber dem Grundtone begünstige* Desgleichen würde man einen ähn-
lich helleren, aber auch dünneren und leeren Klang erhalten, wenn man
einer der tieferen Saiten einen Steg näher der Anschlagstelle unterlege,
41
so dass der Haniiner die Saite jetzt in einem Punkte treffe, der um we-
niger als '/y ihrer Länge von ihrem einen Ende entfernt sei. Ferner
führt Heimholte welter aus, dass man durch das Scldagen mit härteren
Körpern den Khmg „klimpernder", „schärfer" und „spitzer" machen
könne, hingegen „weichere" und „schwerere" Hämmer zur Ilervorbringung
eines dumpferen Tones am Geeignetsten sein würden. — Dies steht aller-
dings schon durch die Erfahrung fest; über die Anschlagstelle sind uns
aber noch keine so einleuchtenden Gründe vorgeführt worden, als durch
HeJmholfs, und sollte sich dieses Helmholtz'sche Siebentel im Allgemeinen
bestätigen, so würden die Instrumentenbaner um eine wichtijre Errungen-
schalt reicher sein. Natürlich genügen hier nicht die Versuche an einem
einzigen Flügel von Kaim und Günther, wie ihn Helmholtz benutzte,
sondern durch Versuche an verschiedenen Flügeln verschiedener Fabri-
ken kann erst die Wahrheit ergründet und ein allgemein gültiges Gesetz
aufgestellt werden. Freilich ^vird dann der subjective Geschmack nicht
ganz von den Experimenten zu trennen sein und diese Einschränkung
des Gesetzes scheint auch Hehnlwltz zuzugeben, wenn er sagt: „Bei kei-
nem anderen Instrumente ist eine so breite Veränderlichkeit der Klano--
färbe vorhanden, wie hier; bei keinem anderen kann deshalb das musi-
kalische Ohr sich so frei die seinen Bedürfnissen entsprechende auswäh-
len". — Was nun endlich den Einfluss der Dicke und des Materials der
Saiten auf die Klangfarbe anbelangt, so ist einfach zu bemerken, dass
die Untersuchungen auf dem Monochord eine allzu grosse Steifigkeit der
Saiten als den Obertönen ungünstig ergeben haben; dass dagegen mit
feinen Drathsaiten sehr hohe Obertöne zu erzielen sind. Der denkende
Instrumentenbauer weiss sicher das richtige Maass zu finden, welches ein-
zig und allein dem subjeotiven Urtheile bei jedem einzelnen Falle über-
lassen bleiben muss, wenn auch die Erfahrungen bereits einen siche-
reren Halt gewähren, worüber uns die Pariser Ausstellung noch näher be-
lehren VAird.
ZWEITE ABTHEILUNG.
I.
"* Der Ursprung.
Gleichwie im Allgemeinen der Ursprung unserer Tonkunst auf
die Hebräer und Griechen zurückzuführen ist, so wurzelt auch im
Besonderen unsere Instrumentalmusik in den Erfindungen jener be-
deutenden Culturvölker des Alterthums, deren beiderseitige Theorie und
Praxis zu Anfang der christlichen Zeit mit einander verschmolzen und
nach dieser Verschmelzung die Grundlao;en der weiteren Entwickeluno^
wurden. Wissen wir doch, dass im Tempel zu Jerusalem nicht bloss
Sänger, sondern auch zahlreiche Instrumentalisten angestellt waren, und
geben uns doch die griechischen Theoretiker, Geschichtsschreiber, Philo-
sophen und Mathematiker viele Anhaltepunkte zur Erkenntniss der ton-
künstlerischen Principien und Ausdruck^mittel Griechenlands, deren
Uebergang in das christHche Zeitalter die Kirchenväter bezeugen. Diese
nennen zugleich viele der hebräischen und griechischen Instrumente, sie
preisen die Theorien des griechischen Musikers Aristoxenos und empfeh-
len die Nachahmung von Davids Saitenspiel. Der Historiker wird da-
her auch Belege zu finden suchen, welche das Vorhandensein von Tasten-
instrumenten in der vorchristlichen Zeit erweisen.
Welcher von Gontershausen rechnet in seiner Geschichte des Cla-
vierbaucs die Maschrokita der alten Hebräer unter die Tasteninstrumente,
befindet sich aber dabei nur mit einem einzigen Schriftsteller in Ueber-
einstimmung, nämlich mit MarjJurg, dessen Angaben über diesen Punkt
jedes Beweises und somit auch aller Glaubwürdigkeit entbehren.
Dascesen ist es nach den glücklichen Erörterungen des Dr. Lcvhi
Saalschutz als ausgemacht zu betrachten, dass die Hebräer in dem In-
4.1
} Strumente Magreplia *) ein Orgelwerk besessen haben, von welchem
I man die Tastatur mit mehr Berechtigung ableiten könnte. Freilich glau-
*) Die Magreplia ist nach der Bcschieil)ung im Trat-tat Krachin unseicn Positiven
zu vergleichen und wobl zu unterscheiden von der Schaufel Magro))lia, welche mit sammt
der Asche bei gewissen feierlichen Ge-
_ , . ^ . Wasserorgel nach llero (Figur 1)
legenheiten im rcnipel von einem Levi-
ten niederge.strcut wurde , damit man
es in Jerusalem hören möge. Die Ma-
grepha als ein direct durch den AV'ind
ohne Beihülfe-dcs Wassers zum Ertönen
gebrachtes Instrument ist, wie schon
I im Texte angedeutet wurde, genati von
der Wasserorgel der Griechen zu unter-
scheiden, von welcher uns Hei-o aus
^ Alexandrien (ungefähr 150 vor Christo)
in seinen niathematischon Werken eine
genaue Beschreibung hinterlassen hat.
Eine lateinische Uebersetzung erschien
zusammen mit dem griechischen Urtext
1693 von de la Hire zu Paris ; .7. G. Voll-
beding veröflentlichte in seiner kurzgc-
fassten Geschichte der Orgel 1793 eine
deutsche Uebersetzung und neuere Hi-
.storiker haben öfters auf dieselbe Bezug
genommen , so z. B. der treffliche fran-
zösische Gelehrte Vincent in seiner Ab-
handlung: „Essai d'explication de
quelques pierrcs gnostiques, extrait du
XXe volume des Memoircs de la So-
ciete des Antiquaires de France".
Eine bessere Unterlage zur Erklürung
der pneumatischen Orgel. welche sich
ebenfalls in den Schriften Jlcro's neben
jener Analyse der hydraulischen Or-
gel befindet, bcsass G. W. Fink, dessen
Abhandlung „Zur Geschichte der alten
Orgeln" in der Leipziger musikalischen
Zeitung, Jahr 1835, Band 38, Nr. 4 und
5, S. 65 u. s. w. abgedruckt ist. Derselbe benutzte das aiif der Lei])ziger Stadtbibliothek befind-
liche, vortrefflich geschriebene griechische Älanuscript der beiden Bücherdes fiero von den
pneumatischen Instrumenten, war aber dennoch in seiner Auseinandersetzung nicht recht
glücklich, weshalb eine besondere Beleuchtung dieses Gegenstandes auf Grund jenes Manu-
scrii)tes von der Zukunft zu erwarten bleibt. - Die Wasserorgeln und Windorgeln haben
nach der Beschreibung des ITero die olien und umstehend gegebenen Gestalten.
Die Wasscrorgel, vom Ctesiliius (um 150 v. Chr.) erfimdeji, welcher nach dem
Zeugnisse des Aristocles bei Athen. IV. p. 174 unter der Reaicxuilg__d.es Ptolemaeus E\'er-_
getes IL lebte (für den Manche Evergetes I. bezeichnen, cf. Buttmann in Comment
Acad. Berol. a. 1811, p. 169), wird auch zuweilen dem Arrhimedes zugeschrieben, wofür
Tertullian de an. c. 14, de spect. c. 10 in Vergleichung mit Claudian. de cons. Mall,
44
ben wir nicht, dass jenes Instrument in die Zeit Salomo's zu versetzen ist,
sondern wir sehen eine solche Angabe als die Erzählung derTalmudisten
Theod. V. 315 als Zeuge anzuführen ist, Athenaeus schildert sie lib. IV, 24, als ein
Instrument mit süssem Tone, und die Beschreibung ihrer Construction befindet sich ausser
in den Schriften des Hero auch noch bei Vitruv X, 13. Die umstehende Zeichnung
(Fig. 1) lässt leicht erkennen, dass der grössere Behälter unter der Windlade, auf welcher
die sieben Pfeifen stehen, ein Wasserbehälter ist, in welchem sich eine hohle, imten auf
beiden Seiten offene Halbkugel befindet; aus dieser führt eine Röhre in die Windlade.
Das Wasser im Behälter dient dazu, um den in die Halbkugel durch eine mit dem
Windbehälter verbundene Röhre strömenden Wind in seinem Drucke zu reguliren. Der
Windorgel nach Hero (Figur 2;.
Wind selbst wird durch einen in den Windbehälter vermittelst eines Hebels kräftig
getriebenen Stössel hervorgebracht. Bei der vom Hero beschriebenen pneumatischen
Orgel fällt der Wasserbehälter fort (Figur 2), ihr Ton wird deshalb wahrscheinlich
stärker, aber ungleichmässiger gewesen sein, weil zu damaliger Zeit sicherlich noch keine
Windproben in unserm Sinne existirten. Wasserorgel und AVindorgel sind neben einander
gebraucht worden; aus der ursprünglichen Gestalt der letzteren mit sieben Tönen und
grossen breiten Tasten hat sich jedenfalls die im sechzehnten Jahrhundert oft vorkom-
mende Gestalt der kleinen Positive entwickelt, von Avelchen wir hier aus damaliger Zeit
einige Zeichnungen veröffentlichen. Diese Zeichnungen sind bei Agrkola ,,Musica instru'
mentalis"' 1529, c. I und II, l)ei Ottninarus Lusciniun „^luswvgnv 153(j, pag. 18, zu finden,
während Praetorius 1619 schon weit vollkommenere und ansgebildetere Positive hat.
Agricola giebt uns dazu das Verschen:
Des er.sten Cteschlechtes, die ander art
Der holen vöreni i.st zu rti.sser Fart.
45
an, deren Bestreben es bekanntlich war, alle Erfindungen auf dieBIüthe-
zeit des Judenthums zurückzuführen. Zu dieser Ansicht werden wir
Welche des menschen wind, nicht blasen mag
Und sind all Instrument, wie ich dir sag,
Die durch blasbeige geben einen schal
Als sind, Orgeln, Posityff, und Regal.
Portatytt", und ander der gleich gcaclit
Welcher yhr laut, durch blasbelg wird gemacht.
Von welchen ich auch etwas wil langen
Wenn ich vom absetzen werd anfangen.
Nicht mehr alhie sonder schaw yhr gestalt
Wie sie darunten sein recht abgemalt.
Im Morgenlande sind sicherlich die Wasserorgeln eher im Gebrauch gewesen, als
itn Abendlande, wo man sich der ' Windorgeln bediente. Die Windorgeln beschreibt der
Kaiser Juliunus durch acht Verse {cü.).oii]V ooooj etc.), die schon bei Forkcl, Seite 355, mit
einer deutschen Uebersetzung
zu finden sind, ebenso Augusti- Portativ.
»(MS in Psalm. 5G, 16, wo er
sagt, man nenne alle musi-
kalischen Instrumente ohne Aus-
nahme Organa und nicht
bloss dasjenige mächtige,
welches durch Blasebälge
angeblasen würde: non so-
lum illud Organum dieitur.
quod grande est et inflatur fol-
libus, sed quidquid aptatur ad
cantilcnam et corporeum est,
quo instrumento utitur, qui
cantat, Organum dieitur. Cf.
Isid. Etym. III, 20, et Cassio-
dor. in Ps. CL., Organum est quasi turris quaedam diver.«is fisti;lis fabrieata, quibus
flatu follium vox copiosissima destinatur, et ut eam modulatio decora componat, Un-
guis quibusdam ligneis
ab intcriore (I. ante- Positiv,
riore nach Volhnann)
parte construitur, quas
disciplinabiliter magistro-
rum digit) reprimentes,
grandisonam efficiunt
et suavissimam cantilc-
nam. Aus den Worten
Cassiodor's möchte man
bereits auf ein grös-
seres Orgelinstrument
schliessen, und die wei-
tere Geschichte der Orgel
lehrt allerdings die im
Lauf der Zeiten fortwäh-
rend zunehmende Vcr-
46
namentlich durch die Vergleichung mit der griechischen Wasserorgel
geführt, deren Dasein sich erst im 2ten Jahrhundert vor Chr. nachweisen
Kegal.
grösserung derselben. Im Jahre 756 schickte der Kaiser Constantinus Copronymus eine Orgel
(jedenfalls eine Wasserorgel) als Geschenk an Pipin, vergl. Archibald Bower, Historie der rö-
mischen Päpste, Tom. V,§. 158, p. 24.%, Josephus Binghamus, Originesecclesiasticae, Tom. III,
libr. VIII, cap. VII, §. 14, pag. 276, und Bernhard de Montfaucon, Antiquitates graecae et
romanae, Tom. III, Part. II, libr. V, cap. II, §. 3, p. 279, deren Meinungen sich auf die
Zeugnisse des Aventinus, Marianus Scotus und Lambertus Schafnaburgensis stützen, die
beide in Pistorii scriptoribus Rerum Germanicarum Tom. I stehen. Marianus Scotus ed.
Straviana sagt pag. 633 ad arnum 756: „anno 756 Organum primitus venit in Franciam,
missum Pipino regi a
Constantino imperatore
de Graecia". Lamhertus
Schafnahurg. p. 310: „a.
756 Organa primum missa
sunt Pipino e Graecia".
Johannes Aventinus in
Annalibus Bojorum, libr.
III, pag. 300, edit. In-
golstadii 1554, sagt ein-
gehender: „Constantinus
ad Pipinum proficisci
jubet legatos, quorum
princeps Stephanus episcopus romanus. Ipsi maritimo itinere cum muneribus ad
Pipinum devenere. Munera imperatoris, quae a legatis deferabantur, erant instrumentuni
musicae maximum, res adhuc Germanis et Gallis incognita. Organon appellant.
Cicutis ex albo plumbo compactuni est, simul et follibus inflatur et manuum pe-
dumque digitis pulsatur." — Dass die Grösse dieses Instrumentes in Germanien und
Gallien etwas Erstaunliches und Unbekanntes sein mochte, Jässt sich annehmen;
kleinere Orgeln hat man aber dort gewiss schon früher gekannt. Der Enkel Pipin's,
Ludwig der Fromme, Hess sich siebzig Jahre nach dieser Begebenheit von dem vene-
tianischen Geistlichen Georgias, welcher aus dem Morgenlande kam, zu Aachen eine
Orgel bauen, was Aventinus libr. IV, pag. 386, in den Worten bezeugt: „Georgius tum
sacerdos Venetia oriundus musicae Hydraulicum instrumentum, quod Organon vocant,
ad aquas Graecas conflat". Hände und Füsse wurden zum Tractiren des Organon hy-
draulicum ei-fordert, denn Claudianus sagt:
..Intonet erranti digito, pedibusque trabali (Die Füsse jedenfalls zum
Yecte laborantes in carmina conciitet undas. " Treten des Windhebels,)
Ueber jenen Georg berichtet Eginhardt, f 843, de translatione St. Mart. Petri et
Marcellini, cap. XVI: „Hie est Georgius Veneticus. qui de patria sua ad imperatorem venit
et in Aqucnsi Palatio Organum, quod graece hydraulicum vocatur, mirifica arte composuit".
Dass im Mittelalter die Sängerschule St. Gallens, auf welche in den Geschichten der
Musik so wenig Rücksicht genommen ist, Orgeln gebrauchte, beweist die Schrift des
Notlcer Labeo, auch Teutonicus genannt, welche von der Mensur der Orgelpfeifen han-
delt, und das Verbot des Gebrauchs musikalischer Instrumente in der Kirche, welches
später Thomas von Aquino in die Welt schleuderte, scheint nicht von weittragender
Bedeutun]5f gewesen zu sein, da schon zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts in Italien
die Orgeln allgemein eingeführt wurden und sicherlich schon vorher in Baiern bekannt
47
lässt. Die ganze Construction jener hebräischen und griechischen Pfei-
fenwerke, bei welchen der Unterschied hauptsächhch nur durin bestand,
gewesen sind. Durch die Orgclvorbesserungen des Venctiiinischcn Patiiciers Torcellus
nahm allerdings der Org-clhau einen grossen Aufschwung, worüber die Italicner so ent-
zückt waren, dass sie alle Orgeln Torcellos nannten, für welche Thatsachc Henricus
Wharloti Zengniss ablegt, und zwar im Ajjpendix zu der Ilistor. Litt. Guiliclm. Cavc
])ag. 10: Marinus Sunutus, seu Sanudo, cognomcnto Torsellus, Patrieius Vcnetus, Marei
Hlius, in ))arochia Sevcri, civitatc Kivoalti, Venetiis natus: familiaris et domiccllus
Richardi, Cardinalis Diaconi vS. Eustachii. Germani cujusdam artificis ojiera usus,
Organa illa Pneumatica, quae hodie usurpantur, Italiae Torsellos dicta, prin.us onmium
in Ecelesiam "induxit: inde datum ei Torselli nomen. Claruit anno 1312, Obiit post an-
nuni 1329. Dass also schon vor Torsellus, welcher sich die deutschen Orgelverbesae-
rungen zu Nutze machte, in Deutschland tüchtig im Orgelbau gearbeitet worden ist,
geht hieraus unleugbar hervor. Von der im Text berührten unbeholfenen Tastatur
spricht Michael Praelorius, Syntagma Musicum Tom. II, de organographia. Das Pedal
erfund nach dem Zeugniss des Marcus Antonius Coccius Sabellieus in operibus Omnibus,
Tom. II, Enneade X, libr. VIII, pag. 999, cd. Basileae 1560, Bernhard der Deutsche,
von welchem jener de tempore Sixti IV, Pontificis circa annuin 1471, so sehreibt: „Musicac
artis virum onmium, qui unquam fueruut, sine controversia praestantissimum plures annos
Venetiae habuerunt Bernhardum, cognomento Theutonem, argumento gentis, in qua
ortus esset, omnia musicae artis instrumenta scientissime tractavit, primus in Organis
auxit numeros, ut et pedes quoque juvarent concentum funiculorum attractu. Mira in
CO artis cruditio Aoxque ad omnes numeros accommodata, numinis Providentia ad id natus
ut unus esset, in quo ars pulcherrima omnes vires expcriretur suas. Caeterum quando
non omnia uni data sunt, arguitur in eo inconstantia quaedam, ut vere illud sapicntissime
sit dictum, nullum esse magnum ingenium sine mixtura demcntiae. Fuit alioquin in-
signi pietate, multaque castimonia. Plcrique ex iis, qui illi operam dedere, darum sunt
in ea arte nomen adepti.''
Nach dieser Zeit wurden denn auch bald mehrere Pedalorgcln gebaut, z. B. 1475
zu Nürnberg in der Barfüsser Kirche, als deren Erbauer Konrad Rothenburger, ein
Bäckerssohn aus Nürnberg, genannt wird, Avelchcr 1493 in der Domkirche zu Bamberg
eine noch grössere aufstellte. 1483 Avnrde von Stephan aus Breslau in der Domkirehe
zu Erfurt ein grosses Orgelwerk errichtet und 1499 erbaute Heinrich Kranz die grosse
Orgel für die Stiftskirche St. Blasii zu Braunsehweig. Dass sich mit der Zeit die
Tastatur in dem Maasse verbesserte, als die Akustik und Technik des Pfeifenwerkes
Fortschritte machte, liegt klar auf der Hand, und im sechzehnten Jahrhundert, wo sich
der Uebergang von dem unmittelbar aus dem griechischen hervorgegangenen mittelalter-
lichen Tonsystem zum modernen Tonsystem kundgicbt, treten die Verbesserungen noch
deutlicher hervor. Der Orgelbau erlangt in jener Zeit eine solche Allgemeinheit, dass
sich die Coneurrenz und mit dieser auch die Vervollkommnung in staunenswerthem
iSIaasse steigerte. Zu Bernau in der Mark wurde schon 157(j eine bedeutende Orgel verfertigt,
und dersellte Erbauer, Hans Scherern, errichtete 1580 zu Stendal ein Werk, welches
auf dem Manualclavier 48 und in dem Pedal 26 Clavcs, „sammt allerhand damals er-
funden gewesenen offenen und gedeckten Stimmen, wie auch etlichen Zungen werken hatte".
Nachdem im siebzehnten Jahrhundert noch durch Andreas Werckmeister zur Er-
leichterung und Verbesserung der Mechanik die musikalische Tenqicratur zur allgemeine-
ren Kenntniss gebracht worden und seine nützhehen Schriften über die Orgel erschienen
waren, nahm der Orgelbau die Richtung, in welcher er fortschreitend bis zum neunzehn-
ten Jahrhundert auf die jetzige hohe Stufe der Vollkommenheit gelangte.
48
däss bei der griechischen Wasserorgel das Wasser als Regulator für den
Winddruck benutzt wurde, während ein solcher bei der INIagrepha nicht
angebracht war, lässt mit zienilicher Sicherheit auf eine Art von Tastatur
schliessen , deren weitere Vervollkommnung dem Mittelalter überlassen
blieb. Diese Vervollkommnung hat sich in äusserst langsamer Weise
vollzogen, was aus der Geschichte der Orgel deutlich genug hervorgeht;
denn obschon man den Nachweis für das Vorhandensein von Orgeln im
4ten Jahrhundert bei Julian dem Abfrünnigen, im Sten Jahrhundert
beiPipin, ferner bei Carl dem Grossen u. s. w., kurz von den ersten
christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart führen kann, so ist doch fest-
zustellen, dass die Tastatur nicht eher eine leichtere Handhabung er-
laubte, als im 1 5ten Jahrhundert, avo auch der Anfang für die Eritwicke-
lung der Ciavierinstrumente zu suchen ist. Allerdings scheint dem die
Nachricht Mersenne's zu widersprechen, welcher eine Beschreibung eines
kleinen Positivs aus sehr alter Zeit giebt; die Beschreibung der einzelnen
Tasten ist er uns aber schuldig geblieben, und so Averden wir wohl mit
Recht annehmen können, dass diese Tastatur in früherer Zeit nicht voll-
kommener gCAvesen sei, als wie sie uns für das Ute und r2te Jahrhundert
beschrieben wird, w^o die Tasten „über Handbreit" gebaut wurden. Zur Be-
gleitung der einfachenMelodie, welcher die Scalenordnung in griechischer
Tetrachordform meist zu Grunde lag, nämlich 11 c ä c f g a h d d' e' f
bei späteren auch das Guidonische Hexachord, aber auf den Grundton
c übertragen, also:
c d c f (j a
ff/ a b d d'
' g a k c' d' & f' [/' a'
in welcher Form sich die ionische Scala im regulären System, d. h. C dur,"
und im transponirten System, nämlich Fdur, darstellt: zu solclvsr Be-
gleitung, also im Unisono oder in der Octave, reichte aber jene Tastatur
vollständig aus, und die spielenden Mönche waren hinreichend im Stande
die antiphonischen Gesänge durch die Instrumente genügend zu unter-
stützen. Trotzdem dass nun For/l,■e^ selbst den Nachweis von den hand-
breiten Tasten giebt, hat der sonst so verdienstvolle Forscher doch so
wenig kritisches Urtheil ü!)er die damalige Beschaffenheit des Kirchen-
49
gesanges, dass er allen Ernstes glaubt, man habe in so symphonischer
Weise die Gesänge vorgetragen, wie sie alle Geschichtsschreiber seit Ger-
hert dem sooft verkannten //^<c&«M(t ^30) in die Schuhe schieben. Nach
Gcyhert und Forl'cl soll derselbe nicht bloss in Quinten, sondern in durch
Octaven verdoppelten Quinten gesungen haben, die Stimmführung des-
selben hätte sich also uno-efähr in folo'ender Gestalt "-ezeigt:
'ril=\
^ -■■- . \
Ui: — f.
h — i- '^ ^^ J i 'r==^
' ^ — g — g g f ? i
=±=^
r 1 r 1 r p p
Wie widersinnig und historisch unwahr eine solche Annahme ist,
haben wir wiederholt in verschiedenen Abhandlungen dargethan, und den-
noch ist von neueren Historikern immer wieder das Mährchen von dem
Quinten-Organiziren Hticbald's aufgetischt worden. Der lateinische Text
bei Gcrbert, welchen man allerdings durch Manuscriptvergleichungen
in etwas berichtigen muss, lässt bei genauer Aufmerksamkeit und genü-
gender Kenntniss der musikalischen Theorie jenes Zeitalters sicher er-
kennen, dass derai'tige Beispiele HuchaMs Antiphonien sind, die so ge-
sungen wurden, dass Männer und Knaben zusammen in Octaven eine
Melodie vortrugen, deren Wiederholung auf der Quinte und ihrer Octave ;
wiederum Männer und Knaben ausführten. Die Beispiele HiichalcVs
sind nichts weiter als Wechselgesänge nach gewissen theoretischen Grund-
sätzenjjü denen die Knaben in den Klosterschulen unterrichtet wurden.
Wären Forlccl und Kiesewetter , deren Aussprüche spätere Historiker
acceptirten, nicht aus den Schriften HucbalcTs zur Klarheit gekommen,
so hätten ihnen doch gerade diese mächtigen Orgeltasten' einen Aufschluss
für die Wahrheit geben können. Denn auf solcher Tastatur konnte man
diese sogenannten vierstimmigen Beispiele gar nicht ausführen, weil bei
handbreiten Tasten eine Quinte mit einer Hand zu greifen ein Ding der
Unmöglichkeit ist. Dass also die Art und Weise des Gebrauchs jener
Orgelinstrumente in manchen Punkten ein ganz anderer war, als wie ihn
Forkel und seine Ausschreiber darstellen, dürfte wohl jetzt als endgültig
festgestellt zu betrachten sein. Desgleichen können wir dem Praetorius
bezüglich geschichtlicher Angaben nicht jene Autorität einräumen, welche
ihm Forkel zuerkennen will, dessen Glaube an des ersteren Aussprüche
50
unerschütterlich ist. So hat auch Forkel jenen Musiker des 16ten Jahr-
hunderts, der für den Instrumentenbau dieser Zeit allerdings die Haupt-
quelle ist, als Gewährsmann genommen, indem er ebenso wie Praetorius
die Erfindung des Clavichords auf Guido zurückführen will. Praeto-
rius sagt freilich nur: „Das Clavichordium ist aus dem Monochord (nach
der Scala Guidonis welche nicht mehr als zwanzig Claves gehabt hat)
erfunden und ausgetheilt worden. Denn anstatt eines jeden Bundes auf
dem Monochord, hat man einen Clavem auf dem Clavichordio gemacht.
Und sind Anfangs nicht mehr denn 20 Claves, bloss in.genere diatonico
gemacht worden, darunter nur zwei schwarze Claves, das b und b (=h)
gewesen. Denn sie haben in einer Octave nicht mehr als dreierlei Se-
mitonia gehabt, als a-h, h-c und e-f, wie dasselbe noch in gar alten Orgeln
zu ersehen." Hier ist in ziemlich unklarer Ausdrucksweise nur von der Ein-
führung besonderer Tasten für die Saiten die Rede, die sich an Instrumen-
ten mit Bünden und ohne Bünde, auf die wir weiterhin zu sprechen
kommen, befanden, und es hat diese ganze Stelle mit Guido weiter nichts
zu thun, als die Einrichtung seiner Scala zu erwähnen, die ja bis Ende
des löten Jahrhunderts massgebend blieb. ForJcel will zwar durch eine
Stelle aus Scaliger seine Guidonische Weisheit bekräftigen, aber gerade
diese Stelle belehrt uns über den Ursprung des Claviers, weil sie uns
zugleich angiebt, was die Musiker des 16ten Jahrhunderts unter diesen
Monochorden verstehen*). Scaliger behauptet nämlich, dass Siniius
das Instrument „Simicon" erfunden habe, dessen Resonanzboden mit
35 Saiten bezogen gewesen wäre; von diesem müsse man den Ursprung
derjenigen Instrumente ableiten, welche das Volk gewöhnlich „Monochorde"
nenne, bei denen die Klänge durch geordnete, von unten in die Höhe
springende Plectra hervorgebracht würden. Später habe man an den Plec-
tris spitzige Rabenfedern angebracht, um einen besseren Ton aus den
Metallsaiten zu erhalten. In seinen Knabenjahren sei dieses Instrument
Clavicymbalum und Harpichordum , nachher aber von den spitzigen
Rabenfedern Spinett genannt worden. ForJcel hält nun die Monochorde für
gleichbedeutend mit den griechischen Monochorden und zweifelt plötz-
*) Dass natürlich neben den Claviermonochorden die sogenannten Monochorde als
Tonmesser fortexistirten, ist selbstverständlich; denn auch heutzutage ist das Monochord
ein unentbehrliches Instrument zur Mensurabtheilung und Bestimmung der Klanghöhe.
51
lieh wieder an seiner früheren Behauptung vom Ursprung des Claviers
Inder Zeit Guido' s, indem er sagt: „So einleuchtend indessen der Ursprung
des Clavichords aus dem Monochord ist, so lässt sich doch nicht behaup-
ten, dass schon zu Guido's Zeit das Monochord eine solche oder ähnliche
Einrichtung erhalten habe, wodurch es zum Unterricht im Singen be-
quemer geworden wäre, als es mit seinem beweglichen Stege sein konnte"*).
Die Wahrheit liegt jedoch ganz klar auf der Hand.
Man bediente sich nämlich häufig im Mittelalter eines schon im al-
ten Griechenland ganz bekannten Instrumentes; dasselbe ist jedenfalls
uralt und indischen Ursprungs, später auch von den Aegyptern gebraucht
und von hier aus zu den Hebräern und Griechen gekommen, von welchen
letzteren es die Araber erhielten. In Deutschland scheint dasselbe erst
zur Zeit der Kreuzzüge eingeführt worden zu sein, in Italien gebrauchte
man aber dasselbe schon früher, und hier ist fast an eine directe Ueber-
lieferung von den Griechen zu glauben. Das Simikon oder besser Si-
mikion ist nämlich kein anderes Instrument, als das mit Klöppeln ge-
schlagene Hackebret, auf dem sich die Zigeuner jetzt noch mit Vorliebe
hören lassen**). Das Ciaviermonochord des späteren Mittelalters entstand
aus dem Bestreben, den Anschlag der Saiten regelmässiger und gleich-
massiger hervorzubringen, was bei der Kenntniss der Orgeltastatur bald
in der Weise gelang, dass man das Simikon oder Hackebret dem ge-
meinen Volke überliess und dasselbe als unedles, der eigentlichen Kunst
nicht mehr angehöriges Instrument bezeichnete ***). Bald entstanden je
nach den Verbesserungen verschiedener Instrumentenbauer besondere
Arten der Ciavierinstrumente, welche uns Agricola als „Clavicord,
Clavicymbal, Symphonei, Virginal, Claviciterium" namhaft macht, deren
er in dem Verschen auf die Saiteninstrumente Erwähnung thut:
*) Auch Printz: Historische Beschreibung der edlen Sing- und Klingkunst, hält cap.
10, §. 14, den Guido von Arezzo für den Erfinder des Clavichords, wogegen Kiesewetter
die Haltlosigkeit dieser Behauptung schlagend darthut.
**) Simicium, conf. Jul. Pollux IV, 59.
***) Luscinius pag. 13 : lastrumentum ignobile est propter ingentem strepitum vocum,
sese mutuo praepedientium. Schon im fünfzehnten Jahrhundert durften die Mönche das
Monochord, aus welchem das Clavichord entstand, in ihren Zellen spielen. Cf. de cantu
et musica sacra Gerberti, Tom. II, pag. 214 Anm. : Verum quoniam id fuit difficile
persuasu, illud musicum instiumentum, quod monochordum vocant .... honeste in
cellulis retiuere posse concedimus.
52
Des andern Geschlechts sind ungelogen
Alle Instrument mit Seyten bezogen.
Auch sind etliche mit Clavirn gemacht
Durch welch yhre Melodey wird vorbracht.
Als sind, Clavichorden, Clavicymbal,
Symphoney, Schlnsselfidel , Virginal,
Claviciterium, Leim, mein ich auch
Und alle, die yhn gleich sind ym gebrauch u. s. w.
II.
Die ältesten Formen der besaiteten ClaTierinstrumente.
a. Clavichord.
Indem wir die Explication Virdimg's von dem Monochord übergehen,
da dieselbe sehr oberflächlich und ungenau ist, wenden wir uns jetzt zu
den verschiedenen Arten der besaiteten Ciavierinstrumente im 16ten Jahr-
hundert von denen wir das Clavichord als das3ltesiej.ristrument dieser
Gattung zuerst behandeln.
„, . . , Dasselbe hatte An-
Clavichord.
fangs, wie schon erwähnt,
20 Tasten, genannt Cla-
ves^ mit welchen man
nur das diatonische Ge-
schlecht hervorbringen
konnte, dessen Ordnung
sich im löten Jahrhim-
^^^^^^^^^^__^_^^^ dert in folgender Form
herausgebildet hatte:
F G A B H c ä c f g ah h & d' c' f g' a' b', wo also in jeder
Octave nur drei Halbtöne vorhanden waren. Später traten die chroma-
tischen Halbtöne hinzu, welche Praeiorms auf Boethius zurückführen
will; dieser Irrthum ist aus der Unbekanntschaft mit dem Werke über
die Musik des alten Autors zu erklären; nur so viel bleibt als Wahrheit
von dieser Angabe übrig, dass die Theoretiker des 16ten Jahrhunderts
durch das Studium des Boethius zu musikwissenschaftlichen Forschun-
5ä
gen angeregt und auf das chromatische Geschlecht Im modernen Sinne
geführt wurden, daher auch Sotlms Galvmus*) eine genaue Anleitung
zur Uebertragung der alten Tonarten auf die Orgeltasten geben konnte,
woraus ersichtlich, dass nicht alle chromatischen Claves In der Mitte des
IGtentTahrhunderts auf den Orgeln vorhanden waren, dieselben aber kurz
nach seiner Zeit eingeführt wurden. Ucberdles thellte ZarUno erst im
Jahre 1548 mit seiner Theorie dieOctave in 12 gleiche Theile ein, welche
EIntheilung sich dann In späterer Zeit einbürgerte. Deswegen ist die
im Jahre 1619 aufgeschriebene Erklärung des Practorius von der Tasta-
tur des Clavichords genau in diese letztere Zeit zu versetzen, welche für
die Clavichorde zuweilen folgende Tastenreihe sebrauchte:
F G Gis A B H c äs d dis e f ßs g gis; a h h c' eis' d'
dis' c' f fis' g' gis' a' h' h' c" eis" d" dis"'e" f", von der man
aber gewöhnlich nur die Reihe von c bis f" anwendete. Bei Einführung
der chromatischen Töne zog man für dieselben keine besonderen Saiten
auf, sondern man Hess die zum Anschlag an die Saite benutzten Gänse-
feder-, Fischbein-, Straussfeder- oder Rabenfeder-Stifte an eine und die-
selbe Saitean einer anderen Anschlagsstelle schlagen, Avodurchman nach
vorherberechneter Saiteneintheilung die chromatischen Töne hervorbrachte.
So hatten z. B. die Töne c und eis, d und dis etc. nur eine Saite, deren
verschiedene Anschlagsstellen und dadurch entstandene Verkürzuno-en
auch die Erzeugung verschiedener Töne zullessen. Nach dieser oben ab-
gezeichneten ursprünglichen Gestalt nahm das Clavichord bald vollkomme-
nere Formen an, wie wir bei Praetor ins ersehen können, der ein zu Ende
des 16ten ^Jahrhunderts aus Italien nach Meissen in Sachsen gebrachtes
Clavichord erwähnt, dessen ganze Bauart einen weiteren Fortschritt er-
kennen lässt. Während man diese Instrumente als „mit Bünden" ge-
baute bezeichnete, bei denen eine Saite mehr als einen Ton durch ihr
zugehörige Tasten hervorbringen musste, nannte man diejenigen bund-
freie, bei denen jeder Clavis seine eigene Saite hatte. ZumThell
war das von Praetorius beschriebene Instrument schon bundfrei, was von
diesem besonders bemerkt und hervorgehoben wird. Im 1 7ten Jahrhun-
dert scheinen die Bünde noch meist im Gebrauche gewesen zu sein, hin-
gegen das 18te Jahrhundert sich von diesen vollständig frei machte.
*) Exercitatio tertia, Lipsiae 1600,
54
ClaTicymbalam.
b. Clavicymbalum.
Beim Uebergang zu der ältesten Art des Clavieymbalums können
wir nicht unerwähnt lassen, dass WelcJcer Seite 156 ein altes Instrument
als Clavichord beschreibt, das jedenfalls ein Clavicymbalum gewesen
ist. „Der Körper des Clavichords", sagt er, „hatte eine Länge von 3 bis 4
Fuss und eine Breite von etwa 2 Fuss, die Zarge nur eine Höhe von 5 Zoll.
An einer der längeren Saiten (?— soll wohl heissen Seiten des Kastens) war
die Claviatur angebracht." Ein sehr altes Clavichord kann das nicht
gewesen sein, denn bei der ältesten Art sind, wie die Zeichnung beweist,
die Saiten gleich lang; die Verschiedenheit der Tonhöhe findet ihre Er-
klärung in der verschiedenen Dicke und Spannung, gleichwie die Violine
gleich lange Saiten, aber solche von verschiedener Dicke und Spannung
hat. Das Clavicymbalum dagegen lässt zu j^rifang^des L6ten Jahrhun-
derts diese Form wahrnehm3 bei welcher sich die Saiten von ungleicher.
Länge auf den Resonanz-
boden „harfenartig" ge-
spannt erweisen, und diese
harfenartige Form mag
wohl zu der späteren har-
fenartigen Bauart des Ka-
stens Veranlassung gege-
ben haben. Da nun die-
selbe auch Aehnlichkeit
mit dem Flügel eines Vo-
gels hat, so führte man schon zu den Zeiten des Praeiorius für das ausgebil-
detere Clavicymbalum die Benennung „Flügel" ein. Praeiorins sagt hier-
über: „Clavicymbalum oder Gravecymbalum ist ein lenglicht Instrument,
wird von etlichen ein Flügel, weil es fast also formiret ist, genennet. Von etli-
chen sed male (aber schlecht) ein Schweinskopf, weil es so spitzig, wie ein
wilder Schweinskopfffornen an zugehet und ist von starckem hellen, fast lieb-
lichem Resonantz und Laut, mehr als die andern, wegen der doppelten, drei-
fachen, ja auch wol vierfächtigen Saiten : Wie ich dann eins gesehen, welches
2 Aequal, eine Quint, und ein Octavlin von eittel Saitten gehabt hat: Und
gar wol lieblich und prächtig in einander geklungen." Die hier nachfolgende
Figur wird diese Beschreibung genügend unterstützen und darthun, wie
sich bereits im l7ten Jahrhundert unsere Flügelform zu entwickeln begann
55
Hieran knüpi't sich nun die Beschreibung des Michael Praetörius
von einem sogenannten Universalclavicymbal, welches derselbe bei „Herrn
Carl Luyton, Köm. Kaiserl. Majestät vornehmem Componisten und
Organisten" zu Prag, gesehen ha- Clavicymbalum uacU Praetorius.
ben will. Dasselbe habe mit sei-
nen sauber und fleissig gearbeite-
ten Saiten den Vorzug besessen,
dass man alle Klanggeschlechter
auf demselben habe darstellen
können. »Ta nicht bloss die Töne
eis und des, dis und es u. s. w.
wären durch besondere Tasten
vertreten gewesen, sondern auch
zwischen den diatonischen Halb-
ton e-f habe man noch einen Cla-
vis eingeschoben, um die Ge-
schlechter rein und schön zu er-
halten, so dass die Claviatur vom
kleinen c bis zum dreigestrichenen
c in 77 Claves aretheilt war. Man
konnte das Instrument sieben
Mal im Tone verrücken und um
drei volle Töne transponiren,
woraus ersichtlich ist, dass man
für eis und des, für dis und es
besondere Tonarten auf demsel-
ben angebracht liatte. Die Ver-
rückung konnte also geschehen
von c nach eis, nach des, nach d,
nach dis, nach es, nach e, wo-
durch auch denjenigen eine Er-
leichterung o-eboten wurde, welche
sich nicht im Transponiren ge-
übt hatten. Einen ähnlichen Apparat für letzteren Zweck fanden
wir auch auf der Pariser Ausstellung vor. Aus unserem akustischen
Theile wird man die Berechnung der Töne und die Möglichkeit ihrer
56
klanglichen Hervorbringung ersehen haben. Die Temperatur schaffte
diesen complicirten Mechanismus, wie ihn uns Praetorius beschreibt, bald
ab und verschaffte den Instrumenten in Flügelform eine leichtere
Handhabung.
c. Symphonia.
Das Instrument Symphonia oder Symphonei war gewöhnlich gleich-
bedeutend mit Clavicymbalum, häufig wurde aber auch diese Bezeich-
nung auf andere Instrumente angewendet, auf denen sich eine gewisse
Yollstimmigkeit erzielen Hess. Das Wort Symphonia auf Instrumente
bezoo-en ist im 16ten Jahrliundert das, was bei den Griechen Organon ist,
d. h. es bedeutet überhaupt jede Art musikalischer Instrumente.
Die Schlüsselfidel berührt uns hier nicht; sie ist den Savoyarden
jetzt noch wohl bekannt, und belästigt mit ihrem unangenehmen Tone
nicht selten die Keisenden in Frankreich und Italien, wogegen
d. D
as Clavicitherium
eine bemerken swerthe Stelle unter den alten
Ciavierinstrumenten einnimmt. Zu An-
fang des 16. Jahrhunderts baute man
dasselbe gewöhnlich in dieser Gestalt, in
welcher die Aehnlichkeit mit der alten
Kithara noch bemerkbar ist. Später
nahm dasselbe ebenso wie das Clavicym-
balum harfenartige Form an, die mit der
Claviatur einen rechten Winkel bildete
(Figur Seite 57), während das Clavicym-
balum die moderne Flüselform bewahrte.
e, Virgin al.
Das Virginal, am Hofe der Königiii Elisabeth in England ein sehr
beliebtes Instrument, ist gleichbedeutend mit dem Spinett, von welchem
PraetorüfS berichtet: „SjDinetta (Italice Spinettoj ist ein klein viereckicht
Instrument, dass umb ein Octava oder Quint höher geatimmetist,_als^der
rechte Thon. Und die man über- oder in die grosse Instrument zu setzen
57
pfleget. "Wiewol die grossen viereckete , so wol als die kleinen, ohn un-
terscheyd Spinetten initalia genennet werden. In Engelland werden alle
solche Instrumenta sie seyn klein oder gross, Virginall genennet.
In Frankreich E Spinette: " Das ClavicUUeriuiu nach Praetoiius.
In den Niederlanden Clavicyni-
bel und auch Virginall.
In Deutschland, Instrument in
Specie, vel pecnliariter sie dicfiitii.^'
Ägricola und Snlpicius überliefern
ijns für dasselbe diese Gestalt (E'i-
gur a), aus der man ersieht, dass der
Bezug gerade die umg-ekehrte Form
des alten Clavicymbalum hatte.
In den Niederlanden finden wir
aber die dem Clavicitherium sehr
ähnliche Form vor, von der uns Ed-
11/oud Vamler Straeten eine Zeich-
nung mittheilte (Fig. b). Bei Praeto-
rins hat eines der Spinetten eine
unseren tafelförmigen l^ianofortes
ganz ähnliehe Gestalt, bei welcher
auch einige Tasten für enharmonische Töne bemerkbar siiul. Hieran
reiht sich noch das nur in der inneren Construction von dem Virginal
(etwas verschiedene Ar-
I pichord und das Clavi-
{ Organum an , welches
letztere durch die Ver-
bindung eines Pianino
mit einer Physharmo-
nikaconstruction im 19.
Jahrhundert eine neue
Auflage erlebte. —
FraeioriKS erzählt uns, das Claviorganum wäre ,,ein Chi\icymbel oder an-
der Symphoni ('anderes Ciavierinstrument), da zugleich neben den Saiten
etliche Stimmwerk von Pfeiflf'en, wie in eim Positiflf mit eingemenget sein;
Von aussen aber nicht anders, als ein Clavicymbel oderSymphony anzusehen:
Virginal (Figur a).
58
Spinett nach Prätorius.
Niederländisches Virginal (.Figur bl.
Ohn allein, dass an etlichen die Blasebälge binden an, in etlichen aber in-
wendig in das Corpus hinein gelegt werden". Auch berichtet er uns
etwas von dem
Geigenclavicym-
bel, als dessen Er-
finder sich Herr
Hanss Häijden
von Nürnberg
ausgab, obgleich
(kdilaei und Aiir
dere behaupteten,
dass vor der Zeit
des Herrn Häy-
den „solche Art Geigen werk inventiret und ausspeculiret worden sei".
Anstatt der Anschlagstifte, welche bei den anderen besaiteten Ciavieren
die Saiten zum Ertönen brach-
ten, hatte dieses Geigenwerk fünf
oder sechs Stahlräder mit Perga-
ment orlatt überzoo;en und mit Co-
lophonium bestrichen. Diese Rä-
der wurden durch ein anderes
grosses Rad und verschiedene Rol-
len unter dem Resonanzboden vom
Organisten selbst mit den Füs-
sen in Bewegung gesetzt oder ein
Hülfsmann brachte dieselben mit
den Händen in Schwung. Wenn
eine Taste niedergedrückt wurde,
so berührte die gleichnamig^e Saite
eines der umlaufenden Räder, wo-
durch ein dem gestrichenen Tone
ähnlicher Klang entstand. Die
Saiten waren von Stahl und Mes-
sing, von denen die tiefsten bis
zum Contra F, ja sogar bis zum
Contra. J) an Dicke den groben
5Ö
Saiten eines Contrabasses nichts nachgaben. In der Höhe nahmen
dieselben natürhch an Grösse und Dicke nach und nach ab. Ein inter-
essantes Beispiel von Reclame aus jener Zeit liefert uns Herr Hanss
Häyden in der Anpreisung seines Geigeninstrumentes selbst; nachdem
er von der Unvollkommenheit der Tonerzeugung auf den gewöhnlichen
Ciavieren gesprochen hat, sagt er in wohlgefälliger Breitspurigkeit:
„Und ob wol der Text mit Worten sich nicht aussprechen lest, so
kau doch der Instrumentist seinen Sensum zu erkennen geben, ob trau-
rige oder fröliche Gedanken in ihme sind. Nachdem er das Ciavier frech
oder lind angreiflt. P'ür eins.
2. Zum andern kan der Instrumentist nach seinem selbstgefallen
mit der ISIensur abwechseln, die jetzt langsam, dann bald wiederumb ge-
schwinder führen: Welches auch die Affectus zu movirn (die Leiden-
schaften zu erregen) nicht undienlich: Und in andern Instrumenten glei-
chergestalt kan in acht genommen werden.
3. Zum dritten kan auch der Gesang unversehns, wann es der
Text also erfodert , bald laut resonirent, bald still, bald wiederumb laut-
klingend gemacht werden.
4. Zum vierdfen ist es gantz lustig und verwunderlich zu hören; Ob
es wol nur ein Ciavier und ein eintzig Stimmwerk von Saitten hat, dass
doch einer allein dasselbige also verstellen kan, dass man nicht anders
meynet, denn es seyn zween unterschiedliche Chor gegen einander, auch
zween unterschiedliche Instrumentisten, die mit einander certirn und
einer dem andern respondire.
5. Zum fünfftcn kan man aucli einen natürlichen Echo darauff hö-
ren lassen, gleich als wann es einen Nachklang oder Widerschall aus dem
Wald oder zwischen den Bergen herfür gebe.
6. Zum sechsten kan maus auch aufF die manier und Art anderer
Instrument , sonderlich ab^r gleich wie eine Lauten machen, und herfür
geben.
7. Zum siebenden, Wann einer begehrt in einer Stimm den Choral
zu führen und dass man denselben vor den andern Stimmen heraus stär-
-ker, vernehmlich hören soll, Es sey nun im Bass, Tenor oder Discant,
so kan es also auch gar sehr wol geschehen.
8. Zum achten, wie mansonsten in diePfeiffwerk mit einem sonder-
lichen Register Tremulanten macht, so kan dasselbig aufF diesem Ciavier
60
ohn einig Register allein durch eine freye Hand langsam oder geschwind
tremulirent und zitternd gemacht werden.
9. 10. Zum Neundten lest es sich auch auff gut Leyerisch: Und
zum zehenden wie Sackpt'eifFen und Schalmeyen machen und hören :
Damit man die Weiber und Kinder, so sich sonst der Musica nicht viel
achten, auch wol grosse Leute, wenn sie in etwas mit eim guten Trunck
beladen, erfreuen kan.
11. Zum eilfften gibt es auch ein Cithern Art, wie die Jungen Ge-
sellen pflegen gassatum zu gehen.
12. Zum zwölfFten ist auch die Geigen Bastarda genant, darauflf gut
zu contrafacten.
1 3. Zum dreyzehenden kan man auch ein Fürstliche Hof- und Feld
Musicam daraulF hören lassen, nicht änderst, als wann ihrer zwölff mit
Trommeten und Clareten gegen einander natürlich bliesen: Darzu dann die
Heerpaucken, welche in etlichen diesen Geigenwercken mit eingebracht
und durch ein Register gezogen werden, nicht so gar übel mit einstimmen.
14. Zum viertzehenden, Ob wol diss Instrument nur eine einfache
Saitten bei jedem Clave hat, und wann es zugedeckt ist, ein gar stillen
sanfften Resonantz gibt wie Geigen, also, dass es in einem engen Gemach
lieblich zu hören ist; So kan mans doch auch, wenn man wil, und es
offen gebraucht wird, so stark machen, dass es sich unter einem gantzen
Chor von Singern und Instrumenten herausser gar laut und vernehmlich
hören lesset.
Diss alles und sonsten noch mehr kan ein Organist zuwegen bringen,
dieweil es anders nicht, dann ein gemein Ciavier und keines sondern
Griffs oder Application bedarff, allein dass man mit einer leichten Hand
und nicht mit voller Gewalt ins Ciavier hinein falle."
Wer jemals das akustische Cabinet von Kaufmann in Dresden oder
die Werkstätten böhmischer Instrumentenbauer besucht hat, wird wissen,
dass dieses Instrument nicht untergegangen, sondern in verbesserten
Auflao-en als Orchestrion, Polyphonion etc. immer wieder erschienen
ist. Auf die künstlerische Entwickelung haben jedoch nur die vorher
genannten Ciavierinstrumente grösseren Einfluss ausgeübt, deren Con-
struction im I8ten Jahrhundert zwar allgemein bekannt gewesen, jetzt
aber in Vergessenheit gerathen ist.
61
III.
Die Coustriiction der besaiteteu Clavieriiistrnmeiitc bis Ende des
aclitzehnten Jahrhunderts.
Im Allgemeinen ist bezüglich der Claviaturen vorauszuschicken,
dass die Benennung derselben von Clavis, d. h. Schlüssel, und zwar in
dem hier beregten Sinne „Schlüssel zur Tonerzeugung''' herrührt, weil
durch die Tasten (Claves) bei den Orgeln die Windladen geöffnet wer-
den, um den Wind in die Pfeifen einströmen zu lassen. Man gebrauchte
auch für den vorderen Theil der Tasten den Ausdruck ])alnuila (von
palma: eine kleine Hand, oder auch ein Ruder), weil man die Aehnlich-
keit der Tasten mit den Händen oder Rudern nicht verkennen konnte
Von Aälung wird eine solche Palmula als ein längliches Hölzchen be-
schrieben, dessen Breite mit der eines Daumens vergleichbar war; für
die Dicke hatte man kein bestimmtes Maass; dasselbe blieb der Ge-
schicklichkeit des Instrumentenbauers vollständig überlassen. Das Lin-
denholz erkannte man für das vorzüglichste zur Verfertigung der Pal-
mulen, weil es sich am besten verarbeiten und wegen seiner Leichtigkeit
bei Herstellung des Mechanismus am passendsten verwenden Hess. Auf
diese Lindenholztaste machte man eine Fournitur von Elfenbein oder feine-
rem Holze, um mit grösserer Sauberkeit zugleich auch Dauerhaftigkeit zu
erzielen. In der Mitte und an dem hinteren Ende waren diese Palmulen
in eisernen und messingenen Stiften beweglich, und die ganze Reihe
derselben nannte man also Claviatur*) oder Tastatur vom italienischen
Tasto = Griff, Anrührung. Häufig sagte man auch für Tasten „Tangenten",
obwohl letzterer Begriff mehr den Anschlagstiften entsprach. Bei allen
clavierartigen Instrumenten erschien die Claviatur fast in gleicher Form,
und so hatte auch das Clavicymbel eine solche mit daumbreiten Tasten.
Während man zur Zeit des Fraetorius den Umfang der Tastatur und
mithin der Tonhöhe gewöhnlich nur vom kleinen c bis zum zweigestri-
chenen f herstellte, baute man nach derselben sehr bald diese Instru-
mente mit einer grösseren Zahl von Tönen, so dass nach Adlmuj's Ver-
sicherung schon lange vor seiner Zeit die Clavicymbel und Clavichordien
vom grossen C bis zum dreigestrichenen c, also in einem Umfange von
vier vollen Octaven, alle chromatischen Töne enthielten, welche Angabe
*) Becm. orig. lat. ling. p. 365 und 800. Janowka in clave p. 96. Kircher Musur-
gia L. VI, p. III, c. III §. 1.
62
auch durch die Compositlonen aus jener Zeit ihre Bestätigung findet.
Zu seiner Zeit erweiterte man die Claviatur nach der Tiefe zu bisweilen
bis zum Contra G und oben zuweilen bis zum dreigestrichenen d, so dass
einige Instrumente sogar mehr als fünf Octaven Tonumfang besassen.
Das Clavicymbel *) nannte man in Frankreich gewöhnlich Clavecin
oder Clavessin und war ein mit gelben oder weissen Drathsaiten bezo-
genes Instrument. Die Form des späteren Clavicymbels, wie wir sie
durch Praetorins kennen lernten, unterschied sich vom Clavicytherium
dadurch, dass alle Saiten in der Richtung von der Claviatur bis zur spi-
tzen Flügelecke liefen, hingegen die Saiten des Clavicytheriums perpen-
diculär nach der Höhe zu gespannt waren. Der Corpus oder Kasten
dieses Instrumentes war zuweilen von weichem, zuweilen von hartem
Holze, in welch letzterem Falle eine grössere Beständigkeil erzielt wurde.
Vorn bei der Claviatur war selbstverständlich der Kasten ganz breit,
um für dieselbe den Raum von vier bis fünf Octaven zu gewinnen; nach
hinten lief derselbe aber ganz spitz zu, so dass er beinahe die Form eines
rechtwinkhgen Triangels annahm. Häufig verzierte man den Kasten
mit Malereien, feinen Fournierarbeiten (verschiedene Spinetts aus dem
16ten und 17ten Jahrhundert, welche wir gesehen haben, Hessen eine
solche Fournitur wahrnehmen) und dergleichen, jenachdem der Erbauer
mehr oder weniger Geschmack für äussere Ausstattung besass. Die
Höhe des Corpus betrug ungefähr 1/2 Elle, manche nahmen aber einen
etwas grösseren Höhendurchmesser an, um einen „gravitätischeren" Ton
zu erzielen; andere dagegen glaubten bei geringerem Höhenmaasse dem
Tone mehr Lieblichkeit abzugewinnen. Die Wände des Kastens moch-
ten nun von hartem oder weichem Holze sein, so machte man den Boden
doch immer von Tannenholz, von dem man glaubte, dass es den Klang
am besten befördere und somit zur Erzeugung von Schwingungen am
geeignetsten sei. Die Tasten der Claviatur, Palmulen genannt, waren
circa ^j^ Elle lang und hinten mit Leder oder Tuchplättchen versehen,
damit die herabfallenden Docken kein Klappern verursachten. Diese
*) Zum besseren Verständniss beschreiben wir zuerst das Clavicymbalum, dessen
Construction schon Manches von den verbesserten Clavichorden enthält. Fuhrmann
nennt das Clavicymbel in seinem „Musikalischen Trichter" „den musikalischen Flügel";
er meint, es sei ein lieblich, aber wandelbares Instrument. Cf. de Chales Mund. math.
Tom. in, p. 217, welcher dasselbe mit fidiculare organon bezeichnet.
63
Docken bildeten eine Reihe Tangenten, welche lothrecht unter den Sai-
ten, hinten quer über den Tasten standen. Der Resonanzboden hatte
Einschnitte, wo sie durchschlugen, und oben waren die Raben- oder
Straussfeder- Zungen eingesteckt, welche die Saiten pizzicato anrissen,
nachdem sie von den Tasten, an dieselben geschnellt worden waren.
Hinten bei den Docken lagen die Tasten auf einem Rahmen, der ge-
wöhnlich mit Tuch überzogen Avar. Vorn, nicht weit vom Fingeranschlag,
bewegten sie sich in Stiften, welche in emem sogenannten „Zwerchrah-
men" eingeschlagen waren, der von einem Ende des Claviers bis zum
andern reichte und nicht bewegt werden konnte*).
Die über das ganze Instrument hinlaufende Resonanzdecke von
Tannenholz musste gut ausgetrocknet sein und vorn aufliegen, wo man
auf der rechten Seite nach der Spitze hin einen Steg befestigte, welcher
nicht weit von dem Saitenbrete entfernt war, worüber die Saiten gelegt
wurden. Noch weiter nach rechts wurden Stifte als Saitenhalter einge-
schlagen, die mit den Stiften auf dem Stege parallel liefen. Vorn in
der Nähe des Claviers schlug man starke Wirbel von eisernem Drathe
oder von geschmiedetem Eisen ein, welche bis in einen Eichenholzbalken
unterhalb der Resonanzdecke fest hineingetrieben wurden. Messingene
Wirbel wandte man deswegen nicht gern an, weil dieselben nicht fest
genug standen. Unmittelbar hinter diesen Wirbeln liefen die Saiten
noch über einen Steg, um die freiere Schwingung derselben zu befördern.
Nicht weit von diesem Stege war die Anschlagstelle für die bereits an-
gedeuteten Docken. Zur näheren Beschreibung derselben bemerken wir,
dass sie aus dünnen, von hartem Holze gearbeiteten Hölzchen bestanden,
welche ungefähr */io Zoll dick und einen Finger breit waren. Die Länge
musste so beschaffen sein, dass das Hölzchen unten auf jeder Palmule
aufstossen und durch die Decke bis fast an die Saiten reichen konnte.
Damit sie nun in Ihrer Ordnung recht perpendlculär stehen blieben,
*) Kircher gebraucht bei der Beschreibung des Clavicymbels, Lib. VI. P. II, ctip. I,
pag. 453, l'iir das Ciavier den Ausdruck abacum oder tastatura. Die AVirbel heibsen bei
ihm claves. Die Stege nennt er prismata trianguhiria; den krummen Steg auf der Seile
prisma corvilineum. Die Dociien werden von ihm mit subsilia bezeiclmet. Die anschla-
genden Federn plectra pennacea. Ferner theilt er mit, dass die Italiener die Docken
subsilia saltarelli, die Franzosen aber Sautcraux (von sauter, in die Höhe springen)
nennen. Adlung fügt hinzu: de Chales sage sauterclle Prop. 36, obgleich er sonst die
Docken auch als Pinnas bezeichnet, Prop. 34. Die Zunge heisst epiglottis. Die Feder
festuca ex penna corvina vel aquilina. Cf. Janowka in Clave pag. 39
64
wurde in die Resonanzdecke ein sogenanntes Sieb gelegt, dessen Form
ungefähr folgende Zeichnung darzustellen geeignet sein könnte:
1
Durch dieses Sieb ging jede Docke hindurch, und oben war dieselbe
etwa in der Art eingeschnitten: w^, in die eine Oeffnung bei 5 wurde ein
Stückchen Tuch gelegt, welches I beim Herabfallen der Docke auf die
Saiten zur Dämpfung der letzteren fallen musste, in der anderen brachte
man die „Zunge" an. Dieses „subtile Hölzchen" bewegte sich um ein
durchgeschlagenes Stiftchen, welches oben mit einer Feder von solcher
Länge versehen war, dass diese bis zur Saite reichen und sie anschlagen
konnte. Hinten war an der Zunge eine Schweinsborste befestigt, welche
die Stelle einer Springfeder vertrat.
Die Stärke der Saiten*) hing ganz von der Erfahrung des Instru-
mentenbauers ab und liess die Feststellung einer unabänderlichen Regel
nicht zu. Manche der Clavicymbel waren einchörig, andere dagegen
hatten zwei Saiten für jeden Clavis und noch andere sogar drei. Die
Structur der einfachen war eben die beschriebene; bei den zweichörigen
wurden zwei Reihen Docl:e;i neben einander gesetzt, so dass eine Taste
zwei zu gleicher Zeit in die Höhe hob, von denen die eine ihre Saite auf
der linken , die andere die ihi'ige auf der rechten Seite anschlug. Ver-
mittelst zweier beweglicher Siebe der oben beschriebenen Art war man
im Stande, das eine Saitenchor vollständig abzudämpfen, während auf
das andere die zugehörigen Docken frei anschlugen. Bei dreichörigen
Instrumenten mussten natürlich drei Docken vorhanden sein. Die dritte
*) Mattheson sagt in seinem forschenden Orchester S. 397: „So viel ist mir bcwusst,
dass alle Instrument-Macher und Stimmer sich die Ohren zur Haupt-Regul, auch in
Harmonica setzen und setzen müssen, wenn sie ihre Saiten recht spannen und ihre
Pfeiffen recht einrichten wollen; denn das Messen und Zählen hilft da nur aus dem
Gröbsten, das Gehör aber muss die subtileste Arbeit verrichten, welches ein Satz ist, den
die tägliche Erfahrung wider alle Mathematicos behauptet und der ihren Lehr-Gründen
schnurgerade zuwiderläuft. Hätte Jemand Geschicklichkeit, Lust und Zeit genug, ein
monochordisches Ciavier zu machen, der würde au beut du compte ein Monstnim her-
vorbringen, dazu er einen eignen Stall bauen lassen müsste, oder gar ein Labyrinth,
wie ehemals vor dem Minotauro."
,,Si non Labyrinthus erit
Gerte labor intus erit."
65
Saite war jedoch mit den beiden anderen Saiten nicht im Unisono gestimmt,
sondern stand eineOctave höher, und lief nicht über den vordersten Stesj
hinweg, sondern unter denselben, so dass die Docken etwas tiefer an-
schlagen mussten, als bei den anderen beiden Saiten. Aähmg behauptet,
dass diese dreichorigen Clavecins die besten seien, wenn sie „ein Mecha-
nikus accurat zu machen wisse".
Ueber die Federn, welche man zum Anschlage für alle Clavecins
und derartige Instrumente nehmen musste, bemerkt Adlimg, dass Gänse-
federn zu weich wären und nicht scharf genug schlagen könnten. Bis-
weilen habe er Fischbein gebraucht; allein es sei gar zu zerbrechlich und
auch zu hart. Die Straussfedern wären schon besser, aber ebenfalls et-
was zu hart. Für die besten Federn hält er die Raben federn, wenn
man die stärksten aussuche. Dieselben mussten, um sie zäh zu machen
und vor dem Zerspringen oder Zerknicken zu schützen, mit Baumöl
bestrichen werden. Das Abkneipen der Rabenfedern musste mit grosser
Aufmerksamkeit geschehen, damit sie alle in gleicher Geschwindigkeit
zurückprallten; desgleichen hatte man sein Augenmerk auf die Gleich-
mässlgkeit in der Stärke zu richten, weil schon damals eine unegale
Spielart für einen Hauptfehler gehalten wurde. Auch war die Entfer-
nung der Federn von den Saiten von wesentlichem Einfluss auf das tie-
fere oder flachere Niederfallen der Tasten, denen man einen möglichst für
den Fingerdruck passenden Niederschlag abzugewinnen suchte. Die Un-
beständigkeit und baldige Abnutzung der Federn führte zu manchen Er-
findungen, von denen aber nur die später zu erwähnende, im iSten Jahr-
hundert erfundene Hammermechanik auf die fortschrittliche Entwicke-
lung des Ciavierbaues einen wesentlichen Einfluss ausübte.
Ueber den Docken, welche in frühei'er Zeit die Stelle der Hämmer
vertraten, lag eine mit Tuch gefütterte Leiste, damit jene nicht heraus-
springen und beim Anstoss nicht pochen konnten. Bei Reparaturen nahm
man selbstverständlich die Leiste weg. An dem Stege brachte maa zu-
weilen einen sogenannten Lautenzug an, eine mit Tuch versehene Leiste,
welche man vermittelst einer Schiebung den Saiten nähern und dadurch
zur Erzeugung eines gedämpften Tones benutzen konnte, dessen Klang-
farbe fast derjenigen von Darmsaiten entsprach. Anstatt dieses Lauten-
zuges richtete man auch zwischen den Docken durch ein Sieb noch eine
Reihe Docken ein, welche man oben mit Tuch beklebte und durch einen
66
Zug so einrichtete, dass man dieselben zu gleicher Zeit behufs der Däm-
pfung an die Saiten drücken konnte, was Herrn Adlung noch besser
gefallen hat, als der zuerst beschriebene Lautenzug. Derselbe erwähnt
auch ebenso wie Praetorins sogenannte „Transponirclavicymbel", deren
Nützlichkeit besonders den nicht im Transponiren eines Tonstückes Ge-
übten zu gute kam. Durch Schiebung des Claviers konnte man den
sogenannten „Chorton" erhalten, den man um l^/g Töne höher intonirte,
als den Kammerton*); ja man war sogar im Stande, das Ciavier um 2 ganze
Töne höher oder tiefer zu stellen, für welchen Zweck esnöthig war, mehr
Saitenchöre als Tasten anzubringen, damit die äussersten Tasten nach
der Verrückung der Claviatur auch Saiten zum Anschlag für ihre Do-
cken hatten. Die Construction geschah auf folgende Weise: Man fasste
das ganze Ciavier in einen viereckigen Rahmen, ohne natürlich die Saiten
zu berühren, so dass man dasselbe unter den Docken hin und her schieben
konnte. Die Docken hatten ihre Einschnitte im inneren Siebe, um das
Herunterfallen derselben zu vermeiden. Zwischen dem Manual und den
Saiten setzte man Klötzchen ein, die man herausnehmen konnte, wenn
man die Claviatur verrücken wollte. Die Docken waren also gewisser-
massen von der Bewegung der Claviatur unabhängig, weil sie ruhig in
ihrer Ordnung stehen blieben, und nur die Palmulen wurden durch die
Verrückunff der cranzen Claviatur an andere Stellen versetzt. Wollte
man z. B. eine Transposition von einem halben Ton nach der Höhe zu
*) Zu den Zeiten des Praetorins war der Kammerton die höchste Stimmimg, welche
bei Tafel, in Privatcoucerten, bei Lustbarkeiten etc. gewöhnlich gebraucht wurde. Dies
sei, meint Praetorius, für die Bläser und Spieler auf Saiteninstrumenten am bequemsten
gewesen. Der Chorton stand um einen ganzen Ton tiefer und es wurde derselbe zur
Bequemlichkeit der Chorsänger allein in der Kirche angewendet. Vor den Zeiten des
Praetorius ist jedoch der Chorton noch um einen ganzen Ton tiefer gewesen, wie dieser
Schriftsteller an der Stimmung der alten Orgeln beweisen will. Von Jahr zu Jahr hatte
man aber diese Stimmung etwas erhöht, und im siebzehnten Jahrhundert gab es Musi
ker, welche diese Chorstimmung noch um einen halben Ton höher intonirt haben
wollten. Diese Erhöhung der Chorstimmung nahm solchen Fortgang, dass schon in dei
ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts der Chorton noch um ein und einen halben
Ton höher war, als der Kammerton. Um nun eine gewisse Uebereinstimmung in der
verschiedenen Ländern zu erzielen, wollte der französische Akustiker Sauveur eine
Stimmung festsetzen, nach welcher ein Ton als Normalton für die ganze Welt einge-
führt werden sollte, der in einer Secunde hundert Vibrationen mache. Der Vorschlag
wurde jedoch nicht allenthalben berücksichtigt, me aus Maiihe^on's forschendem Orche-
ster P. 1, c. A, §. 10, S. 428 hervorgeht, wo sich die Mittheilungen auf die Angaben der
Histoire de rÄcadeniie Rovale de Tannee 1700 stützen.
67
bewirken, so musste die (7-Taste die C^^-Saite, die D-Taste die DisSaiie
u. s. w. zum Ertönen bringen; nach der Tiefe zu setzte die C-Taste die
Docke für die J^-Saite in Bewegung, wenn die Transposition um einen
halben Ton bewerkstelligt wurde. Dass noch weitere Transpositionen
ausgeführt werden konnten, haben wir schon aus dem Praetorms kennen
gelernt, dessen Transponirclavicymbel sogar den Unterschied von Cis- und
Des dur und von anderen chromatisch-enharmonischen Stufen erkennen liess.
Hieran reihen sich noch die Verbesserungen, welche Adlung er-
wähnt. Derselbe will ein drei chöriges Clavicymbel gesehen haben, dessen
Claviatur sich vor- und rückwärts schieben liess. Je nach dem Verschie-
ben der Claviatur schlugen bald die hinteren, bald die mittleren, bald die
vorderen Docken allein an eine Saite; auch konnten je zwei Reihen Do-
cken, die hinteren und mittleren, die mittleren und vorderen, die hinteren
und vorderen, dann aber auch alle drei Reihen zugleich zum Anschlag
gebracht werden. Praetorms will sogar schon vierchörige mit ähnlicher
Einrichtung gekannt haben, an denen die sechzehnfüssige Octave mit
angebracht war. Von den vier Saiten standen zwei in der achtfüssigen
Stimmung, die anderen beiden Hessen hierzu die Octave und Quinte er-
klingen; ein das Streben nach Fülle des Tones kennzeichnendes Ver-
fahren, was lebhaft an die Helmholtz'sche Theorie der Obertöne erinnert.
Diese Octav- und Quintsaiten durften natürlich nicht so lang sein, wie
die achtfüssigen und mussten deshalb einen Steg näher der Anschlag-
stelle besitzen. Die achtfüssigen Saiten liefen über beide Stege hinweg,
die Octav- und Quintsaiten dagegen lagen unterhalb durch den vorderen
Steg, so dass für dieselben zwei niedriger schlagende Docken eingerich-
tet werden mussten, von denen die eine rechts, die andere links die Sai-
ten traf. Das Transponirsystem war dabei wohl nicht gut anzubringen,
da Adlung niemals „das Ziehen und Transponiren" beisammen fand.
Man kam auch auf die Idee, den Corpus oder Kasten eines Clavicymbels
mit zwei Ciavieren zu versehen, damit zwei Personen zu gleicher Zeit spielen
konnten. Der Kasten nahm dann die Gestalt eines Rechteckes an, etwa so:
und die Decke theilte man
durch die Diagonale a h ^
in zwei gleiche Hälften,
wodurch gewissermassen
zwei Clavicymbel in einem ci
68
einzigen hergestellt wurden. Die beiden Claviaturen lagen dann von a nach
c und von d nach h. Ferner baute man Clavicymbeln mit zwei bis drei
Claviaturen über einander, wo meistentheils die Docken aller Claviere an
einerlei Saiten schlug^i; d. h. die Docken des ersten und zweiten Claviers
schlugen an dieselben Saiten von derselben Länge, Spannung und Dicke,
wie die Docken des dritten Claviers; doch war es auch möglich, dass bei
zwei Ciavieren jede Tastatur ihre besonderen Saiten hatte, weil die ver-
schiedenen Reihen der Docken nach der früheren Beschreibung ja leicht
eingerichtet werden konnten. Zuweilen brachte man sogar eine Koppel
ähnlich den Orgelkoppeln an und stimmte das drei Saiten enthaltende
Chor im 4', 8' und 16', wie es Herrn ^.^Z^^m^r an einem Breitenbach'schen
Clavecin vorgekommen ist. Die 4' Saiten lagen als kürzere mit ihrem
besonderen Stege unter den 8' und 16' Saiten, so dass natürlich für sie
auch eigene Stifte und Wirbel nÖthig waren. Die früher beschriebene
Einrichtung verschiedener Docken erklärt das Uebrige hinreichend, so-
wie auch die Art und Weise des Stimmens, die wiederholte Befestigung
der Wirbel, die vorsichtige Manier beim Spielen u. s. w. bei den ünvoU-
kommenheiten jener Instrumente leicht begreiflich sind.
Das Clavicitherium ist vom Clavicymbalum , wie wir bereits an-
deuteten, darin unterschieden, dass der Kasten keine mit der Claviatur
horizontale Lage, sondern eine zu derselben senkrechte Stellung einnimmt.
Kirclier rechnet die Clavicitherien mit unter die Gattung der Clavicym-
beln und behauptet von ihnen, dass sie in Deutschland zu seiner Zeit
sehr im Gebrauche gewesen' seien, weil sie dem Zimmer zur Zierde dien-
ten und sowohl die Stelle der Harfe, als auch die des Clavicymbels zu
vertreten geeignet wären. Mit Ausnahme der äusseren Form war das
Uebrige ganz nach Art der Clavicymbeln eingerichtet. Wenn Welcher
bemerkt, dass Adlimg das Clavicitherium „ein unbeständig Aprilinstru-
ment" nenne, welches „bald hie bald da hocke", so ist ersterer Schrift-
teller im Irrthum; im Gegentheil setzt Adlung dieser Meinung des „mu-
sikalischen Trichters" von Fuhrmann seine eigene entgegen, indem er
behauptet: „Diese Unbeständigkeit anlangend, so wird sie wenig grösser
sein, als das Clavecin. Wenn ein Clavicitherium auf die Art dauerhaft
gemacht wird, als ich oben bei dem Clavecin erfordert; so wird die Un-
beständigkeit grösstentheils wegfallen und nicht mehr Ungelegenheit ver-
ursachen, als ein Clavicymbel."
69
Nach Mersenne's Beschreibung geschah die Tonerregung zuweilen
durch bewegliche Winkelhaken, welche von der Seite die Saiten in
schwingende Bewegung setzten. Das Spinett dagegen behielt so ziem-
lich seine ursprüngliche Gestalt; sein Tonumfang betrug gewöhnlich 2
oder 3 Octaven; die Saiten lagen, wie beim beschriebenen Virginal, alle
von rechts nach links; in der älteren Form stellt der Kasten ein Paralle-
logramm dar, später gewinnt die Trapezform mehr Eingang und zu Ad-
lung's Zeiten war der Kasten meist oval geformt. Kirclier schreibt ihnen
nur achtzehn Tasten zu und der musikalische Trichter meldet, dass sie
eine Quinte oder gar Octave höher gestimmt gewesen wären, als der
Chorton. Fraetornis gebrauchte zuweilen für das Spinett, dessen Con-
struction in den wesentlichsten Punkten ganz mit derjenigen des Clavi-
cymbels übereinstimmte, die Namen Magadis und Pectis, weil zu seiner
Zeit das Bestreben vorwaltete, durch griechische und lateinische Aus-
drücke die Erfindungen der Zeit in ein glänzenderes Licht zu stellen.
Was Praetoriiis Symphonie nennt, bezeichnete man auch mit dem allge-
meinen Namen „Instrument", welches nichts anderes war, als ein ver-
grössertes Spinett. Der Kasten wurde etwas tiefer gearbeitet und der
Tonumfang zuweilen bis zu dem der Clavicymbeln ausgedehnt, obwohl
Adlimg keines über vier Octaven gesehen hatte. Er sagt auch, dass diese
sogenannten Instrumente zu seiner Zeit fast verachtet gewesen wären,
dass sie aber ganz dieselben Verbesserungen zugelassen hätten, als die
Clavicymbeln, und darum denselben Gebrauch verdienten, wie letztere.
Das von Praetorius erwähnte Arpichord ist dasselbe, was wir unter
dem Clavicitherium nach Mersenne's Beschreibung angeführt haben.
Adliing beschreibt es kurz mit jener Angabe Mersenne's ziemlich über-
einstimmend dahin, dass durch sonderliche Züge von Messinghäklein
unter den Saiten eine harfenirende Resonanz entstehe, woher es den
Namen erhalten habe.
Das Hauptinstrument für alle Orgelschüler war nun das Clavichord,*)
*) Mattheson giebt in seinem neu eröffneten Orchester 1713 folgende Charakteristik:
„Das Clavicymbel mit seiner Universite giebt ein accompagnirendes fast unentbehrliches
Fundament zu Kirchen-, Theatral- und Kammermusik ab und ist recht Wunder, dass
man hiesiges Ortes (Hamburg) die schnarrenden, höchst ekelhaften Kegalen in den
Kirchen noch beibehält, da doch die säuselnde und lispelnde Harmonie des Clavi-
cymbels, wo man deren sonderlich zwei haben kann, eine weit schönere Wirkung auf
dem Chor hat. Bei französischen Musiquen will das Ciavier nicht so durchgehends vor
70
dessen Eesonanzdecke bei der frühesten Gestalt nicht länger als */4
Elle war. Später vervollkommnete man dasselbe in etwas, um es von
seiner Heiserkeit zu befreien, derentwegen es von Manchen verachtet
wurde. MaWieson hält es sehr hoch und meint, „die beliebten Clavicor-
dia haben vor andern den Preis. Es sind die Gemüther verschieden
und etlichen gefällt die douce Musik, andern die starke. So können et-
liche die kreischende Harfe nicht leiden; andere hören solche gerne.
So geht es auch hier." Der Kasten des Clavichords hatte die Gestalt
eines länglichen Vierecks, das zum Bau verwandte Holz musste dieselben
Eigenschaften besitzen, wie das zur Herstellung eines Clavicymbels ge-
brauchte. Die eine lange Seite theilte man in drei Abtheilungen, und
zwar in den Kasten zur Aufbewahrung der Saiten, des Stimmhammers,
des Tuches u. s. w., in die Claviatur, und in den Absatz für die Resonanz-
bodendecke; denn wo die Tasten aufhörten, fing die obere bis zum Ende
reichende Decke an. Auf der Resonanzdecke, auch „Sangboden" ge-
nannt, lag ein Steg nach der Breite zu, der entweder in gerader oder ein
wenig gekrümmter Richtung fortlief; prismatisch zugeschnitten waren in
demselben so viel Stifte befestigt, als das Clavichord Saiten haben sollte.
Unter der Resonanzdecke lief ein Steg von einer Ecke zur anderen. Die
Wirbel wurden auf dem „Sangboden" wie bei dem Clavicymbel einge-
nöthig gehalten werden und behilft man sich gemeiniglich mit einer Bassgeige oder
dergleichen zum Fundament ; allein es klingt auch so nackend und kahl, dass ein Kenner
sich schämt und ein Unkundiger oft in aller Welt nicht weiss, was dem Dinge fehlet. Es
ist aber zu hoffen, dass die Herrn Franzosen, wie bereits in vielen musikalischen
Dingen geschehen, ebenfalls ihre Resolution ändern und solche unnütze Caprice fahren
lassen werden. Hand- und Galanteriesachen, als da sind Ouvertüren, Sonaten,
Toccaten, Suiten etc. werden am besten und reinlichsten auf einem guten Clavi-
chordio herausgebracht, als" woselbst man die Sing- Art viel deutlicher, mit Aushalten und
adouciren ausdrücken kann, denn auf den allezeit gleich stark nachklingenden Flügeln
und Epinetten. Will einer eine delicate Faust und reine Manier hören, der führe seinen
Candidaten zu einem säubern Clavichordio ; denn auf grossen mit 3 a 4 Zügen oder
Registern versehenen Clavicjmbeln werden dem Gehöre viele Brouillerien echappiren und
schwerlich wird man die Manieren mit Distinction vernehmen können."
Was M&ttheson in seinem beschützten Orchester aus Werchneister über den
Nutzen der Temperatur S. 92, ferner über die Style S. 129, 130, lo6s 137 u. s. w.,
sowie über andere darauf bezügliche Sachen S. 154, 156, 157, 187, 188, 209, 367, 368,
452 vorbringt, gehört direct nicht hierher. Dagegen ist zu beachten, dass er mit
Werckmeister die Subsemitonien und die Anbringung der chromatisch -enhannonischen
Stufen verwirft und die ,.schweren aber auch schönen" Tonarten Cis dur, dis dur, fis dur,
gis dur, h dur ; cis moll, dis moll, f moll, fis moll, gis nioll, b moU, h moll mit den übrigen
Tonarten als gleichberechtigt anerkannt wissen will.
71
schlagen. An der hinteren Seite brachte man von rechts nach links eine
eichene Leiste an, worauf die Mensuren abgezeichnet und auch die Stifte
zur Befestigung der Saiten einfreschlagen wurden. Anstatt der Docken
gebrauchte man messingene Blechplättchen zum Anschlag an die Saiten,
deren Wanken und Biegen man dadurch verhinderte, dass man sie an
ihrer hinteren Seite durch Blech- oder Fischbeinspitzen stützte. Die
Palmulen liefen nach hinten bald in gerader, bald in krummer Form zu,
jenachdem es die Mensur erforderte. Vorn wurden dieselben durch
Stifte gehalten, und um sie vor dem Herausspringen zu sichern, setzte
man über dieselben eine Leiste, die Ädhmg „Vorsetzbret" nennt. Der
Saitenbezug war in späterer Zeit so wie beim Clavicymbel eingerichtet;
gewöhnlich gebrauchte man messingene Saiten und wand Streifen von
Tuch um dieselben, damit sie an zu langem Schwingen verhindert wür-
den, weil die eigentliche Dämpfung der Docken fehlte. Der hauptsäch-
lichste Vorzug eines Clavichoi'ds bestand in seiner bundfreien Anord-
nung, hingegen die älteren Clavichordien mit Bünden, wo zuweilen drei
bis vier Tasten an eine Saite schlugen, schwächer und unvollkommener
waren. Meistentheils baute man sie so, dass die diatonische Tastenreihe
ihre besonderen Saiten hatte und die chromatischen Claves mit an die
diatonischen Saiten schlugen. Die Spielart durfte weder zu flach noch
zu tief sein, damit die Orgelschüler das Clavichord gehörig zum Studi-
ren benutzen konnten. Es gab in frühester Zeit nur einchörige Clavi-
chordien, später baute man sie zwei- und dreichörig. Wo man einen
dreichörigen Bass anbrachte, nahm man zwei mit Silberdrath besponnene
Saiten und eine unbesponnene Saite, welche letztere meistentheils eine
Octave höher gestimmt war, als erstere. Die Eesonanzdecke, gewöhn-
lich 1 bis ^/4 Ellen lang, hatte oben oder an der Seite eine Oeffhung, und
ihre grössere oder geringere Ausdehnung beförderte mehr oder weniger
das Längersingen des Tones. Die einzelnen Punkte, \>(Ac\\q Adhmg noch
von den Vorzügen und Fehlern jener Instrumente anführt, sind so sub-
jectiver Natur, dass sie füglich in einer Geschichte des Claviers als über-
flüssig erscheinen. —
Nach Einführung der Orgelpedale kam man auch auf den Gedanken,
Pedale mit Saiten zum Ueben für die Orgelschüler zu verfertigen, deren Bau
ganz denselben Gesetzen unterworfen war, wie der Bau des Clavichords;
nur dass man sie häufle: in sechzehnfüssiger Stimmung- einrichtete. Das
72
vorzüglichste Saitenpedal war das Clavicymbelpedal, welches wie ein Clavi-
cymbalum gebaut werden musste, gewöhnlich aber nur zwei Octaven Um-
fang hatte; die Docken standen natürlich weiter auseinander, als beim Clavi-
cymbel, weil zwei Octaven denselben Raum einnahmen, wae vier Octa-
ven. Die Verbindung, in welcher die unteren Octaven des Clavichords
oder Clavicymbels zum Pedal selbst mit benutzt wurden, erwies sich in
den Hauptpunkten als unpraktisch und dem Klange nicht vortheilhaft.
Die sogenannten Lauten werke waren nichts anderes, als eine Nach-
ahmuno; der Lauten in Ciavierform. Resonanzboden und Saitenbezugr
(Darmsaiten) mussten daher nach dem Vorbild der Laute hergerichtet
werden, womit die Mechanik eines Clavicymbels in Verbindung stand.
Um auch die um eine Octave tiefer als die Laute erklingende Theorbe
nachzuahmen, setzte man im Basse zu dem Tonumfange von C — c'" noch
eine Octave hinzu. Die besten Erbauer dieser nach damaligen Begriffen
sehr kostspieligen Instrumente scheinen erst im 18ten Jahrhundert J, JSf.
Bach in Jena, Joliann Georg Gleiclimann in Erfurt und Zacharias
Hildebrand in Leipzig gewesen zu sein. Wir würden hier das auf die
Entwickelung der Ciavierinstrumente sehr wenig einflussreiche Instru-
ment gar nicht erwähnen, wenn es nicht zu dem grössten Tonmeister in
der ersten Hälfte des 18ten Jahrhunderts, zu Joh. Seh. Bach in einer
gewissen Beziehung gestanden hätte. Im Jahre 1740 sah und hörte Joh,
Lorenz Albrecht, Herausgeber der Musica mechanica von Adlung, ein von
Zacharias Hildebrand nach der Angabe Joh. Seh. BacKs gefertigtes
Lautenclavicymbel, Avelches zwar eine kürzere INIensur als die gewöhn-
lichen Clavicymbeln hatte, in allem Uebrigen aber wie ein solches be-
schaffen war. Dasselbe hatte zwei Chöre Darmsaiten und ein sogenann-
tes Octävchen von messingenen Saiten. Auch scheinen an demselben
mehrere Züge angebracht gewesen zu sein, da Albrecht erzählt, es sei
zwar wahr, dass es seiner eigentlichen Einrichtung zufolge mehr der
Theorbe als der Laute ähnlich klinge, dass man aber bei gehöriger Hand-
habuno- des Lauten- und Cornetzuges beinahe einen Lautenisten von
Profession damit betrügen könne.
Zur klareren Uebersicht der historischen Fortschritte und zur Ver-
vollständigung des hier Gesagten gehen wir zur Nennung der Männer
über, denen der Ciavierbau bis zur Einführung der Hammermechanik
das Meiste zu verdanken hatte.
73
IV.
Die Ciavierbauer bis zur Einführung der Hammermechanik.
Wenn wir früher die Meinung aufstellten, dass die Clavichorde aus
dem Hackebrete hervorgegangen seien, welche ihrer Construction nach
mit dem alten griechischen Instrumente Simikion identisch zu sein schei-
nen, so befanden wir uns mit Scaliger, geb. zu Ripa am Garda-See in
Italien 1484, in Uebereinstimmung, und wir fanden bei ihm die nicht un-
wichtisre Nachricht, dass dem Clavichord ein dem alten Simikion noch
näher liegendes Ciavierinstrument vorausgegangen sei, welches man im
Volke gewöhnlich Monochord nenne*). Die Benedictinerregel vor dem
L 1 6ten Jahrhundert verstattete nun den Mönchen, dergleichen Monochorde
geheim und sittsam in ihren Zellen aufzustellen und dieselben zu spielen,
woraus sich wohl schliessen lässt, dass diese Monochorde und somit die
besaiteten Ciavierinstrumente ein weit höheres Alter haben, als man ge-
wöhnlich annimmt. Ja wir können das Alter derselben bis in die Zeit
der französischen Troubadours verfolgen, in welcher Wace um 1115 im
Brut die „Monacordes" als Instrumente der Jongleurs erwähnt **), dieser
munteren Spielleute und musikalischen Spassmacher im Mittelalter, de-
ren Vorträge die Compositionen der Troubadours dem Zuhörerkreise
vermitteln mussten. Dass in jenem Gedichte unter den Monacordes
keine Tonmesser verstanden sind, sondern wirkliche Instrumente zum
Spielen, lehrt der ganze Zusammenhang, und mit den vorhergehenden
Zeugnissen zusammengehalten, w^erden wir auch kein Bedenken tragen,
diese Monacordes oder Monochorde als die ersten alten Ciavierinstru-
mente anzusehen. Ebenso bezeichnet Guirmit de Calanson unter den
*) Ambros lässt das Ciavier aus dem Psalter entstehen; sein Beweis, den er in
den Nachträgen Seite 505 anführt, ist nicht stichhaltig, denn die Phantasiefigur des
Königs David von 1472 beschäftigt sich eben nur mit dem damaligen Modeinstru-
ment, d. h. mit dem Ciavier -Monochord.
**) Es heisst daselbst:
Mut ot U la cort lugleors
Chautöors, estrumante'ors
Mut poissies oVr chanijons
Rotruenges et noviax sous,
Viel^ eures, lais et rotes
Lais de harpe et de fretiai,
Lyre , tympres et chalemiax,
Syiiiphonies , psaltdrions,
Monacordes, cymbes, chorons.
74
Instrumenten der Jongleurs die Monochorde als solche, welche gespielt
wurden, und er nennt dieselben unmittelbar neben der Mandore und Eota.
Im Verlaufe des 14ten Jahrhimderts müssen sich bereits die ersten Ver-
besserungen des Monochordes zum Clavichord und Clavicymbalum voll-
zogen haben, da schon 1404 in den Minneregeln des Eberhard Cersne
neben dem Monochord das „Clavicordium und Clavicymbalum" ausdrück-
lich erwähnt werden*). Leider finden wir in jenem ältesten Zeitraum
keine Nachweise von irgend welchem Erbauer und selbst im 16ten Jahr-
hundert fliessen die Quellen über diesen Gegenstand immer noch trübe
genug. Dass Doni und dessen Ausschreiber Bonanni sich irren, wenn
sie die Erfindung des Clavessin dem Nicolas Vicentini (1492), welcher
unter dem Papste Alexander VI. lebte, zuschreiben, unterliegt nach obi-
sren Nachweisen von dem früheren Vorhandensein der Ciavierinstrumente
keinem Zweifel; immerhin ist die Angabe von der Existenz dieses alten
Ciavierbauers mit Dank aufzunehmen, sofern es nicht eine Verwechse-
lung mit Don Nicolo VicenUno, geb. zu Rom 1513, ist, welcher als
einer der bedeutendsten Theoretiker und Componisten seiner Zeit durch
einen Tractat und durch seinen Streit mit Vincensio Lusitano über theo-
retische Grundsätze berühmt geworden ist). Sicher ist, dass dieser ein
Clavicymbalum mit 6 Claviaturen herstellte, um mit denselben alle dia-
tonischen, chromatischen und enharmonischen Töne ausdrücken zu kön-
nen. Dieses Clavicymbalum nannte er zum Unterschiede von den ge-
wöhnlichen Instrumenten dieser Gattung „Archicymbalum", das also mit
dem von Praetorius beschriebenen Universalclavicymbel eine grosse Aehn-
lichkeit gehabt haben muss**). Dass in den Anfangdes 16ten Jahrhun-
derts die Verbesserung jener Ciaviermonochorde, Clavichorde etc. fallen
muss, ist aus Viräung und Ägricola deutlich zu ersehen, da diese
*) Es heisst dort:
Noch Cymbel mit Geclange
Noch Harffe edir svegil
Noch schachbret monoeordium
Noch stegereyff noch begil
Noch rotte clavicordium
Noch medicinale
Noch portatiff psalterium
Noch figel samm canale
Noch lüte clavicymbolum etc. etc.
**) Im fünften Buche des Werkes von Nicola Vicentino Blatt 100 bis 146, S, 2, ist
die Beschreibung seines „Archicimbalo" zu finden.
75
Schriftsteller noch Zeichnungen von Instrumenten aus ihrer Zeit liefern»
deren Unvollkommenheiten ja klar erkennbar sind. Demselben folgte zu
Anfang des 16ten Jahrhunderts Lorcnzo GusnascJd von Pavia, dessen
ausgezeichnete Geschicklichkeit im Verfertigen von Clavichordien von
seinen Zeitgenossen so anerkannt wurde, dass ihm dieselben in Mantua
ein Grabmal errichteten. Noch wichtiger ist die Nachricht von dem
Canonicus Paul BelisoniKS von Pavia, dessen väterlicher Oheim,
der Canonicus Äfranio von Ferrara, der Erfinder des Fagotts ist. Von
diesem Paul Pelisonius wird erzählt, dass er nicht bloss die Laute
vortrefflich zu behandeln und die Orgelpfeifen ausgezeichnet einzurich-
ten verstanden habe, sondern dass auch seine Bekielung der Clavicym-
beln mit Geier- oder Eabenfedern unnachahmlich gewesen sei. Er habe
die Ordnung der Saiten beim Clavicymbel zur wahren Harmonie ge-
führt und öfter die Engel als Zeugen dieser Herrlichkeit herbeige-
wünscht.
Da im 17ten und ISten Jahrhundert die Verfertigung derClavicym-
beln ausschliesslich in den Händen der Orgelbauer lag, so ist wohl der
Rückschluss zu machen, dass auch in früherer Zeit der Ciavierbau von
Orgelbauern mit besorgt worden sei. Das kurz vorher erwähnte Zeug-
niss über Paul Belisonius lässt ebenfalls den Clavicymbelbau in Verbin-
dung mit dem Orgelbau erscheinen, und so dürfen wir wohl mit Recht
annehmen, dass überhaupt seit Erfindung der Ciaviermonochorde diesel-
ben meistentheils unter der Hand der Orgelbauer entstanden sein werden.
Von der Beschaffenheit der Tastatur haben wir vor dem 14ten Jahrhun-
dert so unvollkommene Nachrichten, dass sich eben nur annehmen lässt,
es sei die Tastatur der Ciaviermonochorde von keiner bessern Einrich-
tung gewesen, als diejenige der Orgeltastatur, deren Unvollkommenhei-
ten und Behandlung mit den Fäusten zu den Zeiten des Orgelbauers
Nicolaus Faher 1359 uns Praetoriiis genugsam beschrieben hat. Dieser
Schriftsteller erwähnte aber auch die schnell entstandenen Verbesserun-
gen der Claviatur, welche die Orgelbauer des löten Jahrhunderts wie
Heinrich Traxdorff, Kreis, Mülner , Cranis, Andreas Jesuita,
Burchliard, Gregoritts Kleng u. s. w. schon vorfanden und den Or-
gelbauern des 16ten Jahrhunderts, z. B. Hirschfeld, Buclior , Julius
Antonius, Conqyenius, Maass, David und Esaias Beclce, Glo-
vatz etc., überlieferten. Im 17ten Jahrhundert finden wir den 1578 zu
76
Neapel geborenen gelehrten Instrumentenbauer Fdbio Colonna mit
seinem Ciavierinstrument Sambuca Lincea oder Instrumentum perfe-
ctum, worüber er 1618 in Quart einen aus drei Büchern bestehenden
Tractat erscheinen liess. Herrn Hans Hmjdn, den geschickten Re-
clamemacher, haben wir bei seinem 1610 zu Nürnberg aufgestellten Gei-
genwerke schon kennen gelernt, und endlich ist es Francisco Nigetii,
der berühmte Florentiner, dessen Cembalo onnicordo, genannt Proteus,
um 1650 die Musiker in Erstaunen setzte und vom Maffei mit lobprei-
senden Worten beschrieben wird. Im Anfange des ISten Jahrhunderts
frischte der Organist zu lUmenau Johann Georg Gleichmann die von
Hans Hayän gemachten Erfindungen der Geigenwerke wieder auf, und
Mattheson lässt in seiner Critica musica 1722 einen Correspondenten
hierüber Folgendes sprechen: „Unser Organist Johann Georg Gleich-
mann hat ein ganz neues musikalisches Werk erfunden, so eine Clayier-
Gamba genennet wird, weil es in einem vollkommenen Ciavier bestehet, so
zu Jedermanns Verwunderung die ordentliche Viola di Gamba nicht nur
natürlich imitirt, als ob sie mit dem Bogen gestrichen würde, sondern
auch wegen seiner unglaublichen Niedlichkeit, beweglichen Intonation,
indem es augenblickhch und ohne einige Veränderung des Instrumentes
Forte und Piano,jnithin überaus galant tractiret werden kann von män-
nighch, insonderheit aber von Musikverständigen hochgeschätzet werden
muss. So kann man auch bei ihm haben ein Lauten-Clavier, welches
ebenfalls Forte, Piano, und Pianissimo gespielet werden mag. Sollte eins
oder anders von diesen Instrumenten verlangt werden, so ist der Inven-
tor des Erbietens, sowohl die Art solche zu tractiren, als auch deren Un-
' terhaltung (wozu sogar ein Frauenzimmer, welches ein Ciavier spielet,
capable) ganz getreulich zu zeigen und darüber Unterricht zu ertheilen."
Ohne uns hier noch einmal bei der Construction aufzuhalten, die
Äälung weitläufig beschreibt, bemerken wir, dass die Arbeit Gleichnann's
in Michael Pachelbel zu Nürnberg und Hohlefeld, welcher den von Un-
gar erfundenen Ciaviertelegraphen, d. h. eine Maschine zum augenblick-
lichen Notiren der freien Fantasien auf dem Claviere während ihres Vor-
trags, praktisch ausführte, eifrige Nachahmer fand. Als nicht weniger
strebsame Männer in diesem Fache führt die Geschichte die Franzosen
Cidsimer und Le Voirs 1741, sowie den später lebenden Gai zu Paris
an, femer erwähnt sie den Mailänder Tacani, den Königsberger Ga-
77
brecht, Greiner in Wetzlar, Hühner aus Narva und Andere, deren
Verbesserungen doch keine grössere Verbreitung gewannen. Ebenso
hatten die Flöten-, Trompeten- und Pauken -Flügel des Engländers
PichelbecJc 1724, der Theorbenflügel Fleischer' s in Hamburg 1718,
der elektrische Mutationsflügel genannt „Denisdor" des Mährischen Pre-
digers Procohus Diwiss wenig und gar keinen Einfluss auf die Ent-
wickelung der Kunst, hingegen der Orgelbauer Johann Christoph
Wiegleb oder TF/We/' aus Anspach in der Mitte des 18. Jahrhunderts
die kurz nach seiner Zeit vielfach ausgebeutete Erfindung machte, an-
statt der Rabenkiele in den Docken kleine Maschinen von Messing anzu-
bringen, welche sowohl einen kräftigeren Anschlag an die Saiten und mithin
einen helleren Klang derselben beförderten, als auch selbst eine grössere
Dauerhaftigkeit besassen, als die Rabenkielen, und das beschwerliche Be-
kielen überflüssig machten. Ein noch höheres Verdienst um die mit
Docken versehenen Flügel erwarb sich der zu Theux im Bisthum Lüt-
tich geborene, spätere Hofclaviermacher und Aufseher über die zur
Königl. Kapelle gehörigen Instrumente zu Paris und 1786 zum Ehren-
mitglied der Societe d'Emulation zu Lüttich gekrönte Instrumenten-
bauer Paschal TasJcin, welcher im Jahre 1768 sein sogenanntes „Jeu
de Büffle", an dem gewöhnlichen Dockenflügel anbrachte. Dasselbe
bestand in einer Reihe Docken, welche die Saiten nicht mit Federkielen,
sondern vermittelst eines Stückchens Büffelhaut zu Klange brachten, wo-
durch der Bass nach der Versicherung Abt Vogler's eine nie gehörte
contrabassmässige Pracht gewann. Nach dieser Erfindung nannte Tashin
die in jener Art verfertigten Instrumente: „Clavecins en peau deBuffie"*).
(9er5ey versichert, dass „das erste dieser Art Instrumente, so er im J. 1768 ,
*) De la Borde „Essai sur la musique" schreibt Seite 346: „Nous croyons faire plaisir
au Public en rapportant ici une lettre de M. Trouflaut, Chanoine de l'Eglise de Nevers,
sur les Clavecins en peau de büffle, inventes par M. Paschal. M. Trouflaut est un tres-
grand Musicien, organiste de son Eglise et Tun des plus habiles Theoriciens de ce
si^cle. La lettre est adressee a Messieurs les Auteurs du Journal de Musique et a ete
inseree au no. 5 de l'annee 1773 de ce Journal." In diesem Briefe, datirt vom 20.
December 1773, wird von den Vorzügen dieses Instrumentes gesprochen und unter
Anderm gesagt, dass das erste Instrument dieser Gattung schon im Jahre 1768 für
M. Hubert gemacht worden sei. Zum Lobe desselben sagt der Beurthciler: ,.j'ose ajou-
ter avec confiance, que le Clavecin a buffles est tres superieur aux Piano-Forte." Die
Pianoforte's wurden damals vom Auslande bezogen, Meshalb dieses Urtheil im Munde
eines Franzosen ganz natürlich erscheint.
78
verfertigt hatte, noch im Jahre 1773 ohne einige Nachhülfe unter dieser
Zeit, die nämliche Wirkung that, als da , wo es aus seinen Händen kam,
obgleich es diese fünf Jahre hindurch nichts weniger als müssig gestan-
den hatte." Der sehr erfahrene Theoretiker und Canonicus der Kirche
zu Nevers rückte im Jahre 1773 in das Journal de Musique einen Brief
an die Verfasser desselben mit der Aufschrift: „Sur les Clavecins en peau de
buifle, invent^s par M, Paschal", welcher auch, wie bereits Gerher erwähnt,
im ersten Bande des Essai sur la musique von La Borde abgedruckt ist.
Die sonst bekannten französischen Instrumentenbauer seit dem
1 7 ten Jahrhundert, z.B. Anton Potin, Emery, Jean Jacquart, Le Breton,
Jean Dengs, Marius, kamen ebensowenig auf eine Hammermechanik
in unserem Sinne, als der in Paris lebende HopJcinson, dessen TJeberzie-
hung der Docken mit Ochsenleder (1788) die Instrumentenbauer Oester-
lin in Berlin und Schmal und S2)ät in Regensburg bei Verfertigung ihrer
sogenannten Tangentenflügel nachahmten.
Der wichtigste Instrumentenbauer in der ersten Hälfte des ISten
Jahrhunderts ist Gottfried Silbermann, geboren 1683 zu Ifleinbo-
britzsch bei Frauenstein im Bezirk Meissen, Sohn des Michel Silbermann,
eines Zimmermanns zu Grafenstein in Sachsen und Bruder des sosre-
nannten „Strassburger" Andreas Silbermann, geb. 1678, welch letzterer
1703 zu Strassburg eine Werkstatt für Orgel- und Ciavierfabrikation
errichtete. Im Gegensatz zu Welcher, welcher ohne jeden historischen
Beleg den jüngsten Sohn des Andreas Silbermann, nämlich Johann
Heinrich Silbermann, Seite 159 und 172, als Erfinder des Cembal
d'Amour angiebt, können wir beweisend anführen, dass' Gottfried Silber-
mann der wirkliche Erfinder dieses Instrumentes ist, von welchem schon
Mattheson in seiner Critica Musica Notiz genommen und am Ende des
zweiten Theiles in einer Correspondenz aus Dresden Folgendes mitge-
theilt hat : „In den Breslauer Sammlungen im Sommer-Quartal 1 724 Mo-
nats Junii der V. Classe, im 2ten Artikel ist eine Beschreibung des von
dem Herrn Silbermann erfundenen und verfertigten Cembals d'Amour»
nebst einem Risse und dem Attestat von hiesigen Musicis, item dem
Königlichen Privilegio, so der Herr geheime Secretär König gedachtem
Herrn Silbermann, samt dem Charakter eines Hof- und Land-Orgel-
bauers, allhier procuriret, zu finden p. 697 et seq. Allein die Beschrei-
bung will noch nichts sagen, weil nicht gemeldet worden, worinnen
79
eigentlich seine Vorzüge vor andern Instrumenten und die grosse Kunst
des Verfertigers bestehet: welches ruhmgemeldeter Herr Secretär König
bei müssiger Zeit einmal ausführlich aufsetzen und eine Parallele zwi-
schen dem Florentinischen und dem Freibergischen machen will."
Unter dem Florentinischen ist das Hammercymbal des Christofali
gemeint, auf welches wir im nächsten Abschnitte zu sprechen kommen.
Gegenwärtig bemerken wir nur, dass der von Mattheson erwähnte Riss
nicht in jene Breslauer Sammlungen geliefert worden sein kann, weil ihn
Johann Lorens Albrecht, der Herausgeber von ^<7/?w/5 Musica mecha-
nica, nicht in denselben vorfand. Letztgenanntem verdanken wir eine
genauere Beschreibung des Instrumentes, nachdem Adlimg in seiner
Anleitung zur musikalischen Gelahrtheit Seite 564 einiges Wenige über
dasselbe berichtet hatte. „Es gehöret das Cembal d'Amour nicht zu der
Gattung der Clavicymbel, sondern zu der Gattung der Clavichorde. Die
Saiten sind doppelt so lang als die auf ordentlichen Clavichorden. An-
statt dass der Tangent auf den Clavichorden die Saite nicht weit vom
Ende linker Hand berühret, so berühret er hier die Saite in der Mitte.
Und diese Berührung muss auch, um reiner und richtiger Stimmung
willen, ganz genau in der Mitte der Saite geschehen. Uebrigens sind
die Tangenten auf den Tasten und die Tasten selbst ebenso gestaltet wie
die in den Clavichordien. Jede Saite giebt also hier auf beiden Seiten
den Klang. Um diesen zu erhalten, folgt ganz natürlich, dass das Griff-
bret nicht wie bei den Clavichorden auf der Seite linker Hand, sondern
fast in der Mitte, doch, um der hohen Saiten willen, etwas mehr nach der
rechten Hand zu liegen müsse. Ferner müssen, wie eben hieraus auch
folgt, auf beiden Selten Decken oder Resonanzböden und Stege sein.
Doch ist die Decke rechter Hand kleiner und auch von einer anderen
Form, als die auf der linken Hand."
„Anstatt dass auf den ordentlichen Clavichorden die Saiten durch ein
zwischen denselben durchgeflochtenes und also festsitzendes langes aber
schmales Stück Tuch gedämpft werden: so liegen hier die Saiten zu
beiden Seiten des Tangenten nur auf zwei Stückchen Tuchs auf, welche
auf besonders dazu angebrachten Stöckchen, nicht aber an den Saiten
festgemacht sind. In diesen Stöckchen bewegen sich die Tasten in einem
Einschnitte, wie auf den Clavichorden. Wenn nun also ein^ Tast' ange-
schlagen wird, so hebt er die Saite etwas in die Höhe, die folglich, weil
80
sie alsdann ganz frei ist, einen stärkeren, und so viel nämlich einer sol*
chen Saite möglich ist, länger anhaltenden Klang von sich giebt, als eine
Clavichordsaite, und alsdann erst wieder gedämpft wird, wenn sie, nach
AufJiebung des Fingers vom Tasten, wieder auf das Tuch zurückfällt."
„Weil die Saiten viel länger sind, als die auf den Clavichorden und
^n der Mitte angeschlagen werden, folglich auf beiden Seiten frei sind,
so können sie viel mehr als auf dem Clavichorde durch eine sanfte Be-
wegung des Tasts, bebend gemacht werden. Doch kann hierbei durch
allzu starkes Niederdrücken die Saite «"ar zu hoch erklino;en. Und eben
dies ist die grösste, noch nicht gehobene Unbequemlichkeit dieses Instru-
ments. Uebrigens sind die Saiten, wie auf den Clavichorden, rechter
Hand durch Wirbel aufgezogen und linker Hand vermittelst kleiner Oesen
an kleinen Stiftchen befestigt. Dass der Platz unter den Tasten, sowie
auf den Clavichorden, leer sein muss, wird man von sich selbst be-
greifen."
„Alles dieses wird man sich noch leichter und deutlicher vorstellen
können, wenn man den Figur I befindlichen Abriss dieses Cembals
d'Amour, im Ganzen und die bei Figur II befindliche Abzeichnung eines
besonderen Theiles desselben, betrachtet.
Figur I.
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aa ist das Griffbret oder das Ciavier. »
b ist eine einzelne Taste und zwar eine der tieferen.
c d sind die beiden Decken oder Resonanzboden.
e f sind die zwei Stege, auf denen die Saiten ruhen.
g die Stifte, an welchen die Saiten angehängt sind.
h die Wirbel.
i i i ist die tiefste Saite.
k eine der hohen Saiten.
1 1 die Reihe der oben mit Tuch bekleideten Klötzchen, auf welchen
81
die Saiten aufliegen, und in deren jedem die dazu gehörige Taste sich
endigt, und, wie bei dem Clavichorde, vermittelst eines aus ihm am Ende
hervorragenden, hölzernen oder fischbeinernen schmalen Stiftchen in
einem Einschnitte sich auf und nieder bewegen kann.
p ist das Kästchen am Ende des Griffbrets zur linken Hand, so wie
bei den Clavichorden.
Figur II.
m
„Bei Figur II ist eins von den bei 1 1 in der Reihe angedeuteten
Klötzchen einzeln und grösser dargestellt, m ist das Klötzchen selbst
n der messingene auf der Taste stehende* Tangent. o o sind zwei aufge-
zogene Saiten. Diese Klötzchen sind, wie schon bemerkt, oben mit Tuch
bekleidet. Man sieht also hieraus, dass die Vorzüge des Cembals d'Amour
vor dem Clavichorde eigentlich' darin bestehen, dass es 1) einen stärkeren
Laut hat als das Clavichord, ob es gleich nicht so stark als ein Clavi-
cymbel klingen kann, sondern zwischen beiden gleichsam das Mittel hält.
2) hält es den Ton länger aus, folglich kann noch singender darauf ge-
spielt werden, als auf einem Clavichord. 3) hat es auch in Rücksicht
auf die durch den Anschlag der Tasten hervorzubringenden verschiedenen
Grade von Stärke oder Schwäche des Tons vor dem Clavichord noch
etwas voraus, worin es jedoch einem Pianoforte noch sehr nachsteht.
Man muss aber jedes Ding nach seiner Art beurtheilen."
Zu dieser Beschreibung fügt Joh. Lorenz Alhreclit noch hinzu, dass
der Instrumentenbauer Hälmel in Meissen einmal ein solches Cembal
d'Amour verfertigt habe, auf welchem er dadurch, dass er neben jeden
Tangenten auf beiden Seiten zwei messingene starke Stifte einsetzte, die
man nach Belieben an- und abschieben konnte, den Klang der soge-
nannten Cölestin- oder Pantalonclavichorde, und zwar in viel grösserer
Stärke, hervorzubringen im Stande gewesen sei. Derselbe Ilälinel hatte
auch eine mit Tuch bezogene lange Leiste angebracht, welche man nach
Belieben über dem einen oder dem andern Sangboden auf die Saiten
legen und dadurch die Hälfte der Saiten dämpfen konnte, so dass der
6
82
Klang einem ordentlichen Clavichorde ähnlich wurde. Als Verfertiger
solcher Cembals d'Amour nennt Adlung in seiner Anleitung zur musika-
lischen Gelahrtheit noch Oppelmann und Hasse in Hamburg.
Ursprung nnd Einführung- der Hammermechanik.
Gleichwie das Hackebret zur Erfindung der Ciaviermonochorde und
Clavichorde Veranlassung gab, finden wir auch noch während des aus-
gebreitetsten Gebrauchs der ausgebildeteren Ciavierinstrumente mit
Dockenanschlag wiederum jenes merkwürdige Instrument zu Anfang des
ISten Jahrhunderts als Mutter der Hammermechanik vor. Pantaleon
Hebenstreit aus Eisleben, welcher zuletzt als Kammermusikus in
Dresden lebte, soll dem alten, nicht über 4 Fuss langen und kaum 2 Fuss
breiten Hackebret, dessen Kasten bekanntlich die Form eines Parallelo-
gramms oder Parallel trapezes hatte, schon in seiner Jugend sehr zuge-
than und bestrebt gewesen sein, dasselbe zu verbessern. Neben seiner
ausgezeichneten Fertigkeit auf der Violine erlangte er bald eine bewun-
dernswerthe Virtuosität auf dem Hackebrete und verbesserte dieses in
Misscredit gerathene Instrument insofern, als er es viermal vergrösserte,
auf beiden Seiten Resonanzböden anbrachte, von denen der eine mit
Drath- der andere mit Darmsaiten bezogen war, und endlich den Saiten-
bezug der Stimmung nach ähnlich wie bei den damaligen Ciavierinstru-
menten einrichtete, so dass ihm alle Dur- und Molltonarten zu Gebote
standen. Die Behandlung war sonst ganz dieselbe, wie bei dem Hacke-
bret, welches bekanntlich jetzt noch von den Zigeunern aus freier Hand
mit Klöppeln tractirt wird. Nach Gerber hatte er schon bei seinem
Aufenthalte als Tanzmeister zu Leipzig im Jahre 1697 auf diesem In-
strumente eine solche Virtuosität erlangt, dass der ihn hörende Graf
Logi ausgerufen haben soll: „Ei, was ist das? Ich bin in Italien ge-
wesen, habe alles, was die Musica Schönes hat, gehöret; aber dergleichen
ist mir noch nicht zu Ohren kommen!" Im Jahre 1705 reiste Heben-
streit nach Paris, Avosclbst er vor König Ludwig XIV. spielte und bei
diesem solche Gnade fand, dass derselbe seinem Instrumente nach des
83
Künstlers Taufnamen die Benennung Pantaleon beilegte. Nach
Deutschland zurückgekehrt, stellte man ihn 1706 als Kapelldirector und
Hoftanzmeister am Hüte zu Eisen ach an*), wo er im Jahre 1708 mit
dem ebendahin berufenen Concertmeister Telemann eine kurze Zeit
zusammenwirkte. Dieser bemerkt überdies in seiner Lebensbeschreibung
in 3Iatfhcso)is Ehrenpforte S. 361 den gewaltigen Ton, welchen Hehen-
strcit der Violine entlocken konnte. An den königlichen Hof im Jahre
1708 nach Dresden berufen, bezog er als Kanunermusikus daselbst einen
Gehalt von 2000 Thalern und bildete auf dem Pantaleon mehrere
Schüler aus, von denen Gerler Binder und Gitnipenhuher als die
vorzüglichsten namhaft macht. Interessant erscheint uns in Mattliesons
Critica Musica die Stelle eines Briefes vom Leipziger Cantor Johann
Kulinau datirt vom 8. December 1717, aus welchem auch hervorgeht,
dass zu dieser Zeit Hebenstreit bereits in den Ruhestand versetzt war und
eine Pension von 1 200 Thalern bezog. Kühnem, dessen Brief in einigen
Punkten von Gerber als Quelle benutzt wurde, sagt hier unter Ande-
rem, dass er häufig beim Spielen in verschiedenen Tonarten die eine oder
andere Saite zu corrigiren fände. Aber er erzählt auch von der Schön-
heit dieses Instrumentes und behauptet, dass eine angeschlagene Bass-
saite wie ein auf einer Orgel gehaltener Clavis ertöne, und es Hessen sich
„da viele Passaggien und Resolutiones der Dissonantien mit grösster Wol-
lust des Gemüths absolviren, ehe der Ivlang gänzlich verschwände". Der
moderne Älusiker würde sagen, dass eine Bass-Saite eine so lange Dauer
des Klanges besitze, um sie als Orgelpunkt für verschiedene über dem-
selben aufgebaute Accordpassagen zu benutzen**). „Wenn man aber",
*) Telemann sagt in Mattheson's Ehrenpforte S. 361: „Die Absicht war in Eise-
nach anfangs nur auf eine Instrumental-Musik gerichtet, deren Glieder der nie genug
zu rühmende H. Pantaleon Hebenstreit zusammen suchte und welchem ich als
Concertmeister vorgesetzet ward, mithin bei der Tafel und in der Kammer die Violine
und das übrige zu spielen hatte ; da jener den Namen eines Directoris führte, in der
letzten aber auch mitgeigete und auf seinem be^vlmderungswürdigcn Cymbal sich
hören Hess."
**) Von dem Instrumente Pantaleon Hebenstreit's erzählt der Tourist Keysler in
seinen Reisen durch Deutschland Seite 1324:
„Dergleichen anitzo noch eines nämlich in Wien zu hören ist, weil der Kaiser
jemanden nach Dresden geschickt, um auf solchem Instrumente spielen zu lernen.
Dieses Werk liegt hohl, dergestalt, dass man es ohne Mühe umwenden und auf beiden
Seiten mit zwei kleinen Hölzern, als auf einem doppelten Hackbretc spielen kann. Seine
Länge ist von 13'/o und die Breite von S'/a Spanne, der Boden ist hohl und auf der
6*
84
fährt Knlmaii fort, „in Accorclen harpeggiret, welches hier, weil das In-
strument von grosser Etendue ist, (meines fängt sich vom IGfüssigen E
an, continuiret im Genere diatonico bis ins Sfüssige G, von welchem sich
die Chromatischen zugleich mit anfangen und gehet oben bis ins dreige-
strichene e) auf das Vollstimmigste geschehen kann, so gehet das lieb-
liche Sausen der Harmonie, und da auch, wenn man aufhöret, der Klang
noch immer wie von Weitem nach und nach abnimmt, bis ins Leben
hinein. Nur ist es Schade, dass 1) dieses Instrument ein sehr langes
Corpus haben will, wenn der Zug der Saiten, sonderlich derer aus Där-
men, jedem Chor gemäss sein soll, 2) die unterste Verstegung noch
nicht so richtig ausgefunden, dass sich nicht einiger Defect in der Ega-
lite der Chöre hervorthue, 3) Herculische Arbeit erfordert, daher auch
wenig Studenten hat, und wenn sich auch manche dazu einfinden, so tre-
ten sie doch bald wieder auf die Hinterfüsse, wenn ihnen so viel Steine
des Anstosses in den Weg kommen, sonderlich, da sie sich den Lohn
für so grosse Arbeit, oder die jährliche Pension von 1200 Thalern wie
Monsieur Pantalon hat, nicht versprechen können. Ungeachtet sich die-
ser excellente Meister des Jahres etwa einmal vor dem Könige hören
lässt, verdienet doch seine Virtü und unverdrossene Mühe, die er voii
Jugend auf bis hierher darauf gewendet (es hat mir Monsieur Woul-
myer referiret, dass er einstmals ein viertel Jahr ohngefähr bei ihm in
Berlin gewesen und ausser der Tag- Zeit auch die meisten Nächte mit
dem Exercitio dieses Instrumentes zugebracht) dieses und noch ein meh-
rers. Dieses Instrument hat auch diese Praerogatio und Eigenschaft vor
den Ciavieren, dass man es mit Force und wieder piano, als worinnen ein
grosses Momentum dulcedinis et gratiae musicae bestehet, tractiren kann.
Der sonderlichen Variation zu geschweigen, da die Tangenten oder Schlä-
gel bald bloss, bald mit Baum-Wolle oder was anders umwunden gebraucht
werden." Nachdem Kuhnau die bereits berührte Geschichte mit dem
einen Seite mit keinen anderen, als übersponnenen Geigensaiten, auf der anderen oben
in der Höhe der Töne mit stählernen Saiten bezogen. Es kostet jährlich bei hundert
Thaler zu unterhalten, weil es aus 185 Saiten besteht. (Hebenstreit bekam für den
Bezug- jährlich zweihundert Thalcr.) Sein Klang ist überaus stark und füllet solcher den
grössten Saal."
Gottfried SiUiermann machte hinter dem Rücken Hehenstreit's die Instrumente nach,
worüber dieser sehr ungehalten war und bei Hofe Beschwerde führte. Man berücksich-
tigte dieselbe und verbot die Nachahmung. Ilehenstreit starb G6 Jahre alt halb blind.
85
Cirafen Logi erwähnt hat, überHelert er uns von der t'üUe des Khinges
noch eine interessante Thatsache, deren Verständniss uns durch die Theorien
des Akustikers Hchnholts über die musikalische Klangfarbe erschlossen wor-
den ist. Er berichtet nämlich, dass beim Anschlag einer Saite zugleich die
Partialtöne bis zum Gten gehört würden, und dass Von diesen wiederum der
3te, also die Duodecime, am stärksten hervorträte*). /iri^^Z/y/f^^f findet es merk-
würdig, dass die Octave des Grundtones nicht stärker erklinge als die
Duodecime; er erklärt sich aber diese Erscheinung dadurch, dass er an-
nimmt, es verschwinde die Octave zugleich in der Gewalt des Grund-
tones. Doch giebt er zu, dass der Klang durch die heller hervortretende
Duodecime etwas Schärferes erhalte. Wer unsere akustischen Zusam-
menstellungen gelesen hat, wird durch die Ilelmholtz'schen Erörterungen
vollständig über diese Materie zur Klarheit gekommen sein. Wir halten
dieses noch nirgends beachtete historische Zeugniss für ausserordentlich
wichtig, weil es deutlich beweist, wie man schon in früherer Zeit die
Ursachen verschiedener Klangwirkung zu ergründen und darnach die
Verbesserungen im Instrumentenbau zu erlangen suchte. Als ein Genie
in der Erfassung der Klangforbe ist der am 10. August 1699 zu Hohen-
stein im jetzigen Königreich Sachsen geborene Christoph Göttlich
Schröter zu bezeichnen, dessen neue Erfindung der Hammermechanik
zu manchen Erörterungen und Streitigkeiten Veranlassung gegeben hat.
Bevor wir auf dieselben genauer eingehen können , halten wir es zum
bessern Verständniss für noth wendig, den Gang seines Lebens in den
Hauptmomenten vorzuführen, da Schröter in der That als Vater der mo-
dernen Pianofortebaukunst anzusehen ist.
Den Anfang in der Musik, besonders im Singen, machte er früh-
zeitig bei seinem Vater, der ihn auch so weit brachte, dass er im sieben-
ten Jahre zu Dresden unter die Kapellknaben aufgenommen werden
konnte. Sein Gönner, der Kapellmeister Schmidt unterstützte zwar
den jungen talentvollen Knaben in seinem musikalischen Studium, doch
erlangte er hauptsächlich durch eigenen Fleiss die Kenntniss von den
Fundamentalsätzen der Tonkunst. Nach Verlauf von drei Jahren nö-
thigte ihn Krankheit, nach Bischofswerda zu gehen, wo ihn einer seiner
Pathen mit Hausmittel curirte. 1710 nach Dresden zurückwekehrt
*) Beim Anschlag von C erklangen also noch die Tiine c — g—c* — e' — </', von denen
g am stärksten hervortrat.
verschaffte ihm sein Gönner Kapellmeister Schmidt die Stelle eines
Rathsdiscantisten an der Kreuzkirche, wo er den jüngeren Qraim zum
Gesellschafter bekam. Während dieser Zeit fing er an, den Generalbass
zu Studiren, und zwar anfangs nach Dr. Treiher's \ 704 zu Arnstatt in
Folio herausgegebenem accuraten Organisten, bis im Jahre 1711 Heim-
cheiis kleine Abhandlung vom Generalbasse dazu kam. Das frühzeitige
Unterrichten und Ciavierstimmen führte ihn auf das Verfertigen von
Monochorden und auf Temperaturberechnungen. Die theoretischen Aus-
arbeitungen theilte er dem Kapellmeister Sclmiidt mit, der ihm auch
die componirten Fugen durchsah. 1717 wendete er sich auf Wunsch
seiner Mutter nach Dresden, um Theologie zu studiren, in welchem Jahre
er auch zur, Freude derselben eine Kirmesspredigt hielt. Nach ihrem
Tode ging er aber ganz zur Musik über und wurde durch die Fürsprache
Sclimiäfs bei Antonio Lotti, dem Operncomponisten des sächsischen
Hofes, Notist. Nach der Abreise Lotti' s von Dresden 1719 reiste
Schröter mit einem gewissen Baroi], welcher „ein starker Spieler auf
der Flöte und Laute war", als Secretär und musikalischer Gesellschafter
desselben durch Deutschland, Holland und England, wonach er in Jena
1724 an der Universität Collegien über musikalische Wissenschaft las
und dabei Mattheson's Orchester zu Grunde legte. 1726 kam er als
Orffanist nach Minden und vertauschte 1732 diesen an Berufsgeschäften
Überaus reichen Aufenthalt in gleicher Eigenschaft mit dem in der freien
Reichsstaflt Nordhausen. Von hier, wo er bis zu seinem Tode blieb
schrieb er in die kritischen Briefe über die Tonkunst: „Anbei ist nicht
zu verschweigen, dass ich hier jährlich kaum so viel Einkünfte habe, als
ich bei meinen Umständen zu Dresden, ferner auf Reisen, ingleichen zu
Jena und Minden jegliches Vierteljahr eingenommen. Folglich habe ich
hier in Nordhausen meinen ehemaligen Erwerb und nachher erhaltene
Erbschaften, binnen dreissig Jahren, leider! zusetzen müssen." Seine
ausgearbeitete Geschichte der Harmonie wurde bei der von den Fran-
zosen 1761 vollzogenen Plünderung Nordhausens mit zerstört, wogegen
seine anderen im Druck erschienenen zahlreichen Schriften dev Nachwelt
erhalten blieben und in Gerber'slLiexicon namhaft gemacht sind. Seinen
Orgelsch weller übergehend, wenden Avir uns zu der für unseren Zweck
so wichtigen Erfindung der Hammermechanik, welche von WelcJcer nur
kurz berührt und dennoch ganz falsch dargestellt worden ist. Weicker's
87
Darstellung bringt uns zu der Schlussfolgerung, tlass diesem der aller-
dings äusserst seltene SteBand von ilfar^wr^'^ kritischen' Briefen nicht zu
Gebote gestanden hat und dass er die Modelle Scliröter''s aus seinem Kopfe
ohne factische Unterlagen herstellen nuisste. Die ganze Begebenheit ist so
wichtig für die Geschichte des Instrumentenbaues, dass wir die Haupt-
sachen aus Schröter''s eigenen Schriften in jenen kritischen Briefen mit-
theilen und darnach zu Om^o/aZ^'^ Hammermechanik übergehen. In dem
139steii Briefe schreibt Schröter §. 3: „Mehr als zwanzig Städte und
Dörfer sind mir bekannt, in welchen statt der sonst gebräuchlichen Cla-
vicymbel seit 1721 solche Ciavierinstrumente mit Hämmern oder Sprin
gern gemacht worden, welche, wenn der Schlag auf die Saiten von oben
geschieht, von ihren Verfertigern und Käufern Pantalons genennet
worden. Wenn aber ein solches Instrument so eingerichtet ist, dass die
Saiten von unten angeschlagen werden, so nennen sie solches ein Piano-
forte. Fraget man endlich einen jeglichen solcher Instrumentenmacher,
wer solches eigentlich erfunden, so giebt fast jeglicher sich für den Er-
finder aus. Wer begreifet hier nicht das mehr als zwanzigfaltige Zeug-
niss von lauter Unwahrheiten? Möchten doch alle diese Nacherfinder
so in sich kehren, wie jener vor drei Jahren in P . . . verstorbene Instru-
mentenmacher, welcher 1742 folgende Worte an mich schrieb:
Mein werther Herr Schröter!
Ich war in voriger Ostermesse etliche Tage zu Leipzig und kaufte
mir allerhand nüthige Sachen, da hatte ich Gelegenheit, sein Send-
schreiben an den Herrn M. Mitzier durchzublättern, und ich fund
darinnen die Nachricht, dass er Ao. 1717 diejenigen Ciavierinstrumente
erfunden, welche mit Hämmern die Saiten klingend machen. Ich las
auch, dass der Herr auf diejenigen sehr böse ist, welche dergleichen In-
strumente gearbeitet haben, und bei solcher Verkaufung niemals gemel-
det haben, dass einer, mit Namen Schröter zu Dresden, dieselben erfun-
den hat. Ich gestehe dem Herrn, dass ich hierüber auf duppelte Art
sehr empfindlich geworden bin. Ich will in diesem schlechten Brief ver
suchen, ob ich den Herrn für meine Part mit folgender Nachricht wie-
der besänftigen kann, welches mir recht lieb sein soll. Mein ältester
Bruder war Ao. 1721 zu Dresden bei dem Herrn Grafen von Vitz-
thum in Diensten, der überschickte mir zwei Abrisse von solchen In-
strumenten mit Hämmern. Aber weil der Abriss mit dem Anschlage von
unten mir dunkel war, so gab ich meinem Bruder die Schuld, dass er
was dabei vergessen hätte, oder verkehrt gezeichnet hätte. Weil aber
der ihm unbekannte Erfinder weggezogen wäre, oder wohl gar gestorben
wäre, so wollte er mich damit beschenken, indem doch sonst niemand
davon was wüsste. Also hat der Herr hieraus meine Unschuld so weit
vernommen. Wenn ich wieder solche Instrumente verkaufe, so will ich
allezeit sagen, der Herr Organist zu Nordhausen mit Namen Schröter
hat zu Dresden es erfunden. Mehr wird der Herr von mir nicht verlan-
gen können.
Lebe der Herr wohl, dieses wünschet ihm
Sein
P . . . d. 3. Junius 1 742. aufrichtiger Diener,
Zu diesem Briefe macht nun Schröter die Anmerkung, dass vor-
stehender Brief allerdings etliche Erläuterungen verdienet hätte.
„Weil aber", fährt er fort, „die Folge dieser Abhandlung alles deut-
lich machen wird und ich nicht gewohnet bin, einerlei Sache auf einem
Blatte zu wiederholen: so erzähle ich nun zweitens die Veranlassung zu
meiner Erfindung. Schon 1715 hatte der damalige Capellmeister zu
Dresden Herr Schmied*), wie auch nachgehends der Herr Cantor
Grundig mir als einem Kreuzschüler unterschiedene Clavierscholaren,
lauter Kinder vom hohen Stande, nach und nach verschaffet, bei welchen
meine Unterrichtung zu Handsachen allezeit auf einem bundfreien Cla-
vichord geschehen musste. Wenn nun diese Scholaren sich getrauten,
ihre tactmässig und manierlich erlernten Ciavierstücke vor ihren Eltern
und andern hohen Anwesenden auf einem Clavicymbel hören zu lassen,
so klagten sie mir nach abgelegter Probe, dass ihr Spielen auf dem Clavi-
cymbel, nicht so gut als auf dem Clavichord ausgefallen wäre. Obgleich
von mir erwiedert wurde, dass sie vielleicht zu blöde gespielet hätten, so
musste ich doch die vorige Klage wieder anhören. Dieser widrige Vor-
fall befohl mir Gelegenheit zu suchen, die übergebnen Handsachen selbst
auf einem Clavicymbel insgeheim zu spielen, welches kurz vorher von
dem damaligen Hof-Orgelbauer, Herrn Graebner verfertiget worden
*) Adam Hille.r schreibt Schmidt.
89
Allein was begegnete meinem sonst ruhigen Gemüthe! Bald wäre mir
alle Lust zur Spielinformation vergangen. Denn ich hörte nicht nur,
sondern fühlte auch selbst die Unmöglichkeit des manierlichen Spielens
auf einem Clavicymbel. Mein Glück hiebei war , dass ich Tages darauf
Gelegenheit bekam, diesen verdricsslichen Vorfall dem Herrn Kapell-
meister Schmieden, welcher meine singmässige und manierliche Spiel-
art läng-st kannte, umständlich zu erzählen. Er lächelte nach seiner leut-
seligen Art darüber und sagte: „Ich habe diesen Vorfall schon vermu-
thet. Kehre er sich an nichts. Gut gnug, dass nicht nur ich, sondern
auch die Eltern seiner Scholaren mit ihm zufrieden sind." Anbei wies
er mir ein Nürnbergisch Geigenwerk an, welches ich vorher niemals ge-
sehen noch gehöret. Dieses gefiel mir aus leicht zu erachtenden Ur-
sachen freilich etwas besser als das Clavicymbel; dass Ich aber im Spie-
len auch zugleich als ein Leinweber mit beiden Füssen arbeiten sollte,
dies stund mir gar nicht an, und wie ich nachgehends erfahi'en, noch
vielweniger andern Spielern männlichen und weiblichen Geschlechts.
§. 5. Nicht lange hierauf bekam ich die längst erwünschte Gele-
genheit, den weltberühmten Virtuosen, Herrn Pantaleon Heben st reit,
auf seinem erfundenen Instrumente zu hören, welches mit Darmsalten
bezogen ist und mit Klöppeln, wie ein Hackebret gespielet wird. Da ich
nun hierbei sehr wohl bemerkte, dass vermittelst der unterschiedenen
starken und schwachen Schläge auf die Saiten auch derselben Ertönung;
in unterschiedenen Graden der Stärke und Schwäche entstünde, so hielt
ich für gewiss, es müsse mir möglich sein, ein solches Ciavierinstrument
zu erfinden, auf welchem man nach Belleben stark oder schwach spielen
könne. So leicht aber dieser Vorsatz genommen war: desto schwerer
wurde mir desselben BewerkstelHgung, weil ich nämlich noch niemals
etwas geschnitzelt, gesäget, gehobelt oder gedrechselt hatte. Andern
Instrumentbauern mein Vorhaben zu entdecken, trug Ich billig Beden-
ken. Endlich fiel mir bei, dass nicht weit von meiner Wohnung mein
Vetter als ein Tischlergesell in Arbeit war; denselben beredete ich, dass
er mit Genehmhaltung seines Meisters in müssiger Zeit mir aller-
hand bcnöthIo;te Kleinlo-kelten verfertIo;te. Durch diese Bewilligfuno; er-
hielt ich endlich nach mancherlei Versuchen auf einem schmal-langen
Kästchen ein gedoppeltes Modell, welches überhaupt vier Schuh lang
und sechs Zoll breit war. Anbei hatte es sowohl hinten als vorne drei
90
Tasten. In einer Gegend geschah der Schlag an die Saiten von unten,
in der andern aber von oben. Beide Arten waren so leicht als ein ge-
wöhnliches Clavichord zu spielen. Auf jeglichem Modell konnte man
starke oder schwache Ertönungen in unterschiedenen Graden hervor-
bringen.
§. 6. Es fehlte also meiner Erfindung weiter nichts, als derselben
o-änzliche Ausarbeitung im Grossen, wozu aber mein Vermögen nicht
hinlänglich war, welches öffentlich zu sagen kein redlicher Mann sich
schämen darf
§. 7. Bei solchen Umständen sähe ich mich endlich genöthiget, mein
Modell auf das königliche Schloss zu Dresden tragen zu lassen, welches
auch 1721 am 11. Februarii, früh zwischen 8 und 9 Uhr glücklich ge-
schähe*).
§. 8. Als ich in dem Königl. grossen Vorzimmer etliche Minuten
mich aufo-ehalten, so traten Ihro Königl. Majestät Höchstseel. Andenkens,
in Beoleituno- des Grafen von Vitzthum und etlicher Kammerherren
aus Dero Cabinette. Sie nahmen allergnädigst mein Modell in die
Hände, versuchten beide Arten und fragten mich: Ob ich ein Landes-
kind sei? ingleichen: Wodurch ich zu dieser P]rfindung veranlasst wor-
den? welche beide Fragen ich unerschrocken beantwortete. Hierauf er-
theilten Ihro Majestät Befehl, dass mein Modell dableiben und mehrge-
dachter Herr Capellraeister Schmied gegen 10 Uhr bei Hofe erscheinen
sollte. Als nun dieser meine Erfindung billigte, so eröffneten Ihro Königl.
Majestät den allergnädigsten Entschluss, künftig Verfügung zu treffen,
*) Hierzu macht Schröter die Anmerkung: „Sollte mancher Leser hierbei sich
wnndern dass ich nach so langer Zeit von dieser Begebenheit nicht nur das Jahr, son-
dern auch den Tag und die Stunde noch anzugeben weiss, dem eröffne ich hiermit,
dass ich auf Anrathen meines seel. Vaters mich von Jugend an gewöhnet, alle meine
vero-nüften und missvergnügten Zufälle richtig aufzuschreiben. Diese Sammlung war
1750 schon so stark angewachsen, dass der dazu erwählte auswärtige Verleger als mein
Verwandter mich mündlich versicherte, es würde solcher, in seiner Gegenwart versiegel-
ter Vorrath schon zwei Octavbände ausmachen; der vielen Zusätze zu geschweigen,
welche seit selbiger Zeit jährlich nachgeschicket worden. Wie nun alles veranstaltet ist,
dass solcher vollständiger Lebenslauf bald nach meinem Absterben ausgegeben wird:
also versichere ich, dass mancher Freimd und Feind der holden Musik hohen und
niedrigen Standes seine unvermutheten Anecdoten darinnen finden wird. Nun wieder
zur Hauptsache!'' Schröters Lebenslauf ist von ihm selbst geschrieben niemals erschie-
nen; sein Biograph wm-de, wie bereits bemerkt, Adain Hiller. Doch ist dessen
Biographie kein höherer Werth beizumessen. ^
öl
dass von dem Modell diejenige Art, bei welcher der Anschlag an die
Saiten von unten geschiehet, von einem geschickten Instrumentenbauer
unter meiner Aufsicht vollkonunen und zierlich ausgearbeitet werden
sollte. Wer war froher als ich?
§. 9. Durch Vermiltelung des vorgenannten Herrn Capellm. Schmied's
bekam ich in folgender AVoche die Erlaubniss, Mittags bei königl. Tafel
auf einem Clavichord sowohl als auf einem Clavicymbel mich hören zu
lassen. Hiezu erwählte ich aus meinen vorräthigen Ciaviersachen
1) ein Concert und 2) eine Suite von eigener Arbeit. Jegliches dieser
Stücke spielte ich wechselsweise auf dem Clavicymbel und Clavichord,
nämlich auf königlichen Befehl. Zuletzt musste ich noch länger als eine
Viertelstunde auf dem Clavichord aus freiem Geiste spielen und fantai-
siren. Ich übergehe jetzt aus angeborener Bescheidenheit die hierauf
unverdient erhaltenen Gnadenbezeigungen und erwähne nur noch, dass
in des Königs Capelle damals schon viel Clavieristen stunden: weswegen
Ihro Majestät allergnädigst meine Umstände so einleiteten, dass ich fol-
genden Tages bei dem damaligen Churprinzen mich ebenfalls wechsels-
weise auf dem Clavicymbel und Clavichord musste hören lassen, wozu
ich aber andere Stücke von eigener Arbeit erwählte. Als nun hierauf
von einem mir sehr anständigen jährlichen Gehalt war gesprochen wor-
den: so trat der damaligen Churprinzessin vornehmste Hofdame österrei-
chischer Abkunft zu mir mit unterschiedenen bedenklichen Fragen, deren
letztere aber ich, als eingeborener Chur-Sachse, unmöglich bejahen konnte
weswegen ich mir verstellter Weise etliche Tage Bedenkzeit ausbat.
§. 10. Dieser unerwartete Vorfall brachte mich zu dem festen Ent-
schluss, (welcher bis zu dieser Stunde mich noch nicht gereuet) mein zeit-
lich Glück ausserhalb Dresden zu suchen. Als ich solches Vorhaben
meinem höchstzuehrenden Gönner und Landsmann, dem Herrn Capell-
meister Schmieden entdeckte, wollte er selbiges sogleich nicht billigen,
mit Anrathen, dieser Sache Ausgang erst abzuwarten. Ich bemühte mich
also etlichemal, mein Modell auf anständige Art wieder zu bekommen;
jedoch vergebens: folglich lässt sich leicht begreifen, wie meine doppelte
Erfindung nach meiner bald erfolgten Abreise aus Chur-Sachsen, sowohl
in als ausserhalb Deutschland ausgebreitet und meistentheils unglücklich
nachgemacht worden. Man erinnere sich hierbei, was ich bereits 1738
im Sendschreiben an M. Mitzlcr wegen dieser Sache beiläufig erwähnet.
Ö3
(S. Mitzier' s nmsik. Bibliothek III. Band, Seite 474 bis 476). Es ist mir
keineswegs nachtheilig, sondern gereichet mir vielmehr zur Ehre, dass
meine doppelte Erfindung an so vielen Orten ausgearbeitet und verkaufet
worden. Es werden aber dergleichen Instrumentbauer künftig sich nicht
mehr gelüsten lassen zu sagen oder zu schreiben, dass sie selbst die Erfinder
wären. Widrigenfalls beschimpfen sie nicht nur sich selbst untereinander
sondern es sollen ihre Namen gewiss öffentlich bekannt gemacht werden.
Man lasse es also auch diesfalls bei der göttlichen Regel: Suum cuique!
§. Ik Ich übergebe nun den ersten Abriss als eine Vorstellung desjeni-
gen einfachen Modells, welches Ihro Königl. Majestät 1721 wegen seines
sehr leichten Anschlages von unten an am meisten «lebilliget und gemei-
niglich ein Pianoforte genennet wird.
Erklärung des ersten Abrisses:
A — A ist die Tastatur.
B und C sind die Stege, auf welchen die Tasten liegen. Anbei ist
wohl zu merken, dass auf dem hintersten Stege C vorn eine Reihe gleich
abo-etheilter starker Stifte stehen müssen, zwischen welchen nicht nur
die Hintertheile der Tasten, sondern auch die bei E vorkommenden
Treiber ihren gewissen Gang erhalten: folglich müssen diese starken
Stifte genau bis an I sich erstrecken.
93
D ist ein auf der Taste befestigter kleiner Aufsatz, welcher im Spie-
len seine Grenze unter der Wirbelpfoste findet, und folglich so einzu-
richten ist , dass die Tasten im Spielen vorn nicht tiefer als auf einem
Clavichord fallen können. E— E nenne ich den Treiber, welcher von
leichtem Holze und nicht dicker als ein Clavicyuibcl-Tangent sein darf.
Sein langer Vorderthcil liegt auf der Taste und findet im Spielen seine
Grenze unter I. Hingegen sein kurzer Hintertheil hängt an einem
Stifte, welcher auf dem hohen Stege bei
F angedeutet ist. Wie die rechte Höhe dieses Steges schon zu er-
sehen: also darf man dabei nicht vergessen, von desselben Hintertheile
oben, schief unterwärts, etwas abzunehmen, weil daselbst der Treiber
muss niederfallen können. Uebrigens muss dieser Steg auch schmal
sein, damit die Taste den Treiber ganz nahe an seiner Einanglung in
Beweguno; bringen könne, welcher Umstand den Trieb sehr verstärket.
G ist eine kleine Leiste, welche nebst der Taste den Treiber auf-
und niederwärts regieret. Weil sie unter dem starken Stege K stehet,
80 hat man in derselben Mitten keine Auf beugung zu befürchten.
H ist der Hammer von sehr leichtem Holze und nicht dicker als
ein Clavicymbel-Tangent. Er bekommt jedoch am abwärts hängenden
Ende einen Aufsatz zum Anschlagen oben von Elends- oder Hirschleder.
Dieser schief hängende Hintertheil des Hammers schlägt (vermittelst des
Springers bei L) so an die Saiten, dass er gleich wieder um etwas zu-
rücktritt , obgleich die Taste noch niedergedrückt bleibet. Hätte ich
diesen Hauptumstand bei der Erfindung nicht erlanget, so würde mein
Vorhaben vergeblich gewesen sein, und statt einer deutlichen Ertönung
nur ein unleidliches Knarren und Schwirren entstanden sein.
Anmerkung. Uebrigens ist leicht zu erachten, wie nothwendig
jedes Saitenchor einen Dämpfer zur Tilgung des Zwischengeräusches
habe, welchen ich auch bei dem kurzen Vordertheile des Hammers
glücklich angebracht, indem ich selbigen oben, wo er ausser dem Spie-
len dicht an den Saiten lieget, mit Sammet oder Plüsch beleget.
I ist ein hoher schmaler Steg, oben rund, mit einer Reihe Stifte zur
Einhangung der Hämmer. Dieser Steg steht etwas entfernt von der Wir-
belpfoste. Ueber der niedrigen Hälfte der hier hoch stehenden Dämpfer
lieget ein zartes Leistchen, welches (zwar nicht auf dem Abrisse zu er-
sehen, jedoch) an beiden Enden, wie auch in der Mitte drei bis viermal
94
mit Schräubchen und Mütterchen befestigt werden muss, widrigenfalls
könnten die Hämmer keinen gewissen Stand halten. Dass übrigens un-
ter diesem Stege die bei E beschriebenen Treiber im Spielen ihre Grenze
finden, darf nicht vergessen werden.
K ist ein starker, viereckiger Steg, auf welchem die schief hängenden
Untertheile der Hämmer ausser dem Spielen ruhen können. Er bekommt
übrigens eine Reihe gleich abgetheilter starker Stifte, deren Länge sich
fast bis an die Saiten erstrecket, weil nämlich die Hämmer im Spielen
ihren gewissen Gang zwischen ihnen haben müssen.
Anmerkung: So bekannt mir ist, dass etliche meiner Nacherfinder,
anstatt der jetzt bei I und K beschriebenen Stege mancherlei vermeint-
liche Verbesserungen vermittelst zierlicher Kammhölzer unternommen:
ebenso bekannt ist an unterschiedenen Orten, dass durch solche verkün-
stelte Veränderungen, bei abwechselnder Witterung, die Hämmer ent-
weder oben in dem Kammholze stocken, oder unten wegen des verfehl-
ten Gewichts sich krümmen. Wer bemerket hier nicht den doppelten
Beweis von mangelnder Ueberlegungskraft? Das heisset nach meinem
ehemaligen Ausdrucke: Witz ohne Nachdenken ist halber Un-
verstand.
L ist der Springer zwischen I und K, unterschiedshalber mit lauter
Punkten angedeutet. Er ist ebenfalls wie sein Treiber bei E von. leich-
tem Holze und nicht dicker als ein Clavicymbel-Tangent. Dieser Springer
ruhet auf des Treibers langem Vordertheil und findet seine Rechthal-
tung zwischen zwei Reihen kurzer dünner Stiftchen, welche in dem star-
ken viereckigen Stege K stehen und herüber bis an den Steg I hervor-
ragen.
Erste Anmerkung: Hätten meine Nacherfinder von der bisher er-
wähnten dreifachen Leichtigkeit des Treibers bei E, des Hammers
bei H und des Springers bei L zulängliche Einsicht oder Nachricht ge-
habt, so würden sie nicht schweres Holz aus der Walkmühle zu ihren
Nachahmungen genommen haben.
Zweite Anmerkung: Nicht nur aus herzlichem Mitleiden für
meine vielen verunglückten Nacherfinder, sondern auch der Nachwelt zum
Besten entdecke ich folgenden mechanischen Vortheil: Wofern die
Hintertheile der Tasten schon so schwer sind, dass sie ohne
Treiber und Springer auf dem Hinterstege C gerade und sehr
95
festliegen, so ist der wahre Zweck durcligehends verfehlt.
Folglich niuss ein richtiges Gewicht hierbei beobachtet werden, widrigen-
falls kann ein solches Instrument unmöglich so leicht als ein Clavichord
zu spielen sein.
§. 12. Die vorher von A bisL beschriebenen Thcilc werden sämmtlich
auf den Ciavierrahmen gebaut, welcher folglich so einzurichten ist, dass er
als eine vieltheilige Maschine bei allen Vorfällen unter der Wirbelpfoste
bequem könne ein- und ausgeschobeo werden, wovon weiter unten ein
Mehreres. Ferner müssen alle Gegenden, in welchen ein Aufstoss oder
Niederfall geschieht, mit wollreichem Tuche belegt werden, um das
verdriessliche Klappern zu vermeiden. Wie icii übrigens nicht leugne,
dass hier unterschiedene Tonveränderungen, z. E. der Lauten- oder Har-
fenzug u. dgl. sich anbringen lassen : also gestehe ich auch, dass ich kein
grosser Freund von solchen Nebenzügen bin, indem selbige selten von
langer Dauer sind.
§. 13. Noch fünferlei Dinge befinden sich auf dem vorhabenden
ersten Abrisse, welche erklärt werden müssen.
M ist die starke Wirbelpfoste.
N ist der Saitengang.
O ist ein schmaler Steg mit zarten Stiftchen zur richtigen Lenkung
der Saiten. Dass dieser Steg mit Draht müsse belegt werden, erhellet
aus der Folge.
P ist ein starker eiserner Steg, unten rund und überall glatt, unter
welchem die Saiten, fest anliegend, ihren Gang über O bis zu den
Wirbeln haben. Dieses Widerstands eisen ist höchst nothwendig;
denn ohne solches würden die Hämmer nur einen matten Klan«;
verursachen, sonderlich an den hohen und mittleren Chören, wie man
durch angestellte Versuche sich selbst überzeugen kann. (Wollte man
statt solches Eisens etwa Holz nehmen, so würde selbiges in der Mitte
sich bald biegen, und endlich gar zerbersten, folglich alle Arbeit ver-
geblich sein.) Zur Befestigung dieses Eisens wird ausserhalb des Instru-
ments in angewiesener Gegend an jeglichem Seitenbrete ein aufwärts
stehendes Eisen mit Schrauben angebracht, welches zugleich ein paar
Zoll breit unter dem Grundboden umgeleget und ebenfalls einge-
schraubet ist, wodurch das Ausreissen der Seitenbreter zugleich verhin-
dert wird. Diese beiden aufwärts stehenden Eisen haben oben starke
96
Schrauben, in welche man das lange Widerstandseisen leget und mit
starken Mütterchen verwahret,
Anmerkung: Dass dieses Widerstandseisen an der Basssaite nicht
über das Ende der Wirbelpfoste, sondern, wie der schmale Lenkungssteg
bei O, fast über die Mitte der Pfoste zu stehen komme, kann jeder Me-
chanicus ohne weitere Erklärung von selbst leicht erachten.
Q--Q durch die kleinen Querstriche verstehe ich die vier Unter-
schubleisten, wodurch der unter der Wirbelpfoste eingeschobene Rahmen
als eine vieltheilige Maschine auf beiden Seiten so hoch gestellt werden
muss, dass die an den Hämmern angebrachten Dämpfer genau an den
Saiten liegen. AVenn man nämlich unter jedes Seitenstück des Rahmens
nach und nach zwei solcher Leisten steckt, so kann das bisweilen nöthige
Aus- und Einschieben am leichtesten bewerkstelliget werden. (Es wird
auch nicht schädlich sein, mitten unter den Rahmen eine solche Leiste
zu schieben, damit bei starkem Spielen der Tasten der vordere Ruhesteg
sich nicht niederbiegen könne.) Wer nun den bisher erklärten ersten
Abriss im Grossen ausarbeiten will, dem gebe ich den wohlmeinenden
Rath, sich vorher ein Modell zu verfertigen, auf welchem nicht nur der
Rahmen wenigstens mit drei Tasten, sondern auch alle vorher beschrie-
benen Theile nach ihrer wahren Grösse sich befinden; widrigenfalls hat
er zu befürchten, dass ihm bald dieses, bald jenes Theilchen nicht gera-
then werde. Wegen der Stärke und Anzahl der Saiten gebe ich folgende
unmassgebliche Eintheilung, welche ehemals bei Verfertigung solcher
lang mensurirten Ciavierinstrumente unter meiner Aufsicht gebraucht
worden, wobei jedoch bisweilen etliche kleine Abänderungen erfolgen.
Messingene Saiten.
No. 000 000 zu ,1^'und ,Fis
No. 00 0 00 zu ,G und ,Gis
No.
00 00
zu ,A, ,B, ,H
No.
000
zu C, Cis, B, Bis
No.
00
zu E, F, Fis, G
Stählerne Saiten.
No. 0 zu Gis bis c
No. 1 zu cis bis f
No. 2 zu fis bis h
97
No. 3 zu e' bis g'
No. 4 zu gis' bis <??V
No. 5 zu e" bis A"
No. 6 zu c'" bis </'
Vom Contra F bis c«5 zwei Saiten |
vom ä bis J' drei Saiten > auf ein Chor.
vom k bis g"^ vier Saiten I
Wem diese Eintheilung der Chöre zu stark scheinet, der nehme
vom Contra F bis h zwei Saiten
, , . >..-,. c. • I auf ein Chor,
vom ff bis g'" drei Saiten
Wollte man ein solches Instrument durchgehends zwei-, drei- oder
vierchörig einrichten, so würden die etwas entfernten Zuhörer zwar die
tieferen aber nicht die hohen Töne deutlich vernehmen können. Diese
Anmerkung gründet sich nicht nur insbesondere auf meine vieljährige
Erfahrung, sondern überhaupt auf die Physik.
§. 16. Sehr bedenklich ist mir gewesen, dass keiner meiner Nach-
erfinder das im §. 13 bei Litei-a P beschriebene Widerstandseisen
nachgemacht. Vielleicht hat Signor Bartolomeo Gristofali zu Florenz
oder ein anderer sinnreicher Mann zu Dresden durch solche Abän-
derung die Welt überreden wollen, dass niemals einer Namens Schröter
mit Erfindung eines solchen Ciavierinstruments sich beschäftiget. Weil
ich es wohl weiss, dass wenig Instrumenteabauer von solcher unnöthigen
Abänderung zulängliche Nachricht haben: so will ich solche hier deutli-
cher beschreiben, als von dem ehemaligen Dresdenschen Hofpoeten,
Herrn König in MaWieson^s musikalischen Kritik, II. Band Seite 340,
geschehen können. Man hat nämlich die Wirbellöcher auf der Pfoste
von oben durch gebohrt und zwar oben etwas weiter als unten. Des
Wirbels Untertheil raget unter der Pfoste etwas hervor, und hat ein
kleines rundes Loch, durch welches das Ende der Saite mit einer Hand
gesteckt und gehalten wird. Hierauf wird mit der andern Hand des
Wirbels Obertheil, welcher über der Pfoste ebenfalls etwas hervorraget,
mit dem Stimmhammer so lange behutsam umgedrehet, bis die Saite
ziemlich gerade steht, jedoch noch nicht straff ist. Endlich legt man die
Saite an ihren ßichtungsstift unter dem Lenkungsstege, welcher unter
98
der Pfoste hinter den Wirbeln etwas entfernt stehet und besorget
zuletzt nach und nach die reine Stimmung. Soll ich von dieser unnöthi-
gen Abänderung, welch.; allerliebst aussiebet, meine ungeheuchelte Mei-
nung sagen, so lässt sich zwar nicht leugnen, dass durch solchen Gegen-
schlag der Hämmer an die Saiten die gesuchte stärkere Ertönung eben-
falls wie durch mein Widerstandseisen entstehe. Wenn man aber
dagegen betrachtet, wie verdriesslich das lange Bücken beim Aufziehen
einer einzigen Saite schon sei, wobei auch der geschmeidigste Rücken
ziemlich Schmerzen empfindet; zu geschweigen, dass die ganze Maschine
wegen einer fehlenden Saite jedesmal aus- und eingehoben werden muss
anderer üngemächlichkeiten nicht zu gedenken: so muss man meinem
vorher beschriebenen eisernen Widerstandsstege allerdings den
Vorzug geben, indem durch selbigen nicht nur die Ertönung doppelt ver-
stärket wird, sondern auch die Saiten, wie auf den sonst gewöhnlichen
Clavicymbeln, ganz bequem ohne Aus- und Einheben der Maschine und
ohne Rückenschmerzen aufgezogen werden können. Auch dieser Vor-
fall beweiset vollständig, dass ich, als Erfinder des hier umständlich be-
schriebenen Ciavierinstruments den von dem allweisen Gott mir zum
Vorhaben gütigst geschenkten Witz und die Urtheilskraft zu den man-
cherlei entstehenden Folgen mensch-möglich angewendet habe. Man er-
innere sich hierbei zugleich der am Ende des §.11 beigefügten zwo An-
merkungen wegen der sonderbaren Leichtigkeit der Tastatur, oder des
ganzen GrifFwerkes. Es müssen also meine Nacherfinder sämmtlich sich
schämen, dass sie die von mir richtig bestimmten mancherlei Hauptab-
ßichten fast durchgehends verfehlt haben. Zugleich müssen derselben
Unterhändler als getreue Nachbarn und desgleichen sich schämen, dass
sie für ihre leichte und ehrvergessene Bemühung sich jedesmal ein bund-
freies Clavichord von fünf Octaven, ohne Wissen des Bezahlers, um-
sonst zum beliebigen Gebrauch oder Verkauf ausbedungen und ange-
nommen. Der dafür gebührende Segen von Gott erfolget ganz gewiss,
welchen ich ihnen weder wünsche noch gönne.
§. 17. Wie ich bisher mein 1717 erfundenes Pianoforte umständ-
lich beschrieben, also sollte nun das oben erwähnte Modell zum Panta-
lon ebenfalls gezeigt und erklärt werden. Ich muss aber hierbei auf-
richtig gestehen, dass solche Erfindung aus zweierlei Ursachen mir selbst
niemals recht gefallen: 1) wegen der gewundenen messingenen Federn,
&
99
welche nach starkem Spielen leicht schlapp werden, folglich ausgehoben
und wieder angestrengt werden müssen; 2) wegen des unbequemen Auf-
ziehens und Stimmens der Saiten, wobei nämlich die ganze Maschine
jedesmal ausgehoben werden muss. Ich will also mit solcher unvollkom-
menen Erfindung meinen Lesern nicht beschwerlich sein, sondern nur
im Vorbeigehen zweierlei erwähnen: 1) dass die Nacherfinder einen
Hauptfehler begangen, indem sie die Dämpfer dabei vergessen, wodurch
also bei Spielung der Handsachen ein höchst verdriessliches Geräusch
entsteht; 2) hat kein einziger Nacherfinder das rechte Fleckchen zur
Stellung der Federn unter den Hämmern getroffen, wodurch sie also
öffentlich bezeuget, dass sie weder Zirkel noch Gewicht verstehen. Ehre
genug für mich!
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§. 18. Ich ergreife nun den versprochenen zweiten Abriss, dessen
Veranlassung ich vorher erzählen muss. Ein auswärtiger hoher Gönner
und Kenner der Musik, welcher sich 1737 ein Ciavierinstrument (nach
dem ersten Abriss §. 11 bis 15) finter meiner Aufsicht hatte verfertigen
lassen, bekam 1739 des Herrn Capellmeisters Telemann's Beschreibung
der in Paris vom Pater Gastet erfundenen Augenorgel von mir zum
Durchlesen. Er fragte mich hierauf, ob solche Augenbelustigung auch
bei dem Pianoforte anzubringen sei? Zur schuldigsten Antwort bat ich
mir etliche Tage Bedenkzeit aus^ worauf ich den hieher gehörigen Ab-
7*
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riss vorzeigte, welcher auch ohne Schaden der Hauptumstände glückHch
beigefüget wurde. Da mein Vorhaben nicht veretattet umständlich zu
melden, dass und wie ich die vorgedachte Augenbelustigung so gar im
gewöhnlichen Clavicymbel auf wiederholtes Verlangen schon dreimal
glücklich angebracht, so schreite ich nun zur
Erklärung des zweiten Abrisses:
A — A ist die Tastatur.
B ist der auf jeder Taste hinten befestigte Aufsatz, nur von wei-
chem Holze.
C und D sind die beiden Stege zur Lage der Tasten.
E — E ist der Treiber von leichtem Holze und nicht dicker als ein
Clavicymbel-Tangent. Sein langer Hinterthell ruhet auf dem bei B ge-
nannten Aufsatze ; hingegen dessen kurzer Vordertheil lieget ausser dem
Spielen genau unter der Wirbelpfoste an, dass er im Spielen sich nie-
derwärts beweget, mithin den über dem langen Vordertheile schwebenden
Springer oder Hammer schnell an die Saiten treibet, welcher Springer
jedoch sich sogleich von den Saiten entfernet, obgleich die Taste noch
niedergedrückt bleibet.
F ist ein zur Einangelung des Treibers langer starker Stift, welcher
auf der Taste gerade vor dem Aufsatze also stehet, dass er im Spielen
die Wirbelpfoste nicht berührt. Anbei ist leicht zu erachten, dass zur
Gleichhaltung der Tasten und Treiber starke Stifte auf dem bei D an-
gezeigten Stege stehen müssen, deren Länge sich bis an den Hintertheil
des bei G — G vorkommenden Kammholzes erstreckt.
G — G ist das Kammholz zur Gleichhaltung der Springer. Solches
kann auf unterschiedene Art, am leichtesten aber so verfertiget werden,
dass auf der innern Seite des Vordersteges zwei gleich abgetheilte Reihen
kurzer dünner Stiftchen stehen, welche bis an den Hintersteg sich er-
strecken, zwischen welchen also die Springer ihren bequemen Gang haben.
§. 19. Wegen der Befestigung des jetzt beschriebenen Kammholzes
G — G ergehet mein ohnmassgeblicher Rath, dass man solches in ange-
wiesener Gegend auf dem grossen Stege bei D mit Schräubchen und
Mütterchen so anbringe, dass solches benöthigtenfalls könne ausgehoben
werden, und doch auch nebst dem ganzen Rahmen bei allen Vorfällen
bequem aus- und eingeschoben werden könne. Zugleich muss man bei
101
Einrichtung der ganzen Maschine die schon angezeigten zwei Hauptum-
stände nicht vergessen; 1) dass die unten bei M — M folgenden Unter-
schubsleisten so eingerichtet werden müssen, damit die kurzen Vorder-
theile der Treiber bei E — E genau unter der Wirbelpfoste zumbehendaß
Niederdrücke bereit liegen. 2) dass die starken und langen Stifte vom
Hintertheile D bis unter den Hintertheil G völlig reichen.
§. 20. H — H — H ist der Springer oder Hammer nach seinem Un-
ter-, Mittel- und Obertheil, von leichtem Holze und nicht dicker als ein
Clavicymbel-Tangent, welcher auf dem Abrisse unterschiedshalber mit
lauter Pünktchen angedeutet ist. Er wird in das Kammholz bei G — G
von oben so eingehangen, dass sein viei*eckiger Ausschnitt zur linken
Hand kommt, übrigens aber unten auf dem Treiber E — E nicht feststeht,
sondern nur über demselben schwebet.
Hierbei ist noch sechserlei zu bemerken:
1) Der die Saiten berührende untere Ausschnitt wird mit Elends
oder Hirschleder beleoet.
2) Der auf den Saiten liegende obere Ausschnitt wird zur Däm-
pfung des verdriesslichen Zwischenklingens mit Saramet oder Plüsch
belegt.
3) Ferner werden die auf den Saiten liegenden Obertheile, welche
schon ausser dem Spielen bis an die Decke des Instruments reichen
müssen, über und über mit weissem zarten Pergament belegt, auf
welches die mancherlei Farben getragen werden, zu welcher Arbeit
aber kein Gurken- oder Groteskenmaler zu erwählen ist.
4) Diese bemalten Obertheile der Springet stehen ausser dem Spie-
len in einem über den Saiten liegenden durchbrochenen Stege ganz
verborgen und werden im Spielen aufwärts getrieben, folglich sicht-
bar gemacht, welcher Hauptumstand diesen zweiten Abriss veranlasset,
5) Um den Abriss nicht undeutlich zu machen, ist der durchbro-
chene Steg nur mit Worten angedeutet worden. Er bestehet eigentlich
aus zwei gleichen Theilen, welche zusammen und von einander geschraubt
werden können. Auf der inneren Seite eines Theiis stehen zwei Reihen
zarter Stiftchen, welche bis an den anderen Theil herüber reichen, zwi-
schen welchen also die bemalten Obertheile der Springer wegen ihrer
Länge sich nicht verschlagen können.
6) Bei Aufziehung einer neuen Saite halte ich für rathsam, dass
102
man nicht nur den durchbrochenen Steg', sondern auch den einzel-
nen Springer behutsam herausziehe, wenn nämlich die zur rechten
Hand benachbarten Saiten, zumal in kurzen Chören, vorher ein wenig
zurückgewirbelt worden; widrigenfalls könnte des Springers bemal-
ter Theil leicht verletzt werden. Uebrigens kann die Maschine bei Auf-
ziehung und Stimmung der Saiten allezeit unverrückt stehen bleiben.
Endlich folget noch auf dem Abrisse bei
I die Wirbelpfoste.
K ist der schmale Steg zur Lenkung der Saiten.
L ist das über den Saiten liegende Widerstandseisen, welches
ebenfalls so eingerichtet wird, wie im vorigen Abrisse beschrieben
worden.
M — M sind die Unterschubsstege. Was übrigens bei Erklärung des
ersten Abrisses im §. 13, 14 und 15 wegen dieser und anderer Dinge
umständlich gemeldet worden, muss auch hier genau beobachtet werden.
§. 21. Wie ich meinem obigen Versprechen zufolge in dieser Ab-
handlung umständlich erwiesen, dass ich seit 1717 der Erste gewesen,
welcher statt der in Clavicymbeln gebräuchlichen Tangenten mit bald
abzunutzenden Federn, die dauerhaften Hämmer oder Springer, nebst
dazu gehörigen Dämpfern, zur Beförderung des manierlichen und leich-
ten Spielens glücklich angebracht, also kann ich anbei nicht umhin, einen
Vorwurf abzulehnen , welcher mir mehr als einmal fast spöttisch über-
schrieben worden, folgenden Inhalts: „Die bei starker Musik so lange
Jahre üblich gewesenen Clavicymbel werden dennoch beliebt bleiben,
wenn auch Schröter odqf andere Neulinge solche aus dem Orchester
zu verbannen gesucht". Mir wenigstens ist solche Verbannung niemals
in die Gedanken gekommen, als der ich die Absicht und Güte eines
tüchtigen Clavicymbels richtig zu beurtheilen weiss. Dagegen aber muss
man mir und andern wahren Clavieristen auch erlauben zu behaupten,
dass es sogar auf dem besten Clavicymbel unmöglich sei, das geringste
Stück so manierlich heraus zu bringen, als es seine Eigenschaft erfor-
dert. Anbei erinnere ich mich der 1753 unverhofften Gnade, vor Ihro
Hochfürstlich Durchlaucht zu Schwarzburg-Rudolstadt, bei Dero dama-
ligem Aufenthalte in Fran kenhausen, auf einem Pianoforte mit
Beifall ohne Ruhm zu melden, mich etliche mal hören zu lassen. Als
Ihro Hochfürstl. Durchl. beiläufig erwähnten, dass solches Instrument von
103
einem sinnreichen Mann zu Dresden erfunden und verfertigt sei, so ge-
stand ich, dass der Klang und überhaupt die ganze Arbeit unverbesser-
lich sei. Zugleich aber zeigte ich als wahrer Erfinder, dass die
Tastatur noch ziemlich zach oder schwer zu spielen sei; hingegen sie
nach meiner Art so leicht als auf einem Clavichord eingerichtet werden
könne, welche gegründete Anmerkung höchst gnädig aufgenommen wurde.
Seil etlichen Jahren hat ein in Rudolstadt wohnender Mechanikus, Herr
Lender, zwei solche grosse Instrumente hierher geliefert, deren nette
Arbeit und feiner Klang Jedermanns Beifall erhalten. Ich habe dabei
Gelegenheit gehabt, diesem sehr geschickten Manne zu sagen, dass die
Tastatur nicht so leicht eingerichtet wäre, als sie nach meiner Art billig
sein sollte, worauf der liebe Mann erwiederte, dass solche Arbeit nicht
von ihm erfunden, sondern nur eine Nachahmung desjenigen Instrumentes
sei, welches der gnädigste Fürst von Rudolstadt vor geraumen Jahren
von Dresden sich verschreiben lassen. Mit solcher ehrlichen Antwort
war ich vollkommen zufrieden und dachte: Solchen Glauben habe ich
bei andern noch niemals gefunden. Man erkennt zugleich aus diesen
beiden Umständen, was für kurzweihge Histörchen auf die mancherlei
Nacherfindungen einer einzigen wahren Erfindung erfolgen. Jedoch
vielleicht gehen solche nun bald zu Ende, wenn nämlich die Herrn In-
strumentenbauer nach und nach von dieser Abhandlung auch Nachricht
und zugleich die Versicherung erhalten, dass vorher erklärter zweiter
Abriss nicht nur mir, sondern auch andern einsichtsvollen Kennern aus
vielen Ursachen besser als der erste gefällt. Denn gesetzt auch, dass
die von mir beigefügte französische Augenbelustigung nicht von
jedermann beliebet würde, so kann doch jedermann leicht bemerken,
dass ich durch die dort abgekürzte Einrichtung das 1717 erfundene
leichte Spielen auf grossen Ciavierinstrumenten 1739 noch mehr beför-
dert habe.
§. 22. Vielleicht hegt mancher Leser hierbei folgende Gedanken:
„Da nachher der berühmte Mechanikus Herr Hohlfeld in Berlin, den
Bogenflügel erfunden, so wird Schröters Hammerflügel wohl nach
und° nach aus der Mode kommen". Hierauf antworte ich: Es wird mir
ein grosses Vergnügen erwecken, wofern bei allen musikalischen Vor-
fällen ein Bogenflügel anzutreffen, wie solchen der um die Beförderung
der Musik unermüdete Herr Marpurg (in seinen historisch - kritischen
104
Beiträgen, Band I Seite 169 bis 172) nach seinen Hauptumständen ohne
Abriss beschrieben. Ueberdies bezeuget diese Abhandlung durchgehends,
dass solche keinesweges zum Nachtheil des Hohlfeldschen Bogenflügels,
sondern nur einestheils zur wohlverdienten Beschämung meiner vielen
Nacherfinder ausgegeben worden. Anbei Aveiss Jedermann, dass ich bei
meiner Erfindung mich nicht weiter anheischig gemacht, als dass auf
grossen Ciavierinstrumenten das Piano und Forte in unterschiedeaen
Graden so leicht als auf einem Clavichord erfolgen könne; welches Ver-
sprechen ich auch vollkommen geleistet. Weiter ist auch bekannt^ dass
meine Erfindung nicht nur zur manierlichen Spielung vorliegender Hand-
sachen und zum gemüthsbewegenden Fantasiren, sondern auch zum Ac-
compagnement starker Musiken könne gebraucht werden. Folglich wer-
den meine Leser mir nicht übel deuten, diesen Aufsatz mit folgender
wohlgemeinten Anmerkung zu beschliessen: Nach bekannt gewordener
Hohlfeldschen Erfindung wurde in etlichen Wochenblättern gemeldet^
es könne das dabei befindliche Rad entweder von einem dazu bestellten
Knaben, oder auch von dem Spieler selbst, gar leicht umgetrieben wer-
den. Ob aber die Umstände in jeder Haushaltung verstatten, einen sol-
chen Hülfsknaben jedesmal sogleich zu haben, ingleichen ob die zweite
Bemühung jeglichem Spieler (ich will nicht sagen: jeder Spielerin) be-
quem oder anständig sei, wird von vielen gezweifelt. Nach meinem Be-
o-rifFe von dieser vortrefflichen Erfindung ist es möglich, dass solches
Rad lediglich vermittelst der Tastatur, ohne Füsse oder Hülfsknaben,
zur beständigen und leichten Bewegung könne gebracht werden. Sollte
mein unmassgeblicher Vorschlag künftig ausgeführt werden, so ist das Cla-
vierinstrument zur menschmöglichen Vollkommenheit gebracht. Gnug!"
Wenn also manche Historiker zu zweifeln Grund zu haben
trlaubten, dass Schröter der erste Erfinder der Hammermechanik sei, so
werden sie jetzt nach diesen Zeugnissen wohl eine andere Meinung an-
nehmen. Viele nahmen an, dass der Florentiner CristofaU mit seiner
Hammermechanik mehr Nutzen gestiftet habe, als Schröter; zu diesen
gehört auch WeJcJcer, der, wie bereits erwähnt, von der Schröter'schen
Mechanik ganz falsche Zeichnungen giebt und dabei behauptet, dass
derselben die Dämpfung gefehlt habe. Wir haben das Gegentheil be-
wiesen und zugleich dargethan, dass Herr Welcker ebenfalls irrt, wenn
er den Instrumentenbauer LenJcer als Erfinder der Dämpfung bei der
105 '
Hammermechanik figuriren lässt. De la Borde*), welcher irriger Weise
dem Nacherfinder Gottfried Silhermann in Freiberg die Erfindung der
Hammermechanik zuschreibt, giebt uns doch wenigstens den Beweis,
dass man Sachsen im I8ten Jahrhundert als die Quelle jener Erfindung
betrachtete, von wo aus sie nach London elndranoc und hier auch zur
Befriedigung des Pariser Bedürfnisses cultivirt wurde. Cristofali blieb
ziefnlich vereinzelt, obgleich seine Hammermechanik eine offenbare Nach-
erfindung der Schroter'schen ist.
Die genauere Beschreibung der Cristofali'schen Hammermechanik
fehlt in allen allgemeinen Geschichten der Musik, sowie in allen spe-
cielleren Abhandlungen über das Ciavier, und Welcher gesteht selbst zu,
dass ihm Mattheson s Critica musica nicht zugänglich gewesen sei. Es
wird daher unseren Lesern gewiss willkommen sein, wenn wir ihnen „des
Marchese Scipio Maffei Beschreibung eines neuerfundenen Claviceins
auf welchem das Piano und Forte zu haben, nebst einigen Betrachtun-
gen über die musikahschen Instrumente, aus dem Welschen ins Deutsche
übersetzt von König", im Zusammenhange mittheilen und dann unsere
Vergleiche zwischen Schröter und Cristofali ziehen.
„Wann der Werth einer Erfindung", so heisst es in jener Beschrei-
bung, „nach ihrer Neuheit und Schwierigkeit abzumessen ist, so weicht
diejenige, von welcher wir hier Bericht ertheilen, keiner einzigen, die
seit langer Zeit vorgekommen sein mag. Es ist jedem Kenner bewusst,
dass in der Musik das Schwache und Starke, gleich wie Licht und Schat-
ten in der Malerei, die vornehmste Quelle sei, woraus die Kunsterfahre-
nen das Geheimniss gezogen, ihre Zuhörer ganz besonders zu ergötze
Es sei nun in einem Vorder- oder Nachsatz, oder in einem künstlichen
Zu- oder Abnehmen, da man nach und nach die Stimme vergehen und
hernacl mit starkem Geräusch dieselbe auf einmal wiederkommen lässt,
welches Kunststück bei den grossen Concerten in Rom häufig im Ge-
brauch ist und denjenigen, die einen rechten' Geschmack von der Voll-
kommenheit dieser Kunst besitzen, ein ganz unglaubliches und wunder-
sames Ergötzen schenket. — Ungeachtet nun dieser Veränderung und
Verschiedenheit des Tones, worin unter anderen die Instrumente, die
*) De la Borde sagt: Le Clavecin Piano-Forte a ete invente, il a envirou vingt
ans a Frejbeig en Saxe, par M. Silbermann, De la Saxe l'invention si penetre a Lon-
dres, d'oü nous viennent presque tous ceux qui se vendent k Paris
106
man mit dem Bogen streicht, vortrefflich sind, das Clavecin gänzlich be-
raubt ist und man es jedem für eine eitle Einbildung auslegen würde^
der sich ein solches zu verfertigen in den Kopf setzte, das diese beson-
dere Gabe haben sollte: so ist doch in Florenz von Herrn Sartolomeo
CristofaU, einem bei dem Gross-Herzog in Diensten stehenden Clavier-
macher, aus Padua gebürtig, diese so kühne Erfindung nicht weniger
glücklich ausgedacht, als mit ßuhm ins Werk gesetzt worden. Indem er
bereits drei von der ordentlichen Grösse der sonst gemeinen Clavecins
verfertigt, welche alle vollkommen wohl gerathen.
Einen schwächeren oder stärkeren Ton auf diesem Instrumente an-
zugeben, liegt bloss an dem verschiedenen Nachdruck, womit ein Cla-
vier-Spieler die Taste berührt; dann nach dem Maasse desselben hört
man darauf nicht allein die Stärke und Schwäche, sondern auch selbst
1 das Abnehmen und Verstärken des Klanges, wie Solches auf einem Vio-
loncello herausgebracht werden kann.
Einige Kunstverständige gaben zwar Anfangs dieser Erfindung nicht
den völligen Beifall, den sie verdiente; eines Theils, weil sie nicht gleich
einsahen, was für ein sinnreicher Verstand dazu erfordert worden, alle
bei Erbauung dieses Instrumentes vorgekommenen Schwierigkeiten zu
überwinden, und was der Meister für eine erstaunliche Kunstfertigkeit
der Hände und welche Vorsicht er habe anwenden müssen, es so sauber
und mit solcher Grundrichtigkeit auszuarbeiten; andern Theils, weil
es ihnen vorgekommen ist, als ob der Klang, indem er von dem andern
ganz unterschieden, gar zu matt und stumpf wäre. Allein diese Mei-
nung rührte nur von dem uns auf andern gemeinen Clavicymbeln ange-
wöhnten Silberklange her, zumal, wenn man dieses Instrument zum ersten
Male unter die Hände bekommt, da sich doch in kurzer Zeit das Ohr
hernach so daran gewöhnet und sich in dieses Instrument so verliebt,
dass es noch angenehmer klinge, wenn man sich ein wenig davon entfernet.
Es haben überdies noch einige daran ausgesetzt, dass es zu schwach
klinge und keinen so starken Klang, als die andern Clavicymbeln habe;
worauf aber fürs erste zu antworten ist, dass es demungeachtet weit
stärker ist, als sie es glauben, wann es nämlich mit gehörigem Nachdruck
angegriffen wird; fürs andere, dass man eine Sache nach ihrer wahren
Absicht zu nehmen wisse und nach keinem anderen Zweck beurtheilen
müsse, als nach dem, zu welchem Ende es verfertiget worden.
107
Dieses ist ein Kanimerinstrument und daher zu einer starken Kir-
chen-Musik oder einem ganzen Orchester nicht bequem. Wie viele In-
strumente giebt es, die man ja auch nicht anders als nur im Zimmer zu
gebrauchen pflegt und die nichts desto weniger für die allerangenehm-
sten gehalten werden? Gewiss ist, dass es mit einem Sänger oder mit
einem Instrument, auch wohl bei einem massigen Concerte einzustimmen
vollkommen stark genug klinget, obgleich dieses nicht sein Hauptzweck,
sondern vielmehr allein gespielt zu werden , wie etwa eine Laute, Knie-
Geige, Viole d'amour und andere dergleichen, wegen ihrer Süssigkeit
und Anmuth hochgeschätzte Saitenspiele.
Aber der grösste Einwurf, den dieses Instrument erlitten, rührte
meistentheils nur daher, dass es nicht durchgehends ein jeder gleich bei
dem ersten Anblick zu spielen gewusst, weil es hier nicht genug ist, auf
andern Clavicymbeln vollkommen wohl spielen zu können; sondern, weil
dieses ein neues Werk, so erfordert es auch einen Meister, der die Stärke
desselben genau geprüfet und zuvor mit besonderem Fleisse sich darauf
geübet habe, sowohl um das Maass des verschiedenen Anschlags sich
genau bekannt zu machen und demselben die angenehme Ab- oder Zu-
nahme der Stimme zu rechter Zeit und an dem rechten Orte zu geben;
als auch liebliche Stücke, und wo sie eigentlich hingehören, auszulesen;
vornehmlich aber gebrochen zu sp'^len, die Partien durch verschiedene
Gänge wohl auszuführen und die Haupt- Sätze an mehr als einem Orte
hören zu lassen.
Endlich um von der Bauart dieses Instrumentes selbst zu sprechen
so würde dem Erfinder desselben nicht schwer fallen, dem Leser von
diesem Kunststücke einen deutlichen Begriff zu geben, wann er anders
solches so wohl zu beschreiben, als glücklich zu verfertigen gewusst,
weil aber dieses nicht seines Thuns und er dafür gehalten, es würde ihm
unmöglich sein, dasselbe solchergestalt abzubilden, dass man sich den
rechten Entwurf desselben deutlich vorstellen könnte, so war er genö-
thigt, solches einem anderen aufzutragen, der es zwar hier übernommen,
aber bloss nach der Erinnerung, die ihm noch von der Zeit an beige-
wohnet, als er solches ehemals genau betrachtet und ohne das Instru-
ment, sondern einen von dem Meister selbst nur oben hin verfertigten
Abriss vor Augen zu haben.
Es ist also zu wissen, dass anstatt der gewöhnlichen Springerchen,
108
"welche mit der Feder andere Clavicymbel berühren, allhier ein Register
von Hämmerchen befindlich, welche von unten an die Saiten schlagen
und oben mit starkem Elends-Leder bedeckt sind. Ein jedes Hämmer-
chen wird durch ein Rädchen beweglich gemacht, und diese Rädchen
stehen in einem kammförmigen Holze verborgen, als w^orin sie reihen-
weise eingelegt sind. Nahe an dem Rädchen und unter dem Anfang
des Stiels an dem Hämmerchen, befindet sich eine hervorragende Stütze,
welche, von unten zu angestossen, das Hämmerchen so in die Höhe
treibt, dass es die Saite nach dem Maasse und nach der Stärke desjenigen
Schlags anstösst, welcher von der Hand des Spielers herkommt, wodurch
er, nach seinem Belieben, einen starken oder schwachen Ton anzugeben
vermag. Man kann auch um so viel eher stark darauf spielen, weil das
Hämmerchen den Schlag ganz nahe an seiner Einanglung empfängt, zu
sagen: nahe am Mittelpunkte des Bezirks, so weit nämhch sein Umkreis
geht, in welchem Falle ein jeder massige Anschlag eine plötzliche Herum-
drehung des Rades verursacht. Also, dass von dem Schlag an das Häm-
merchen, unter dem äussersten Theile der vorgedachten herausstehenden
Stütze, sich ein hölzernes Zünglein befindet, welches auf einer Hebe
ruhet, 80 dass es von derselben in die Höhe geschoben wird, wenn der
Spieler den Anschlag berühret. Dieses Züngelchen oder Zäpfchen liegt
aber doch nicht auf der Hebe, sondern ein wenig erhaben und ist ein-
gefasst in zwei dünne Seitenstützen, von denen auf jeder Seite eine be-
findlich ist. Weil aber nöthig war, dass das Hämmerchen die Saite
gleich wieder verlasse, so bald sie berührt worden, und sich gleich wie-
der absondere, obschon der Spieler die Hand von der Taste noch nicht
wieder weggenommen, so war noth wendig, dass besagtes Hämmerchen
auo-enblicklich wieder in Freiheit gesetzt würde, an seine Stelle zurück-
zufallen. Daher ist das Züngelchen, so ihm den Druck giebt, beweglich
und solchergestalt zusammengefügt, dass es in die Höhe geht und fest
anprallt; aber, so bald der Schlag gegeben, plötzlich wieder abschiesset,
das ist, vorbeigeht und sich, so bald als der Schlag geschehen, herunter
wendet, zurückkehret und sich wieder unter das Hämmerchen verfüget.
Diese Wirkung hat der Künstler durch eine Feder von Messing-Draht
zuweo-egebracht, die er an der Hebe befestigt und welche sich ausdehnt,
mit der Spitze unter dem Züngelchen antrifft und, indem sie einigen
Widerstand giebt, dasselbe antreibt und an einen anderen Messingdraht
109
befestigt hält, der fest und nach aufwärts derselben gerade entgegen
steht. Durch diese stete Befestigung, welche das Zünglein hat, durch die
Feder, welche darunter und durch die Einfügung auf beiden Seiten,
steht es fest, oder giebt nach, wie es erfordert wird.
Damit auch die Hämmerehen in dem Zurückprallen, nach dem An-
schlag, nicht wieder aufhüpfen, und an die Saiten zurückstossen können,
so fallen sie und liegen auf kreuzweise geschlungenen seidenen Schnür-
chen, die solche ganz ruhig auffangen.
Weil aber bei dieser Art von Instrumenten nöthig ist, dass der Ton
verschwinden, oder der Spieler ihn hemmen könne, indem er sonst durch
das Fortklingen die folgenden Noten undeutlich machen würde; in wel-
chem Absehen die Clavecins das Tuch auf den Spitzen der Springerchen
haben, so wird auch hier der Schall plötzlich gehemmt, weil jede von
den oft gemeldeten Heben ein Schwänzchen hat und auf demselben nach
der Reihe ein Register von Springerchen befindlich ist, die nach ihrem
Gebrauch Dämpfer genannt werden könnten. So bald der Griff (auf die
Tasten) geschehen, berühren diese die Saiten mit dem Tuch, welches sie
auf der Spitze haben und verhindern das Nachzittern, welches entstehen
müsste, w^enn zugleich andere Saiten klingen würden. Wenn aber der
Griff" einmal angedrückt und durch denselben die Spitze der Hebung in
die Höhe getrieben worden ist, so folgt von selbst, dass das Schwänz-
chen sich herniederlasse und zugleich auch der Dämpfer. Dadurch
bleibt die Saite frei zu dem Klange und dieser vergeht hernach von
selbst, so bald der Griff (auf die Taste) vorbei ist, indem der Dämpfer
sich sogleich wieder erhebt, um die Saite mit dem Tuche zu berühren.
Damit man aber alle Bewegungen und innerliche Kunstgriffe dieses
Instruments desto deutlicher erkennen möge, so nehme man die Abzeich-
nung zur Hand und betrachte von Stück zu Stück die Benennuno-en
derselben:
A A die Saite.
B B der Boden zu der Claviatur oder zum Anschlag.
C C die Tasten oder die ersten Heber, welche mit den Pflöckchec
die anderen in die Höhe treiben.
D das Pflöckchen, Zäpfchen oder der Holzschuh an der Taste.
E E die zweite Hebe, wo auf jeder Seite eine von den Neben-
Btützen festgemacht ist, die das Zünglein halten.
110
F die Angel oder der Stift in der zweiten Hebe.
G G das bewegliche Zünglein, welches, wenn es mit der zweiten
Hebe sich in die Höhe schiebt, auf das Hämmerchen stösst.
H H die Nebenstützen auf beiden Seiten, worin das Züngelchen
eingefalzt ist.
I ein fester Messingdraht, oben an der Spitze breit geschlagen, der
das Zünglein festhält.
L eine Feder von Messingdraht, die unter dem Züngelchen liegt
und dasselbe gegen den festen Draht angestossen hält, den es hinten hat.
M M das Kammholz, wo in der Reihe die Hämmerchen eingelegt sind.
N das Rädchen an den Hämmerchen, so in dem Kammholz ver-
borgen liegt.
O das Hämmerchen, welches von .unten her durch das Züngelchen
angestossen, die Saite mit dem Elends-Leder anschlägt, womit es oben
bedeckt ist.
P P die kreuzweise verschränkten seidenen Schnürchen, zwischen
welchen die Stiele der Hämmerchen aufliegen oder ruhen.
Q das Schwänzchen der zweiten Hebung, das sich niedergiebt,
wann sich die Spitze erhebt.
R das Register oder die Reihe Springerchen oder Dämpfer, die, so
bald der Griff andrückt, sich herabfügen und die Saite freilassen, hier-
auf gleich wieder an ihren Ort zurückspringen, um den Schall zu hemmen.
S der völlige Querbalken zur Verstärkung des Holzkammes.
111
Ueberdies ist noch zu berichten, dass die Leiste, wo die Wirbel
eingesetzt werden, die die Saiten halten, wie sie in anderen Clavicem-
balen unter den Saiten selbst ist, hier über denselben zu stehen kommt
und die Wirbel darunter hingehen, so dass die Saiten von unten her fest
gemacht werden, weil nothwendig war, unten mehr Platz zu gewinnen,
damit das ganze Griffwerk hinein gehen könnte. Die Saiten sind viel
stärker, als die gewöhnlichen, und damit die Schwere dem Boden
nicht schaden möge, so sind sie nicht auf demselben befestigt, sondern
etwas höher angebracht worden.
An allen Orten, wo einiges Geklapper entstehen könnte, ist solches
durch Leder oder Tuch verhindert worden, besonders in den Löchern,
wo Nägel oder Stifte durchgehen, woselbst durch einen sonderbaren
Meister -Griff alles mit Elends-Leder so ausgefüttert ist, dass der Stift
durch dasselbe hervorkommt.
Es ward diese Erfinduno; von dem Meister auch in einer anderen
Gestalt zu Wege gebracht, indem er eben ein solches Clavicembal mit
der Schwäche und Stärke, aber in einer ganz verschiedenen und leichteren
Bauart verfertigte : allein die erste behielt nichtsdestoweniger den Preis.
Da nun dieser sinnreiche Künstler auch in Ausarbeitung der ge-
wohnlichen Clavecins vortrefflich ist, so wäre noch zu berichten, dass er
nicht von der Meinung der neuen Ciaviermacher, die jetzt meistentheils
nicht nur ohne Rose, sondern sogar ohne eine einzige Oeffnung in dem
ganzen Kasten arbeiten. Nicht, dass er ein so grosses Loch, wie sol-
ches früher von den Alten verfertigt worden ist, für unentbehrlich hielte;
oder, dass er glaubte, es wäre gut, dergleichen Löcher an dem gewöhn-
lichen Orte anzubringen, wo sie doch so sehr dem Eindringen des Stau-
bes ausgesetzt sind; sondern er pflegt nur zwei kleine Löcher vorn bei
der Vermachung zu lassen, die allezeit bedeckt und verborgen bleiben.
Er versichert auch, dass ein solches Luftloch in dergleichen Instrumen-
ten höchst nöthig wäre, weil bei Spielen der Klang-Boden sich bewegen
und weichen müsse, welches aus dem Zittern desselben abzunehmen sei,
wenn man sich nämlich darauf lege, während ein anderer spiele. Im
Fall aber das Gehäuse nirgendwo eine Oeffnung hat und die inwendige
Luft nicht weichen oder herauskommen kann, sondern hart und stark
bleibt, so beweget sich der Boden nicht und daher wird der Schall etwas
stumpf, kurz und nicht nachkhngend. Wo aber eine Oeffnung ist, wird
112
man gleich bemerken, dass der Boden nachgiebt und die Saite viel heller
bleibt; es ist auch mehr Klang zu vernehmen und wenn man die Finder
an die erwähnte Oeffnung hält, indem ein anderer darauf spielt, wird
man gleich fühlen, dass Wind entsteht und die Luft herausstreicht. Bei
diesem Satze wollen wir nicht übergehen zu sagen, dass, wie aus der na-
türlichen Weltweisheit bekanntermassen in Untersuchung der Wirkungen
der Luft und ihrer Bewegung uns ein grosses Licht aufgehe: also eine
genaue Beobachtung der verschiedenen und wundersamen Wirkungen
der eingepressten Luft in musikalischen Instrumenten uns eine starke,
obgleich noch meist unbekannte Quelle zu dergleichen Entdeckungen
und Erkenntnissen sein könne, wann wir derselben Bauart genau unter-
suchen und nachdenken, was in denselben ihre Vollkommenheit oder
ihren Mangel verursache und wovon ihr Zustand sich verändere, wie
dann hier die Veränderung des Schalls zum Beweise dienen kann, welche
in den beseelten Instrumenten erfolgt, dergleichen diejenige sind, die
mit dem Bogen gestrichen werden, aufweichen, so bald man die soge-
nannte Seele nur ein wenig von ihrer Stelle gerückt hat, sogleich eine
Saite viel heller, eine andere aber viel stumpfer khngt. Dahin auch die
Veränderung und Verschiedenheit der Stimmen und des Klanges gehört,
welche die Instrumente von ihrem verschiedenen Maasse und ihrer ver-
schiedenen Grösse und besonders die Clavicembale davon erhalten, je
nachdem ihr Klang-Boden dick oder dünn ausgearbeitet ist und tausend
andere dergleichen Betrachtungen mehr, die man hierüber anstellen könnte.
Wobei auch nicht zu übergehen ist, dass, wie man durchgehends dafür
hält, die neuen Clavicembale allezeit mangelhaft im Klange seien und
ihre Vollkommenheit erst durch die Länge der Zeit erhielten; so be-
hauptet dieser Künstler, dass man solche dergestalt ausarbeiten könne,
dass sie gleich einen ebenso hellklingenden Schall, als die alten, von sich
geben. Er versichert, dass der unvollkommene Klang der neuen eigent-
lich von der ausdehnenden Kraft herkomme, welche der eingebogene
Steg eine Zeitlang behält, auf dem die Saiten liegen; denn so lange
dieser auf dem Boden sich mit Gewalt andrückt, um sich wieder zu er-
heben, kommt die Stimme nicht vollkommen heraus; wenn man aber
gleich Anfangs in der Arbeit diese ausdehnende Wirkung demselben
gänzlich benimmt, wird der Fehler alsobald gehoben, wie unser Meister
aus der Erfahruns überzeugt ist. Wozu auch nicht wenig des Holzes
113
gute Beschaffenheit beiträgt, daher der berühmte italienische Ciavier-
macher Pesaro angefangen hat, sich der alten Kisten und Schränke zu
bedienen, die er in Venedig und Padua auf den Korn-Böden verworfen
oder unter den Dächern versteckt gefunden hat und welche meistentheils
von Cypressenholz aus Candia und Cypern gewesen sind."
Dieser so seltene Bericht aus Ufa ^2^Äe5pw'_5.Criticaniusica^ über die
Cristofali'sche Ei-findung, welchen wir, so weit es sich nur irgend thun
liess, wörtlich wiedergegeben haben, muss uns zur Vergleichung mit den
Schröter'schen Inventionen anregen. Es ist durchaus nicht zu behaup-
ten, dass die Mechanik CristofaU's eine grössere Vollkommenheit zeige,
als diejenige Schröter's, und dass die ursprüngliche Idee des Letzteren
etwa weniger Momente zu ihrer Weiterbildung enthalte, als das in den
einzelnen Theilen recht saubere Modell des erstgenannten. Schröter
war nicht Instrumentenbauer vom Fach, sondern es führten ihn seine
frühzeitig erworbenen musikwissenschaftlichen Kenntnisse auf die Er-
findung des durch die Taste bewirkten Hammeranschlags, nachdem er
an dem Instrumente von Pantaleon Hebenstreit die Wirkung frei ange-
schlagener Klöppel erkannt hatte. Wenn wir nun bedenken, dass
Schröter seine Erfindung bereits im Jahre 1717 gemacht hatte und die-
selbe jedenfalls den von Friedrich August I. um 1717 nach Dresden be-
rufenen italienischen Handwerksleuten und Künstlern vielleicht von sei-
nem Vetter mitgetheilt worden war; wenn man ferner dabei den steten
Verkehr zwischen Dresden und Italien in damaliger Zeit berücksichtigt,
so gewinnt die Ansicht den höchsten Grad von Wahrscheinlichkeit, dass
die Schröter'sche Erfindung, wenn nicht im Modell, so doch der Beschrei-
bung nach zur Kenntniss OristofaWs gelangte, dessen Aneignungstalent
und Geschicklichkeit die erfasste Beschreibung zur thatsächlichen Aus-
führung brachten, was auch von Schröter selbst geglaubt wurde. Die
Form des eigentlichen Hammers ist bei Schröter aber schon in ihrem
Ursprünge weit vollkommener als bei Cristofali, und zieht man den
Vergleich mit der heutigen Hammermechanik, so wird man sofort die
grössere Aehnlichkeit mit dem Schröter'schen Modell, als mit demjenigen
CristofaU's erkennen Es ist nach Alledem genau festzustellen, dass
nicht Cristofali, wie z. B. Welcher zu glauben scheint, der Erfinder der
Hammermechanik ist, sondern dass dieses wichtige Moment in der Cia-
vierfabrikation in unserem deutschen Vaterlande und zwar im jetzigen
114
Königreiche Sachsen zuerst aufgefunden und verwerthet worden ist.
Ausserdem ist selbst GristofaUs Nachahmung der Schröter'schen Idee
nie zu allgemeinster Geltung gekommen, wie aus den spärlichen Fabri-
kationen aus jener Zeit mit dieser Mechanik hervorgeht, hingegen
das Schröter'sche Modell sehr bald in Deutschland Anerkennung erhielt
und dann nach weiterer Vervollkommnung für England und Frankreich
massgebend wurde. Denn wenn auch Zelter, der vielerfahrene, aber
häufig sehr grosssprecherische und in seinen Ansichten oft barocke Mu-
siker, in seinem Briefwechsel mit Goethe im Jahre 1804 ein in Weimar
aufgestelltes Instrument aus CristofaU's Fabrik lobend erwähnt, und
ebenso der Geschichtsschreiber Burney auf seinen Reisen in Bologna
1770 ein 40 Jahre altes Instrument desselben Fabrikanten vorfand, so
ist doch thatsächUch erwiesen, dass von Deutschland aus in London und
in Paris der Instrumentenbau und namentlich die Pianofortefabrikation
auf Grund der Schröter'schen Erfindung allgemein verbreitet und ge-
hoben worden ist.
Zunächst war es, wie bereits bemerkt, Gottfried Silber mann zu Frei-
berg, welcher sich die vSchröter'sche Erfin^ng^jineignete und dieselbe
verwerthete. Dass Anfangs bedeutende Fehler die Erfindung nicht
gleich aufkommen und dieselbe über die gewöhnliche Clavicymbelme-
chanik nicht bald siegen Hessen, ersehen wir aus dem Urtheile Johann
Seh. Bach's, bei dessen Lebzeiten jener sächsische Instrumentenbauer
zwei Flügel mit der Schröter'schen Mechanik verfertigte und einen der-
selben diesem grössten Tonmeister in der ersten Hälfte des 18ten Jahr-
hunderts zur Prüfung vorführte. Seh. Bach rühmte und bewunderte
den Klang, tadelte aber dabei die Schwäche der höheren Tonregionen
\ und die allzu schwere Spielart. Silhermann, welcher gar keinen Tadel
vertragen konnte, zürnte deswegen dem geraden, ehrlichen Leipziger
Cantor lange Zeit. Dennoch musste er sich sagen, dass Seh. Bach nicht
Unrecht habe, weshalb er keine Instrumente mit solcher Mechanik ver-
kaufte, sondern im Stillen an deren Verbesserung arbeitete. Nach meh-
reren Jahren verkaufte er wieder ein Instrument an den Fürstlichen Hof
zu Rudolstadt, welches vermuthlich das von Schröter im 141 sten kritischen
Briefe Seite 102 ''berührte ist, und kurze Zeit darauf verschrieb sich
König Friedrich H. von Preussen mehrere dieser Silbermann'schen In-
strumente, an welchen dieser Kunstmäcen besonderen Gefallen fand.
115
Silbermann verfehlte nun nicht, ein so verbessertes Instrument Seb. Bach
zu zeigen und von diesem die Construction untersuchen zu lassen. Das
überaus günstige Urtheil des Tonmeisters verschaffte Silbermann die
vollständigste Genugthuung und er baute fortan bis zu seinem Tode noch
eine Menge solcher Instrumente, deren weitere Verbesserungen der
Neffe Gottfried' s, Johann Heinrich Silbermann ^ zu Strassburg geboren
27. September 1727, übernahm. Dessen Instrumente wurden namentlich
in Paris sehr berühmt und Gerber behauptet in seinem Lexicon vom Jahre
1790, dass es die besten seien, welche die französische Hauptstadt be-
sitze, womit auch der musikalische Almanach vom Jahre 1782 über-
einstimmt, wo es Seite 200 heisst: „Sowohl seine Flügel als Piano-
fqrte, wie auch andere zum Theil selbst erfundene Manual- und Pedal-
Clavierinstrumente zeichnen sich durch Sauberkeit der Arbeit und Schön-
heit des Tones aus. Er ist auch ausser seinem Fache ein Mann von
schätzbaren Kenntnissen. Seine Pianoforte verkauft er gewöhnlich das
Stück für 300 Thaler." Noch während der Oheim Gottfried Silber-
mann an der Verbesserung der Schröter'schen Mechanik arbeitete, war
es bereits einem andern 'intelligenten Sachsen gelungen, die Schröter'sche
Erfindung in verbesserter Form auf tafelförmige Instrumente anzuwen-
den. Christian Ernst Friederici, geb. zu Merane 1712, gestorben zu
Gera 1779, erwarb sich nämlich nicht bloss als Orgelbauer, in welcher
Eigenschaft er 50 Orgeln, darunter die berühmte zu Chemnitz verfer-
tigte, einen grossen Namen, sondern auch seine Fortepianos in Gestalt
der Claviere, die er Fortbiens nannte, waren „in der halben Welt" ver-
breitet und geschätzt. Von ihm sagt der bereits erwähnte Forkel'sche
Almanach, dass er mit seinem Bruder in Gera zusammengearbeitet habe,
beide aber seien nun — im Jahre 1782 — todt und ein Sohn seines
Bruders fahre fort, musikalische Instrumente nach dessen Art zu verfer-
tigen. Die Claviere mache er zum Preise von 5 bis lOLouisd'or, Flügel
zu 16 bis 30 Louisd'or und die Fortbiens ebenfalls für 16 bis 30 Louis-
d'or. Wolle man mit schlechtem Holze vorlieb nehmen, so mache er
alle drei Sorten auch wohl noch etwas wohlfeiler. Von den besten
deutschen Ciavierbauern werden uns, wie wir zur Ergänzung be-
merken, aus jener Zeit bis zum Jahre 1782 noch genannt:
Becl'er, Clavierinstrumentenmacher in London, geboren in Deutsch-
land, auf den wir noch weiterhin zu sprechen kommen.
8'-
116
Bull, Flügelmacher in Antwerpen, geboren in Deutschland, dessen
Doppelflügel besonders berühmt wurden, von denen er jeden für 100
Ducaten verkaufte.
Gerlach, Instrumentenmacher in Hamburg.
Gese, Instrumentenbauer in Halberstadt.
Kirchmann, Flügelmacher in London, geboren in Deutschland, des-
sen Flügel als „ungemein gut gearbeitet und von vorzüglich schönem
Tone" geschildert werden. Sie wurden mit 400 — 600 Thalern bezahlt.
Kraemer (Johann Paul), Ciaviermacher in Göttingen, geboren im
Thüringischen zu Jüchsen 1743. Im Almanach heisst es: „Seine Cla-
viere streiten mit den besten in Deutschland um den Vorzug. Sie sind
nicht nur sehr gut"und dauerhaft vom trockensten Holze gearbeitet , son-
dern haben auch einen ungemein schönen Ton, besonders aber glänzende
Bässe. Er macht sie zu verschiedenen Preisen, je nachdem sie gross
oder sauber gearbeitet sein sollen. Die geringste Sorte macht er fiir 4
und die beste für 12 bis 14 Louisd'or. Mittlere Sorten kann man bei
ihm zu 5, 6, 7, 8, 9, 10 Louisd'or haben."
Lemme (Carl), Organist an der Catharinen- und Magnikirche und
Instrumentenmacher zu Braunschweig, geboren daselbst. Derselbe
machte die Sorten und Preise seiner Claviere durch ein gedrucktes Ver-
zeichniss bekannt. Seine Specialität war der Bau ovalrunder Claviere,
deren Construction von der gewöhnlichen als verschieden bezeichnet und
deren Ton als sehr stark geschildert wird. Die gewöhnlichen Preise
beliefen sich auf 3 bis zu 12 Louisd'or.
Oberndörfer, Schulmeister in einem ohnweit Darmstadt gelegenen
Dorfe, dessen Instrumente mit den englischen verglichen und daher
jedenfalls mit Pianoforteconstruction gearbeitet wurden, weil die Englän-
der in dieser Zeit gar keine Clavichorde mehr bauten.
JPreuss (Joachim Bernhardt), dessen für die Clavichorde gewählte
Mensur einem sanften und angenehmen, aber keinem starken Tone gün-
stig war.
Paul in Gotha, guter Clavichordbauer.
Schramm in Berlin, Flügel- und Ciavierbauer.
Schweinefleisch, sehr geschätzter Ciavierbauer zu Leipzig.
Späth (Frans Jacoh), Instrumentenmacher in Eegensburg. Der
Preis seiner beliebten Instrumente in Fiügelform belief sich auf 40 Du-
117
caten. In seinen späteren Jahren verband er sich mit seinem Schwie-
gersohne Schmahl, mit welchem er gemeinsam bis zu seinem Tode das
Geschäft betrieb.
Stein (Johann Andreas), Orgel- und Instrumentenmacher zu Augs-
burg, geboren zu Heideisheim im Pfälzischen 1728, welcher zu gleicher
Zeit als Organist wohl renommirt war. Von seinen Leistungen als In-
strumentenbauer berichten die Adam Hiller'schen Nachrichten eingehender
und wir erfahren aus diesen , dass er bei Gelegenheit einer Reise nach
Paris (1758) den Concert-Instrumenten dadurch den möglichsten Grad
von Vollkommenheit zu geben versuchte, dass er das Fortepiano mit dem
Flüe-el zusammen verband, und zwar so, dass jedes Instrument seine
eio-enen Saiten und seinen besondern Resonanzboden hatte. Derselbe
erfand ausser diesem Doppelflügel oder „Piano vis ä vis" auch 1770 die
sogenannte ISlelodika, ein kleines Flügelinstrument mit einem Flöten-
register, welches man heutzutage noch im akustischen Cabinet von
Kaufmann in Dresden nachgeahmt findet. Gerber hat uns in seinem
ahen und neuen Lexicon nach den ihm bekannten Quellen die sämmt-
lichen Erfindungen dieses Mannes aufbewahrt, deren Erwähnung hier
am Platze sein dürfte, ohne dass wir auf alle einzelnen näher eingehen,
da sie zum Theil ohne Einfluss auf die Fortentwickelung der Kunst ge-
blieben sind. Seine Saitenharmonika bestand in einem zweifach
bezogenen gewöhnlichen Fortepiano. „Um aber das Pianissimo zum
völligen Nichts absterbend machen zu können , hatte der Künstler dem
Instrumente noch eine Saite mehr gegeben, welche durch eine äusserst
elastische Materie zum Klange gebracht wurde. Dies nannte er Spi-
nett. Durch diese Verbindung erhielt das Fortepiano nicht nur eine ge-
wisse Schärfe, sondern es entstand auch beim Erlöschen des Tones ein
ganz besonderer Effect, indem das Fortepiano beim leisesten Drucke
den Ton noch zum Spinette übertrug. Ueberdies konnten auch beide
Veränderungen einzeln gebraucht werden. Dieses Instrument kam im
Jahre 1789, wo er es erfunden, nach Mainz, und er erhielt nicht nur die
akkordirten 100 Louisd'or dafür, sondern auch noch ein Fass Rhein-
wein zum Geschenk." Sein Polytoniclavichordium übergehend, welches
nichts weiter als ein Virginal mit mehreren durch Register bewirkten
Klangveränderungen war, wenden wir uns zu seiner Hammermechanik, die
auf seinen später in Wien als Instrumentenbauer lebenden Sohn über-
118
gegangen und von diesem in folgender Form angewendet worden ist
(Figur), wobei man den gesdiickt angebrachteß Auslöser bemerken wird.
Dass das „Anemochord" von Schnell 1740, die Crescendo -Flügel
von Jürgensen 1754, das Orchestrion von Kuns 1796, die Flötenflügel
von Wagner 1770, das Apollonion von Völler 1800, das Adiaphonon von
Fr. 5c/iM.9^er und andere Janitscharen-Clavierinstrumente, wie sie auch in
neuester Zeit noch in ähnUcher Gestalt von Kaufmann in Dresden und
böhmischen Instrumentenbauern verfertigt worden sind, gar keinen Ein-
fluss auf die Kunstentwickelung ausüben, sondern grösstentheils nur als
Spielereien angesehen werden konnten, sei hierbei noch bemerkt. Ebenso
vermochten das Clavecin harmonique undClavecin akoustique von Virbes
in Paris 1777 keinen höheren Rang zu behaupten, gleichwie das elec-
trische Ciavier von De la Borde 1794 eine einzelne Erscheinung bUeb.
Die Gebrüder Erard aus Strassburg, welche seit 1776 in Paris kleine
Fortepianos bauten, führten 1784 das Pedal ein und verbannten die Re-
gisterzüge. Der Vater der neuesten Fortepianomechanik in Frankreich
ist Sebastian Erard, auf den wir im nächsten Abschnitt zu sprechen
kommen.
Nach London wurde die Hammermechanik durch den Schweizer
Burkhard TscJmdi im Jahre 1732 gebracht, welcher seine Pianoforte-
fabrik seinem Schwiegersohne John Broadivood vermachte, dessen Name
jetzt noch die grösste Pianofortefabrik Englands ziert, und endlich zu
Deutschland zurückkehrend, machen wir als Instrumentenbauer des
I8ten Jahrhunderts noch Straube in Berlin, Voigt in Hamburg, Vatet
in Hannover und Johann Gottlob Wagner in Dresden namhaft. Letz-
terer erfand im Verein mit seinem Bruder Christian Salomon das Cla-
vecin royal, dessen Fournituren von Rosen- oder Taxisholz äusserst sau-
ber gearbeitet waren. Die von Christian Salomon gemachten Verände-
runo-en im Klange bestanden hauptsächlich in der ohne Pfeifenwerk be-
wirkten täuschenden Nachahmung der Flöte und des Fagott , gleichwie
119
er auch das Forte und Piano geschickt anzubringen verstand. Im Jahre
1798, als er soeben einen Flügel mit drei Claviaturen in der Arbeit hatte,
belief eich die Anzahl der Instrumente, welche er bis dahin theils mit
seinem Bruder und theils allein erbaut hatte, auf 772. Seine schönsten
und elegantesten Flügel kosteten gegen 600 Thaler.
VI.
Entwickelung des modernen Pianofortebanes.
Die weitere Entwickelung des modernen Pianofortebaues ging mit
dem Streben nach glänzenderer Virtuosität und nach grösserem Ton-
reichthume Hand in Hand. Während die Compositionen der Meister
des 18ten Jahrhunderts auf Clavichorden und Clavicymbeln, sowie auf
den scharf klingenden, in England zur Zeit HändeVs besonders im Or-
chester eingeführten Harpsichorden*) recht wohl und zur Befriedigung
des Publicums ausgeführt werden konnten, verlangten die Ciavierwerke
des 19ten Jahrhunderts zu ihrer Reproduction fast ausschliesslich das
Hammerciavier, dessen Bau in England, Frankreich und Deutschland
mit Vorliebe cultivirt wurde. In London finden wir schon 1799 neben
den Fabriken von Broadtvood**) und Stodart die Fabrik von Schöne und
*) Hr. Prof. Fischhof sah bei seinem Aufenthalte in London in Herrn Broadwood's
kleinerer Fabrik (33, great Pultney street, Golden Square) einen von dessen Vorgänger
verfertigten Flügel, Harpsichord genannt, mit zwei Ciavieren, wobei durch eine Koppe-
lung die höhere Octave mit erklingen konnte; der Deckel des Instrumentes öffnete sich
in fächerartigen Abtheilungen mittelst einer Mutation, um dem Tone Stärke zu verlei-
hen. Die Spielart erschien leicht, der Ton interessant, wenn auch klein, mehrere Muta-
tionen theils zum Ziehen, theils zum Treten waren dabei angebracht. Ein anderes
Harpsichord spielte Hr. Prof. Fischhof im neuen Palais in Potsdam im Jahre 1840.
**) In England führte das Pianoforte ein Deutscher, Namens Zitmpe, im Jahre 1760
ein, und die von ihm verfertigten Instrumente dieser Gattung Hessen die Silbermann'sche
Construction erkennen, zu welcher die vom Hause Longman & Broderip, Vorgängei
der Herren Clementi und Collard. erfundene Stosszunge später hinzukam, während
ein Irländer den vom Hamtoer getrennten Dämpfer um jene Zeit erfand, weshalb diesem
Dämpfer auch das Beiwort der irische beigelegt wurde. 1766 übertrug der Deutsche
Becker (Backers Americus), ein Arbeiter in der Burkhard Tschudi' sehen Fabrik,
unter Beihülfe der beiden Arbeiter in jener Fabrik Broadwood und Stodart die
Hammermechanik auf die Harpsichords, aus welchem durch mannigfaches Nachdenken
die Principien für den Pianofortebau hervorgingen, nach denen Broadwood und
120
Vinsen in ruhmreicher Thätigkeit, so dass in einem Berichte aus jener
Zeit gesagt werden konnte: „An guten Instrumenten aller Art fehlt es
Stodart in der Hauptsache noch gegenwärtig arbeiten. Die Leipziger allgem. musika-
lische Zeitung berichtet, dass im Jahre 1767 am 16. Mai das grosse Fortepiano zum
ersten Male in England in einem Concerte gebraucht worden sei, und zwar habe unter
Accompagnement desselben ein Frl. Brickler eine Arie aus Judith gesungen. Den
wirksamsten Vorkämpfer für die Pianofortemechanik fanden die englischen Instrumenten-
bauer in Muzio Clevienti, geb. 1752, gest. 1822, dessen Virtuosität die Vorzüge
dieses Instrumentes dem Publikum vermittelte, gleichwie in Deutschland Mozart der
Stein' sehen Hammermechanik huldigte. Hierbei ist wiederholt zu erinnern, dass das
Haus Broadwood von väterlicher Seite von John Broadwood, einem Schotten, her-
stammt, dessen Sohn John im achtzigsten Jahre im Monat August 1851 starb. Von
mütterlicher Seite hingegen von den Tschudys, einer Schweizerfamilie, über welche das
allgemeine helvetisch- eidgenössische oder schweizerische Lexikon (von Hans Jacob Leu,
Bürgermeister von Zürich, und H. J. Holshalb, in Zug bei Blsnsche 1795 herausge
kommen) im sechsten und letzten Theile des Supplementbandes Folgendes berichtet:
„Aus dem Schwandner Geschlechte (der Tschudy's) war auch Burkhard, der als ein
mittelloser Schreinergesell nach England gekommen, wo er als ein berühmter Clavier-
macher sich am Hofe zu London bekannt gemacht und nebst anderen schönen Sachen
auch 1765 für den König von Preussen einen künstlichen Flügel mit zwei Manualen
verfertigt hat ; er hat sich zu London verheirathet, ist 1775 daselbst gestorben und hat
seiner Familie grossen Reichthum hinterlassen." — Der Ruhm des Hauses Broadwood
ist jetzt älter als hundertunddreissig Jahre, Stodart, Kirkmann und Rolfe zählen gegen
hundert Jahre, Collard gegen achtzig, Wilkinson,^ Wornum etc. gegen sechzig bis siebzig
Jahre. Vergl. Fischhof's Geschichte des Ciavierbaues, S. 49. Zu Anfang des neunzehn-
ten Jahrhunderts verdrängte die verbesserte Construction der Tafelformpianos eine
Zeitlang die von Schröter, Silbermann, Tschudy, Broadtvood angewandte Flügelhammer-
mechanik. Z. B. heisst es in der Leipziger . allgemeinen musikalischen Zeitung vom
Jahre 1807:
„Die Structur des Flügels verbietet die feinen Modificationen und Schattirungen
des Ausdrucks. Dieses übrigens glänzende und zur Direction grosser Orchestermusik,
besonders bei der Oper, ehemals zweckmässig befundene Instrument ist nun seit zwan
zig Jahren durch das Fortepiano allmählich ganz verdrängt worden und wird am
wenigsten, wie vor zwanzig und mehreren Jahren, noch zu eigenen Soloconcerten ge-
braucht. Denn im Fortepiano haben die neueren Instrumentenbauer alle Feinheit und
Lieblichkeit des Tones, den nur schöne Blasinstrumente haben können, mit der Kraft
und Pracht des Flügels zu vereinigen gewusst und selbst das beliebige Aushalten der
Töne in gewissem Grade möglich gemacht, dabei übrigens dem Fortepiano den Vorzug
des leichtem Anschlags vor dem immer etwas schwer und hart zu spielenden Flügel
gegeben. Hierzu kommt noch die Möglichkeit, den Klang nach Verlangen allmählich
zu verstärken oder bis zum Pianissimo abnehmen zu lassen, und die Vergrösserung des
Umfangs der Claviatur bis auf sechs Octaven. Dennoch verdient das Ciavier nicht die
Zurücksetzung, die es jetzt zu erfahren, scheint. Es hat seinen ganz eigenen Reiz und
erlaubt eine gewisse Feinheit, Zartheit und Innigkeit des Vortrags, gleichsam einen sanft
schimmernden oder auch schmelzenden Ausdruck, ein fein markirtes Spiel, dessen das
Fortepiano nicht empfänglich ist. C. Ph. E. Bach schrieb auch gewiss in Hinsicht auf
diesen Unterschied in seinen Sammlungen für Kenner und Liebhaber nur die Rondo's
für's Fortepiano, die Sonaten und Phantasien aber für's Ciavier, auf dem er bekanntlich
121
in London nicht. Die kleinen, clavierförmigen Pianoforte von Schöne
und Vinsen hält man nicht nur für die besten in London, sondern in
der ganzen Welt. Sie werden nach Beschaffenheit der äusseren Arbeit
mit 25 bis 40 Guineen bezahlt und haben jetzt gewöhnlich einen Um-
fang von 6 vollen Octaven, nämlich vom Contra C bis zum viergestri-
chenen C" Grosse, flügeiförmige Pianoforte werden von Broadwood
und Sfodart am besten gemacht; sie kosten aber 60, 70 und mehrere
Guineen." Die Schröter'sche Mechanik fort und fort zu Grunde legend,
suchte Broadivood dadurch eine Verbesserung zu erzielen, dass er die
aufrecht stehenden Pianofortes zu Anfang des 19ten Jahrhunderts mit
zwei etwas dickeren Saiten auf jeder Taste bezog, welches einen eben-
so starken Ton als drei dünnere Saiten hervorbrachte und die Stimmung
erleichterte. Dagegen verwarf er die ebenfalls in England gemachte
und daselbst patentirte Erfindung, in dem tafelförmigen Pianoforte,
welches aus dem alten Clavichord entstanden war, dadurch die
Stärke des Tones zu vermehren, dass er sie mit Saiten bezog, die mit
Piatina-Draht übersponnen waren. Der Erfinder glaubte nämlich, durch
die schwere Piatina -Ueberspinnung den Ton im Verhältniss ihres Ge-
wichtes zu verstärken, welcher Versuch natürlich weiter keinen Eingang
fand*). Dem Ciaviervirtuosen Ferdinand Mies stellte Broadwood im
Jahre 1822 ein Instrument zur Verfügung, über dessen eigenes Ansehen
das Publicum in Verwunderung gerieth. Von demselben macht man
so grosser Meister war. Wenn uns bei dem Fortepiano leicht schon allein der reizende
Ton zu sehr einnimmt und unser ürtheil besticht, so lässt dagegen das bescheidenere
Ciavier mit seinem sanfteren Anklänge uns mehr Freiheit und Ruhe, im Tone nicht
blos den Ton, sondern Hamionie, Melodie und Ausdruck zu vernehmen. Wusste doch
Mozart, dieser grosse Meister auf dem Fortepiano, ein Silbermann'sches Ciavier, das er
bei dem seligen Cantor Doles in Leipzig fand, so hoch zu schätzen, dass er einen
ansehnlichen Preis dafür bot, wiewol vergeblich, weil der würdige Greis das Geschenk
seines verewigten Freundes (des Verfertigers selbst) nicht weggeben wollte."
*) Piatina -Draht -Saiten anzuwenden war schon darum nicht rathsam, weil die
absolute Festigkeit des Eisens die der Piatina bei Weitem übertrift't. Es sollte nämlich
— wie man irrigerweise behauptete — ein Eisendraht von ^/jg Linie Dicke nicht über
60 Pfund 12 Loth, ohne zu zerreissen, tragen können; dahingegen ein Piatinadraht von
'^''^Vioooooo Linie Dicke (welches beinahe ^/lo, folglich nahe an dreimal jener Dicke
gleich ist) eine Last von 255 Pfund zu tragen vermögen. Es verhält sich aber die
Stärke der Metalldrähte nicht wie ihre Durchmesser, sondern wie die Quadrate der
Durchmesser. Wenn demnach ein ^^k, Linie dicker Eisendraht 60 Pfund 12 Loth trägt,
so müsste ein anderer %o Lmie dicker Eisendraht nicht nur 255 Pfund, sondern 540
Pfund tragen.
122
sich am leichtesten eine richtige Vorstellung, wenn man sich den ganzen
flügelformigen Kasten, ausser der Claviatur, umgekehrt denkt, so dass
sich der obere Deckel unterwärts befindet und der Resonanzboden nebst
den Saiten gleichsam nach der Erde zu hinsieht. Wenn sonst die Häm-
mer durch ihren Anschlag die Saiten von dem Stege wegzuschnellen
strebten, so drückten sie hier gegen denselben und mithin auch gegen
den Resonanzboden. Diesem Umstände schrieb Herr Broadwooä es zu,
dass der Ton so ungemein laut, hell und glasartig erschien. Beim Ab-
nehmen des obern Deckels erblickte man nichts, als Balken, Stäbe und
was sonst zum innern Bau eines Flügels gehörte, beim Abnehmen des
untern die Saiten und den Resonanzboden. — Was aber von John An-
tes schon im Jahre 1806 bezüglich der Verbesserung des Hammeran-
schlags vorgeschlagen wurde, scheint von der Broadwood'schen Fabrik
niemals beachtet worden zu sein. Derselbe theilte seine merkwürdigen
Ansichten in folgender Weise der Oeffentlichkeit mit: „Bekanntlich wird
das Leder, wenn es gehämmert wird, hart; fortgesetztes Spiel bringt
dieselbe Wirkung hervor. So weich imd lieblich daher der Ton eines
Pianoforte ist, wenn es noch neu aus des Meisters Hand kommt, so wird
er doch in eben dem Grade, als das Leder härter wird, nach und nach
härter und zuletzt so scharf und schneidend, dass man die Hämmer end-
lich neu beledern muss. So ging es mir mit meinem Instrument. Ich
suchte daher eine Substanz auszufinden, die den unangenehmen Verän-
derungen nicht unterworfen wäre und des beständigen Gebrauchs un-
geachtet sich immer gleich bliebe. Nach wiederholten Versuchen fand
ich zwei Dinge, die ich mit Ueberzeugung empfehlen zu können glaube,
da ich sie mehrere Jahre hindurch erprobt und nicht die mindeste Ver-
änderung bemerkt habe. Die erste Substanz, die auch nach meiner
Meinung den brillantesten Ton giebt, ist die feine dichtzellige Wurzel
des gemeinen Waschschwammes, auf den kein Hämmern eine Wirkung
hervorbringt. Da aber diese Wurzeln schwer in gehöriger Menge und
von gleicher Beschaffenheit zu haben sind, so fand ich, dass der gemeine
Feuerschwamm, wenn er hierzu gehörig vorgerichtet wird, die nämlichen
Dienste thut. Ich habe einen Versuch damit gemacht; da aber die wei-
cheren Theile desselben als die besten zum Feueranschlagen gehalten
werden, so hatte ich Mühe, unter einer bedeutenden Menge genug von
solchem herauszufinden, der eine rechte und gleiche Dichtigkeit hatte«
123
Wenn man vielleicht die feinsten, dichtesten Schwämme, als Birken-
schwamm u. dergl., aussuchte und zu diesem Gebrauch zubereitete, so
könnte man es wohl zu einer grossen Vollkommenheit bringen. Da ich
aber mit dieser Zubereitung unbekannt bin, muss ich das Anderen zur
Beurtheilung überlassen. Der Schwamm, dessen ich mich bediente, hat
seit fünf Jahren nicht die mindeste Veränderung bemerken lassen. Beide
Arten übertrafen meine gute Erwartung in der Hauptsache: ihrer ün-
veränderlichkeit bei stetem Gebrauch, bei Weitem." Jedenfalls verdienen
die Erfahrungen dieses in anderen Dingen als geistreich geschilderten
Mannes Beachtung, und wenn auch sein Landsmann Broadivood keine
Notiz von ihnen nahm, so giebt es doch heutzutage so viele intelligente
Instrumentenbauer, welche nach Kenntnissnahme des Gegenwärtigen den
Versuch nicht scheuen werden. Ein weiterer im Jahre 1819 gemachter
Verbesserungsversuch bestand in der Erfindung des sogenannten Grand
Pianoforte des Grafen Stanhope, wo nur eine Saite zu jeder Taste vor-
handen war. Dass dieses Instrument als erster Versuch das nicht ge-
worden ist, was es bei weiterem Nachdenken und unter den Händen eines
einsichtsvollen und erfahrenen Instrumentenbauers hätte werden können,
ist natürlich. Das Hauptversehen bestand wohl darin, dass der Graf
nicht, dem Winke geschickter Instrumentenbauer zufolge, Saiten von
verschiedenen Metallarten, sondern durchgängig nur Stahlsaiten an-
brachte. Diese thaten zwar im Discant gute Wirkung und brachten in
der Mitte des Instruments einen schönen vollen Ton hervor; da sie aber
in der Contraoctave so dick wie die Eöhren langer thönerner Tabaks-
pfeifen waren, so fehlte es ihnen hier an klarer Fülle. Die ungemein
starke Spannung eines solchen Bezugs erforderte einen besonders fest-
gebauten Körper des Instruments, so dass es vieler Versuche bedurfte,
demselben die nöthige Festigkeit zu geben. Das Instrument war daher
so schwer, dass, als es nach dem Tode des Erfinders bei Versteigerung
seines Nachlasses verkauft wurde, acht Männer zum Hinein- und Her-
austragen desselben nöthig waren. Dieses Instrument hatte allerdings
den Vortheil, dass sich kein Ton in sich selbst verstimmen konnte, wie
die Einklänge der zwei- und dreichörigen Pianoforte. Da natürlich die
allzudicken Saiten um keinen Stimmnagel (Wirbel) gewunden und auf
gewöhnliche Art gestimmt Averden konnten, so hatte der Graf zum Stim-
men Schrauben angebracht, welche das Verfahren erleichterten. Die
124
Hämmer schlugen nicht, wie gewöhnHch, zwischen dem Stimmstock
und dem Stege, von unten hinauf, sondern von oben herunter auf die
Saiten; also eine Nachahmung der Pantalons. Dies war auch die Art,
wie sie in jener Zeit bei den aufrecht stehenden oder sogenannten Ca-
binet-Pianofortes angebracht wurden, und das Urtheil der Sachverstän-
digen leitete damals den vollen Discant von der grösseren Breite des Re-
sonanzbodens her, die man dadurch allerdings gewann. Der Graf hatte
nun die Hämmer so angebracht, dass sie vor dem Hauptbalken herum,
wie ein Schwanenhals gebogen, anschlugen. Dieses, nebst dem Gewicht
des Hammers machte den Anschlag so schwierig, dass die grösste Orgel
mit der vollen Koppelung noch leichter zu spielen war, als dieses In-
strument, welches gar keinen prompten Triller mit einer Hand verstat-
tete. Das vierzehnjährige Patent verhinderte wahrscheinlich die Aneig-
nung der Erfindung von Seiten Broadwood's, in dessen Macht die Ver-
besserungen gelegen hätten. Trotz seiner damaligen Unvollkommenheit
wurde dieses Instrument des nicht ungelehrten Akustikers und Verfer-
tigers einer Notirmaschine *) bei der Versteigerung mit 60 Pfund Ster-
*) Die bemerkenswerthesten Erfinder von Notirmaschinen sind der Reihe nach:
der englische Geistliche Creed, f 1770 zu London, dessen Arbeit 1747 der Akademie
der Wissenschaften zu London vorgelegt vmrde (vergl. Philosophical Transactions 1747
No. 183, Martin'' s Abridgment Vol. X, p. 266, in Gerber' s altem Tonkünstlerlexikon
pag. 312); ferner der Justizrath und Bürgermeister zu Einbeck Joh. Friedrich Unger,
geb. 1716, -welcher 1749 über diesen Punkt der Berliner Akademie seine Ansichten
mittheilte, deren Ausführung nach Eulers und Sulzers Beschreibungen der Mechanikus
Hohlfeld übernahm. Drittens ist der Engländer Merlin zu nennen, dessen Maschine der
Fürst Galitzin an sich brachte. Viertens schrieb Pater Engraviel vom Augustinerkloster
der Königin Margarethe zu Paris ein Werk über die Kunst, „die gespielten Töne auf
Walzen au notiren" (La Tonotechie, ou l'art de noter les cylindres). Sodann sind noch
Gattey 1783, Riedler in Bonn, Pfeiffer in Stuttgart, Stankojye, Vinnicombe in London,
Careyre, Baudouin, Wetzeis, Pape, Gu€rin als mit solchen Notirmaschinen beschäftigte
zu nennen. In neuester Zeit versuchte sich der Corrector bei Breitkopf und Härtel
Herr Claussnitz in Leipzig, wiederum in Verfertigung eines solchen Phthoggographs, er-
zielte aber damit ein gleich unvollständiges Resultat, wie seine Vorgänger. Das freie
Fantasiren ist eine schöne Gabe, die man im Kreise wohldenkender Musikfreunde un-
bedenklich zur Geltung bringen darf; man soll aber dieses Fantasiren, in welches sich
trotz der grössten Uebung doch hin und wieder aphoristische Tongrappen anstatt lo-
gisch gegliederter Tonbilder einschleichen, nicht mit dem Componiren verwechseln,
zwischen welchen ein ähnlicher Unterschied besteht, wie zwischen einem Stegreiftoaste
und einer wohl ausgearbeiteten, zusammenhängenden Rede. Wer es in seinen Compo-
sitionen nie über das Fantasiren hinaus gebracht hat, wird eigentlich nicht zu den wah-
ren Componisten zählen dürfen; daher auch eine Maschine zur Notirung freier Fanta-
sien ganz überflüssig und der Kunst nicht im Geringsten zweckdienlich ist.
125
ling bezahlt. Vielleicht gingen die oben erwähnten zweichörigen Piano-
fortes der Broadwood'schen Fabrik aus jener Erfindung des Grafen Stan-
liope hervor. Ebenso ist das Sostenente Piano-Forte des Engländers
Moti zu erwähnen, dessen Verfertigung sich auf das 37 Jahre vorher
schon in England bekannte Cölestino - Instrument Wallcer's gründete.
An letzterem war nämlich eine seidene Schnur angebracht, welche in
gerader Linie unter den Saiten umlief und durch einen Fusstritt mittelst
eines Schwungrades gedreht wurde. Unter dieser Schnur war für jeden
Clavis eine messingene Rolle, welche die Schnur an zwei Seiten drückte
und dadurch nicht nur einen fortdauernden, sondern auch einen schnell
ansprechenden, zu- und abnehmenden Ton hervorbrachte. Dieser Er-
findung fehlte jedoch Unterstützung und weitere Ausbildung, um sie ge-
meinnützig zu machen. Motfs Instrument hatte nun auch die umlau-
fende seidene Schnur, welche, wie der Verfertiger sagte, einen anderen
Körper in eine zitternde Bewegung versetzte, wodurch der Ton erzeugt
wurde. ■ Dieser Ton soll viel stärker, als bei dem Cölestino -Instrument
gewesen sein und alle guten Eigenschaften von letzterem besessen haben.
Neben Broadtvood machten sich in der ersten Hälfte des lOten
Jahrhunderts besonders Jac. TJian, Bobert Wormim, W. F. Collarä,
Stodart und Will. Soiähwall bemerkbar, von denen der erstere einige
unwesentliche Veränderungen am Pianoforte anbrachte und der zweite
namentlich sein Augenmerk auf die Verbesserung des Saitenbezugs rich-
tete. Collard aber Hess sich schon 1 822 ein Patent darauf geben , dass
er hinter dem eigentlichen Hauptstege noch einen Steg (von ihm „the
bridge of reverberation" genannt) auf den Resonanzboden setzte und
zwar in einem solchen Abstände von dem Hauptstege, dass der hintere
Theil der Saite, dessen Mitklingen sonst zu Vermeidung manches Uebel-
klanges gewöhnlich durch Auflegung auf eine weiche Unterlage oder
vermittelst durchgeflochtenen Bandes verhindert wurde, ein aliquoter
Theil des klingenden Haupttheiles war und also einen mit dem Haupt-
tcne harmonirenden Ton gab. Der Klang sollte dadurch voller, freier
und anhaltender werden. Durch einen Zug konnte man das Mitklingen
des hintern Theiles der Saite nach Belieben stattfinden lassen oder weg-
dämpfen. Stodart , in jener Zeit Pianofortemacher der königlichen Fa-
milie, nahm damals ebenfalls ein Patent, indem er nämUch an seinem Com-
pensation-Pateut-Pianoforte, um die durch Ausdehnung bei zunehmen-
126
der Wärme und durch grössere Zusammenziehung bei mehr Kälte stattfin-
dende Verstimmung der Saiten zu hindern, oberhalb von dem Wirbel-
stocke nach der Anhängeleiste zu neun der Länge nach parallel gehende
Streben angebracht hatte, die aus metallenen Röhren bestanden, wozu
noch fünf in die Quere laufende Streben kamen. Er versicherte, das
Instrument verstimme sich nicht im Mindesten durch Veränderungen der
Wärme und Kälte, der Klang der Saiten sei freier und dauere länger,
als bei anderen Pianofortes, weil die Spannung von dem Resonanzboden
weggenommen und weil die hölzernen Streben im Innern des Instru-
ments wegfielen und dieser hohler sei. Die metallenen Röhren sollten
vermöge ihrer cylindrischen Gestalt auch etwas zum Tone beitragen,
und da auf dem äusseren Körper des Instruments kein Zug laste (wel-
cher von ihm bei einem Pianoforte von 6 Octaven einem Gewichte von
6^/2 Tonnen oder 13000 Pfunden gleichgeschätzt wurde), so würde da-
durch die ursprüngliche gerade Richtung desselben nie verändert. Das
von Will. Southwall 1821 genommene Patent betraf eine ziemlich zu-
sammengesetzte Vorrichtung an Cabinet-Pianofortes, die wir schon oben
als gleichbedeutend mit den aufrechtstehenden bezeichneten, wodurch
der Anschlag stärker und der Rückschlag des Hammers v rmieden wer-
den sollte.
Ferner berichtet uns der berühmte Akustiker Chladni von dem Zu-
stande der englischen Pianofortebaukunst vom Jahre 1824, dass W. Sto-
dart für sein Compensations-Pianoforte ein Patent derart nahm, dass in
diesem Instrumente die Ausdehnung der Saiten durch Hitze und Kälte
vermittelst Stemmungen von Röhren, die aus demselben Metalle bestan-
den und über den Saiten angebracht waren , compensirt wurde. Die
Vortheile, welche der Verfertiger angab, waren folgende: 1) Da die ganze
Spannung der Saiten auf den Resonanzboden wirkt, ist der Ton von
längerer Dauer; 2) unterwärts ist weniger Holz nöthig und das
Innere bleibt hohler; 3) die Röhren selbst bei ihrer cylindrischen Form
vermehren den Klang; 4) da am Körper des Instrumentes kein Zug
stattfindet, so behält es mit mehr Dauer seine Gleichheit und Stärke.
Ein solches Instrument mit gewöhnlichem Kasten kostete 110 Pfund
5 Schilling, und mit einem eleganten Kasten 126 Pfund. Andere ge-
wöhnliche Instrumente kosteten bei ihm von 37 Pfund bis 68 Pfund
5 Schilling. So viel ist nach Chladni's Versicherung anzunehmen ge-
127
wesen, dass die über den Saiten befindliche Strebung von starken me-
tallenen Röhren, die ungefähr einen Zoll im Durchmesser hatten, aller-
dings wohl M'irksam sein konnte, das Ziehen und die dadurch entstehende
Verstimmung zu hindern. Der Klang des Instruments sei übrigens auf-
fallend stark und voll und dabei sehr angenehm gewesen; doch hätten
sich auch Instrumente von Broaäwood & Sfhne, von Glementi <€■ Comp.
und von Tonikinson sehr ausgezeichnet. CoUard's eine Verbesserung habe
in einem auf dem Resonanzboden angebrachten zweiten Stege bestanden
(es war mithin eine neue Auflage seines früheren Patentes). Die andere
Verbesserung desselben, der harmonische Schweller (harmonic Swell) ge-
nannt, war ein Zug, vermittelst dessen auch der zwischen der Anhängeleiste
und dem grossen Steg befindliche Theil der Saiten harmonisch mitklang,
ohne besonders angeschlagen zu werden, folglich wiederum eine Aufwär-
mung alter Kost. Die Wirkung war ungefähr dieselbe, wie beim Spielen
mit gehobenen Dämpfern ; doch tönten dabei nicht alle, sondern nur die ange-
schlagenen Töne nach *). W. Southivall wollte durch mehr als gewöhn-
liche Länge des Hammers einen volleren Anschlag erzielen; ebenso
rühmten Erard in London und Francis Deakin in Birmingham ihre Er-
findungen in dieser Hinsicht, und Henry Smart brachte an tafelförmigen
Pianofortes eine Stemmung vermittelst eines über den Saiten liegenden
Dreiecks von Gusseisen an, um das Ziehen zu beseitigen. Derselbe
Hess sich zwei Jahre später einen Mechanismus patentiren, welcher ver-
hindern sollte, dass an aufrechtstehenden Pianofortes die Hämmer an
die Saite noch einmal anschlagen könnten.
Dass mit solchen Patenten viel Humbug getrieben wurde, wie es
heutzutage ebenfalls der Fall ist, und das Alte immer wieder als neu
Erfundenes erschien, meint auch schon Chladni, weshalb wir uns selbst-
verständlich nur auf das Aliernothwendigste beschränken. Von den be-
weglicheren Franzosen wurden im 19ten Jahrhundert deutsche und fran-
zösische Erfindungen nach England gebracht, wo im Jahre 1829 der
bedeutendste Pianofortebauer Broadwood in der Mechanik immer noch
*) In England wurden in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts auch
Bogenclaviere verfertigt, so z. B. erhielt Thomas Thodd ein Patent auf eine Art
Bogenclavier, wo die Töne durch Sti-eichen vermittelst gespannter Fäden hervorgebracht
wurden, die ein um Rollen gehendes Laufband bildeten. Anstatt der früher zu diesem
Zwecke ''ebrauchten Darmsaiten wendete Thodd Drahtsaiten an.
128
sehr schwere Instrumente baute, deren Vergleichung mit den deutschen
später gegeben werden soll. Hauptsächlich ist zu beachten, dass sich
die Broadwood'sche Hammermechanik — und von dieser hängt ja die
Klangfarbe wesentlich ab — aus der complicirten Victoriarepetition
SouthwaWs nach und nach herausentwickelte, nachdem eben Fremdes mit
acceptirt worden war. Die Broadwood'sche Hammermechanik ist in
neuerer Zeit aber durchaus übertroflFen, und namentlich ist es Blüthner
in Leipzig, der hinsichtlich dieses Theiles der Pianofortebaukunst
Vorzügliches leistet, gleichwie auch die amerikanischen und französischen
Instrumente in diesem Punkte alle Anerkennung verdienen*).
A.\iidi&a.ge,msi\&n. Sebastian Erard, den Deutschen aus Strassburg**),
welcher mit seinem Bruder seit dem Jahre 1776 in Paris Pianoforte
baute und später auch in England, wie bereits erwähnt, eine Fabrik an-
legte, blicken die Franzosen mit Stolz. Er ist nächst dem deutschen
Stein einer der sinnreichsten Verbesserer der modernen Hammermecha-
nik und seine im Jahre 1823 vorgenommenen Vervollkommnungen bahn-
ten einen neuen We«; zu weiteren Fortschritten.
*) Der Amerikaner Coleman in London ahmte die Vorrichtung nach, mittelst deren
man den Ton des Pianoforte so lange nachklingen lassen konnte, als man wollte. Sie
war vom Instrumente unabhängig, störte das Spiel nicht und zeichnete sich durch Wohl-
feilheit aus.
**) Seb. Erard, geb. den 5. April 1752 zu Strassburg, zeichnete sich schon als
Knabe durch sein mechanisches Geschick aus. Durch den Tod seines Vaters veran-
lasst, wanderte er ohne Mittel, sechzehn Jahre alt, nach Paris, nahm Arbeit bei
einem Instrumentenmacher und erfand bald sein Clavecin mecanique , welches drei
Register mit Federn und ein Lederregister besass, mithin Docken- nnd Ham-
merschlag vereinigte , und dies geschah dadurch , dass er gewissermassen zwei
Claviere oder besser zwei mit Saiten bezogene Resonanzböden in einem Kasten her-
stellte, von denen der eine mit um eine Octave höher klingenden Saiten bespannt war.
Das Ertönenlassen geschah durch zwei Claviaturen, die auch gekoppelt werden konnten.
(Im Jahre 1806 versuchte diese schon mehr als dreissig Jahre alte Erfindung ein
Instrum er tenbauer Schmidt wieder nachzumachen.) Er verband sich später mit seinem
Bruder Jean Baptiste Erard, mit dem er seine grosse Fabrik gründete. Durch die
französische Revolution vertrieben, ging er nach England, woselbst er ebenfalls eine Fabrik
für Claviere und Harfen errichtete. 1796 nach Frankreich zurückgekehrt, baute er
Pianofortes nach englischem System, verbesserte jedoch bald die etwas schwerfällige
Construction. Er starb nach thätiger Direction seiner beiden Fabriken in London und
Paris am 5. August 1831 auf seinem Schlosse „La Muette" bei Paris. Sein im Jahre
1796 geborener Neffe, Pierre Erard, brachte die Fabrik in grossartigen Aufschwung und
reröftentlichte im Jahre 1834 eine Zusammenstellung aller Erfindungen, welche seit dem
Bestehen des Erard'schen Etablissement gemacht worden waren. (Perfectionnements
apportes dans le mecanisme du piano par les Erard, depuis l'origine de cet Instrument
jusqu'ä l'exposition de 1834. Paris 1834.)
129
Nachdem Seh. Erard das in der Anmerkung erwähnte Clavecin
mecanique 1768 erfunden, sein erstes Fortepiano im Palaste der Herzo-
gin Madame de Villeroy construirt, 1785 von Louis XVI. ein Patent
auf ungehinderte Ausübung
seinea Faches erhalten, für
die Königin Marie Antoinette
ein mit der Orgel verbundenes
Piano mit zwei Claviaturen,
die eine für das Piano, die
andere für die Orgel, gefer-
tigt, sein Echappement nach
enorlischem Muster an der
Hammermechanik 1794 an-
gebracht, durch die Vorträge
Sieibelfs u. Dusseh' s, welche
nur seine Pianos spielten, eine
Berühmtheit erlangt und ver- ^
schiedene wesentliche Verbes- |
serungen an der Harfe vorge-
nommen hatte, trat er auf
der Pariser Ausstellung im
Jahre 1823 mit seinem Double
Echappement hervor. Dasselbe
bietet den Vortheil, dass der
Hammer nach Anschlag und
Auslösung nicht ganz wieder
in die Lage seiner Ruhe zu-
rückfällt, sondern dass ihn
während des Niederhaltens der
Taste eine zweite Stosszunge
aufnimmt und er dann in sol-
cher Stellung die Elasticität
besitzt, sogleich wieder an die Saite zu schlagen, wenn der Fingerdruck
auf die Taste auch in ganz zarter "Weise erneuert wird.
Von den beiden gegebenen Figuren stell' Figur a den Hammer in
der Lage seiner Ruhe dar, während Figur b die Stellung angiebt, in
9
130
welcher der Hammer zur Repetition befähigt ist. Nachdem Sebastian
Erard seine Agraffen im Jahre 1809 bereits zur Freilegung der Saiten
erfunden, dachte der Neffe Pierre Erard daran , dieses System noch zu
' verbessern. Er erfand nach
langem Nachdenken zur Un-
terstützung der Klangschön-
heit im Jahre 1838 die Barre
harmonique, deren Gestalt in
Figur c abgebildet ist und
deren Lage auf den Discant-
Saiten den höheren Tonregio-
nen ein richtiges Verhältniss
zur Mitte und zum Basse des
Instrumentes ermöglichte. Der
Durchschnitt dieser Barre har-
monique ist in Figur d vor-
geführt, und in Figur e finden
wir den im Jahre 1850 von
Pierre Erard angewandten
Metallsteg über den Discant-
saiten, um diesen eine grös-
sere Intensität des Klanges
zu geben. Die von ihm ge-
brauchten, von seinem Onkel
erfundenen Agraffen erkennen
wir in Figur f und g, und
alle diese Vorrichtungen bil-
den auch noch in der neue-
sten Zeit das Fundament des
englisch - französischen Me-
chanismus. Figur h macht
uns den ganzen Agraffensteg
von Pierre Erard anschaulich und lässt uns auf das erfindungsreiche
Genie dieses Mannes, welcher der Pianofortebaukunst so grossen Vor-
schub leistete, mit Hochachtung blicken.
Neben Erard ist der genialste französische Erfinder im Pianofortebau
131
1
Jl
Fiffiir 0.
^
n
Pape. Als dieser im Jahre 1826 auf
den Gedanken kam , den Mechanis-
mus seiner Pianoforte über die Saiten
hin anzubringen , erklärten mehrere
Künstler und Pianofortebauer, dass
er damit nie zu einem befriedigenden
Resultate kommen würde Vorzüg-
lich befürchtete man eine schwere
Spielart, obgleich Fetis den Gegen-
beweis anzutreten suchte, derselbe
stellte die Ansicht auf, dass die Töne
viel reiner und heiler erklingen, wenn
die Hämmer beim Anschlage gegen
den Resonanzboden die Saiten be-
rühren, als wo sie nach gewöhnlicher
Weise die Saiten von unten aus ihrer
Piffur e
Figur d.
Lage heben. Pope schien aber doch selbst
manche Mängel bemerkt zu haben, da er
seinen Mechanismus durch fortgesetztes
Nachdenken vereinfachte und für dessen
Dauerhaftigkeit dadurch sorgte , dass er
den Resonanzboden mehr auf den Grund
Figur f.
Figur g.
9-"
132
des Instrumentes senkte und
den Zug der Saiten an der
kräftigsten Stelle des Ka-
stens anbrachte, wobei ober-
halb der volle Raum für eine
bestmögliche Disposition des
Mechanismus zu ungehin-
dert freier Wirkung benutzt
werden konnte. Diese Ver-
vollkommnung sollte den
Vortheil bieten, dass die bei
anderer, gewöhnlicher Bau-
art der Pianofortes ange-
wandten schweren Gestelle
und eisernen Stangen in
Fape^s Instrumenten ganz
wegblieben. Die früheren
Einwendungen gegen die
Schwerfälligkeit des Me-
chanismus wurden dadurch
vollkommen beseitigt, weil
nun seine Claviaturen in der
Behandlung ebenso leicht
waren, als die der allerleich-
testen Pianos, und noch da-
bei den Vorzug besassen,
dass man jeden beliebigen
Grad der Stärke darauf her-
vorbringen konnte. Der Ton
derselben wurde als voll,
kräftig und schön gerühmt,
ebenso habe man — wie Be-
richte aus jener Zeit melden
— das Vorurtheil aufgeben
müssen, dass die Schnecken-
feder, welche die Hämmer
133
aufhebt, durch den Gebrauch bald geschwächt würde. Eine andere sei-
ner Verbesserungen bestand darin, dass er denTheil, wo die Taste gegen
die Stifte sich bewegt, mit einem durch eine Schraube regulirten Leder-
chen belegte, wodurch er das Geräusch der Tasten gänzlich zu vermeiden
suchte. Seine tafelförmigen Pianoforte erfreuten sich einer grossen, weit-
verbreiteten Anerkennung, sowie auch seine flügeiförmigen Instrumente
und sein neu erfundenes Piano table als vorzügliche Kunstwerke galten.
Die Construction seiner Instrumente war damals ungefähr folgende:
Auf einem ebenen Boden ohne Höhlungen, Gestelle und eiserne Stangen
lief der Steg, worauf die Saiten von einem Ende des Instrumentes bis
zum andern gespannt waren, durch welches Mittel der Kasten verkürzt
und doch die Länge der Saiten beibehalten werden konnte. Ferner
wurde durch diese Bauart die Ziehkraft beinahe um ^/g vermindert, wenn
man die Saiten an der Stelle anbrachte, wo der Widerstand am stärk-
sten war, was man zugleich als eine Bürgschaft für die Dauerhaftigkeit
dieser Instrumente ansah, die, so verkürzt und von allem Ueberflüssigen
befreit, beinahe um 200 Pfund leichter waren, als die gewöhnlichen.
Der ganze Mechanismus erschien so einfach, dass kaum die Hälfte der
Stücke und ihres Gewichts, gegen die gewöhnlichen gehalten, herauskam.
Die Tasten waren nicht halb so lang, als die früheren; die Hämmer,
welche unmittelbar vermittelst eines Schwengels auf die Saiten schlugen,
hatten nur eine einzige Reibung, während man bei anderen Bauarten
fünf bis sieben beobachten konnte. Desgleichen gewährte dieser Me-
chanismus wegen seiner Einfachheit dem Stimmer manche Vortheile.
Das kleine Plana table JPape's glich in Form und Umfang einem
mehreckigen Tische. Hob man den oberen Theil desselben auf, so sah
man die Claviatur, welche bis auf den Punkt, wo man spielte, auf ßoUen
hervorgezogen wurde. Der Anschlag war leicht und bequem, der Ton
weit voller und singender, als in den kleinen verticalen Pianos, und über-
raschend im Verhältniss zur Kleinheit des Instrumentes ; den Mechanismus
soll Pape so dauerhaft, wie bei flügel- und tafelförmigen Instrumenten
hergestellt haben, so dass nach dem allerdings mit grosser Vorsicht auf-
zunehmenden Urtheile von Fetis die Vollkommenheit dea Instrumentes
bis auf Kleinigkeiten eine kaum zu überbietende gewesen sei.
Pape's weitere Verdienste bestanden in der Einführung von befilz-
ten anstatt belederten Hämmern, wodurch die Flügel zum Concertvor
134
trag passender gemacht wurden, wogegen für die grössere Dauerhaftig-
keit unbestritten die Belederung zu empfehlen ist*).
Als einer der ältesten Pariser Pianofortefabrikanten zeichnete sich
auch Johann Wilhelm Freudenthaler (geb. in Neckarkardach bei Heilbronn
im Jahre 1761) aus, welcher durch seinen geraden Sinn, durch seine
Eechtschaffenheit , Wohlthätigkeit und Herzensgüte allgemein ge-
schätzt war.
Nach Erarä war Freudenthaler' s Etablissement in Paris das älteste.
Kraft des Tones, Solidität und Dauerhaftigkeit der Bauart waren die
wesentlichsten Eigenschaften seiner Instrumente, und wenn sie nicht alle
anderen an Reiz und Anmuth im Tone und an Leichtigkeit der Spielart
übertrafen, so hatten sie das voraus, dass sie, bis auf die endliche Ab-
nutzung der Claviatur und der Hämmer, gleich einer gut gebauten Vio-
line mit der Zeit noch merklich gewannen: eine bei dem Pianoforte
äusserst seltene Erscheinung, deren Möglichkeit aber Freudenthaler durch
mehr als 2000 Instrumente hinreichend bewies. Früher war er vorzüg-
lich durch seine flügeiförmigen Pianofortes in grossem Rufe. Durch die
Stärke und Dauer des Tones eigneten sich dieselben besonders zur Be-
gleitung mehrstimmiger Musikstücke; dieses mochte auch die Admini-
stration der Academie royale de musique und des Theätre royal italien
bewogen haben, alle ihre Pianofortes von Freudenthaler zu beziehen und
ihm ein Brevet, als ihrem einzigen Ciaviermacher, zu ertheilen.
Freudenthaler war in Paris der Einzige, welcher den Resonanzboden
in schiefer Lage seiner Streifen (Jahre) von der Linken zur Rechten be-
festigte, wie es Broadwood in London, Dieudonne & Schiedmayer in
Stuttgart thaten. Er überfirnisste seine Resonanzboden und bediente sich
Berliner Saiten. Freudenthaler trat noch bei seinen Lebzeiten, ein Jahr
vor seinem Tode, die Fabrik seinen beiden Söhnen ab, welche der Er-
wartung, dass sie ihre Instrumente noch zu höherer Vollkommenheit
bringen würden, auch entsprachen. Sie vereinigten Alles, was zu einem
tüchtigen Instrumentenmacher erfordert wurde, natürliche Anlage, den
*) Pape's Pianoforte ohne Saiten besassen anstatt der Saiten Metallplatten, welche
äurch Hammeranschlag zum Ertönen gebracht ^nirden. Sein achtoctaviges Pianoforte
hatte er so eingerichtet, dass die Claviatur je nach Belieben durch Bedeckung mehrerer
Bass- und Discanttasten bis zu 672 Octaven verkürzt werden konnte. Dagegen war
Pape's und Mercier's Mechanik zum Transponiren nur eine Wiederholung früherer Erfin-
dungen in diesem Punkte.
135
Unterricht ihres Vaters, gute Kenntnisse in der Mechanik und Akustik,
die auf ihren, zu diesem Zwecke gemachten Reisen und besonders in
England gesammelten Beobachtungen und eine Virtuosität im Clavierspiel,
die den anderen Pariser Ciaviermachern meistentheils fehlte. Die weiteren
französischen Resultate in der ersten Hälfte des 19ten Jahrhunderts sind
durch die Londoner Ausstellung von 1851 noch klarer zu erkennen.
Gleichwie vorher Kalkbrenner und Pleyel, gründete auch Henri
Hers, der bekannte Ciavierspieler und Componist, eine Ciavierfabrik,
welche sich durch ihre Fabrikate auf verschiedenen Ausstellungen be-
merkbar machte, ohne sich durch besonders hervorstechende Erfindungen
auszuzeichnen. Das, was die Gebrüder Erard bis in die neuere Zeit
geleistet hatten, blieb für Frankreich massgebend*).
In Deutschland waren in der ersten Hälfte des 19ten Jahrhunderts
namentlich die österreichischen Firmen berühmt, da die übrigen deutschen:
*) Von dem vielgerühmten in Paris ansässigen deutschen Instrumentenmacher Roller
sah man auf der Pariser Kunstausstellung 1824 ein Pianoforte von besonderer Con-
stxuction. Der Umfang des Instrumentes war von C (16 Fuss) bis in das fünfgestrichene
C. Mittelst eines Schlüssels gleich dem einer Pendeluhr wurde die Claviatur nach
Willkühr ein, zwei, drei, vier oder fünf Halbtöne auf- oder abwärts geschoben. Im
ersten Falle verschiebt sich mit jedem Halbtone eine Taste unter dem Resonanzboden,
bei dem Herabstimmen aber verschwinden nach und nach fünf Basstasten. Diese Vor-
richtung war jedoch keine neue Erfindung, sondern wir hatten dieselbe in ähnlicher
Weise beim „Transponirclavicymbel" kennen gelernt. Zur Zeit Roller's bediente man
sich derselben auch in Deutschland, London, Petersburg und an anderen Orten.
Die Instrumentenbauer nahmen überhaupt auf häufig schon längst dagewesene Dinge
Patente, z. B. der hier erwähnte Roller, J. B. Wagner aus Arras, Nie. Legros de la
Neuville zu Paris, Gebrüder Erard für Pianofortes mit einem neuen Mechanismus und
zwei Reihen Tasten einander gegenüber.
Von derselben Zeit, also im Jahre 1824, wird aus Paris berichtet:
„Der junge Liszt, der sich seit einiger Zeit in tmseren vorzüglichsten Privat-Concer-
ten hören Hess, hat auch diesesmal mit seinem fertigen, naiven und gefühlvollen Cla-
vierspiele, seiner freien Phantasie und — seiner Kindheit, den ausserordentlichsten Bei-
fall erhalten. Er spielte ein Clavierconcert von Hummel in Hmoll, auf einem Flügel
von 7 Octaven (vom Contra- C bis zum fünfgestrichenen C), der durch diese übertrie-
bene Ausdehnung den Uebelstand mit sich führte, keine Stimmung zu halten. Man
war genöthigt, in der Mitte eines Stückes abzubrechen, um die um einen halben Ton
gesunkenen Saiten bestmöglichst hinaufzustimmen, und die zerrissenen wieder zu ersetzen.
Mag wohl dieser Unsinn, dem Umfange des Pianofortes keine Schranken zu lassen von den
Clavierspielem herrühren, die dadurch neue Effecte zu erhaltet, glauben, oder vielmehr
von den Ciaviermachern , ^ die dadurch ihren Instrumenten einen Vorzug und Käufer zu
verschaffen suchen? Das Orchester, das doch alle erdenkliche Effecte besitzt, begnügt
sich mit einer Ausdehnung vom Contra G bis viergestrichen C; wenn dieses Orchester
aber ein einziges Instrument wäre und dieses Instrument von einenr einzigen Manne
verfertigt würde, so besässe es zuverlässig schon lange ein Halb Dutzend Octaven mehr "
136 '
Härtel, Schamhach, Irmler in Sachsen, Stocher, Kisting, Perau, Bessa-
US, GehanJir, EcJc, Braun, Schiedmayer, Dörner, Lipp, JRümüUer u. s. w.
wohl kaum eine wirklich neue, eigene Erfindung aufzuweisen hatten*).
*) Bis zum Jahre 1851 herrschte in Deutschland die österreichische Hauptstadt fast
allein im Pianofortebau.
In Norddeutschland regte sich zwar auch die Intelligenz; der Pianofortebau kam
aber in der ersten Hälfte des 19ten Jahrhunderts doch zu keiner rechten Blüthe. Ein-
zelne Daten dürften für Norddeutschland genügen. Zum Beispiel wird vom Jahre 1804
aus Berlin berichtet: Bei der diesjährigen Ausstellung der Kunstwerke der Königlichen
Akademie der bildenden Künste und mechanischen Wissenschaften sind auch einige Ar-
beiten hiesiger musikalischer Instrumentenmacher. Herr J. Müller hat zwei aufrecht-
stehende Pianoforte auf zweierlei Art nach eigener Erfindung geliefert ; Herr J. G.
Conrad ein Fortepiano von Mahagoniholz in ovaler Form mit Bronze verziert, von Contra
E bis viergestrichen C; Herr F. Wilcke ein Pianoforte; Herr G. Hoffmann ein Forte-
piano in rundem Format, von Contra jP bis viergestrichen C ; die Herren Wagner und
Evert ein aufrechtstehendes Fortepiano, mit Marmor- und Alabasterverzierungen, in der
Form eines Cylinders, mit einem Aufsatz, worauf sich eine Achttageuhr befindet; end-
lich Herr Schramm ein Ciavier und ein aufrechtstehendes Fortepiano.
Im Jahre 1806 wurden in Berlin von der Königlichen Akademie der bildenden
Künste und mechanischen Wissenschaften in den Sälen der Akademie öffentlich ausge-
stellt : Von Herrn Schramm : ein Doppel-Fortepiano mit zwei Claviaturen nach eigener
Idee; von Herrn Conrad: ein Ciavier bis zum viergesti-ichenen c; von Herrn Gre/ ein
dreichöriges Fortepiano in Flügelform und eins in Ciavierform, beide mit alabasternen
Verzierungen vom Bildhauer Wolff; von Hrn. Langenbach: ein aufrechtstehendes Forte-
piano in Cylinderform ; von Hrn. J. Müllet : ein aufrechtstehendes Fortepiano in Form
eines Meubels und ein Fortepiano in Ciavierformat; von Hrn. Combe: ein Fortepiano,
dessen innerer Bau sich durch einen neuerfundenen Mechanismus, so wie auch durch
einen sehr angenehmen Ton und sehr dauerhafte Einrichtung auszeichnet; (von Hrn.
Thielemann: eine Lyra-Guitarre und eine Guitarre mit einer neuen mechanischen Vor-
richtung, nach welcher die Wirbel an den Seiten des Halses der Guitarre so angebracht
sind, dass sie vermittelst der Schraube ohne Ende das Umdrehen einer kleinen Welle
bewirken, um welche die Saite befestigt ist, wodurch der Vortheil entsteht, das Instru-
ment auf das Genaueste, Leichteste und in der nämlichen Lage, worin es gespielt wird,
stimmen zu können). Wilhelm Vollmer, Pianofortemacher in Berlin, erhielt im Jahre
1822 ein Patent für ein Tasteninstrument, wo metallene Federn durch Luft in Bewe-
gung gesetzt werden, von ihm Mc'odikt. genannt, welches der Fhysharmonika ganz ähn-
lich war. .
Im Jahre 1824 wurden in Berlin zu Concerten dreichörige Pianofortes verwendet,
Der Pianist Hr. Carl Arnold spielte auf einer neuen Art dreichöriger Pianofortes, die
Hr. Kisting in Tafelform verfertigt hatte, und die sich durch ungewöhnliche Stärke des
Tones und gute Spielart ausgezeichnet haben sollen, da der Mechanismus de? Anschlags
und der Abdämpfung verbessert war.
Der akademische Künstler J. Grüneberg in Halle, dessen Vater das Piano-droit ein-
führte , baute im Anfang des Jahres 1843 einen Cabinetflügel , in welchem der soge-
nannte Leistenkasten durch ein eisernes Gerippe ersetzt wurde. Zwar baute er das
Gehäuse der damaligen Flügelform ganz ähnlich von Holz, doch war das Innere, wo
sonst Stimmstock, Anhängeplatte, Resonanzboden, iiölzerne und eiserne Verspreizungen
befindlich, ganz leer. Alle Theile, welche zur Befestigung und Spannung der Saiten
137
Eine der ältesten Firmen Oesterreichs ist die von Streicher, deren erster
Besitzer der Tochtermann des alten verdienstvollen Stein war und ausser
seiner ausgezeichneten fachmännischen Wirksamkeit durch sein Freund-
schaftsverhältniss zu Schiller, dessen Biographie er in Angriff nahm
interessant geworden ist. Geboren 1761 zu Stuttgart, verheirathete er
sich mit der tüchtigen Pianistin und Pianofortebauerin Nannette Stein
1794 und trat in deren vom Vater ererbten Fabrik später als thätiges
Mitglied ein, nachdem er früher hauptsächlich als Lehrer im Pianoforte-
spiel thätig gewesen war. Seinen Sohn, Herrn J. JB. Streicher, Hess
der treffliche Joh. Andreas Streicher musterhaft erziehen, sendete ihn so-
dann zur weiteren Vervollkommnung auf Reisen und übergab ihm lange
vor seinem Tode, der ihn 71 Jahre alt traf, die ganze Fabrik zur selbst-
ständigen Führung. Streicher's fachliche Leistungen haben sich stets
durch ihre Vollkommenheit, sowie durch sinnreiche Verbesserungen und
Erfindungen ausgezeichnet. Besondere Erwähnung verdient in dieser
Beziehung die von ihm im Jahre 1823 construirte und durch 15 Jahre
patentirt gewesene Hammerschlagmechanik von oben, woraus 1829 sein
Patent - Flügel mit erhabener Tastatur hervorging. Der übrige Theil
desselben war niedriger und wohl um die Hälfte schmäler, als ein ge-
wöhnliches Corpus, die Hämmer schlugen — wie erwähnt — von oben
auf die Saiten und der Ton erschien rund, stark und hell. Dass diese
Erfindung von Schröter herrührt und die alten Pantalonclaviere jeden-
falls zu Vorbildern gedient haben, erscheint nach diesen Berichten ganz
zweifellos. Dennoch Hess sich nach Bekanntwerduno; des Streicher'schen
dienen, bestanden aus massivem Eisen und bildeten mit dem hölzernen Resonanzboden
und der Dämpfung ein isolirtes Ganzes. Dieses eiserne Gerippe mit Saitenbezug,
Dämpfung und dem hölzernen Resonanzboden wurde in das Gehäuse hineingelegt, die
Claviatur sammt Mechanismus in gewöhnlicher Weise eingeschoben und somit das In-
strument in allen seinen Theilen fertig hergestellt. Doch fehlte zu dessen Vollkommen-
heit das wesentlichste Erfordernisse nämlich schöner Ton^ der erst später 'in der zweck-
mässigen Verbindung von Holz un T Eisen erreicht wurde.
1845 soll Julian Morgenstern in Preussisch-Polen eine Verbesserung am Stiram-
stocke des Pianoforte erfunden haben. Statt der gewöhnlichen Wirbel in hölzernen
Slimmstöcktn hat ei nämlich eiserne Stimmschrauben in einem eisernen Gange ange-
bracht und den Schrauben statt der gebräuchlichen verticalen Lage, die horizontale ge-
geben. Die Vorzüge dieser Veränderung sollten darin bestehen, dass die Stimmung sich
besser hielt und mechanisch sehr erleichtert war. Die höherer. Töne erhielten längere
Saiten, wfo ebenfalls mannichfach vortheilhaft gewesen sein soll. Uebrigens konnte die
neue Einrichtung an jedem nach älterer Art gebauten Pianoforte angebracht werden.
138
Mechanismus Fape in Paris ein Brevet auf Claviere mit über den Sai-
ten liegenden Hämmern geben und die Society d'encouragement widmete
dieser ursprünglich Schröter'schen, von Herrn Streicher mit Glück er-
weiterten Erfindung eine höchst lobende Abhandlung. Später vertrat
der Berliner Fabrikant Stöcker das Princip des Hammerschlags von
oben noch mit vielem Glück, und auf der 1862 veranstalteten Lon-
doner Weltausstellung hatten die Herren Wornum & Sons einen ähnlich
o-ebauten Flügel exponirt. Was aber bei den Streicher'schen Piano-
fortes mit Hammerschlag von oben noch wesentlich auf eine bessere
Tonentwickelung fördernd einwirkte, das war die an diesen Instrumenten
zuerst von Streicher eingeführte Weglassung des untern Ciavierbodens,
deren Zweckmässigkeit in der seitdem allgemein gewordenen Anwendung
dieser Verbesserung wohl ihre beste Bestätigung findet. Das im Jahre
1824 erworbene Privilegium Streicher' s, nach welchem er beim aufrecht-
stehenden Pianoforte englischer Construction einen Oetaven-Zug derart
anbringen konnte, dass man vermittelst desselben nicht nur jedem Tone
seine obere Octave beizufügen, sondern auch ganze in den unteren Ton-
lao-en mit den Händen angeschlagene Accorde unter Anwendung eines
Pedaltrittes um eine Octave höher erklingen zu lassen im Stande war, ist
gleichfalls eine schon im löten und 17ten Jahrhundert dagewesene Er-
scheinung, welche nur durch die Hammermechanik einen höhern Grad
von Vollkommenheit erhielt.
Im Jahre 1831 wurden Herrn Streicher zwei weitere Erfindungen pri-
vilegirt und zwar a) ein neuer Mechanismus für englische Cabinet-
Pianofortes, wodurch die Absonderung der Hämmer von den Abstracten
zur Erzielung eines vollkommenen Auslösens und Fangens der Hämmer
erreicht wurde; h) ein für Pianoforte deutschen Kastenbaues, d. h. an
denen der Mechanismus unter dem Resonanzboden liegt, anwendbarer
Stosszungen -Mechanismus mit elastischem Hammerstuhle, beweglichen
Fano-ern und liegender Dämpfung, wodurch nicht nui die dem englischen
Mechanismus sonst eigenthümlichen Uebelstände, wie das störende Po-
chen des Hammerschlages imDiscante, der tiefe Fall der Tasten und die
Schwierigkeit des wiederholten Anschlages mit abwechselnden Fingern,
o-ehoben sind, sondern die bei den Ciavieren nach Wiener Construction
so lange üblich gewesenen und mangelhaften Stiefel-Dämpfungen, gänz-
lich beseitigt wurden. Die Trefiflichkeit der an deren Stelle von
139
Streicher zuerst eingeführten liegenden Dämpfungen hat sich auch so be-
währt, dass man an Ciavieren deutschen Kastenbaues keine anderen
mehr angewendet findet. Nicht minder zweckentsprechend ist die von
Streicher an Flügeln ganz englischer Construction angebrachte Verbes-
serung, den Hammerstuhl aufschlagen oder nach Herausziehen zweier
Stifte von der Claviatur trennen und als Ganzes für sich bei Seite legen
zu können. Da an diesem Hammerstuhle die Kapselleiste wie an seinen
Patent-Flügeln deutschen Kastenbaues im Discant elastisch gelegt ist, so
wird hierdurch das an den Pianofortes ganz englischer Construction
, sonst so störende Pochen der Discanttöne ebenfalls gänzlich beseitigt. —
Die frühere Hammermechanik Streichers, bevor derselbe Flügel nach
amerikanischer Construction baute, erblicken wir in beistehender Figur.
Dass die Firma Streicher für den Ruf der sogenannten Wiener
Mechanik ausserordentlich gewirkt hat, ist schon oft anerkannt worden,
und es dürfte sich kaum eine andere österreichische Fabrik in dieser
Hinsicht mit ihr messen können. Bekanntlich wanderte die von
Sübermann in der ersten Hälfte des 18ten Jahrhunderts annectirte
Schröter'sche Mechanik nach England und fand hier durch Broadwood
weitere Verbreitung, während in Deutschland Steiyi dieselbe Mechanik
zu Grunde legte, bei ihrer Verbesserung aber einen andern Weg ein-
schlug. Von Eng-
land kam die eng-
lische Mechanik
durch Erardndkdh.
Frankreich, wo
sich die anglo-
französische ent-
wickelte, die je-
doch durch die
eben angeführten
Streicher'schen Resultate, welche unmittelbar aus der Stein'schen Me-
chanik hervorgingen, modificirt wurde. Von Deutschland ist ursprüng-
lich Alles ausgegangen, auf Deutschland haben alle Völker, welche
den Pianofortebau treiben, mit Dankbarkeit zu blicken, und die Quelle
der schönen Mechanik, welche das Instrument zu allen Tonschattirun-
gen befähigt, ist das Königreich Sachsen.
Streicher's frühere Hammermechanik .
140
In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts trat der Unter-
schied zwischen der englischen und deutschen Mechanik, deren Ver-
schmelzung sich in der Gegenwart vollzieht, noch sehr deutlich hervor,
und der Vater des modernen Clavierspiels, J. 'Nep. Hummel, geb. 1778,
gest. 1837, fühlte sich daher veranlasst, über den Unterschied der engli-
schen und deutschen
Figur I. Englische Mechanik.
Pianofortemecha-
nik, welche wir in
Figur I u. Figur II
erblicken, Folgen-
des zu veröffentli-
chen : „Es liegen bei
demPianoforte über-
haupt zweierlei Me-
chanismen zu Grun-
de: der deutsche (so-
genannte Wiener), der sich mit Leichtigkeit, und der englische, der sich
minder leicht behandeln lässt; die übrigen sind Zusammensetzungen beider
Figur II. Gewöhnliche deutsche Mechanik.
Arten oder nur theilweise Veränderungen derselben. Es ist nicht zu leug-
nen, dass jeder dieser beiden Mechanismen seine eigenen Vorzüge hat.
Der Wiener lässt von den. zartesten Händen sich leicht behandeln. Er
erlaubt dem Spieler, seinem Vortrage alle möglichen Nuancen zu geben,
spricht deatlich und prompt an, hat einen runden, flötenartigen Ton, der
\
141
sich besonders in grossen Localen von dem accompagnirenden Orchester
gut unterscheidet, und erschwert die Geläufigkeit nicht durch eine zu !
grosse Anstrengung. Diese Pianoforte sind auch dauerhaft und beinahe
im halben Preise der englischen. Diese Instrumente wollen daher auch
nach ihren Eigenschaften behandelt sein; sie erlauben weder ein heftiges
Anstossen und Klopfen der Tasten mit ganzer Schwere des Armes, noch
einen schwerfälligen Anschlag; die Kraft des Tones muss allein durch
die Schnellkraft der Finger hervorgebracht werden. Volle Accorde wer-
den z. B. meist ganz rasch gebrochen vorgetragen und wirken so weit
mehr, als wenn die Töne zusammen auf einmal noch so stark angeschla-
gen werden. Für Männerhände wähle man aber solche deutsche Instru-
mente , die nicht zu seicht oder, wie man auch sagt, zu flach im Anschlage
eind. Dem englischen Mechanismus muss man wegen seiner Dauerhaf-
tigkeit und Fülle des Tones allerdings Recht widerfahren lassen. Diese
Instrumente gestatten jedoch nicht den Grad von Fertigkeit, wie die
Wiener, indem sich der Anschlag der Tasten bedeutend gewichtiger
anfühlt, sie auch viel tiefer fallen und daher die Auslösung der Hämmer
bei wiederholtem Tonanschlage nicht so schnell erfolgen kann. Wer an
solche Instrumente noch nicht gewöhnt ist, lasse sich durch das Tieffallen
der Claves und durch den schweren Anschlag der Tasten keinesweges
stören: nur übernehme er sich nicht im Tempo und spiele alle ge-
schwinden Sätze und Rouladen durchaus mit der gewöhnlichen Leichtig-
keit; auch die kräftig vorzutragenden Stellen und Passagen müssen, wie
bei den deutschen Instrumenten, durch die Kraft der Finger, nicht aber
durch die Schwerkraft des Armes hervorgebracht werden; denn man ge- ,
winnt durch heftiges Schlagen^ da dieser Mechanismus nicht zu so viel- I
fachen Tonabstufungen wie der unsrige geeignet ist, keinen stärkern j
Tongehalt, als die natürliche, kräftige Elasticität der Finger hervorzu- j
bringen vermag. Im ersten Augenblicke fühlt man sich zwar etwas un- j
behaglich, weil wir, besonders im Forte der Rouladen, die Taste bis auf
den Grund fassen, was hier mehr oberflächlich, mehr leichthin geschehen
muss, da man sonst nur mit höchster Anstrengung fortkommen und die
Fertigkeit doppelt erschweren würde. Dagegen bekommt der Gesang
auf diesen Instrumenten durch die Fülle des Tones einen eigenen Reiz
und harmonischen Wohllaut. ' Indessen habe ich beobachtet, dass, so
stark diese Instrumente im Zimmer tönen, sie dennoch in einem grossen
142
Locale die Natur ihres Tones verändern und bei complicirterer Orches-
terbegleitung weniger durchdringen, als die unsrigen, welches, nach mei-
ner Meinung, dem oft gar zu dicken, vollen Tone zuzuschreiben ist."
Hierbei müssen wir wiederum darauf hinweisen, dass die verschie-
dene Art des Anschlags bei beiden Mechaniken die verschiedene Klang-
farbe bewirkte. Bei der Wiener Mechanik tönten jedenfalls bei stärke-
rem Hammeranschlag die höheren Obertöne mehr, als bei der englischen,
wo der Grundton ein allzugrosses Uebergewicht hatte, so dass dem
durch englische Mechanik erzeugten Klange die für den Concertsaal
nöthige Schärfe fehlte. Da man aber früher die Theorie der Helmholtz'-
schen Obertöne nicht kannte, wenn dieselbe auch jetzt noch den meisten
Instrumentenmachern wohl eine Terra incognita ist, und nur von den
Intelligentesten erfasst wird, so konnte man sich jene ' Verschiedenheit in
der Klangfarbe nicht genügend erklären. Hoffentlich nimmt man von
jetzt an bei Herstellung der Mechanik seinen Ausgangspunkt von dieser
wichtigen Entdeckung. —
Von den Reibereien und gegenseitigen Anfeindungen der Instru-
mentenbauer hielten sich auch die österreichischen Fabriken nicht fern,
wie ein interessantes Actenstück aus der ersten Hälfte des 19ten Jahr-
hunderts deutlich darthut. Da dasselbe zugleich einen klaren Einblick in
die österreichische Pianofortebaukunst damaliger Zeit gewährt, so lassen
wir es hier folgen, um dann zur Londoner Ausstellung vom Jahre 1851
übergehen zu können, aus deren Resultaten sich noch so manches bisher
nicht Berührte ergänzen wird. Die Wiener Firma Wachtl & Bleyers
beschuldigte Martin Seuffert ebendaselbst, dass dieser ihre Erfindungen
nachahme und auf jedes Namensschild ungerechtfertigterweise schreibe:
„Erfunden von Martin Seuffert in Wien". Um diese Anmassung
Seufferfs zu widerlegen, suchte jene Firma schon im Jahre 1811 ihre
Erfindungen zur allgemeinen Kenntniss des PubHkums zu bringen. Sie
theilte daher im Zusammenhange Folgendes mit:
„Sieben Jahre sind es nun, dass wir Fortepianos, grösstentheils auf-
rechtstehende und zwar von unserer eigenen Erfindung fertigen. Die
Aufrechtstehenden, womit das klavierliebende Publikum seit mehreren
Juhren überschwemmt wurde, hatten soeben allen Kredit verloren.
Doch uns schreckte dies nicht, da wir wohl wussten, dass die Un-
brauchbarkeit dieser F. P. nicht von der Natur dieser Instrumente,
143
sondern vom Manofel an theoretischen Kenntnissen der Fertiger her-
rühre.
Unser erstes aufrechtstehendes Fortepiano war pyramidenförmig. Es
war durchaus nur zweifach besaitet und wir konnten es gegen jeden
dreifach besaiteten Flügel stellen. Da nun der erste Versuch unseren
Hoffnungen entsprach, so wollten wir auch das Quer-Fortepiano in eine
gefällige stehende Form bringen und zugleich diesem in jeder Hinsicht
mehr Vollkommenheit verschaffen. Auch dies gelang. Jedermann ge-
stand, dass unsere aufrechtstehenden Quer-Fortepianos die Liegenden
weit übertreffen. In zwei Jahren fertigten wir grosse aufrechtstehende
in fünf und stehende Quer-Fortepianos in drei Formen. Nun gings mit
der Verbesserung dieser Instrumente zwar langsamen Schritts, jedoch
immer vorwärts. Das Nöthigste war, den Saitendicken eine gehörige
Proportion zu geben; denn wer sich auf Treu und Glauben der Draht-
fabrikanten verlässt, wird oft schändlich betrogen. Nicht weil es ihnen
an Geschicklichkeit fehlt, nein, sondern weil ihre Abnehmer es so genau
nicht nehmen, so findet man oft unter zwei Nummern einerlei und unter
einer Nummer zweierlei Dicken der Saiten. Dass ferner nicht alle Fabriken
einerlei Mass beobachten, davon kann man sich sehr leicht überzeugen.
Wir gaben unserer gabelförmigen Saitenlehr folgende Einrichtung.
Zwischen zwei Saiten, a b, deren Durchmesser sich verhalten = 1:2,
sind*15 Stufen eingeschaltet und zwar so, dass, wenn man alle Saiten-
Durchmesser in gehöriger Ordnung hinschreibt, eine geometrische Reihe
zum Vorschein kommt. Im geometrischen Verhältnisse müssen die
Saiten-Dicken zu- und abnehmen, wenn die Töne des Instruments
gleichförmig klingen sollen. Wir haben also von a bis b = 17 Num-
mern. Die hiesigen wie die nürnberger Saiten haben zwischen a und b
niu: 6 Nummern und wenn man auch halbe Nummern einschaltet, so hat
man doch nur 15 Nummern, deren halbe Nummern zu Irrungen Anlass
geben. An der Mensur srabs am meisten zu feilen. Diese war durch
mechanische Tradition und vermeintliche Verbesserungen so sehr ver-
stümmelt, dass kein ursprüngliches Octavenverhältniss mehr zu entdecken
war. Wie sehr die Gleichheit der Klänge unter einer verstümmelten
Mensur und unter einer Besaitung, deren Nummern keine Proportion
haben, leidet, ist leicht zu ersehen. Zwar wird mancher hierauf erwiedern,
man könne durch geschickte Belederung die Gleichheit der Klänge her-
144
stellen. Wohl ja, aber wie lange wird diese erzwungene Gleichheit
dauern? Durch einen genau angestellten Versuch, wozu zwei eigene
Apparate und ein Einsaiter verfertigt werden mussten, wurde die Lange,
die Dicke der Saiten und die vortheilhafteste Spannung für die Töne f"
und klein f bestimmt. Aus diesen Tönen wurden die übrigen einzu-
schaltenden 47 Töne, welche eine geometrische Eeihe bilden müssen,
entwickelt und hieraus ergab sich unser Octaven - Verhältniss = 1 t
1-9458608- Wie wichtig in Hinsicht des Stimmunghaltens es ist, den Kasten
so fest zu bauen, dass er sich nicht verziehen kann, sieht jedermann ein;
aber dass das Weichen der Sarge auch den ursprünglich schö-
nen Klang des Instruments verderben könne, dürfte vielen unbekannt
sein. An Beispielen für den letzten Fall fehlt es nicht. Mancher Stüm-
per ist so glücklich, einen schönen Klang in sein Instrument zu bringen
— aber ist die Sarge aus schlechtem Materiale, oder liederlich gebaut,
so weicht die Sarge aus ihrer Stelle, drückt den Resonanzboden — die-
ser verliert dadurch seine freie Elasticität und der Klang verliert sich so
sehr, dass oft nichts, als ein mit Tasten versehenes Hackebret übrig
bleibt. (Verschnüret dem Sänger die Kehle und iasst ihn singen.) Baut
man einen Kasten auf die gewöhnliche Art, nämlich mit massiven Sarg-
stücken und verstrebt die Wände noch so sehr, so findet man in einem
halben Jahre, wenn man den Resonanzboden herausreisst, dass sich
durch die Spannung der Saiten, welche bei 90 Centner beträgt,* alle
Streben bei einer Linie tief in den Wänden eingedrückt haben und nun
ganz los sind. Es ist nicht genug, dass man den Kasten durch einen
massiven Bau zum Stimmhalten tüchtig mache, er muss nicht allein stark,
sondern auch fest gebaut sein, um die Schwingungen der Töne mitma-
chen und verstärken zu können. Im Monat April 1808 bauten wir den
ersten Kasten nach unserm neuerfundenen System. Dieser Kasten hat
die erwähnten Fehler nicht und erfüllt überdies die erwähnten Beding-
nisse in reichem Masse.
Es wird nämlich die ganze Form der Resonanzsarge mit ihren Bän-
dern und Streben aus einer Lage von Leisten, die nuc einen Zoll dick
sind, gebildet, auf diese erste Lage kommt die zweite so zu leimen,
dass sie die Fugen der ersten deckt und bindet, nun kommt die dritte
wie die erste, die vierte wie die zweite und die fünfte wie die erste
Läse darauf. Hier können die Streben sich nicht eindrücken, denn sie
145
sind mit den berührenden Theilen aufs Innigste verbunden und hierdurch
erhält der Kasten eine solche Cohärenz, die der natürlichen nicht
viel nachsteht und daher der akustischen Absicht ungewöhnlich ent-
spricht; denn es ist bekannt, dass ein fester Körper ein vollkommener
Schalleiter ist. Alles Holz wird in einer Darrkammer künstlich getrock-
net. Wir folgten hierin dem guten Beispiel des Herrn Mundinger (hie-
siger Bürger und Tischlermeister), welcher seit ungefähr zwölf Jahren
sich dieser Methode bedient. Wenige Holzarbeiter sehen die Vortheile
dieser Behandlung des Holzes ein. Sie behaupten, die Zeit trockne
das Holz; man lasse aber Holz 50 Jahre in der Luft liegen, so wird es
nicht so trocknen, dass es magnetisch wird, was aber bei der künstli-
chen Trocknung in acht Tagen geschieht. Späterhin machten wir einen
Versuch mit einem Resonanzboden, dessen Holzfasern in schiefer Rich-
tung unter den Saiten hinlaufen.
„Eine Idee, die von unseren ältesten Vorgängern schon ausgeführt
und als unzweckmässig verworfen wurde. Es kam nur auf eine schick-
liche Auswahl des Holzes, auf eine angemessene Dicke des Resonanz-
bodens und auf eine zweckmässige Verbindung desselben an, um einen
Resonanzboden zu erhalten, der, wie Chladmj richtig bemerkt, fähig ist,
jede Schwingung der Saiten anzunehmen, und wir halten dafür, dass ein
Resonanzboden nach gewöhnlicher Art verfertigt, nie jenen hohen Grad
von Schnellkraft und freier Elasticität erhalten werde, welche den Klan»-
und Sang des Instrumentes so sehr vermehrt und die Gleichheit der
Klänge so sehr begünstigt, als dieser Resonanzboden. Ein solcher Re-
sonanzboden bekommt auch nie Wellen oder Bäuche, die bei anderen
Resonanzböden zuweilen so stark werden, dass die Basssaiten aufschla-
gen. Das Holz zu Resonanzböden und Tastaturen wird, bevor es in
die Darre kommt, 48 Stunden lang gedämpft. Der heisse Dampf von
gesalzenem Wasser dringt durch alle Poren des. Holzes ; es löset das in
den Poren befindliche Loch und den Harz auf und führt es auf die
Oberfläche des Holzes, wo man es in braunen Tropfen stehen sieht. Man
sieht leicht ein, dass ein auf diese Art behandelter Resonanzboden nicht
nur dauerhafter, sondern auch der akustischen Absicht angemessener ist.
Die Maschine an unseren stehenden Quer-Fortepianos war von deut-
scher Art. Wir waren nicht zufrieden mit ihr und ich erfand daher
vor zwei Jahren eine Maschine nach ensjUscher Art, wodurch der Klan«-
10
146
an Stärke und Schönheit viel gewann. Die Maschine an unseren gros-
sen stehenden Fortepianos ist von deutscher Art und ist durch manche
Verbesserung nun auf einen höheren Grad von Vollkommenheit gebracht,
als die deutsche Maschine am deutschen Flügel Sie kommt an Einfalt
der letzten gleich, an Dauer und angenehmer Spielart lässt sie jene weit
zurück, welche letzten zwei Eigenschaften an anderen aufrechtstehenden
Fortepianos heute noch vermisst werden. Einige Ciavierspieler bemerk-
ten ganz richtig, dass von unsern stehenden Fortepianos die Töne zu
grell auf das Ohr wirkten; diesem Uebel ist gesteuert, seitdem wir uns
der englischen Erfindung des Schalldeckels bedienen.
„Kenner, die nun Alles in Erwägung ziehen wollen, was ich hier für
Verbesserungen angebe, werden finden, dass ich nicht übertreibe, wenn
ich behaupte, dass unsere Fortepianos en Giraflfe in jeder Hinsicht
einen grossen Vorzug vor den flügeiförmigen Fortepianos haben, das
Einzige ausgenommen, dass man sie der stehenden Form wegen beim
Concerte nicht wohl anbringen kann. — Aber eben diese stehende Form
schafft dem Instrumente eine bessere Natur; viel leichter schwingen hier
die Saiten und alle schwingenden Theile, und geben daher den empfan-
genen Klang mit mehr Wucher zurück, als ein liegender Körper, der auf
4 bis 5 Punkten unterstützt und dadurch zu Schwingungen untauglich
gemacht ist. Uebrigens haben 'unsere Fortepianos nur die drei -Muta-
tionen, als: Forte, Lautenzug und Einsaiter. Auf Begehren fertigen wir
wohl noch den Fagott und die Aeolsharfe dazu, — aber grosse Trommel
und Cinellen nie."
Hieraus ist zugleich ersichtlich, welche Züge zu jener Zeit am meis-
ten im Gebrauch waren und wie nian danach strebte, überflüssige Spie-
lereien nach und nach abzuschaffen; doch haben sich die Erbauer im
Vergleich mit dem liegenden und aufrechtstehenden Resonanzboden ge-
irrt. Ein liegender Eesonanzboden lässt eine grössere Spannung zu und
die Stützen desselben befördern das Zurückwerfen, das Reagiren der
Saiten- und Molecularschwingungen , während ein zu wenig gestütz-
ter aufrechtstehender Resonanzboden durch Transversalschwing-ungen
zum unregelmässigeren Erzittern gebracht wird, daher auch gewöhnlich
bei unseren modernen Pianinos das „Klimpern" mehr bemerkbar ist, als
bei den Flügeln. Immerhin ist jener Bericht wegen der verschiedenen
interessanten Angaben, aus denen sich das Wesen damaliger Pianoforte-
147
baukunst mit ziemlicher Sicherheit erkennen lässt, sehr beachtenswerth^
und wir erfahren auch aus demselben die schon damals feststehende An-
sicht über den Unterschied des deutschen und englischen Mechanismus,
welche doch beide aus einerlei Quelle, d. h. aus dem Geiste des Sachsen
Schröter o^eflossen waren.
Obgleich es für die Geschichte des Claviers ganz unwesentlich ist
die Namen verschiedener Ciavierbauer zu weissen, da sich die Fortschritte
nur an die bedeutendsten Namen knüpfen, so hat doch Oesterreich in
der ersten Hälfte des 19ten Jahrhunderts eine so hervorragende Kolle im
Instrumentenbau gespielt, dass vielleicht die Namhaftmachung einzelner
Firmen nach Thon und Fischhof nicht ungerechtfertigt erscheinen dürfte.
Ausser Andre Stein, Christoj)h,Kober, Walther, Schanz, Bley er, Wachtl,
Brodmann, Leschen, Martin Seuffert, Conr. Graf, Streicher, Bösendorfer,
Schiveighofer sind nach Thon noch besonders zu nennen, und zwar in
Wien: Bertsche, Donal, Hofmann, JäcMsch, Katholnig, Köher, Marschal,
Müller, Rosenberger, Schneider, Seidel, Teutschniann, Wimula, Wist;
ferner Gärtner in Tachau, Gatto in Krems, Gries in Grätz, Guth in
Tschisday, Horach in Kuttenberg, Horack in Zwettl, Kalh in Prag, Kess-
ler in Eger (Ungarn), Kleeblatt in Oedenburg, Klügel in Güns, Mül-
ler in Eger (Böhmen), Eeuss in Prag, Bott in Prag, Schmidt in Salz-
burg, Schmidt in Ellbogen, Schwarz in Salzburg, Schwarz in Grätz, Staii-
dinger in Brunn, Staiidinger in Engelsberg, Weise in Prag, Zausisch in
Wiener Neustadt*).
*) Von den Oesteneichern erlernten meistentheils die Italiener die Pianofortebau-
kunst ; doch blieb in Italien die Fabrikation immerhin spärlich genug. Einzelne soge-
nannte Erfindungen und Verbesserungen diirften kaum auf Neuheit Anspruch erheben,
z. B. diejenige des Abtes Gregorio Trentino vom Jahre 1817.
„Nachdem dieser Abt in Venedig den Preis bei der Industrieausstellung für eine
"kostbare, zu Mailand erbaute Harfe erhalten hatte, verfertigte er im Jahre 1817 ein
Pianoforte, welches nach dem Urtheile der erfahrensten Kenner, z. B. Ayblinger
und Pavesi in Venedig und Capellmeister Simon Mai/er aus Pergamo, mit den besseren
Deutschlands wetteiferte. Da bei den gewöhnlichen Pianofortes ein voller, majestäti-
scher Bass — der wahre Grand, die Seele der Harmonie — nicht selten fehlte, so war
imser Künstler vornehmlich darauf bedacht, diesen Mangel zu verbessern und diese
Lücke auszufüllen, indem er unter dem gewöhnlichen oberen Kasten des Instrumentes
noch einen anderen anbrachte, der die eine Octave tieferen Saiten enthielt, von denen
je /.wei — wie gewöhnlich — mit einer dritten, eine Octave höher erklingenden ver-
bunden waren und so ein mit dem Uebrigen genau zusammenhängendes Pedal von zwei
Octaven bildeten, das vollkommen eben so stark,' eben so leicht und sicher, auch eben
60 zart und fein mit den Füssen behandelt werden konnte, wie das Manual mit den
10*
148
Bei diesen Namenerwähnungen wollen wir auch die Angaben Fisch-
Jiofs nicht übergehen, dass Georg Staufer und Max Haidinger auf kreis-
förmige Pianofortes 1824, Fr. Schuster auf sein unverstimmbares Ciavier
Adiaphanon 1821, Carl Stein auf Vorrichtungen zur Vermeidung des
Klapperns der Tastatur 1828, Matth. Müller auf ein Ciavier mit zwei
Claviaturen, genannt Dittanaklasis, 1800, und 1801 auf Claviere mit
Claviaturen über den Saiten und dem Stimmstockklotze, sowie mit Ham-
merschlag von oben Patente erhielten.
Leschen brachte 1826 den > Stimmstock so an, dass die Saiten unter
ihm befestigt wurden und der Hammerschlag an die Saiten von unten
gegen den Steg und Stimmstock geschah. Ehlers machte eine Verbes-
serung auf dem Stimmstock, denselben doppelt (Capo tasta) von Metall
Eisen, Messing oder auch aus Holz so anzubringen, dass der Anschlag des
Hammers gegen diesen Steg geschah, der sich auf und nieder, vor- und
rückwärts schrauben Hess. Diese Vorrichtung sollte die Vortheile gewähren,
durch Verkürzung oder Verlängerung der Mensur das Instrument höher
oder tiefer oder mit anderen Instrumenten augenblicklich gleichstimmen
zu können. Die metallene Vorrichtung war in drei Theile getheilt, einer
für den Bass, der zweite für die Mittellage, der dritte für den Sopran.
„Die Stegstifte", berichtet Fischhof ferner, „erhielten durch Matth. ,
Müller die Aenderung, dass er anstatt jener, Stimmgabeln von Stahl
oder Messing; mittelst Stimmstiften anwendete, die nach den Saiten ihre
Händen. Auch -«Tirde durch einen leichten Mechanismus bewirkt, dass die Züge, welche
die Veränderungen im oberen Kasten regierten, dasselbe im Pedal hervorbrachten, wo-
durch ein vollkommenes Uebereinstimmen, wie bei einem ganzen, auf einmal ertönenden
Orchester, zu Stande kam."
Dieses Instrument, welches Abt Trentin Pianoforte-Organistico nannte, soll sich da-
bei durch sanften, deutlichen Ton, durch feste Stimmung, durch Leichtigkeit des An-
schlags, sowohl bei den Tasten, welche mit den Händen, als denen, welche mit den
Füssen behandelt werden, ausgezeichnet haben. Die innere Bauart und die genaue Zu-
sammenfügung der einzelnen Theile hing von wenigen Schrauben und wenigen Federn
ab, die leicht beweglich, aber doch zugleich dauerhaft waren, so dass das Instrimient
nicht leicht leiden, oder auch bei einer sehr unbescheidenen Behandlungsart beschädigt
werden konnte. Auch vermochte man das Pedal dieses Pianoforte-Organistico bei jedem
anderen Pianoforte als Anhang anzubringen. Der Preis des doppelten Pianoforte- Or-
ganistico von Nuss- oder Kirschbaum war 2500 Franken. Ein zweiter Preis für den
blossen Körper zum Pedale, um bei einem anderen Pianoforte verwendet zu werden,
war 625 Franken. Das Pedal erzielte natürlich in Verbindung mit den Basssaiten des
eigentlichen Cla^^ers einen volleren Grundbass, eine Verbindung, welche man früher
schon längst erfunden hatte, wie es die Geschichte genugsam nachweist.
149
Verjüngung erhalten und nach dem Tone, den ihre Saiten haben, ge-
stimmt werden, wodurch die dritte Saite entbehrlich, die Fülle des Tones
befördert und noch mancher Vortheil erzielt werden." Die unberippten
Resonanzböden Brodmann' S, die Freilegung der Corpuszarge Promber-
ger's, die Legung des Resonanzbodens über die Saiten von Joh. Jac. Goll,
die doppelten Resonanzböden und die theilweise Verwendung pergament-
artig zubereiteter Ochsenhaut von Fried, die Verbesserungen damit von
Janssen, die Wölbungen des Resonanzbodens von Anders, die Legung
mehrerer Resonanzböden und der Schallboden Hoxa!s, das Apollirikon von
Weiss, das Sirenion Promherger's u. s. w. waren alle vorübergehende
Erscheinungen. Die Anwendung der hölzernen, mit Eisenblech überzo-
genen Anhängplatte, statt der in Frankreich und England üblichen Eisen-
platten, wie sie Streicher einführte, „wodurch bei gleicher Solidität des
Instrumentes ein geringeres Gewicht desselben erzweckt ist, und ferner
das Abnehmen der unter dem Resonanzboden befindlichen Zarge bis bei-
nahe an den Resonanzboden, bei mit Röhrenverspreizung versehenen Ciavie-
ren", erscheint als eine Nachahmung Pape'scher Erfindungen; überhaupt
glauben wir, dass wohl Einer den Andern nachahmte und keiner — weder
Streicher noch Pape — ganz frei vom Vorwurf der Nachahmung sein
dürfte, der überdies in den Augen Unparteiischer gar kein Vorwurf ist,
weil doch Einer vom Andern lernen muss. Wilhelm Bachmann, Eies,
L. Beregszashj, F. Mata u. A. noch erwähnend, wenden wir uns zu den
bedeutendsten Ausstellunoren.
VII.
Der Standpunkt des Piauofortebanes anf den Ansstellnngen.
Aus dem Verlauf äer Geschichte wird sich ergeben haben, dass aus
dem Clavichord das tafelförmige Piano, aus dem Clavicitherium das
Pianino, aus dem Clavicymbel der Flügel hervorging. Alle drei Arten des
Claviers erfreuen sich jetzt der weitesten Verbreitung, wie sie die Fa-
brikation der bedeutenderen Firmen deutlich erkennen lässt. Die
Herstellung dieser drei verschiedenen Formen basirt im Allgemeinen
auf gleichen Principien, d. h. Kasten, Saitenbezug mit allem Dazugehö-
150
Figur I.
rigen, Hesonanzboden, Mechanismus, Claviatur, müssen mit gleicher Sorg-
falt gearbeitet sein, wenn das Instrument auf Solidität Anspruch erheben
will. Der in früherer Zeit (um 1850) gewöhnliche Kastenbau, welcher
aber, wie uns die Steinway'schen und Blüthner'schen Constructionen leh-
ren, jetzt zum überwundenen Standpunkt gehört, zeigt sich uns in Figur I
für einen Flügel, in Figur II
für ein vorderstimmiges Tafel-
formpiano, in Figur III für
ein hinterstimmiges Tafelform-
piano. Zum Kasten dürfen
nur gut getrocknete Hölzer
genommen werden, da jede
Feuchtigkeit der Dauerhaftig-
keit und dem Klange Abbruch
thut. Jeder tüchtige Tischler
wird wissen, dass von der
Festigkeit des Kastens ein
grosser Theil von der Klang-
wirkung des Instrumentes und
Dauer der Stimmung abhängt.
Schon Welcker hat nachge-
wiesen, dass „die ungeheure
Spannkraft, welche der Sai-
tenbezug auf den Körper eines
Fortepianos ausübt, einen Bau
erfordere, der das Vermögen
besitzen müsse, dieser Span-
nung hinlänglichen Wider-
stand zu leisten; denn einer
einzigen Saite von 13*/2 Zollen Mensurlänge und einer Dicke wie No. 15
(englisch) müsse man schon ein Gewicht von etwa 70 Pfunden anhängen
wenn sie das a' von 440 Schwingungen angeben solle. Hieraus entstände
für den dreichörigen Flügel bei ganz gleichmässigem Fortschreiten schon
eine Spannlast von 10422 Pfunden." Zur Auswahl des Holzes gehört
Erfahrung und diese kann durch keine Abhandlungen ersetzt, sondern
muss auf praktischem Wege gewonnen werden; wohl aber sind die Aus-
151
einandersetzungen zu empfehlen, welche Welcher in dem oft angeführten
Buche von Seite 49 bis 143 veröffentlicht hat. Da wir keine Anleitung
zum Ciavierbau schreiben, so müssen wir uns bezüglich der Verfertigung
nur auf die nothwendigsten Angaben beschränken. Nächst der Festig-
keit des Holzes wird guter Leim zur Verbindung der zugeschnittenen
Figur II.
Hölzer erfordert und endlich ist die Verspreizüng des Kastens von we-
sentlichem Einflüsse auf die Dauerhaftigkeit und Güte des Instrumentes.
Diese Verspreizüng, welche zu Anfang des I9ten Jahrhunderts mit Ei-
Figur III.
senbarren angebahnt wurde, von denen man 1816 gewöhnlich zwei,
später aber mehrere anAvendete, führte zu mannigfachen Aenderungen.
Stodarfs Röhrenverspreizung haben wir nach Ghlaän^s Bericht bereits
erwähnt. Erard suchte durch einen gusseisernen Rahmen der Spannung
der Saiten grösseren Halt zu geben. Sein Princip vervollkommneten
152
später in sinnreicher Weise die Amerikaner, da ihm selbst die nutz-
reiche Herstellung nicht vollkommen gelang. Gleichfalls ist der Sai-
tenbezug von Seiten der Verfertiger einer genauen Prüfung zu unterwer-
fen. Zu Anfang des 19ten Jahrhunderts galten die Nürnberger Draht-
saiten von Fuchs für die vorzüglichsten, später, um's Jahr 1820, erlangte
Berlin in dieser Hinsicht die Superiorität und nach 1834 wurden die
englischen Gussstahlsaiten besonders von Webster in Birmingham allen
anderen vorgezogen; docjb erzählt uns Welcker, dass die Saiten von
Miller in Wien im Jahre 1850 an Spannkraft die englischen übertrofFen
hätten. — Zur Befestigung der flaiten bedient man sich der Wirbel und
Stegstifte, deren Fabrikation auf dazu erfundenen Maschinen geschieht.
Die Mensur der Saiten muss je nach der Grösse des Kastens und Reso-
nanzbodens bestimmt w^erden. Am besten scheint das Verfahren des
Ciavierbauers ^wY^m^ in Bern zu sein, welcher statt des Monochordes ei-
nen Proportionalcirkel von 26 bis 28 Zoll Länge erfand, dessen Schen-
kel er in 500 Theile theilte. Bei der Anwendung öffnete er die Schen-
kel bis zur Länge der als Ausgangspunkt angenommenen Saite, „z. B. für
das kleine f, welches eine Länge von 34 Zoll verträgt, so dass diese
Länge zwischen den beiden Punkten 500 enthalten ist"*). Die Länge
für fis und die folgenden Töne ist dann in nachstehenden Zahlen
fixirt: fis = 472, g = 4451/2, gis = 4201/2, a = 397 u. s. w., welche
Berechnung Jedem ganz klar sein wird, der unsere Bemerkungen über
Tonmessung nachgelesen hat. Hinter den Resonanzbodensteg legt man
gewöhnlich die Anhängeplatte von Metall oder Eisenblech, welche, durch
Eisenstäbe gestützt, das NachschAvirren der Töne verhindert. Hierdurch
erhält dieLage der Saiten mehr Raum und die Anhängestifte gewinnen einen
besseren Platz, Gleichwie der Klangsteg von Metall, welchfer am Stimm-
stock häufig über die Saiten gelegt wurde und den Bisher, Collard, Erard
und Andere in verschiedenen Formen benutzten, so sind auch in neuerer Zeit
vielfach die von Sebastian Erard zuerst gebrauchten, schon früher erwähn-
ten Agraffen für jedes einzelne Saitenchor angewendet worden, und die
Firma Steinwar/ ^ Söhne in New-York schreibt denselben bei richtiger
Verwerthung keine unwesentliche Förderung des Klanges zu. üeber den
Resonanzboden haben wir uns schon im akustischen Theile ausgespro-
*) Welcher, S. 8^-
153
chen; hier bleibt nur zu bemerken, dass für jedes Instrument der Reso-
nanzboden besonders geprüft und seine Berippung darnach eingerichtet
werden sollte. Wie die verschiedenartigen Klangfiguren ergeben, hat
jeder Resonanzboden vom anderen eine verschiedene Elasticität. Ein
mehr zu Transversalschwingungen neigender Resonanzb "»den bedarf da-
her stärkerer Rippen, als ein anderer, der zum Erzittern im Ganzen we-
niger geneigt ist. Erst nach dem Abprobiren dieser Eigenschaften wird
die Berippung vorzunehmen sein, damit man durch den aufgeleimten
Steg die Saitenschw^nguno-en in richtiger "Weise zum Resonanzboden
überleiten und dessen Molecularschwingungen wenigstens annähernd von
vornherein regeln könne. Wie unendlich viel von der tüchtigen Berip-
pung abhängt, ist uns durch unzählige Beispiele klar geworden, und
gerade in diesem Punkte finden wir vielfach Schablonenarbeit vor, wäh-
rend doch nur wissenschaftliches Erkennen zum Ziele führen kann. Als
die besten Resonanzholzlieferanten werden in Deutschland P. Strunz zu
Aussergefild in Böhmen, G. Liclitenauer zu Dorf Kreuth in Ober-Bayern,
Fr. Plöchinger zu Finsterau in Nieder-Bayern, Michael Poscliinger zu
Oberfrauenau in Nieder-Bayern, Johann Schreiner zu Dexelschlag in
Nieder-Bayern, Jac. Hentsch zu Lindberg genannt. Ueber den Mecha-
nismus zur Erregung der Saiten haben wir bereits gesprochen und dabei
die Broadwood'sche, Erard'sche, Pape'sche und Streicher'sche Mechanik
als besonders nennenswerth in früherer Zeit bezeichnet. In der Gegen-
wart halten wir die Mechanik des Königl. Sächsischen Hofpianoforte-
Fabrikanten Julius JBlüthner in Leipzig für eine sehr empfehlenswerthe, da
die Leichtigkeit der Spielart nicht auf Kosten der Dauerhaftigkeit erzielt ist
und ihre einfache Einrichtung alle Modificationen des Anschlags ver-
stattet. Die Repetition lässt niemals zu wünschen übrig und der Hammer-
kopf schlägt die Saite so, dass aus ihrer Erregung ein harmonisch voller
Ton mit Wegfall der disharmonirenden Obertöne hervorgeht.
Obgleich wir später noch einmal auf Blüthner's treffliche In-
strumente zu sprechen kommen, so wollen wir doch hier durch Zeich-
nung seinen Mechanismus kurz veranschaulichen, da derselbe in Wahr-
heit einen hohen Grad von Vollkommenheit erreicht hat. Diese paten-
tirte Mechanik in allen ihren Details zu beschreibet, würde hier zu weit
führen; die Zeichnung selbst veranschaulicht jedem Einsichtsvollen hin-
reichend die Vorzüge derselben. Z. B. erkennt man in a deutlich den Ab-
154
sträct, welcher mit dem Hammerstiel verbunden ist. In h sieht man eine
Feder, die Hammerstiel und Abstract zu elastischer Thätigkeit befähigt,
und in c erkennen wir die den Stösser festhaltende Feder. Durch die
feine, zarte Feder, wie wir
sie in d, dem Stösser mit Win-
kel, wahrnehmen, wird die Spiel-
art ausserordentlich leicht und
angenehm, während die Stell-
schraube e zur Trao;ung des
Hammerkopfs dient und die ganz
genaue Regulirung ermöglicht.
Wenn nun die Stoffe zur Gar-
nitur sorgfältig gewählt, geson-
dert und abprobirt werden, so
dürfte diese Mechanik sicherlich
keine Rivalität zu scheuen ha-
ben, wovon die Flügelfabrikation
Blüthner's das gültigste Zeug-
niss selbst liefert. Im Kastenbau
wendet Julius Blüthner ganz al-
lein die symmetrische Form an,
wodurch er entschieden viel Re-
sonanzbodentläche gewinnt. Bei
Besprechung der Pariser Aus-
stellung nehmen- wir auf dieselbe
noch näher Bezug; hier theilen
wir den Kastenbau nebst dem
Verspreizungssystem mit, um die
Vortheile desselben besser zu ver-
anschaulichen. Von deutschen
Instrumenten haben wir nicht
ein einziges kennen gelernt, was
an Kraft die symmetrischen Flü-
gel Blüthner's überboten und in
Schönheit der Klangfarbe er-
reicht hätte. Nicht bloss das Ver-
155
spreizungssystem und die Berippung des Resonanzbodens tragen zur
Klangschönheit so wesentlich bei, sondern es ist auch ein Verdienst
Blütlmer''s, dass er bei je-
dem einzelnen Flügel die
Wahl der Anschlagsstelle
genau priift oder prüfen
lässt und dabei nicht nach
der Schablone verfährt.
Denn die Akustik lehrt,
dass jedes Instrument
seine Individualität be-
sitzt und dass mithin jedes
mit Berücksichtigung der-
selben zusammengesetzt
sein will. Gute Zusam-
mensetzer, mit den nöthi-
sen akustischen Kennt-
nissen ausgerüstet, gehö-
ren freilich zu den Selten-
heiten. Die Erard'sche
Mechanik, sowie über-
haupt dessen ganze Con-
struction, welche man in
Deutschland in der Mitte
des 19ten Jahrhunderts als die vollkommenste betrachtete, kann mit der
Blüthner'schen nicht mehr gleichen Schritt halten, besonders wenn der
Vergleich beim stärkeren Angreifen der Instrumente gezogen wird.
Was nun die Claviatur anbelangt, so hat dieselbe, wie wir sahen,,
die verschiedensten Phasen durchgemacht, Ihre Herstellung stützt sich
aber in der Gegenwart auf die unabänderliche Regel der zwölfstufigen
Abtheilung und die Reproduction der chromatischen Scala bedingt den
bei Flügeln, tafelförmigen Pianos und Pianinos in einerlei Gestalt
erscheinenden vorderen Theil der Tasten. Der hintere Theil ist jedoch
vielfach von der verschiedenen Construction des Saitenbezugs über dem
Resonanzboden abhängig. Für die oeste Einrichtung hält der Piano-
foftebauer TMcA'er, wenn man den Tasten für Flügel durchschnitt-
156
Dämpfung bei deutscher Mechanik. Figur a.
lieh eine ganze Länge von 1 T^/j Zoll, Waagestifte von vorn 8 Zoll, Aus-
löser 13 Zoll, Hammerlinie IG^/g Zoll zukommen lässt.
Den hinterstimmigen tafelförmigen Pianos dürften am besten Tasten
eigen sein, deren ganze Länge vom Contra C ab 18^/4 Zoll, Waagestift von
vorn ö^/s Zoll, Stosszunge 10 Zoll, Hammerlinie 13^/2 Zoll, vom dreige-
strichenen a ab ganze Länge 26^/4 Zoll, Waagestifte von vorn 11^/4 Zoll,
Stosszunge 22^/2 Zoll, Hammerlinie 25^/4 Zoll beträgt. Die Tasten für
Pianinos dürften eine Länge von 14 Zoll, einen Waagestift von 8 Zoll
und einen Angriffspunkt des Gegenhebers von 13 Zoll beanspruchen.
Ochsenbein, Elfenbein und Hirschbein sind die besten Belegungs-
mittel für die Tasten, deren Form wir nicht näher zu beschreiben nöthig
haben, da sie durch die Abbildungen anschaulich gemacht wurde. Die
Dämpfung ist bei den meisten Ciavieren neuester Zeit über den Saiten
angebracht; für die deutsche Mechanik hat man gewöhnlich die Form, wie sie
Pigur a giebt, für die englisch-französische aber die, wie sie Blüthner ange-
bracht. Das Pianino hat ge-
wöhnlich im ganzen eine solche
Mechanik, wie sie uns Figur h
zeigt. Geschieht bei tafelför-
migen Instrumenten, obgleich
das jetzt nicht mehr gebräuch-
lich ist, der Hammerschlag von
oben, wie Figur c erkennen lässt, so ist es zweckdienlicher, die Dämpfung
unterhalb anzubringen.
Nach dieser übersichtlichen Orientirung gehen wir zur Londoner
Ausstellung im Jahre 1851 über, welche als die erste wahrhaft bedeu-
tende und tiefgreifende zu bezeichnen ist.
Von dieser berichtet Fischhofin sehr eingehender und sachkundiger
Weise. Er führt uns zuerst England vor und nennt bei diesem Lande
zunächst Addison und Harvar. Der Erstere nannte sein aufrechtstehendes
Pianino Eoyal Albert transposing Pianoforte, dessen System aus Frank-
furt stammte.
Pape in Paris hatte nämHch früher eine getheilte Taste erfunden,
deren ursprünglicher Zweck dahin ging, den schweren Anschlag
etwas leichter zu machen. Mercier bediente sich derselben Erfindung,
jedoch zum Zwecke der Transposition. Er verkaufte sein Patent aa
157
Addison. Die Tasten waren in der
Länge getheilt — der vordere Theil
sowie der hintere konnten einzeln und
unabhängig von einander bewegt wer-
den — mit einander Avaren sie ver-
bunden durch einen schiebbaren He-
bel, der sich unten befand, so zwar,
dass, wenn vorn immer eine und die-
selbe Taste angeschlagen wurde, durch
diesen Hebel nach Belieben die Saiten
der Nachbartöne von dem hinteren
Ende erklangen. Uarivar stellte ein
aufrechtstehendes Piano von einem an-
dern Transponirsysteme aus, nach wel-
chem sich nicht die Claviatur, sondern
der ganze Resonanzboden mit sei-
nem Bezüge verschieben musste, ein
Verfahren, dessen Ungeschicktheit
auf der Hand
liegt. ÄUisonEo-
hert & Comjp. be-
malte die Tasten,
um die Erlernung
der Scala zu
erleichtern und
zwar abweichend
sowohl von "der
älteren Art, wo
die Untertasten
schwarz und die
Obertasten weiss
waren , als auch
von dem moder-
nen Usus, bei
welchem gerade
das Gegentheil
Figur b.
Figur c.
158
stattfindet, mit anderen Farben, nämlich: 0= rothgrau, Cis = weiss,
J) = rothgrau, Dis == weiss, E = rothgrau, F = weiss, Fis = roth-
grau, G = weiss, Gis = rothgrau, A == weiss, Ais = rothgrau,
H = weiss. Dass die Scalenerlernung dadurch etwa befördert M^erden
könnte, scheint uns unglaubhaft, gleichwie auch der von Gerher be-
richtete Versuch HoJdeder's, des pommerschen Pastors in Friedland,
im Jahre 1792, keinen Nutzen schaffte. Denn der von ihm der Berliner
Akademie zur Begutachtung vorgeschlagene Farbenwechsel von Taste zu
Taste kann unmöglich das Erlernen der Scala erleichtern. Dergleichen
dilettantische Spielereien brachten sogar den Pariser Instrumentenmacher
Carl Lemme um Vermögen und Verstand, so dass derselbe in Folge des
Wahnsinns starb.
Jones & Comp., gleichwie Pirsson in New- York, hatten Zwillings-
Instrumente ausgestellt. Ersterer in aufrechter Form, der Andere ein Dop-
pelpianoforte. FiscMiof sagt über Letzteres, es sei beinahe ein doppelter
Bau, welcher in einem Kasten nebeneinander zwei vollständige Claviere
darstelle, hingegen im Instrumente von Jones, welches zweien Pianinos,
die sich mit dem Eücken aneinanderlehnen, ähnlich wäre, nur ein beiden
gemeinschaftlicher Rahmen sich vorfinde, dagegen auf jeder Seite Tasta-
tur, Resonanzboden, Mechanik und Saitensystem eigens angebracht seien,
wobei der Berichterstatter mit Recht auf das Piano vis-ä-vis von Andreas
Stein 1785 aufmerksam macht. Uns scheint dieser Mechanismus beim
Pianino ganz unpraktisch zu sein, weil sich bei Vorträgen von Doppel-
concerten die Spieler ja nicht sehen können, und dies ist hierbei, wie je-
der Pianist weiss, durchaus nothwendig.
Sodann finden w'iv Jenkins & Sohn mit einem Cottage -Pianino er-
wähnt, welches vergrössert und verkleinert werden konnte, gleichwie
Marius schon 1712 seine Clavecins bris^s eingerichtet hatte. FiscJihof
fand bei Alexandre & Fils und bei Deutsclimann (in Wien) dieselbe
Mechanik auf Physharmonikas angewendet.
Cadhjfs grosses Pianoforte von 7 Octaven und zwei aufrechten
Cottages, wo der Resonanzboden vom Corpus und Stimmstocke getrennt
erschien und ein riesiges Verspreizungssystem mit Schrauben über den
ganzen Umkreis des Instrumentes verbreitet war, welche letzteren durch
eiserne Zapfen mit dem Resonanzboden in Verbindung standen, so dass
man ihn, gleichwie die Pauke, spannen und nachlassen konnte, Hess
159
durchaus nicht die erstrebte Klangschönheit wahrnehmen. Hmid S Sohn
fanden mit einem auirechtstehenden Piano in lyraähnUcher Gestalt
grosse Anerkennung. Dieses Instrument hatten die Erbauer mit einei
hohlen, dem Tone mehr Schallkraft verleihenden Estrade verbunden,
welche Höhlung sie zugleich benutzten, um die tiefen Basssaiten ebenso
lang aufzuziehen, wie bei grossen Ciavieren. Der Spieler war bei ge-
ringerer Höhe des Aufsatzes dem Publicum sichtbar und die Rückwand
schön verziert.
Kirhnan & Sohn zeichneten sich mit zwei guten Pianofortea,
einem aufrechtstehenden Cottage und einem Modell in verkleiner-
tem Massstabe aus, welches alle Verbesserungen in sich vereinigen
sollte.
Gh'eine/s Pianoforte mit zwei Saiten für jede Taste und mit einer
gleich dem Sprachrohr gehöhlten Krummseite des Flügels, Matthews' me-
tallreichen Flügel, und Eolfe's Instrumente mit double action erwähnt
der Berichterstatter gleichfalls in lobender Weise. Er kommt sodann zu
der alten, schon in den zwanziger Jahren durch ihr Verspreizungssystem
bekannten Firma Stodart, welche 8 Hohlröhren an ihrem 6^/4 Octaven
enthaltenden grossen Claviere zur Verstärkung des Tones angebracht
hatte, ohne damit das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Von demselben
Hause lernte Herr Fischhof ein tafelförmiges Piano „ compact Square "
von 6^/4 Octaven kennen, welches 6 oder 8 Zoll kürzer war, als die
gewöhnlichem Instrumente dieser Gattung. Die von oben wirkende
Hammermechanik hatte Greiner durch Entfernung der Federn wesentlich
verbessert.
Wornuni's zweisaitiger Stutzflügel „ Albion " besass ebenfalls eine
1842 patentirte von oben wirkende Hammermechanik.
CoUard, die durch 3Iusio Clementi emporgehobene Firma, glänzte
durch ihr grosses Pianoforte von 7 Octaven, durch ihr tafelförmiges Cia-
vier und durch das billige aufrechtstehende Piano for thepeople, wobei
Fischhof besonders die Spielart hervorhebt.
JBroadtvood's Verdienste haben wir bereits nach Quellenberichten aus
früherer Zeit bemerkt ; auf der Londoner Ausstellung erschien die Klang-
farbe seiner Instrumente als die schönste. Der Ton war mächtig,
grossartig, rund, weich und der zartesten Behandlung fähig. Fischhof er-
klärt sie für Meisterwerke, der höchsten Geltung würdig.
160
Erarä's Instrumente befanden sich zugleich in der enghschen und
französischen Abtheilung mit Ausnahme eines Prachtflügels, Avelcher im
Schiffe des Gebäudes auf einer Estrade prangte. Eines seiner Pianofor-
tes war 6 Zoll breiter, als die gewöhnlichen, und hatte 7 Octaven Umfang
(von A zu A). Die breitere Anlage geschah deshalb, um die Saiten
etwas weiter von einander zu theilen und die Schwingungen der diesel-
ben umgebenden Luftmasse dadurch mächtiger in Bewegung zu setzen.
Sein Stutzflügel „ Short-grand " von 7 Octaven zeichnete sich ebenso
durch klaren, edlen Ton aus, wie sein tafelförmiges Instrument, und an
einem aufrechtstehenden Piano hatte Erard die Repetitionsmechanik an-
gebracht, deren er sich bei grossen Instrumenten bediente. Sein Pedal mit
zwei Octaven Umfang erschien zur Ausführung Bach'scher Compositionen
vorzüglich geeignet.
Henri Hern stellte Flügel mit über den Saiten liegenden Resonanz-
böden nach Joh. Jac. GolVs System 1 822 aus, welches durch den Associe
von Hers, den Ciaviermacher Klepfer, verbessert worden war. Sein
Piano eolien besass die nicht mehr unbekannte Vorrichtung, vermittelst,
welcher nach dem Anschlag ein Luftzug über den Saiten das An- und
Abschwellen der Töne bewirkte. Die mit jeder Taste in Verbindung
stehende Klappe zur Leitung des Luftzuges wurde durch den Anschlag
geöffnet und die Winderzeugung durch Bälge bewerkstelligt, welche
man mit den Füssen trat. Das Anemo-Corde SchieWs in Paris 1789,
mit welchem dieser sich 1795 aus der Revolution rettete, mit dem er 1799
in Wien vor das Publicum trat und auf dem Hummel 1811 in Wien
improvisirt haben soll, scheint zur Construction jenes Herz'schen Instru-
mentes die Grundlage geboten zu haben, nachdem der mit Hers bekannte
Mechaniker Isoard manche Verbesserungen erdacht hatte.
Äewn Pape'5 Verdienste in Frankreich haben wir schon angeführt; die
verschiedenen Arten seiner Pianos aus damaliger Zeit sind noch jetzt
in Frankreich ganz bel.annt. Die geringeren Leistungen Herdeng' s
aus Angers und Aucher's aus Paris, von Soufleto d' Kleinjasper, von
Franche, Domeny, Bord u. s. w. sind weiter nicht zu berühren, dagegen
der blinde Montal durch seine Transpositions- und Repetitionsmechanik,
ferner durch seine Anbringung der doppelten Auslösung beim Pianino
gerechtes Aufsehen erregte. Die Vollkommenheit seines Systems der
Transpositionsmechanik, nach welchem die Transposition durch einen
161
Hebel geschah, hatten vor ihm Mercier und Addison vergeblich angestrebt,
Beim Pianino brachte er ein Pedal an, welches die Claviatur erniedrigte,
die Hämmer näher an die Saiten setzte und somit zur Erzeugung des
Pianissinio beitrug.
Von den Uebrigen bewährte sich die alte Firma Boiler (£■ Blandiei
am meisten, wogegen die Instrumente der Association egalitaire Qi, frater-
nelle, ferner von Zeiger, von Jaidin, Dehain u. s. w. nicht bemeriienswerth
erscheinen.
Aus Oesterreich macht der Berichterstatter Pottje, Schneider, Hoxa
und Seuffert namhaft. Hoxä's ausgezeichnet die Stimmung haltendes
Instrument mit klangbaren Metallplättchen in der höchsten Klangregion
und Seufferfs Pianino mit ])raktischer Transpositionsmechanik empfiehlt
Fischhof besonders. Diese Transpositionsmechanik, „ welche durch Drehung
der an der rechten äusseren Claviaturbacke befindlichen Schraube nach
rechts oder links mittelst des beigegebenen langen Stimmschlüssels die
Claviatur unter andere Hammerkopftheile verschob'', war noch dadurch
praktisch, dass sie sich nicht weiter, als unbedingt nöthig, verrückte, in-
dem nämlich der Erbauer an der inneren Claviaturseitenbacke erhabene
gelbe Stifte angebracht hatte, welche die richtige Stellung der Claviatur
vermittelst des gelben Knöpfchens anzeigten, dessen Hälfte auf jeder
Seite sichtbar sein musste.
Vom übrigen Deutschland erwähnt der Berichterstatter die Namen:
BreitTcopf & HärteJ, Schiedmayer aus Stuttgart, Gebmihr, Westermann,
Lipp, Dörner, Bessalie, Adam, Scheel, Heitemayer, Zeitter und beson-
ders Schröder ausHamburg; aus Dänemark: Ruhms S Hornung, aus der
Schweiz: Hünid' Hubert (mit grossem Lobe), Sprecher d' Bar, Kützing.
Da wir auf Nordamerika bei der Pariser Ausstellung noch näher zu
sprechen kommen, so führen wir hier nur die vom Berichterstatter
erwähnten Namen an: Nunns d Clarh, Meyer, Chickering, Gilbert, Pirs-
sons, James Wood, von denen Chickering als der bedeutendste hervor-
zuheben ist.
Belgien leistete im Ganzen wohl nur sehr Geringes, doch sind die
Firmen Vogelsang, JastrzebsJci , Aerts, Verhasselt zu nennen. Holland
befand sich mit einem unbedeutenden Ciavier allein und aus Russ-
land erregte Lichtenthai mit den ersten übersaitigen Instrumenten
Interesse. —
11
162
Für Deutschland hat die Münchner AussteUung vom Jahre 1854
einiges Interesse, wo bei den ausgestellten Instrumenten hauptsächlich
Erard'sche und englische INIechanik in meist vortheilhafter Anwenduno- zu
erkennen war. Wirklich neue Erfindungen erwähnt der tüchtige Kenner
des Pianofortebaues und vorzügliche Musiker Dr. ScJiafhaeuß nicht,
weshalb wir uns wohl auf Angabe der Auszeichnungen beschränken
können.
Die grosse Denkmünze erhielten:
1. Ä. Biber, Hofpianofortefabrikant in München (Bayern), wegen
Herstellung von Flügeln und tafelförmigen Fortepianos in einem überaus
hohen Grade der Vollendung im Ganzen sowohl als in den einzelnen
Theilen und wegen Erfindung einer sehr einfachen, dauerhaften und den-
noch durchaus vollkommenen Mechanik, welche in Wirklichkeit nur
eine recht anerkennenswerthe Verbesserung der englischen Mechanik
war. Durch Zugabe einer kleinen, an einem Federchen elastisch schwe-
benden Pelote, auf der schiefen Fläche des Stösserkopfes unter dem
Hammerstiele angebracht, wird nämlich der Hammer in jeder Höhe ge-
fangen und die Repetition ist — wie Schaflmeutl sagt ~ so leicht und
sicher und nie versagend, als bei der vollendetsten Erard'schen Mechanik.
Durch diese einfache sinnreiche Erfindung, welche leicht anzufertigen,
einfach, wohlfeil auszuführen und nicht leicht in Unordnung zu bringen
ist, wurde unserem Berichterstatter zufolge in Hinsicht auf den Piano-
fortebau ein grosser Fortschritt hervorgerufen.
2. Eduard Seiiffert, Ciaviermacher in Wien, wegen Herstellung
von fiügelförmigen Pianos von ausserordentlich grossem und schönem
Tone.
3. J. L. Scliiedmayer Sf Söhne in Stuttgart wegen Fabrikation von
sehr schönen und vortrefflichen Fortepianos von edler Tonfarbe und
Begründung eines ausgedehnteren Fabrikationszweiges in Würtemberg.
Ehrenmünzen empfingen:
1. C. H. Schröder in Hamburg für Verfertigung eines ausgezeich-
neten Pianinos.
2. Ernst Haake, Instrumentenmacher in Hannover, wegen Verfer-
tigung eines ausgezeichneten Piccolo (?Pianino) in der einfachsten Form.
163
3. W. JRitniüller in Göttingen wegen Verfertigung eines vortreff-
lich ausgeführten flügeiförmigen Pianos von gleichem, gutem Tone.
4. C. Scheel in Kassel für Verfertigung ausgezeichneter Pianinos.
,5. Fr. Rausch 4" Sohn in Wien wegen Verfertigung von vortreff-
lich ausgeführten flügeiförmigen Pianos von gleichem, gutem Tone.
6. M. ScJiiveighofer^s Wittive in Wien für Verfertigung guter FlügeJ
und tafelförmiger Pianofortes in grossem Massstabe.
7. Westermann Sf C. in Berlin wegen Verfertigung eines vortrefflich
ausgeführten flügeiförmigen Pianos von gleichem, gutem Tone.
8. J. B. Kiews in Düsseldorf für Verfertigung eines vortrefflich
ausgeführten flügeiförmigen Pianos von ganz gleichem, gutem Tone.
9. Ernst Irmler, früher Schambach ^ Merhaut, in Leipzig wegen
Verfertigung eines vortrefflich ausgeführten flügel- und tafelförmigen
Piano von gleichem, gutem Tone.
10. Dieudonne 4' Slxidel in Stuttgart wegen Verfertigung von
vortrefflich ausgeführten flügeiförmigen Pianos von gleichem, gutem
Tone.
11. Eich. Lipp in Stuttgart für Verfertigung von tafelförmigen
Pianofortes von grossem Tone.
12. Frdr. Dörner in Stuttgart wegen Verfertigung guter Flügel
und tafelförmiger Pianofortes in grossem Massstabe.
Belobende Erwähnung:
1. J. J. Jäger in München.
2. C. Ä. Andre in Frankfurt.
3. B. Schott, Söhne, in Mainz.
4. Joh. Hcitzmann in Wien.
5. Emmerich Betsy in AVien.
6. Jos. Schneider in Wien.
7. Joh. Fritz in Gratz.
8. Carl Schmidt in Pest.
9. Ludwig Beregssdszy in Pest.
10. Holling Sf Spangenberg in Zeitz.
11. Julius Blüthner in Leipzig. *
12. Breithopf 4' Hdrtel m lje\T^z\g,
13. • Hagele ^ huts in Aalen.
J1*
164'
14. Maithaes ^ Kanhmiser in Stuttgart.
15. F. Kaim ^ C, Günther In Kirchheim.
Ueber die Pariser Ausstellung vom Jahre 1855 haben wir keine uns
zusagende Quelle finden können, da Fetts allzu unzuverlässig ist, ale
dass wir ihn benutzen könnten. Möglich ist es, dass in der kurzen Zeit
zwischen der Londoner Ausstellung 1851 und Pariser Ausstellung 1855
keine wichtigeren Verbesserungen hervorgebracht wurden; doch nimmt
es uns Wunder, dass wir in keinem musikalischen Fächblatte einen ein-
gehenderen Bericht vorfanden.
Da die Quellen sparsam fliessen, so können wir auch nur spärlich
kredenzen. Wir finden unterden zahlreichen Ausstellungsgegenständen einen
kostbaren Erard'schen Flügel in einem vergoldeten und bemalten Kasten
erwähnt, welcher durchaus der Berühmtheit der Fabrik, aus der er her-
vorgegangen, entsprochen haben soll. In der französischen Musiktrophäe
figurirte ein anderes Piano von Erard, dessen Kasten in Malachit, Perl-
mutter und Jaspis ausgelegt war. Unter den österreichischen Instrumen-
ten werden des vortreflTlichen Tones wegen diejenigen von Bereghszaszy
in Pest, unter den belgischen die von Vogelsang und von Sternberg in
Brüssel namhaft gemacht. Die Instrumente aus der Schweiz em-
pfahlen sich durch ihre Billigkeit, Kopenhagen war durch Homung &
MöUer bemerkenswerther vertreten. Von den spanischen Pianos erwähnt
ein Berichterstatter diejenigen der Firma Botsselot aus Barcelona, deren
Hauptefablissement in Marseille ist; viele Künstler in Paris sollen diesen
Instrumenten den Vorzug vor den Erard'schen gegeben haben, was wir
denn doch stark bezweifeln möchten. Ferner hätten englische Fabriken
mehrere Instrumente nach Paris gesandt, welche im Tone hinter den
französischen zurückgeblieben wären, was wir nicht anzweifeln wollen»
Preussen fand seine beste Vertretung durch Bessalie in Breslau und Wester-
mann in Berlin. Was Würtemberg anbelangt, so hatten Hagele <& Lutz in
Aalen tafelförmige Pianos ausgestellt, welche sich bei billigen Preisen
durch solide Bauart und reichen Klang auszeichneten; als ganz vorzüg-
lich wurden die Instrumente von ScMedmayer & Söhne aus Stuttgart ge-
priesen, welche die Auszeichnungen vollständig gerechtfertigt haben
Bollen, die ihnen in London und München zu Theil geworden sind.
Ueber die Londoner Ausstellung vom Jahre 1862 legen wir Eduard
HanslicKs Bericht in der von Seltnar Bagge redigirten, zu Wien damals
165
erscheinenden deutsehen MusikzeiUmg zu Grunde, welcher über d,e
Jury internationaler Ausstellungen sehr richtig bemerkt: »D.c Dnbe-
fan..enheit der Richter setzen «ir vollständig voraus, wenngleich N.e-
„amlen, unbekannt ist, wie jeder Juror vor Allem seiner «genen Nal.on
die ..rösst -mögliche Zahl von Medaillen durchzusetzen trachAt und da^
durch ein System gegenseitiger, mehr die Herkunft als die Gute betonen-
den Concessionen in's Leben ruft."
Diesen Ausspruch können wir auch getrost für die Pariser Aus-
stellung vom Jahre 1867 acceptircn, wo wir bei der Beurlheilung von
derselben Voraussetzung ausgehen werden, wie es Herr Professor Dr.
Eduard HansUck bei Besprechung der Londoner Ausstellung 186. ge-
than hat. Von dieser sagt der geehrte Berichterstatter, dass s.ch von .hr
ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Ciavierbaues mcht dabren
lasse, da sie zwar manche kleine Verbesserungen, aber kerne durch-
greifende neue Reform aufgewiesen habe. Von den cnghschen
Fabrikanten nennt er besonders wieder Broadmoi, dessen Mechamk er
als bekannt voraussetzt. Nach den neuesten authentischen Angaben
betrage die Summe, welche Broadwood jährlich verausgabt, nach dem
DurcLchnit. der letzten fünf Jahre (von 1857 bis 1862) «»r Emohnung
der Arbeiter (mit Ausschluss der Commis und Faetoren) «.^O« L' *'.'-
für Holzankäufe 17,434 L. St., für Metall 11,40,5 L. S,.,- für Elfcnbe.n
935 L St Die Zahl der in Broadwood's eigener Fabrik beschäftigten
Arbeiter sei 560. die der jährlich verfertigten Pianos 2120 Die von
Broadwood ausgestellten Concertflügel sollen an Kraft tmd Fülle des
Tones, angenehmer Spielart, schöner und dauerhafter Arbe.t Alles ge-
leistet haben, was von den besten Ciavieren einer weltberühniten Firma
„ur immer erwarte, werden konnte. Die Firma CoUard * OoUard er-
wähnt er gleichfalls mit Anerkennung und hebt ausser sechs Concertflugeln
das Modell eines Pianino für Südamerika hervor, das in zwe, Hälften
zu zerlcven war. Ein Maulesel wird rechts und links mit je einer Hälfte
bepackt^und trägt so das ganze Instrument über das A"desge irg.
Rühmenswerther war bei Gollard-. Instrumenten die solide Mechanik
und das feste Corpus, als der namentlich bei den Co.tages häufig man-
gelhafte Ton. Sodann erwähnt er die Repetitionsmechamk Hopkmson s;
die westindische Schnitzarbeit an einem Flügel von Kirk.mm anäSon;
die ^olide Arbeit C. Gadbtfs und CMlcns; die neue Stimmvorrichtung
166
Greiner's, mittelst welcher alle drei Saiten zugleich gestimmt werden
konnten; die der Dauerhaftigkeit wegen unter dem Resonanzboden be-
findliche Eöhrenspreize Hamptotis; die einfache Mechanik Harrison's-
Wormmi's von oben wirkende Hammermechanik; Hüsfs Tubula-Holz-
säulen und» den edlen Ton seiner Instrumente; PoJdmann^s Instrument
vom Jahre 1772, an welchem Gluck nachweislich seine Armida com-
ponirt hatte; CJiappeVs kleines vieroctaviges Ciavier für 10 Guineen;
Lotlce's als Spielzeug zu betrachtendes kleines Ciavier- Glockenspiel;
Charles Hampton' s ganz in Glas gefasstes Piauino, als praktisches Modell
für alle Einzelnheiten des Ciavierbaues; das Fehlen Erard's, dessen
Mechanik so vielfach nachgeahmt wurde; das Streben nach Verein-
fachung der Erard'schen Mechanik von Seiten der Schweizer Huni S
Hubert, des Petersburgers Becker, des Belgiers Sternherg, der Firma
Herz (?) in Paris; die preisgekrönte französische Yixmo, Herz, welcher das
aus 64 Theilen bestehende double echappement Erard's um drei Theile
vereinfacht hatte, obgleich bei seinen Instrumenten der Anschlag wegen
seines Zuckens und der Empfindung nach doppelten Tastenfalls weniger
vorzüglich war, als bei Broadwood; sodann, nach einer Bemerkung über
die allzu ausgedehnte Anwendung des Eisens beim Bau der Claviere, lobt
er PleyeVs einfache Mechanik nach dem Muster der Broadwood'schen
und dessen im Basse gut wirkende Dämpfung von oben; ferner erwähnt
er Wölfefs vollendetes Echappement und seltene Ausgeglichenheit der
Spielart; Blanchet's „nach und nach" übersponnene Basssaiten zur Ver-
meidung des Ueberganges, und dessen Pianino in sehr verkleinertem
Massstabe; Boisselot's gute Arbeit; MontaVs, des blinden Clavierbauers,^
tonschwellendes Pedal, dessen Befestigung des Resonanzbodens durch
eiserne Stangen ohne Leim aus Rücksicht auf zu heisse Climata,
und seine, sowie Blanchet's Transponirvorrichtungen; die Agraflfen
Aucher's (dieselben hatte ja schon Pierre Erard ebenso angewa.ndt); Bords
sich nur durch Billigkeit auszeichnende Claviere; Kriegelstehis präcise, saa-
ber gearbeitete Mechanik bei schwachem Tone; Debain's Piano mic&mquey
das man als Clavierspieler wie ein Ciavier, und als Nichtclavierspieler
vermittelst eingelegter Spielwalzen wie eine Drehorgel behandeln kann,
welche Vorrichtung auch Henri und Martin aus Paris an ihren Pianos
ä donhle Systeme de Ciatier et cylindre angebracht hatten. Nach Be-
sprechung Frankreichs kommt er zum Zollverein, wo er Bechstein's, dea
167
Berliners, vorzügliche Flügel nach dem System von Chickering in Nevv-
York hervorhebt und daneben die Firmen Adam, Knacke, Hardt, Breit-
kopf, Hundt, Spangenberg, Schiedmayer, Doli S,- Kamprath, Malits, Rachais
theils lobend, theils tadelnd namhaft macht. Die nichts Wichtieres
enthaltenden Erörterungen über die belgische Firma Sternherg, über die
Schweizerfirmen Hüni Sf Hubert und Sprecher, über die schlechten spani-
schen Instrumente von Guarro und Mortano, über den Petersburger Flügel
von Becker, über die norwegischen Pianinos von Hals-Brothers', über die
dänischen Pianinos von Carlsen Sf Comp., und von Hornums, endlich über
die schwedischen Pianos von Mulmsjö und von Sülherberg können wir
übergehen. Dagegen widmet Herr Hanslick der ausgezeichneten New-
Yorker Fabrik von Steinway S)- Söhne eine eingehendere Betrachtung,
aus der wir entnehmen, dass schon auf der Londoner Ausstellung von
jener Firma das angebahnt worden ist, was sie auf der Pariser Ausstel-
lung 1867 unbedingt erreicht hat — nämlich die Suprematie über alle
Fabriken der Welt. Da wir auf die hervorragenden Leistungen dieses
deutsch-amerikanischen Hauses noch näher zu sprechen kommen, so be-
merken wir von Nordamerika nur noch die Firma Hidscamp, welche die
Eesonanzbodenspannung zur Saitenspannung vermittelst einer Schrauben-
regulirung in Proportion zu setzen suchte. Von den acht österreichischen
Ausstellern belobt Herr Hanslick besonders Streicher und Ehrbar. Die
Ehrbar'schen Instrumente nahmen jedoch auf der Pariser Ausstellung
eine so massige Stufe ein, dass wir wohl glauben müssen, es seien die in
London 1862 ausgestellten Instrumente dieser Fabrik „ ausnahmsweise "
gut gerathen. Denn auch sonst ist uns Ehrbar, der Nachfolger von
Seiiffert, nie hervorragend erschienen, während wir die lobende Er-
wähnung Streicher' s und ßösendorfers unbedingt unterschreiben; ja wir
finden Letzteren — so weit wir seine Fabrikate kennen — noch zu sehr
hintenangesetzt. Von den Fabriken: Schneider, Cramer, Blümel, Pottje, Be-
regszhdszi ist nur der Letztere, ein Pester, insofern namhaft zu machen,
als er durch einen breiteren Steg die Vibrationen der Saiten besser auf
den Resonanzboden zu übertragen suchte, was ihm auch theihveise ge-
lungen zu sein scheint.
Gehen wir nun zum Schluss der Schrift zur Pariser AVeltaus-
stellung vom Jahre 1867 über, deren Leistungen wir persönlich ken-
nen lernen und prüfen konnten:
168
Der französische Kaiser Napoleon III. hat durch das Zustande-
kommen der Ausstellung eine Idee verwirklicht, deren Grösse Niemand
leugnen, Niemand bemäkeln kann. Die industrielle Verbindung aller
Nationen der Welt, der Wettkampf des Geistes, welcher sich durch die
ausgestellten Erzeugnisse des Genies und Fleisses entwickelte, die dadurch
gegebene Anregung zu weiterem Nachdenken und Erfinden, das dem
Manne der Wissenschaft so nöthige praktische Veranschaulichen der
durch die Theorie gewonnenen Gesetze, vor Allem aber das hohe Be-
wusstsein, dass nur im Frieden der wahre Fortschritt gedeihen, dass nur
geistiges Ringen um die Palme die Völker beglücken und dass nur durch
gegenseitige internationale Unterstützung die Volkswirthschaft, somit
auch Kunst und Wissenschaft, emporblühen können: das hat der geniale
Mann unter Beihülfe der Nationen durch die gewaltige Industrieausstel-
lung vom Jahre 1867 in Paris dargethan und schlagend bewiesen. Wir
gehören nicht zu denen, welche nur das Einheimische allein lobpreisend
erwähnen und anderen Nationen nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen;
daher halten wir es auch für unsere Pflicht auszusprechen, dass sich
Frankreich mit beregter Ausstellung den Dank aller Nationen in hohem
Grade erworben hat.
Wie in Griechenland die Völker zum Kampf der Wagen und Ge-
sänge eilten, wie mit dem Fichtenkranz so manche hochbedeutende
Leistung gekrönt wurde, wie dort die Stämme ihren gegenseitigen Werth
erkannten: so hat sich jetzt in weit höherem Maasse der Process gegen-
seitiger Würdigung zwischen allen Nationen der Erde vollzogen, und
hoffentlich ist diese Würdigung eine Garantie für das Gedeihen des
Friedensw^erkes, mit welchem nur die Kunst w^achsen und blühen kann.
Denn dass leider der Kunstausübung und ihrer Beurtheilung bis
letzt noch oft der gesinnungstüchtige Boden fehlt, lehrte in ihrer Schat
tenseite ebenfalls die Ausstellung. Um während derselben in Paris zui
Geltung zu kommen, bedurfte es vor allen Dingen des Geldes und einer
gewissen Manier im geselligen Verkehr. Die Kunstzustände erschienen
häufig so frivol, dass sich oft der Schwindel in kürzerer Zeit Bahn brach,
als charaktervolle Gesinnung und künstlerisches Können. Das Publicum
liess sich nur zu oft durch bezahlte Artikel leiten und gab auf ein soge-
nanntes Bonmot in Witzblättern und Tagesjournalen mehr, als auf eine
streng; beweisende Abhandlung:. Doch vergass es solchen Charivari-Witz
169
sofort wieder, wenn am anderen Tage ein noch piquanteres Wort von
irgend einem gewonnenen Scribenten ausgesprochen wurde. Wandte nun
der Künstler nicht die nöthigen Mittel an, die Presse für sich zu gewin-
nen, machte er nicht gewissen Recensenten unausgesetzt den Hof, ver-
stand er es nicht, mit Gewandtheit von nichtssagenden Dingen zu sprechen,
und war er nicht im Stande, manchen Rivalitätsintriguen mit noch grös-
serer Schlauheit zu begegnen: dann war er für Paris verloren. — Der
Künstler muss hier stets gerüstet sein, seinen von irgend einem Zeitungs-
artikel zu Boden geschlagenen Ruf von Neuem wiederherzustellen, falls
es ihm vorher überhaupt gelang, sich geltend zu machen. Und was sind
es zuweilen für Leute, welche in Paris über künstlerische Verhältnisse
schreiben und wie Könige mit dem Scepter in der Hand die Feder
führen? Es sind theil weise mit der Technik der Kunst ganz unvertraute
Personen, welche vermöge ihrer Bildung nicht im Stande sind, nur einen
einigermassen sicheren Blick in die künstlerischen Werkstätten zu thun.
Durch solche Oberflächlichkeit der Kritik sind viele Künstler selbst ober-
flächlich geworden und man wird sicherlich unter Zwanzig kaum Einen
finden, der neben dem Gelderwerbe noch etwas Höheres erstrebte. Thut
er aber Letzteres, so wird es ihm kaum gelingen, sich eine Popularität
im edleren Sinne zu erwerben, wofür z. B. Berlios und Gouvy schlagende
Beispiele sind. Beide sind viel zu wenig anerkannt, obgleich namentlich
der Letztere auf dem Gebiete der Instrumentalmusik seit vielen Jahren
bei AVeitem das Gediegenste von allen Pariser Componisten geleistet hat.
Goiinod vermochte allerdings ausnahmsweise durch seine Opern festen
Boden zu erringen; dass aber dem grösseren Theile des Pariser Publicums
eine OfFenbach'sche Tirade höher steht, als die höchste Kunstleistung,
dass ihnen Beethoven! s Fidelio noch als ein Buch mit sieben Siegeln er-
scheint, ist unleugbare Thatsache. Den eigenen gediegeneren National-
kräften, denen man als der grossen Nation entsprossen immerhin noch
mehr geneigt sein muss zu huldigen, ist also schon eine schwere Bahn
vorgezeichnet; das Fremde ist aber unrettbar verloren, wenn es im be-
scheidenen, den wahren Künstler sonst so zierenden Gewände auftritt;
Goethe' s Wort: „Nur die Lumpe sind bescheiden" wird von einem Theile
der Pariser wörtlich genommen, und wehe dem Manne, der es wagt, in
einer weniger coquett zugestutzten Haartour, in einem nicht nach der
neuesten Mode zugeschnittenen Habit in den Gesellschaf tscirkeln dieses
170
Theiles zu erscheinen. Das Schlichte und Einfache gilt dort als Tölpelei,
das Fade und Oberflächliche als guter Ton. Leider haben sich in die
grossen Städte Deutschlands auch manche derartige Missverhältnisse ein-
gesclilichen; in Leipzig sind wir aber noch glücklicherweise weit entfernt
von einem den w^ahren künstlerischen Sinn so untergrabenden Gesell-
schaftstone, der dort sogar in die unteren Schichten Eingang gefunden
hat. Phrasen- und Lorettenthum sind Geschwister von einer Mutter,
welche nur durch fortgesetzte Energie und Thatkraft von Seiten des
besseren Theiles der Kunstfreunde zu beseitigen ist. Dass inmitten eines
solchen Getriebes manche Aussteller viel zu kämpfen hatten, um die Mei-
nung des Publicums für sich zu gewinnen, ist leicht begreiflich. Denn
wenn auch die internationale Jury als oberster Gerichtshof für den Aus-
steller selbst das massgebendste Urtheil lallte, so musste diesem doch viel
daran liegen, im Publicum festen Fuss zu fassen und damit seinen Fabri-
katen eine weitere Verbreitung zu erringen. Aus diesem Bestreben ent-
wickelten sich denn auch die verschiedensten Kämpfe unter den Con-
currenten und man las daher heute ein überschwängliches Lob über die
Erfindungen und Verbesserungen einer Fabrik, was am anderen Tage in
demselben Blatte negirt wurde. Den interessantesten Kampf führten in
dieser Beziehung die beiden amerikanischen Firmen Steinway Sf Söhne
aus New-York und GMchering aus Boston, wobei es natürUch ohne die
merkwürdigsten Keclamen nicht abgehen konnte. Wenn sich der sonst so
gediegene Steinivay veranlasst sah, den angeblichen Ausspruch Rossini^ s mit-
zutheilen: „Die Steinway- Flügel sind gleich gross im Donnersturm des
Gewitters, wie im süssen Flöten der Nachtigall in einer Frühlingsnacht", so
entgegnete ChicJcering, dass Lis^st gesagt habe : „Drei Dinge will ich sehen,
bevor ich sterbe: die Prairien in Amerika, den Niagarafall und — die
Pianos von ChicJcering". Die Ausgaben der beiden Firmen, über Avelche
letzteren man fast jeden Tag einen neuen Artikel lesen konnte, steigerten
sich bis zu einem kaum glaubhaften Maasse, so dass sogar die „Signale"
die Fabel erzählten: „Von den Preisen in Paris während der Weltaus-
stellung wird man sich schwer eine Idee machen können, wenn man
erfährt, dass, wie uns dort glaubhaft versichert wurde, unter anderen die
beiden amerikanischen Ciavierfabrikanten Steinway aus New-York und
ChicJcering aus Boston, während eines allerdings zweimonatlichen Aufent-
haltes nicht unter 400,000 Francs Spesen machten; das heisst, ein Jeder
171
von ihnen! Aber Beide erhielten die goldene Medaille und Chickering
dazu noch einen Orden. — Nicht etwa die Preise für die Wohnungen etc.,
sondern die Preise z. B. für Buchdruckerschwärze waren zu einer so
enormen Höhe gestiegen."*) Ueber die bedeutenderen Leistungen Stevi-
icat/'s konnte man gar nicht im Zweifel sein, wenn man mit der nöthigen
Sachkenntniss eine Vergleichung zwischen seinen und Chichering's Instru-
menten anstellte, welche überdies alle Tage im Ausstellungsgebäude dem
Publicum durch zwei Pianisten vorgeführt wurden. Ausserdem hatten
beide Firmen über ihre Fabrikation Broschüren veröffentlicht, deren un-
gleichmässiger Gehalt sofort in die Augen springt. Während Theodor
Stemivay mit akustischen Kenntnissen ausgerüstet auf die amerikanische
Fabrikation von Pianos im Allgemeinen Rücksicht nimmt, ferner die
Verdienste der einzelnen amerikanischen Pianofortebauer — daher auch
diejenigen der Firma CliicTcering — sachgemäss beleuchtet und schliess-
lich die neuen Constructionen seiner eigenen Instrumente in Wort und
Zeichnung offen darlegt, begnügt sich Chickering va\i allgemeinen Phrasen
über den Werth seiner Fabrik, mit einzelnen Zeugnissen einiger Pianisten
und mit Zeichnungen von den Kasten seiner Instrumente, aus denen
kein Mensch etwas gewinnen, wohl aber Jeder erkennen kann, dass
hinter solcher Oberflächlichkeit auch keine Productivität verborgen liegt.
Schon auf der Londoner Ausstellung 1862 errangen sich die Stein-
way'schen Instrumente die höchste Anerkennung aller Sachverständigen
und man prophezeite damals dem Instrumentenbau durch die Leistungen
des Hauses Steimoay einen neuen, vorher nicht geahnten Aufschwung.
Di§ Pariser Ausstellung 1867 hat alle früheren Erfindungen dieser Fabrik
in gereifter Vollendung erkennen und einen Fortschritt wahrnehmen
lassen, auf welchem jetzt die gesammte Ciavierfabrikation Europas
fussen muss, wenn sie mit der amerikanischen von Steimoay nur an-
nähernd gleichen Schritt halten will. Die einsichtsvollen Instrumenten-
bauer, z. B. Streicher in Wien, weisen auch die Errungenschaften Ame-
rikas nicht zurück, sondern bauen nach ihrer eigenen Aussage jetzt In-
strumente nach amerikanischer Construction, ebenso befleissigen sich die
Pariser, ihre durch das Haus Steinway so weit übertroffiene Fabrikation
durch die Herstellung von Pianos americains zu heben; in England
*) Wir machen hier ausdrücklich darauf aufmerksam , dass dieser Signalscherz
jedenfalls in's Reich der Fabeln gehört. —
172
iicheint man aber noch starr an dem Althergebrachten festzuhalten, wes-
halb auch die berühmte Firma Broadwood nicht bloss von Steinivay, son-
dern von mehreren deutschen Fabrikhäusern weit überflügelt wurde.
Der Standpunkt der Pianofortebaukunst ist also in Amerika durch
das Haus Steimoay Sf Söhne auf eine so hohe Stufe gebracht worden,
dass alle europäischen Fabrikanten zu derselben emporblicken und von
ihr die Gesetze für ihr eigenes Wirken abstrahiren müssen. Diese Stufe
bedingt aber auch als historisches Moment einen Rückblick auf die frühere
Fabrikation, für welche uns die Broschüre Theodor Steituvay's und andere
Belege dankenswerthe Anh altepunkte bieten.
In den ersten drei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts galten die euro-
päischen Instrumente eines Erard, Broadwood, CoUard, sowie auch der
Wiener Fabrikanten in Amerika als einzige preiswürdige Waare und
obgleich das amerikanische Clima den europäischen Erzeugnissen im
Pianofortebau nicht gerade förderlich war, sondern im Gegentheil die
Klangfarbe bei den Pianos matter als im Heimathslande erscheinen liess,
so blieben doch noch im Anfange des 19. Jahrhunderts die Versuche der
Amerikaner im Pianofortebau sehr vereinzelt und unvollkommen. Ersi
im Jahre 1825 ist der erste Schritt zur Verbesserung des Pianoforte-
baues in den Vereinigten Staaten zu entdecken, weil damals zuerst das
Streben hervortrat, durch Benutzung eines vollen gusseisernen Rahmens
dem Corpus mehr Festigkeit und Widerstandskraft gegen den Zug der
Saiten zu geben. Da der Geschmack und die Vorliebe für das tafel-
förmige Piano in Amerika vorherrschend war, so machte man jene Ver-
suche auch zuerst an Instrumenten dieser Gattung (Square Piano) und
erreichte damit eine dem Clima entsprechendere Construction. Ueberhaupt
wendete man sein Hauptaugenmerk auf die Fabrikation von tafelförmigen
Pianofortes, von denen jetzt noch 95 Procent der Gesammtfabrikation er-
baut werden. Die importirten fingen nach und nach an hinter den ein-
heimischen zurückzutreten, weil sie in Folge des häufigen und plötzlichen
Temperaturwechsels die Stimmung nicht hielten, die angenehme Klang-
farbe bald verloren und in den mit Gardinen und Teppichen reich ver-
zierten Salons der vornehmen Klasse bei ihrem schwächeren Tone nicht
vollkommen zur Geltung kommen konnten. Die aufrechtstehenden Pia-
nos, welche in neuerer Zeit allgemein mit Pianinos bezeichnet werden,
befriedigten unter solchen Umständen selbst die massigsten Anforderun-
173
^en nicht und auch jetzt noch ist in Amerika das Vorurtheil gegen diese
Gattung von Instrumenten so tief eingewurzelt, dass die Verfertigung
derselben verhältnissmässig äusserst gering zu nennen ist.
Die historischen Forschungen ergeben, dass im Jahre 1825 Alpheus
Bahcooh in Philadelphia ein Patent auf einen gusseisernen Ring erhielt,
welcher in Harfenform auf ein hinterstimmiges tafelförmiges Pianoforte
geschraubt wurde, um dessen Festigkeit zu erhöhen. Durch diese Erfin-
dung führte der Genannte zuerst das Prineip ein, die Anhängeplatte mit
dem Stütztheile des Stimmstockes zusammen aus einem Stücke zu giessen.
Im Jahre 1833 stellte Conrad Meyer aus Philadelphia im dortigen
Franklin- Institute ein vorderstimmiges Pianoforte aus, welches einen
vollen gusseisernen Rahmen hatte.
Jonas Chickering in Boston (gest. im Jahre 1853) erhielt im Jahre
1840 ein Patent auf einen eisernen Stimmstocksteg nebst Leiste zur Auf-
nahme der Drähte für die Dämpfung. Steg und Leiste waren mit dem
Rahmen zusammengegossen.
Die Anwendung des vollen gusseisernen Rahmens wurde in Amerika
durch die vorzügliche Qualität des Eisens, sowie die grosse Vollkommen-
heit erleichtert, welche die Giesskunst daselbst bereits erreicht hatte.
Dass die Haltbarkeit der Stimmung eines Pianos durch den eisernen
Rahmen bedeutend gewinnen musste, ist unbestreitbar, jedoch litten die
Instrumente mit solcher Construction an einem dünnen, unangenehmen
Nasentone, welcher den Beweis für ungleichmässige Erzeugung der Mole-
cularschwingungen und für das Vorhandensein unharmonischer ObertÖne
liefert. Daher fand auch die neue Erfindung bald ebensoviele Gegner
als Anhänser und wurde bis zum Jahre 1855 von mehr als der Hälfte
der amerikanischen Fabrikanten gar nicht angewendet. Die Gegner waren
in New- York besonders zahlreich vertreten, wo nachweislich kein einziger
Fabrikant von Bedeutung vor dem Jahre 1855 den vollen eisernen Rah-
men bei der Fabrikation von Pianos anwendete.
Die in Boston gefertigten Instrumente hatten alle den gusseisernen
vollen Rahmen, in welchem der Stimmstocksteg ein Theil der eisernen
Platte war. Ueber die spitze Kante des letzteren liefen die durchschnitt-
lich sehr dünnen Saiten und die bei diesen Pianos angewendete Mechanik
war ausschhesslich die oft erwähnte englische. In New- York dagegen
baute man die Instrumente mit kleiner gusseiserner Platte und französi-
174
scher Mechanik, wobei man einen volleren, stärkeren, aber auch weniger
singenden Ton erreichte. Die New-Yorker Fabrikanten erzielten die
Haltbarkeit der Stimmung bei ihren Instrumenten durch solide Versprei-
zunsr des Kastens und namentlich durch Anwendung eines mehr als fünf
Zoll dicken Bodens, welcher das elegante Aussehen der Instrumente etwas
beeinträchtigte. Durch Zunahme des Tonumfangs stellte sich aber auch
bald der Uebelstand ein, dass selbst bei der geschicktesten Anwendung
des Holzes die Festigkeit der Stimmung doch nicht zu erreichen war.
Deshalb musste man darauf denken, das Princip des eisernen Rahmens
wieder aufzunehmen und dabei einige Unzuträglichkeiten desselben zu
■vermeiden, was auch die Firma Steinway Sf Söhne im Jahre 1855 zuerst
erreichte. Der Gründer dieser Firma ist Heinrich Steinioay, welcher am
15. Februar 1797 im Herzogthum Braunschweig geboren wurde. Schon
in seiner früheren Jugend beschäftigte er sich aus Neigung mit dem
Zither- und Guitarrenbau, erlernte später in Goslar die Tischlerei, suchte
sich auch bei einem Orgelbauer mit der Construction der Orgel genau
vertraut zu machen und gründete dann ein selbständiges Geschäft, in
welchem er längere Zeit hindurch Flügel, tafelförmige Pianos und Piani-
nos verfertigte. Im Jahre 1849 fasste der energische Mann den Ent-
schluss, die engen Zollgrenzen seines Vaterlandes zu verlassen, zu welchem
Zwecke er seinen Zweitältesten Sohn Carl in selbem Jahre nach New-York
sendete. Die Berichte desselben lauteten so günstig, dass Heinrich Stän-
ivay im Jahre 1850 mit seiner ganzen Familie ohne Bedenken Europa
verliess und in die amerikanische Hauptstadt übersiedelte. Er Hess sich
daselbst nieder, während der älteste Sohn Theodor das Geschäft des Va-
ters in Deutschland übernahm und mit dem besten Erfolge bis zum Jahre
1865 in Braunschweig fortsetzte. Die musikalischen Tonangeber dieser
Stadt waren, wie wir aus ihrem eigenen Munde hörten, sehr betrübt,
als ihnen 1865 die Gewissheit geworden war, dass der intelligente Theodor
Steinway die Bedeutung seiner Firma mit nach Amerika zu nehmen beab-
sichtige. Denn in der That konnten seine Fabrikate mit allen europäi-
schen siegreich concurriren, welche Thatsache natürlich der Stadt Braun-
schweig mit zu Gute kam und den musikalischen Verhältnissen der-
selben grossen Vorschub leistete.
Heinrich Steinway und seine Söhne Carl, Heinrich,Wilhelm und Albert
beschlossen, in der neuen Welt selbst erst gründlich die Verhältnisse und
175
namentlich den Unterschied zwischen der amerikanischen und deutschen
Pianofortefabrikation kennen zu lernen. Deshalb nahmen sie Anfangs
bei verschiedenen New-Yorker Fabrikanten Arbeit und erst nach Verlauf
von fast drei Jahren gründeten Vater und Söhne ihr eigenes Geschäft,
welches sie Anfangs im Fi'ühjahre 1853 ganz bescheiden im Hinterhause
einer kleinen Strasse (Varichstreet) einrichteten. Obgleich sie zunächst
nur ein Piano in der Woche bauten, so wurden Sachkenner doch bald
auf die Güte ihrer Fabrikate aufmerksam, demzufols:e steigerte sich der
Absatz, und das Geschäft musste zum Zwecke erhöhter Wirksamkeit in
ein geräumiges Gebäude in Walker-Street, nahe dem Broadway, verlegt
werden. Der grosse Erfolg der Firma datirt seit dem Jahre 1855, wo
Steinway Sf Söhne in der New-Yorker Industrieausstellung des American
Institute im Crystallpalaste ein nach einem vollständig neuen Systeme
gebautes Piano ausstellten und auf dasselbe den ersten Preis erhielten.
Seitdem wuchs das Geschäft mit wahrhaft riesenmässiger Geschwindig-
keit und im Jahre 1858 war die Firma genöthigt, ein Grundstück zur
Errichtung einer grossartigen Fabrik anzukaufen, deren Bau 1859 unter-
nommen und 1860 vollendet wurde, wonach man die Fabrik bezog und
bis zum Jahre 1863 in solchen Verhältnissen arbeitete. In diesem Jahre
wurde wiederum der Anbau des südlichen Flügels zur Nohwendigkeit,
nach deren Erfüllung das Gebäude seinen jetzigen Umfang erhielt. Diese
bedeutende Localität wird uns folgendermassen beschrieben:
Die Steinway'sche Pianofabrik liegt in der vierten Avenue in New-
York und nimmt die Länge des ganzen Häusergeviertes zwischen der
52sten und 53sten Strasse (201 Fuss) ein, während zwei Flügel des Ge-
bäudes sich in die beiden letztgenannten Strassen ei'strecken.
Die Fronte an der vierten Avenue ist 201 Fuss lang, bei 40 Fuss
Tiefe. Die Flügel des Gebäudes an der 52sten und 53sten Strasse sind
je 165 Fuss lang bei 40 Fuss Tiefe, so dass die Fabrikgebäude eine un-
unterbrochene Strassenfronte von 531 Fuss haben.
Die Architektur ist modern italienisch, das ganze Gebäude auf die
substantiellste Weise massiv aus Backsteinen erbaut und die Seitenflügel
von dem Frontgebäude durch je eine dicke Mauer getrennt, durch welche
auf jeder Seite mit einer doppelten eisernen Thüre versehene Passagen
führen, so dass bei einer etwaigen Feuersbrunst nur der Tb eil des Ge-
bäudes zerstört werden kann, in welchem das Feuer entstanden ist. Auf
176
dem durch die Front- und Seitengebäude auf drei Seiten umschlossenen
Hofe befinden sich zwei zweistöckige Gebäude, ■von bezüglich 40 Fuss
Tiefe bei 78 Fuss Länge, und 1 00 Fuss Länge bei 20 Fuss Tiefe, welche
die Dampftrockenräume und Packkistenmacherei in den unteren Stock-
werken enthalten.
In den oberen Stockwerken dieser beiden Gebäude werden die
Mechaniken und Dämpferwerke fabricirt, und befindet sich hier eine
Sammlung der vollkommensten und sinnreichsten Maschinerien, welche
zu der Fabrikation dieser Theile existiren.
Die sämmtlichen Gebäude enthalten 118,480 Quadratfuss Boden-
fläche. Hinter der Fabrik befindet sich ein Platz von 35,000 Quadratfuss,
wo fortwährend gegen drei Millionen Fuss Holz aufgestapelt liegen.
Jedes dort liegende Stück Holz wird durchschnittlich zwei Jahre lang
hier der freien Luft ausgesetzt und liegt dann drei Monate lang im
Trockenraume, ehe es gebraucht wird.
Die Dampftrockenräume bestehen aus fünf Abtheilungen, von denen
eine jede mit circa 2000 Fuss Dampfröhren geheizt wird. Jede Abthei-
lung fasst etwa 75,000 Fuss Holz, so dass circa 375,000 Fuss Holz fort-
während in diesen Räumen getrocknet werden.
Unter dem Hofe befinden sich feuerfeste Gewölbe zur Aufnahme
der Kohlen. Hier arbeiten auch vier grosse Dampfkessel von zusam-
men 320 Pferdekraft, welche den nöthigen Dampf für die 70,000 Fuss
Dampfröhren liefern, womit die Trockenräume und Arbeitssäle geheizt
werden, und drei Dampfmaschinen von 125, 50 und 25 Pferdekraft
treiben, welch letztere wiederum nicht weniger als 102 verschiedene Ma-
schinen bewegen.
In einer Fabrik, welche regelmässig wöchentlich mehr als fünfzig Pianos
zu verfertigen hat und der zweckmässigsten wie grösstmöglichsten Theilung
und besten Organisation der Arbeit bedarf, macht sich selbst bei den ein-
fachsten Gegenständen der Gebrauch einer Maschine bezahlt. Die hohe
Steuer von früher sechs, jetzt fünf Procent von der Verkaufssumme eines
jeden Instrumentes und die Höhe der Arbeltslöhne, welche jetzt durch-
schnittlich 26 Dollar für jeden in der Fabrik beschäftigten Arbeiter per
Woche betragen, machten es nothwendig, Maschinenkräfte in der aus-
gedehntesten Weise anzuwenden und viele solcher Maschinen selbst zu
erfinden. Zu diesem Zwecke ist in dem Souterrain der Fabrik eine eigene
177
Abtheilung für Maschinenbau eingerichtet, in der fast alle jene Ma-
schinen gebaut werden, welche die feineren Arbeiten verrichten, denen
die Menschenhand allein niemals eine ähnliche gleichmässige Feinheit
und Vollkommenheit zu geben vermasj.
Die schwerste und grösste Maschinerie befindet sich im Souterrain
der Fabrik, wo sie auf den unter der ganzen Fabrik liegenden Felsen
gebettet ist. Fünf Hobelmaschinen liegen unter dem Flügel der 53sten
Strasse, wo sie das trockene Holz zum Gebrauche der Arbeiter zurich-
ten. Die grösste dieser Maschinen (Daniel's Patent) macht 1200 Um-
drehungen in jeder ^Minute und hobelt eine Fläche von 42 Zoll Breite
und 16 Fuss Länge. Es bedarf 7 Pferdekräfte, dieselbe zu treiben und
sie repräsentirt eine Arbeitskraft von 27 Mann. Eine zweite Hobel-
maschine von 3 Pferdekräften hobelt Breter von 34 Zoll Breite und 16
Fuss Länge, macht 3200 Umdrehungen in der Minute und ersetzt 28
Arbeiter.
Es würde einen massig starken Band erfordern, um die 102 ver-
schiedenen Hobel-, Säge-, Fuge-, Bohr-, Stemm-, Drechsel- und sonstige
Maschinen zu beschreiben und ihre Zwecke zu erklären; so genüge es
denn, dass dieselben nach massiger Schätzung mindestens die Arbeits-
kraft von 500 Menschen ersetzen. Ausserdem verrichten sie alle jene
beschwerlichen Arbeiten, welche früher Gesundheit und Leben der Arbeiter
so sehr gefährdeten. In dem ersten Stockwerke des Flügels an der
53sten Strasse werden die Böden, Stimmstöcke und anderen Theile des
Pianokörpers verleimt und mit Maschinen zum Zusammensetzen fertio-
gemacht. Im zweiten und dritten Stockwerke ist die feinere Maschi-
nerie. Das Stockwerk darüber, sowie der Flügel an der 52sten
Strasse wird von den Kastenmachern benutzt, welche alle unten verfer-
tigten einzelnen Theile zusammensetzen, fourniren und den Pianokörper
bis zum Lackiren vorbereiten. In jedem Stockwerke der Kasten-
macher befinden sich drei grosse Wärmekasten aus gewalztem Eisen mit
Dampfröhren, um eine Hitze von 200 Grad zu erzeugen. Das Lackir-
• departement (Varnishroom) nimmt das ganze obere Stockwerk der Front-
und Seitengebäude, d. h. eine Länge von 531 Fuss ein.
Die durchschnittliche Zeit, in welcher ein Piano fertig lackirt wird,
beträgt drei Monate, so dass sich stets etwa 600 Pianokörper in diesem
Räume befinden. Ungefähr fünf Anstriche von Lack dienen dazu, die
12
178
Poren des Holzes auszufüllen und dasselbe vollständig zu imprägniren.
Jede Lage Lack muss erst ganz trocken sein, bevor der nächste An-
strich folgen darf. Dann wird aller Lack bis auf das Fournier wieder
absrezosren und nun erhält dasselbe wieder fünf oder sechs Anstriche vom
reinsten durchsichtigen Copallack, wovon jeder wenigstens acht Tage
trocknen muss. Dann wird die Oberfläche fein abgeschliffen, und, erst
wenn das Piano ganz fertig ist, polirt.
Selbstverständlich ist dieser Process .ausserordentlich kostspielig,
allein abgesehen davon, dass diese Politur einen prächtigen und dauer-
haften Glanz besitzt, ist ein solcher Schutz gegen alle Einflüsse der
Atmosphäre in diesem Lande ganz unerlässlich nothwendig.
Aus dem zuletzt beschriebenen Stockwerke kommen die vollständig
bis auf die letzte Politur lackirten Pianokörper in das darunter liegende
Stockwerk des Frontgebäudes, wo die Resonanzboden in die Pianokör-
per gefügt werden. Im nächsten Stockwerke unterhalb werden die Sai-
ten aufgezogen und die Mechaniken, wie Claviaturen eingepasst (welche
letzteren in demselben Stockwerke des Flügels an der 52sten Strasse
angefertigt werden). Hier werden auch die fertig lackirten Deckel, die
Beine und die Lyra's angepasst. Die Mechaniken der Pianos werden
in dem nächsten Stockwerke regulirt und die Instrumente dann in das
unterste Stockwerk gebracht, wo der Ton derselben auf die sorgfältigste
Weise egalisirt und abprobirt wird. Nachdem dies geschehen ist, wird
das fertige Instrument nach dem Verkaufslocale gesandt, wo es erst die
letzte Politur erhält.
In demselben Stockwerke an der 53sten Strasse befindet sich das
Comptoir des Etablissements, von welchem aus ein elektrischer Tele-
graph das Verkaufslokal mit der Fabrik in augenblickliche Communi-
cation setzt. An dieser Seite befindet sich auch der einzige während der.
Arbeitsstunden geöffnete Ein- und Ausgang. Neben dem Comptoir ist
das Magazin, welches Mechaniken, Filz, Leder, Schrauben, Elfenbein,
Saiten, Stifte etc. enthält, die zu den inneren Th eilen des Pianos ge-
braucht werden. Von diesen Gegenständen hält die Firma Steinway
& Söhne stets einen Vorrath im Werthe von 30,000 bis 40,000 Dollars.
Das Souterrain des Frontgebäudes enthält alles Eisen und die zu
dessen Verarbeiten erforderlichen Maschinen, sowie auch die Jacaranda-
Fourniere im Werthe von mehr als 20,000 Dollars.
179
Im ganzen Gebäude wird durchaus kein Feuer gebraucht, da jeder
Theil der Fabrik durch Dampfröhren geheizt und durch Gas er-
leuchtet wird.
Vier grosse Dampf hebemaschinen, zwei im Frontgebäude und eine
in jedem Flügel, dienen dazu, alle zu transportirenden Gegenstände in
der Fabrik hinauf oder herunter zu befördern.
An den drei äussersten Enden der Fabrikgebäude befinden sich
Uhren, welche die Zuverlässigkeit der Nachtwächter controliren. Von
diesen Uhren aus laufen Drähte in jedes Stockwerk und wenn diese
Drähte nicht zu gewissen Zeiten gezogen werden, so hat der Wächter
nicht seine vorgeschriebene nächtliche Runde gemacht, welche That-
sache durch die Uhr am nächsten Morgen angezeigt wird. —
In dem südlichen Flügel der Fabrik (52ste Strasse) ist ein
geräumiges Zimmer, dessen Einrichtung und Ausstattung das gei-
stige nruptquartier der Fabrik erkennen lässt. Mensuren und Modelle
für jeden einzelnen Theil eines Instrumentes, aus Holz oder Metall be-
stehend, sind hier aufgestellt und das Betrachten dieser Sammlung zeigt
dem Kenner die allmäligen Fortschritte in dieser Kunstindustrie.
Eine grosse Sammlung von Modellen, von Mechaniken zeigt alle
interessanten Erfindungen, welche in diesem Zweige des Pianofortebaues
o-emacht worden sind, und namentlich die französische Abtheilung in
ihrer Mannigfaltigkeit und Mustergültigkeit.
Waa^e, Zirkel und Gradbogen bestimmen in diesem Räume die
Schwere und Länge für die Pendelbewegung der Saiten. Modelle der
Construction der Klangkörper, sowie Modelle für die Eisenarmirungen
der Pianokörper, nebst Metallschablonen für auch den kleinsten Theil
eines Instrumentes sind hier jjiufgestellt.
Dies giebt die Sicherheit, dass jeder der unendlich vielen kleinen
Theile, aus welchen ein fertiges Instrument besteht, und welche zu Hun-
derten und Tausenden mit Hand und Maschinerie verfertigt werden,
sich harmonisch dem Ganzen einfügt und zu der Vollkommenheit und
Gleichmässigkeit des Fabrikates beiträgt, welche die höchste Garantie
für die Güte und Dauer eines Instrumentes bieten muss.
Es würde zu weit führen, eine genaue Beschreibung der Herstellung
iedes einzelnen Gegenstandes zu geben, und es sei daher nur noch be-
' 12*
180
merkt, dass die Steinway'sche Fabrik mit ihren Arbeitern, Maschinerien
und Einrichtungen die vorzüglichste Organisation und Theilung der
Arbeit repräsentirt.
Etwa 1100 Instrumente sind fortwährend in den verschiedenen Sta-
dien der Fabrikation vom Anfange bis zur Vollendung.
Die Zahl der Arbeiter beträgt etwa 500, welche jede Woche ca^
50 Instrumente, nämlich sechs Flügel, vier aufrechte und 40 Tafelform-
pianos fabriziren.
Das Geschäft ist in 18 Departements abgetheilt, deren jedes von
einem geschickten Vormanne controlirt und beaufsichtigt wird; diese
Vormänner werden wieder von dem Obervormann controlirt.
Es Avird keinem Arbeiter gestattet, in mehr als einer Branche zu ar-
beiten, und wird dadurch, dass jeder Arbeiter fortwährend nur einen und
denselben Gegenstand macht, eine Vollkommenheit in seiner Arbeit er-
zielt, welche in kleinen Geschäften absolut unmöglich erreicht werden
kann. Dazu kommt noch, dass bei dieser grossen Theilung der Arbeit
ein und derselbe Gegenstand bis zu * seiner schliesslichen Vollendung
durch die Hände mehrerer Arbeiter geht, wovon keiner den Gegenstand
von seinem Vorarbeiter annimmt, wenn derselbe in dem Stadium seiner
Bearbeitung nicht völlig fehlerfrei ist.
Die Leitung der Fabrik, des Verkaufslocales , sowie der Einkäufe
und Bauten wird direct von den Mitgliedern der Firma Steinway & Söhne
geführt und ist in jeder Hinsicht eine einheitliche.
Alle Erfindungen und Veränderungen im Bau ihrer Instrumente,
sowie alle wichtigen Acte sind Resultate gemeinschaftlicher Ueber-
legung und Debatten unter den Mitgliedern der Firma und ist diesem
harmonischen Zusammenwirken wohl mit Recht ein grosser Theil der
erheblichen Erfolge der Firma zuzuschreiben.
Die grosse Nachfrage nach den neuerfundenen aufrechten Pianos
haben die Herren Steimvay Sf Söhne veranlasst, eine zweite grosse Fa-
brik, welche sich "in unmittelbarer Nähe des Verkaufslocales befindet,
anzukaufen, um daselbst den Bedarf für die Pianinos zu befriedigen,
ohne die Anzahl der Flügel und Tafelformpianos zu reduciren.
Um einen BegriflF von der jetzigen Ausdehnung des Geschäftes zu
geben, wollen wir erwähnen, dass die Herren Steinway 4' Söhne am
Schlüsse des Jahres 1866 512 Arbeiter beschäftigten. Die Gesammt-
181
summe der im Jahre 1866 bezahlten Arbeitslöhne betrug 533,725
Dollars. .
Dass die Erfolge der Firma der Productionskraft Theodor Stemway s
in den letzten zwei Jahren mitzudanken sind, dürfte wohl ausser allem .
Zweifel stehen. Als Mensch Hebenswürdig und für die Tonkunst wahr-
haft beo-eistert, genügten ihm die erworbenen 35 ersten Preismedaillen, die
Anerkennung auf der Londoner Ausstellung 1862, der prächtige Marmor-
palast als Verkaufslocal durchaus nicht, sondern er setzte im Verem mit
Vater und Brüdern, von denen nur noch Wilhelm und Alhert am Leben
waren, den Bau eines grossen Concertsaales ins Werk, um der Kunst eme
bleibende Stätte zu gründen. Dieser Saal, „Steimmy Hall^ von 123 Fuss
Länge, 75 Fuss Breite und 42 Fuss Höhe, mit Sitzplätzen für 2500
Personen, enthält zugleich eine grosse Orgel und ist einer der grössten,
nach dem Urtheile der Sachverständigen der eleganteste, akustisch voll-
kommenste in den Vereinigten Staaten. Das Haus Stdnway ist der
Sammelplatz aller einheimischen und fremden Künstler inNew-York und
oft finden in jenem Saale Concerte statt, deren Einrichtung Stehmay Sf
Söhne mit den humansten Rücksichten übernehmen. —
Gehen wir wieder zurück zum Jahre 1855, wo die Firma ein Piano
mit fester Barre und vollem eisernen Rahmen baute, welcher letztere den
Stimmstock bedeckte, dessen Steg aus Holz gefertigt war.
Die Stange, welche im Discant die Anhängeplatte mit der Stimm-
stockplatte verband, lag ein wenig höher als die Saiten und lief in
einer anderen Richtung als diese, genau gegen den Winkel, in welchem
der Stimmstock den Zug der Saiten auszuhalten hat. Ebenso arrangirte
man die Anbringung der Resonanzbodenstege so, dass sie mehr in die
Mitte des Sangbodens gelegt wurden. Dadurch vergrösserte sich natürUch
auch die gerade Länge dieser Stege, deren man drei in parallellaufender
Richtung mit übereinandergelegten Saiten anbrachte.
Die Ausdehnung der Stege über dem Resonanzboden erhöhte man
damit von 40 auf 68 Zoll Länge und ihre, der Mitte des Resonanzbodens
näher gerückte, von den mit Eisen bedeckten Rändern des
Ka Steins entferntere Lage verschaffte dem Tone des Instrumentes eine
weit grössere Intensität, was mit den akustischen Ergebnissen Pellisov's
vollständig im Einklänge steht. Diese Construction wurde für alle
Fabrikanten in New-York natürlich die mustergültige, weil sie in der
182
Ausstelhing
daselbst den
Preis davon
getragen hat-
te, und nach
vielseitigen
Ermittelun-
gen dürfte
auch festzu-
stellen sein,
dass noch ge-
genwärtig
die tafelför-
migen Pianos
in den Verei-
nigten Staa-
ten nach die-
S sem Muster
1 gebaut wer-
den.
Eine an-
dere wichtige
Verbesse-
rung wurde
von den Her-
ren Steinway
iS,- Söhne im
Jahre 1859
o-emacht und
ihnen paten-
tirt. Diese
Verbesse-
rung bestand
in der Con-
struction ei-
nes eisernen
183
Rahmens mit einem mit der Linie seines Stimmstocksteges parallellaufenden
Winkelstücke, Avelches sich fest vor den Stimmstock legte und demselben
mehr Festigkeit verlieh. In dieses Winkelstück wurden die von ASt^ia^^mn
und Pierre Erard in Paris erfundenen und in deren Flügeln zuerst gebrauch-
ten Agraffen geschraubt, was als die erste erfolgreiche Anwendung von
Agraffen an dem Discant eines tafelförmigen Pianofortes anzusehen ist.
Figur I zeigt das Arrangement des ganzen Eisenrahmens mit der
Saitenlage, die Position des Steges mit Agraffen und die Gruppirung und
Lage der kUngenden Stege des Resonanzbodens.
Wie bereits bemerkt, erhielt die Firma Steimvay cj- Söhne ihr Patent
am 29. November 1859 für eine neue Construction des Eisenrahmens in
tafelförmigen Pianos. Statt der bisher gebrauchten hölzernen oder
eisernen Stege des Stimmstockes bekam der Theil des Eisenrahmens, der
den Stimmstock bedeckt, ein eisernes Winkelstück, welches, parallel mit
der Steglinie des Stimmstockes laufend, sich seiner ganzen Länge nach
vor den Stimmstock legt und dadurch dessen Festigkeit und Unbeweg-
lichkeit erhöht.
Beistehende Figur zeigt den Quer-
durchschnitt eines solchen Eisen rah- < v\
mens mit Winkelstück etc.
Dies Winkelstück diente zugleich
zur Aufnahme der Agraffen, deren
Anwendung im vollen Eisenrahmen nur durch Erfindung einer eigens con-
struirten Bohrmaschine ermöglicht wurde. Erst durch diese Maschine
war man im Stande, mit der grössten Genauigkeit jeder Agraffe ihren
Richtungswinkel gegen die bei jedem Tone sich etwas verändernde Lage
des Saitenchores zu geben.
Durch diese Construction wurde der Endpunkt der Saite, welcher
auf diesem Theile des Instrumentes in der Agraffe ruht, zu vollkommener
Unbeweglichkeit fixirt und die Saite befähigt, ihre volle Stosskraft, her-
vorgebracht durch die Schwingungen, auf den klingenden Theil
des Instrumentes, den Resonanzboden, ausschliesslich wirken zu lassen.
Ein neues Arrangement der Unterlage der Saiten auf den Resonanz-
boden — der sogenannten Resonanzboden-Stege — wurde damit verbun-
den. Anstatt zweier Stege wurden deren drei so gruppirt, dass dieselben
fast parallel neben einander liefen, wodurch ihre lineale Länge, wie oben
184
erwähnt, von etwa 40 Zoll auf circa 68 Zoll ausgedehnt wurde. Auch
kam die Lage dieser Stege ganz bedeutend von den eisenbedeckten
Eändern ab, mehr in die Mitte des Resonanzbodens. Einige sehr wich-
tige Verbesserungen in der Umrahmung des Resonanzbodens durch eine
eigenthümlich construirte feste Barre auf der der Claviatur zugekehrten
Seite, wie auch die feste Einfassung des Resonanzbodens auf der Seite
der Hämmerlinie hatten die besten Resultate.
Auch wurde durch alle diese Einrichtungen der Klangraum so ver-
bessert, dass die Saiten, welche sich mittelst des Uebereinanderleffens auf
grössere Stegflächen vertheilten, mehr Platz fanden und von viel grösserer
Stärke als früher verwendet werden konnten.
Dem Flügel, der vollkommensten Form besaiteter Ciavierinstrumente,
schenkte man in den Vereinigten Staaten bis zum Anfang der vierziger
Jahre sowohl Seitens der Fabrikanten als auch des Publicums nur ge-
ringe Beachtung. Der Verkauf eines Flügels war ein seltenes Ereigniss,
und wenn europäische Pianisten Amerika bereisten, so brachten sie ge-
wöhnlich ihre eigenen Concertflügel aus Europa mit.
Steimoay sagt in seiner Broschüre, dass „unter den Pionieren der
Flügelfabrikation der verstorbene Fabrikant Chichering in Boston genannt
zu werden verdiene." Seine Flügel waren in Form und Mensur nach
dem Erard'schen Vorbilde, jedoch mit vollem gusseisernen Rahmen ge-
baut. Die Linie des Stimmstocksteges bestand aus einem eisernen, über
dem Eisenrahmen emporstehenden Rande; in diesen wurden Löcher ge-
bohrt und mit Tuch ausgefüttert, durch welche die Saiten liefen, um den
Gebrauch der Agraffen zu vermeiden. Auf diesen eisernen Sattelrand
erhielt Chickering ein Patent im Jahre 1 843.
Andere Fabrikanten bauten auch wohl hin und wieder Flügel, lie-
ferten jedoch nichts Bedeutendes oder Erwähnenswerthes, mit Ausnahme
eines kleinen Fabrikanten in New-York, Namens Biitiikofer, welcher recht
annehmbare Flügel nach europäischem Muster und ohne Eisenrahmen
anfertigte.
Die ersten von der Firma Steimoay S,- Söhne im Jahre 1856 gebauten
Flügel waren gradsaitige Instrumente mit vollem Eisenrahmen, einem
Discantstück aus Messing oder Eisen und mit in Holz geschraubten
Agraffen in den Mitteltönen und im Basse. Diese Flügel kamen bald in
Aufnahme und erfreuten sich der allgemeinsten Anerkennung, so dass
185
Figur II.
186
sie sehr bald in Concerten benutzt und in grosser Zahl verkauft
wurden.
Die Firma erhielt noch mehrere Patente auf neue Mechanismen für
Flüo-el, von denen ihr der bedeutendste im December 1859 patentirt wurde.
Die Construction ersieht man in Figur IL
Der complet gegossene Eisenrahmen, mit dem Winkelstück auf der
Seite des Stimmstockes zur Aufnahme der Agraffen, erhielt ein ganz
neues Arrangement in der Lage der Saiten und Spreizen, zu welchem
xolgende Motive vorhanden waren: ^
Bei dem Tafelform-Piano wurde die Saite vermöge des Hammeran-
schlages in eine Schwingungsbewegung gesetzt, welche dem Tone dieses
Instrumentes etwas Biegsames und Liebliches verlieh, trotz Anwendung
verhältnissmässig sehr starker Saiten.
Dieselbe Wahrnehmung machte man an Oblique Pianinos im Ver-
»•leich zu gradsaitigen Instrumenten gleicher Gattung. Bei dem Flügel,
wo die Richtung der Saiten parallel mit der Bewegung des Hammer-
anschlages lag, konnte diese Biegsamkeit immer nur annähernd erreicht
werden, und zwar auf Kosten der Dauer des Tones durch eine unver-
hältnissmässige Schwächung des Resonanzbodens in seinen Rippenlagen
zu seiner Grösse.
Wurden so starke Saiten zu gradsaitigen Flügeln genommen, als
im Tafelform-Piano der neuen beschriebenen Construction zulässig waren,
so o-eschah die Vermehrung der dadurch erreichten Kraft auf Kosten der
Weichheit. Der Ton hatte etwas Steifes und beim Forciren steHte sich
das unangenehme metalUsche Pfeifen der stärkeren Stahlsaiten ein.
Um alle diese berührten Uebelstände zu vermindern, wenn nicht ganz
zu vermeiden, wurde das Auseinanderlegen der Saiten auf den Stegen
des Resonanzbodens, oder die fächerförmige Saitenlage, als viele Vor-
theile in sich vereinigend, angewendet.
Im Discant des Flügels wurde die mit der Richtung des Hammers
parallel Hegende Lage beibehalten, da erfahrungsmässig in diesem Theile
des Instrumentes, auch im Tafelform-Piano, die erwähnte Saitenlage den
stärksten Ton producirt.
Von der Mitte des Discantes breitete man die Saitenchöre auf der
Linie des Resonanzbodensteges von rechts nach links zu fächerförmig
aus, so weit dies der Raum im Flügel erlaubte.
187
Die übersponnenen Basssaiten wurden von links nach rechts zu auf
einem hinter dem ersten liegenden höhern Resonanzbodenstege mittelst
des Uebereinanderlegens der Saiten gleichmässig vertheilt.
Die durch dies System erreichten Vortheile waren von verschie-
dener Art.
Die Linie der Resonanzbodenstege wurde bedeutend verlängert
und grössere, bisher unthätig gewesene Flächen des Resonanzbodens in
Action gesetzt.
Zwischen jedem Saitenchore war weit mehr Raum als früher, wo-
durch die Klangwirkung der Saiten mächtiger und freier aus dem Reso-
nanzboden entwickelt werden konnte.
Die Stege kamen mehr in die Mitte des Bodens, von dessen eisen-
bedeckten Rändern ab, Aveshalb sie auch den Klang der Saiten dem
Resonanzboden besser vermittelten und zur Erzeugung einer grösseren
Tonfülle wesentlich beitrugen. Desgleichen gewann man für die Saiten
eine grössere Länge bei gleicher Grösse des Instrumentes.
Das Spreizsystem wurde viel wirksamer, denn die zweite schräge,
mit dem höchsten Basschore parallel laufende Stange bildete mit der
dritten einen spitzen Winkel, der genau auf den Punkt trifft, wo der
Bogen, welcher die ganzen Basssaiten trägt , einen natürlichen Stütz-
punkt hat.
Die Lage der mittleren und tieferen Saiten gegen die Richtung des
Hammerschlages hatte jene Art rotirender Schwingung zur Folge, welche
selbst der viel stärkeren Saite eine bisher nicht erzielte Weichheit und
Modulationsfähigkeit verlieh, bei im Ganzen viel mächtigerer Tonfülle.
Die Erfindung, Saiten übereinander zu legen, ist, wie wir sahen, eine
sehr alte. Schon vor der Erfindung des Hammerclaviers wurde in den
alten Clavichorden den Basssaiten eine um eine Octave höher erklingende
Saite hinzugefügt. Diese war auf einem Stege befestigt, welcher unter
den tiefern Saiten auf dem Resonanzboden lag.
Verschiedene Versuche, das Uebereinanderlegen der Saiten nutzbar
zu machen, scheiterten , so dass selbst namhafte Schriftsteller glaubten,
die über einander liegenden Saiten verwirrten gegenseitig ihre Schwin-
gungen. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn so wenig dies neben ein-
ander liegende Saiten thun, geschieht es bei über einander liegenden.
188
Die ungünstigen Resultate, welche frühere Versuche dieser Art hat-
ten, lagen nur in einer falschen Anwendung, welche stets darauf hinaus-
lief, mittelst des Uebereinanderlegens der Saiten die Stege von der
Mitte des Resonanzbodens weg mehr an die Ränder desselben zu bringen.
Ferner wurden nothwendiger Weise durch diese falsche Construc-
tion die Zwischenräume der Saitenchöre auf den Stegen verengt, statt
vergrössert.
Wissenschaft und Praxis haben ^vollkommen erwiesen, dass die
transversale Schwingung der Saite als solche durchaus keinen Ton in
der Luft erzeugt; erst die Wirkung, welche die in ihren Schwingungen
molecülar erregte Saite auf einen resonanzfähigen Körper ausübt,
bildet in diesem wiederum die molecülare Schwingungsbewegung, die
sich der umgebenden Luftsäule mittheilt und so als Ton dem Ohre ver-
nehmbar wird.
Je mehr die Saite an dem einen Ende unbeweglich feststeht, Avie es
hier durch das massive eiserne Winkelstück im höchsten Grade erreich-
bar wurde, desto mehr muss natürlich die ganze Wirkung auf den elasti-
schen Theil — den Resonanzboden — fallen.
Figur Iir.
189
Figur IV.
Wie schon erwähnt, war das Pianino in den Vereinigten Staaten
sehr unpopulär; die importirten vertrugen das Klima nicht und amerika-
nische Pianofortefabrikanten verstanden es nicht, dieser kleinen, für das
Zimmer so angenehmen Form die nöthige Dauerhaftigkeit zu geben. Nach
mancherlei Versuchen und angebrachten Verbesserungen gelang es endlich
der Firma Steinivay ^- Sohne eine Construction herzustellen, welche von
den Sachkennern als zweckentsprechend anerkannt und demzufolge 1866
patentirt wurde. Figur III zeigt die Vorderseite des Instrumentes, den
Eisenkörper mit Saiten, sowie (Jie Lage des Stimmstockes und der Reso-
nanzbodenstege. Figur IV stellt die Rückseite des Eisenkörpers ohne
den Resonanzboden dar.
Die erwähnten klimatischen Verhältnisse verhinderten bisher die
Einführung dieser Instrumente in den Vereinigten Staaten. Versuche,
welche gemacht wurden, den Bau durch Eisen zu verstärken, geschahen
auf Kosten der Kraft
und Fülle des To-
nes, und auf die
kui'zen j^edrungenen
. Holzkörper wirkte
der abnorme Wech-
sel zwischen Feuch-
tigkeit und zehren-
der, trockener Luft
auffallend zerstö-
rend. Erst die Er-
findungen , welche
die Firma Steimoay
Sf Söhne über die
Art und Weise der
Tonerscheinungen
im Resonanzboden
machten, befähigten
dieselbe, für den
Körper dieses In-
strumentes Eisen an-
zuwenden, den Re-
190
sonanzboden jedoch ganz unabhängig und isolirt von dem Eisenkörper
anzubringen.
Die Tafel des Resonanzbodens besteht bekanntlich aus Fichtenholz,
welches mit seinen weichen und harten Adern als das beste Material für
Construirung eines Resonanzbodens anerkannt ist und verwendet wird.
Warum gerade dieses Material durch die Praxis als das vorzüglichste
anerkannt wurde, darüber ist noch immer eine wissenschaftlich correcte
Erklärung nicht gegeben worden. Selbstverständlich kann es nicht der
Zweck dieser Darlegung sein, die speciellen Meinungen und Ansichten
der Firma Steimcay 4' Söhne zu demonstriren, sondern dieselbe muss
sich auf vorhandene Erscheinungen beschränken.
Es ist bekannt, dass die Lage der Holzfasern des Resonanzbodens,
sowie das System der Rippenlage (d. h. der Leisten, welche unter oder
über demselben sich befinden) und deren Formen auf die verschieden-
artigste "Weise angewendet worden sind. Alle darin nur erdenkbaren
Richtungen und Lagen haben ihre Vertreter gefunden, und zwar ohne
bedeutende Unterschiede im Resultate.
Ferner ist es eine bekannte Thatsache, dass die Schönheit und
Grösse des Tones bei einem Instrumente ganz wesentlich von dem Reso-
nanzboden abhängt, und zwar von seiner Eigenschaft, gegen die empfan-
genen Vibrationen der Saiten mittelst einer eigenthümlichen Molecülar-
bewegung seiner kleinsten inneren Fasern zu reagiren.
Dieser letztere Process erst setzt, wie bereits bemerkt, die den Reso-
nanzboden umgebende Luft in jene Bewegung, welche dem Ohre als
Tonerscheinung wahrnehmbar wird.
Die mehr oder minder grosse Pressuno; dieser einzelnen Theilchen
des Resonanzbodens gegen einander bedingt die Kraft und Empfind-
lichkeit desselben. Hiervon hängt die Gesangsfähigkeit eines Instrumen-
tes wesentlich ab, wenn man erwägt, wie schnell diese natürliche Pres-
sung und Spannung des Resonanzbodens, trotz Anwendung des besten
trockenen Holzes, verloren geht, nicht allein durch abwechselnde Feuch-
tigkeit und Trockenheit, sondern auch durch den Gebrauch der In-
strumente.
Anhaltende feuchte Luft löst nach und nach die ätherischen Oele,
verflüchtigt dieselben und treibt die Holzzellen auf, gegen und über ein-
191
ander, wodurch bei Eintritt von trockener Luft deren vormalige Pressung
und Stütze gegen einander gemindert wird.
Aehnliche Wirkung hat im Laufe der Zeit die sich stets wiederholende
Erschütterunor des Resonanzbodens durch den Gebrauch des Instrumen-
tes, wodurch die Erscheinung vollkommen begreiflich wird, dass ein
neues Piano stets frischer und mächtiger klingt als ein gebrauchtes, selbst
w^enn letzteres mit ganz neuer Mechanik versehen ist.
Ferner ist zu erwägen, dass es geradezu unmöglich ist, den richti-
gen Grad dieser Pressung zu bestimmen mit Kräften, über die man keine
regulirende Gewalt hat. Neben der Wirkung von Feuchtigkeit und
Trockenheit bei Anfertigung des Resonanzbodens war es hauptsächlich
die Gewalt des Saitenzuges und das dadurch entstehende mehr oder
mindere Zusammenziehen des Körpers, mit dessen Rändern der Reso-
nanzboden fest verbunden ist, welches dem letzteren etwas Pressung gab.
Hatten z. B. Instrumente so starke Eisenrahmen, dass durchaus
keine Elasticität für jene, dem Resonanzboden nöthige Pressung blieb, so
war jedesmal ein schwacher, matter Ton die Folge.
Die am 5. Juni 1866 patentirten Verbesserungen wurden von der
Firma Steinioay Sf Söhne zuerst an einem Pianino oder „aufrechten Piano"
angewendet.
Dieses Instrument ist aus einem massiven Gussstücke — mit zu-
sammenhängender Rückwand und Vorderplatte — gebildet, dessen eine
Seite offen ist, in welchen offenen Raum der Resonanzboden geschoben
wird.
In den Rändern dieses doppelten Eisenrahmens befindet sich eine
Anzahl eigenthümlich construirter Schrauben mit concav ausgedrehten
Köpfen, so arrangirt, dass dieselben jedesmal gegen die Enden der Rip-
pen des Resonanzbodens treten, welche die Fasern der Fichtenholztafel
kreuzen. Die Stärke der Eisenränder erlaubt mittelst der Schrauben
einen ausserordentlichen Druck gegen die Ränder des Resonanzbodens
und die Lage der Schrauben ist so, dass der durch dieselben ausgeübte
Druck dem Resonanzboden eine steigende Spannung gegen den Stoss
der Saiten verleiht. Die Wirkung ist eine bedeutende Zusammenpressung
der Holzfasern des Resonanzbodens bis zu einem durch die praktische
Erfahrung zu bestimmenden Grade. —
Allmälig theilt sich diese Pressung von den Rändern her auch den
192
in der Mitte des Resonanzbodens befindlichen kleinsten Theilchen mit
und befähigt dieselben, die empfangenen Einwirkungen der Saiten sehr
enercrisch zu reproduciren, selbst auch in den leisesten Schwingungen
der Saiten, wodurch der Ton eine ausserordentliche Länge und Gesangs-
fähigkeit nebst Klarheit und edler Klangfarbe erhalt, weil ja auch der
Resonanzboden keine Transversalschwingungen als Ganzes machen kann.
Erwägt man, dass die ganze Dicke dieses Eisenkörpers nur 4 Zoll
beträo-t, mithin dessen Aufstellung innerhalb der Aussenwände eine nach
vorn o-eneigte Lage erlaubt, so bietet dies für die Spielart einen bedeu-
tenden Vortheil, da der Rückfall der Hämmer ein natürlicher wird, wäh-
rend auch das Instrument selbst fester steht und nicht leicht umfallen
kann.
Das erste „aufrechte Instrument" dieser Art wurde im Februar 1866
fertig und die Firma Steinway 4' Söhne setzte es zur Prüfung der Dauer-
haftigkeit den ungünstigsten Einwirkungen aus; jedoch bewährten sich
Spielart und Stimmung in nie vorher gekanntem Maasse.
Auch bei Flügeln wurde dieser Apparat mit dem besten Erfolge an-
o-e wendet, während sich früher bei der Grösse des Resonanzbodens sehr
leicht jene Schlaffheit desselben einstellte, welche schon in der natür-
lichen Porosität des Fichtenholzes begründet ist.
Durch die regulirende Kraft dieses Apparates wurde jene besondere
Art Membran- oder Trommelschwingung, welche im Zimmer mehr oder
weniger unangenehm wirkt, auf ein richtiges Maass reducirt.
Jedenfalls ist damit ein Mittel gegeben, die Klangfarbe eines Instru-
mentes zu veredeln. Dieser regulirende Apparat — unter dem Namen
Resonator" von der Firma Steimvay Sf Söhne verwendet — erlaubt
sicherer ein gutes und vollkommenes Instrument herzustellen, als bisher,
wo das Resultat des Tones stets von den Zufälligkeiten abhing, welche
bei der Construction eines Resonanzbodens dessen innere Spannung be-
einflussten.
Von den offenen Darlegungen der Firma Steinway Sf Söhne zur
Pariser Ausstellung zurückkehrend wird es jedem Einsichtsvollen wohl
vollständig klar sein, dass die Erzeugnisse dieser denkenden Köpfe Auf-
sehen erregen mussten. Wir waren glücklicherweise in der Lage, die
Fabrikate dieser Firma nicht bloss auf der Ausstellung spielen, genau
durchprobiren und von Anderen hören zu können, sondern wir wohnten
iy3
auch Concerten bei, in denen namhafte Pianisten, z. B. Alfred Jaell, diese
Instrumente benutzten und mit ihnen den grössten Erfolg erzielten. Ge-
wiss können Avir versichern, dass kein anderes Instrument auf der Welt-
ausstellung die Vorzüge in solcher Harmonie erkennen Hess, als ein jedes
aus der Steinway'schen Fabrik. Die Spielart ist gleichmässig und leicht,
der Ton voll, stark, singend und jeder Modulation fähig tmd die Dauer-
haftigkeit so vorzüglich, dass den Instrumenten weder die grosse Seereise,
noch die fortwährende Feuchtigkeit in der Weltausstellung Eintrag gethan
hatte. Was nun speciell den Vorzug der Instrumente bezüglich ihrer
Tonfülle anbelangt, so ist derselbe wohl hauptsächUch dem Material, der
gelungenen Construction, aber auch dem fleissigen Abprobiren Theodor
Steinway's zu danken, dessen Bekanntschaft mit den Theorien Helmholtz'
ihn veranlasst, bei jeder Saite die genauesten Untersuchungen machen zu
lassen, bevor er das Instrument aus der Fabrik zu bringen verstattet. Das
Gesetz der consonirenden Obertöne ist ihm massgebend und man wird
sicherlich kein Instrument finden, welches etwa in Folge des Mitklingens
von disharmonirenden Partialtönen das sogenannte grelle „Klimpern"
wahrnehmen liesse. Selbst beim aufrechtstehenden Pianoforte, dem Pianino,
haben Steinway S,- Söhne die von den Gesetzen der Akustik als schön be-
wiesene Klangfarbe dadurch erreicht, dass der Eisenkörper mit dem Schrau-
benapparate den Resonanzboden verhindert, Transversalschwingungen als
Ganzes zu machen, wohl aber denselben befähigt, den Stoss der durch
Haramerschlag erregten Saitenschwingung mit der nöthigen Widerstands-
kraft aufzunehmen und das Schwirren des ganzen Klangkörpers, mithin
das Mitklingen des 7ten, 9ten, Uten etc. Partialtones zu beseitigen. Selbst
durch das Zupfen der Saiten, wodurch man die höchsten Partialtöne
leichter erhält, vermochte man dem Klangkörper des Instrumentes keine
disharmonirenden Geräusche, ja selbst nicht einmal den 7ten Partialton
zu entlocken, was entschieden für die Klangfarbe der Instrumente die
grösste Empfehlung ist, und wir hätten nur gewünscht, Herrn Professor
Heimholte selbst auf der Ausstellung zu finden, um ihm den praktischen
Erfolg seiner Auseinandersetzungen mittheilen zu können. Ein unbe-
kannter Mensch, welcher jetzt in Paris lebt und einige norddeutsche Aus-
steller dort vertrat, machte in Nr. 34 und 35 der Brendel'schen Musik-
zeitung den schwachen Versuch einer schriftstellerischen Leistung, be-
treffend die musikalischen Instrumente der Pariser Ausstellung, wo er
13
194
den Ton der Steinway'schen Instrumente cymbalartig nennt, natürlich,,
um mit seiner vermeintlichen Stärke die Fabrikate gegenüber der Jury
und allen Sachkennern zu vernichten. Der arme Mann, dem jene Zei-
tung — wir wollen annehmen, aus Unkenntniss der Verhältnisse — ihre
Spalten geöffnet hat, weiss nicht, welche Schmeichelei er damit der Firma
sagte; denn die Geschichte spricht noch jetzt von dem wunderbaren Tone
des Cymbals, welches Fantaleon Hehenstreit im Anfange des 1 8. Jahrhun-
derts zum Entzücken aller Zuhörer spielte, und man war 50 Jahre später
noch immer der Ansicht, dass es niemals möglich sein würde, auf besai-
teten Tasteninstrumenten eine solch' bezaubernde Klangfarbe hervorzu-
bringen, wie sie Pantaleon Hehenstreit im grössten Saale vor Tausenden
von Zuhörern auf seinem Cymbal produciren konnte. Wenn ein bedeu-
tender Mann den Vergleich mit dem Cymbal gezogen hätte, so würden
wir Herrn Steimoay gratuliren, dass es ihm gelungen sei, mit seiner
Construction den Zauber des Hebenstreit'schen Instrumentes zu erreichen;
so aber hat freilich wider Willen nur die blinde Henne ein Korn gefun-
den. Schmälern wir ihr dieses Körnlein nicht, sondern gönnen wir ihr
den bescheidenen Genuss bei starkem Appetite: sie wird sicherlich
der fortschrittlichen Entwickelung durch ihr unartikulirtes Glucken kein
Hinderniss in den Weg legen. Dass die Firma Steinway Sf Söhne für
Amerika die erste goldene Medaille erlangte, können wir nur als
vollkommen gerecht bezeichnen; ebenso würde es dem Gerechtigkeitssinn
der Jury nur entsprechend gewesen sein, wenn sie, wie glaubwürdig an-
genommen wird, darüber debattirt hätte, ob Herr Chiakering die silberne
oder goldene Medaille verdiene. Die Entscheidung würde für uns nicht
so schwer gewesen sein; denn Herrn Chickering's aufrechtes Piano zeigte
nicht einmal eine den mittleren deutschen Instrumenten ebenbürtige Voll-
kommenheit und es erschien uns daher ganz natürlich, dass man dasselbe
meistentheils verschlossen vorfand. Das tafelförmige Instrument der
Firma Chickering ist zwar in ähnlicher Weise gebaut, wie das Steinway'sche,
der Ton nähert sich aber mehr dem Poltern, und besonders haben die
Basssaiten die unangenehme Eigenschaft, sich gegenseitig in ihrem
Schwingungsverhältnisse zu stören. Daher sie auch — um ein land-
läufiges Wort unter den Pianisten zu gebrauchen — sozusagen „kollern"
und tosend ineinanderklingen. Die übersponnenen Saiten lassen viel-
fach unharmonische Nebengeräusche erkennen und im Discant ist der
195
Hanimeranschlag so unglücklich gewählt, dass die Saite jenes unange-
nehme metallische Zischen als Beigabe zum Klange erhält. Wollte man
doch erkennen, dass nicht die Stärke des Tones dem Instrumente allein
seine Güte giebt, sondern dass vor allen Dingen die sonore Klangfarbe
den Ausgangspunkt für die Beurtheilung bieten muss. Der Ton kann
stark und dabei grell, zischend sein, ohne dass derselbe Fülle und Run-
dung besitzt, welche nur durch das richtige Verhältniss der Partialtöne
zum Grundtone im Klange zu erreichen ist. Die Flügel Avaren schon
besser und erschienen zur Ausführung kraftvoller Tons1;ücke ziemlich
geeignet. Sie waren nach dem alten System und mit vollem eisernen
Rahmen construirt. Das Metall übte auch hier seinen störenden Einfluss
aus und gerieth beim Spielen in Mitschwingung, ein Fehler, den Stein-
way so glücklich zu vermeiden weiss, da er von dem richtigen Grund-
satz ausgeht, dass Metall niemals zur Tonerzeugung, sondern nur zur
Festigkeit dienlich sein kann. Herr Cliickeriny erhielt doch endlich die
zweite goldene Medaille für Amerika, obgleich nach der Aussage des
Jurors HansUck zwei Mitglieder der Jury dagegen protestirt hatten, in-
dem diese Herrn Gldchering nur die silberne Medaille zuerkennen wollten.
Da sich aber ein Streit erhob, welche von beiden Firmen die erstegoldene
Medaille für Amerika erlangt habe, oh Steimoay oder Oiickering, so las-
sen wir umstehend das wörtliche Zeugniss der Jury folgen. (Siehe Seite 196.)
Die Namen der Preisrichter sind so respectable, dass an deren
Gewissenhaftigkeit nicht zu zweifeln ist. Interessant ist für uns auch
die Thatsache, dass die vorzüglichste musikalische Autorität Frankreichs
bei der Prüfung von Instrumenten zu demselben Resultat gelangt ist,
wie wir selbst durch unsere Untersuchungen. Nachstehender uns einge-
sandter Brief möge dies bekräftigen. (Siehe Seite 197.)
Berlioz, der Verfasser dieses Briefes, ist durch seine auch in diesem
Buche erwähnte Instrumentationslehre als Kenner musikalischer In-
strumente bei Franzosen und Deutschen gleich hochgeschätzt. Abgesehen
von den excentrischen Bemerkungen über die Herstellung eines Riesen-
orchesters, liefern seine Analysen bezüglich der Klangfarbe und Verwen-
dung von Tonwerkzeugen höchst werthvolle Beiträge zur Beurtheilung
der musikalischen Instrumente. Eine treffliche deutsche Uebersetzung
jener Instrumentationslehre vom Gustos Alfred Dörffel erschien bei Heinze
in Leipzig, was wir hier beiläufig bemerkt haben wollen.
13*
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QfUic^il^^ ^-^-^^-^ ^^^^^^-^"^^
198
Das eirunde Piano cycloide von Lindema7in hatte in seiner Con-
struction einige Nachahmungen von Stdmvay, ohne das Original auch
nur annähernd erreichen zu können. —
Was nun die französischen Instrumente betrifft, so ist zwar von
mancher schätzenswerthen Seite in neuerer Zeit (}i\eY'vcva^Pleyel~^'Wolf,
welche im Jahre 1807 durch Ignaz Pleyel gegründet, 1S24 von dessen
Sohn M. Camille Pleyel übernommen und seit dem Tode desselben 1855
von Auguste Wolff dirigirt wurde, über das alte berühmte Haus Erard
gestellt worden, und auch manche namhafte Pianisten haben die Verein-
fachung des double echappement dem Erard' sehen Mechanismus vorge-
zogen; dagegen haben sich aber doch auch gewichtige Stimmen geltend
gemacht, welche der Fabrik der Madame Erard volle Gerechtigkeit wi-
derfahren Hessen. AVir selbst konnten den Enthusiasmus für Pleyel
Sf Wolf nicht theilen, weil bei den Instrumenten dieser Firma die über-
haupt den französischen Pianos eigene Sprödigkeit des Tones am schärf-
sten hervortritt und die Concertfähigkeit, Piano gegen Piano gehalten,
entschieden unter der vom Hause Erard erreichten steht. Denn wenn
auch letzteres dem Tone nicht die Rundung zu geben vermag, welche
bei den Steinway' sehen und auch einigen deutschen Instrumenten
nachweisbar ist, so bewahrt der Ivlang doch immerhin eine grosse
Reinheit der Farbe, der nur ein grösseres Uebergewicht des Grundtones
zu W'ünschen wäre. Bei akustischem Abprobiren werden die Saiten der
Erard'schen Instrumente meist den 2ten und 4ten Partialton verhältniss-
mässig zu stark hören lassen, hingegen bei denen der Pleyel & WolfT-
schen Pianos die Duodecime, mithin der 3te Partialton deutlicher ver-
nehmbar ist, daher auch erstere durch ihre Helligkeit, letztere durch ihre
mixturenartige Grundfarbe charakteristisch erscheinen, Henri Herz ist mit
seinen elegant ausgestatteten Pianos durch seinen Neffen Philippe Henri
Herz überflügelt worden, obgleich auch letzterer auf bunt bemalte Kasten
mehr zu geben scheint, als auf einen vollen, singenden^Ton. Ueberhaupt
erschien uns die französische Ciavierfabrikation stark im Sinken begrif-
fen zu sein, da man nirgends neue Inventionen vorfand, sondern allent-
halben der schön verzierte Kasten die mangelhafte Construction ersetzen
musste. Dies kommt wohl auch hauptsächlich daher, dass die kleineren
Firmen die ganze Mechanik fertig arbeiten lassen und sich fast aus-
schliesslich nur mit der Zusammensetzung des Instrumentes befassen.
199
Beinahe säuun.Uche Mechaniken gehen aus den Häusern Kohden und
ScInvancU. in Paris hervor, so dass natürlich der ganze Bau zur Schablo-
nenarbeit herabsinkt*).
Von den Engländern vermochte nur die Firma i3,oad»oorf Interesse
zu erwecken, auf deren mehr als UOjähriges Alter Jeder mit Eespect
■blicken nntss. Aber der Erfindungsgeist scheint von ihr gewichen zu
sein, da sie nur mit deutschem Mittelgute zu concurriren vermochte.
Die -oldene Medaille erhielt sie wohl ihres Alters wegen; denn d,e Gute
der Instrumente konnte die Jury unmöglich bestimmen, ihr diesen Preis
zuzuerkennen. Die Mechanik erschien in derselben Gestalt, wie vor
fünf Jahren, gleichwie auch Spielart und Tontülle hinter den modernen
Fortschritten zurückgeblieben waren. Die übrigen engUschen Instru-
mente brachten nicht näher zu berücksichtigendes Mittelgut, an welchem
kein Fortschritt, ja nicht einmal antike Schönheit haftete. Broaä.ood
und die englischen Instrumente erschienen tms wie der englische Lord
unter seinen Bauern"^*).
T^r Mechanik erfüllten Gav.au., Kriegelstein, Maugeot, AlUnger, Blanchet
) m cer .Mcena p^,.„r,,no.cn ohne etwa mittlere Firmen .Deutschlands zu
3Iartin und Andere massige Iouleiunc,cn, omiu Pv-nloncrntions-Pedal-'
erreichen während Gaudonnet mit seinem Tonvcrlangerungsmittcl „Pro ongations rectal
rt^o: mJ seiner KepetitionsmechaniU langst 'verbrauchte "^J^^ J™ ^^=
verworfene Einrichtungen ^e^ r-liemi^v^a^^ ^ ^Utc^f ir^m"
Glase zu demselben Zwe:ke an; desgleichen konnte auch das „Piano-Violon" von £au./e.
Sinen In ruch auf Neuheit erheben. Das alte Bogenelavier brachte jeden alls ganz
dnseLn Effect hervor und wenn Herr Prof. HansUck meint, Herr Bandet l..^.e
aenseiutu i^uc^ Tages aus dem Stadium des
Instrument erdacht und es sei möglich, „dabs es einch x „ •, i- i r»
VC udieh raustrete und in vervollkommneter Gestalt zur wirk ic en musikalischen Be-
leb m^ werde", so müssen wir doch auf die Versuche früherer Zeit hinweisen,
w cl da°s Spielen eines Streichquartetts mit allen Schattirungen ermöglichten. A er
Tenn die Ma Chine erst den Ton hervorlocken muss, wenn nicht der von der rechten
Tnd csllisch erregten Spielers geführte Bogen über die Saiten streicht wenn mcht
STst eilhinstrumentgewissermassen mit dem Spieler verwachst, dann ist auch keine
gute St eichmusik möglich. Es wird Spielerei bleiben, gleichwie auch der auf der Pa-
r^r Au ellang wieder bemerkbare Versuch, Contrabüsse mit einer Tastenmasehiner^
u eichen, in das Reich Idndischer Träume gehört. Letzteres ewies nur die voll-
tändZte Lnkenntniss bezüglich der Saitenschwingungen. Desgleichen ist auch das In-
nimri des nloniumfabrikanten Mustel, welcher die Hämmerchen auf abgestimmte
Stirmglbeln anstatt auf Saiten schlagen und den Ton durch Schallrohre verstarken
lässt, keine der Kunst nutzenbringende Erfindung.
.*) Die c^rossen Flü.el verkauft die Firma Broada-ood je nach dem Verliältniss der
äusseren Ausstattung mit 120 bis zu 250 Gninecn, die Pianinos dagegen mit 48 bis zu
200
Dagegen hob sich Deutschland von diesem steifen und eckigen Hin-
tergrande als ein Bild der Intelligenz vortheilhaft ab. Vor allen glänzte
der symmetrische Flügel von Julius Slüthner aus Leipzig mit feiner Schnitz-
arbeit von Schneider ebendaher. Das Instrument war auf der ganzen
Ausstellung das einzige in dieser Form und erwarb sich die hohe Aner-
kennung der Sachverständigen. Unter den europäischen Fabrikaten
nehmen diejenigen Blüthner's unbestreitbar einen sehr hohen Rang ein,,
und wäre Norddeutschland durch einen Juror vertreten gewesen, so
würde ihm sicherlich die goldene Medaille zuerkannt worden sein;,
denn dass dieselbe Streicher in Wien für Deutschland allein erhielt,
scheint uns sehr natürlich zu sein, weil Oesterreich dui'ch den Juror
Herrn Professor Dr. Eduard Hanslick vertreten war, dessen im Jahre
1862 von ihm selbst niedergeschriebener Grundsatz — wie'bereits be-
merkt — dahin lautet: „Die Unbefangenheit der Richter setzen wir (bei
internationalen Ausstellungen) vollständig voraus, wenngleich Niemandem
unbekannt ist, wie jeder Juror vor Allem seiner eigenen Nation die
grösste mögliche Zahl von Medaillen durchzusetzen trachtet und da-
durch ein System gegenseitiger, mehr die Herkunft als die Güte betonen-
den Concessionen ins Leben ruft". Wo also ein Juror fehlte, konnte
natürlich auch in dieser Beziehung nichts erreicht werden, und wir be-
wundern immerhin, dass Julius Blüthner die silberne Medaille erhielt,
welcher wir in diesem Falle getrost eine Stelle neben der goldenen ein-
räumen möchten. Blüthner s Streben ist stets ein eifriges und mit Er-
folg gekröntes gewesen. Geboren am 11. März 1824 zu Falkenhein bei
Zeitz, erlernte er nach beendeter Schulzeit das Tischlerhandwerk bei dem
in letztgenannter Stadt sehr angesehenen Meister Denk und wurde von
diesem wie der eigene Sohn behandelt. Die Vorliebe zum Pianoforte-
bau nahm schon in seinem 16ten Jahre so überhand, dass er emsig dar-
nach trachtete, bei Hölling in Zeitz dieses Fach zu erlernen, womit er
denn auch, 17 1/2 Jahre alt, beginnen konnte. Nach absolvirter Lehrzeit,,
in welcher er sich die Liebe und Achtung seines Principals erworben
95 Guineen. Kirkmann, Brinsmead u. A. vermochten kaum Interesse zu erwecken uncJ
ebenso erregte Womum mit seinem Instrumente, an welchem der Hammerschlag von
Oben geschieht, nur ein Gefühl des Bedauerns. Denn diese Aufwarmung Pape'scher
und Streicher'scher Ideen, welche sogar auf Originalität Anspruch erhob, zeigte deut-
lich, wie wenig, man sich in England um die Geschichte und Fortschritte des Clavier-
baues gekümmert hat.
201
hatte, besuchte er zum Zwecke weiterer Ausbildung verschiedene Fabri-
ken Deutschlands und gründete alsdann im Jahre 1853 seine eigene Fa-
brik, in welcher er Anfangs nur drei Arbeiter beschäftigte. Bald erreg-
ten seine Instrumente die Aufmerksamkeit der Kennerund Pianisten, da
sich ihr Ton vortheilhaft vor dem der Instrumente älterer Firmen aus-
zeichnete. Nachdem Blüthner seine treffliche Repetitionsmechanik im
Jahre 1856 eingeführt und auf dieselbe ein Patent genommen hatte, be-
dienten sich auch die namhaftesten Pianisten seiner Instrumente und als
die neudeutsche Schule im Jahre 1859 eine Tonkünstlerversammlung in
Leipzig arrangirte, errangen zwei prächtige Flügel aus seiner Fabrik
unter den Händen Alfred JaelVs und Mosclielei einen durchschlagenden
Erfolg. Tilüihners Versuche, dem Resonanzboden eine erhöhte Span-
nung zu geben , die Berippung nach den Principien der besten akusti-
schen Forschungen einzurichten, glückten überraschend, die durch jene
einfache, ihm patentirte Repetitionsmechanik erlangte Spielart veranlasste
die Künstler, seine Instrumente immer mehr in Concerten zu gebrau-
cjien, und demzufolge wuchs das Interesse des Publicums für die Blüth-
ner'schen Fabrikate so, dass 1863 ein zweites Fabrikgebäude zu dem
bereits vorhandenen aufgeführt werden musste, dessen Anlage äusserst
zweckmilssig ist und vielleicht den Vergleich mit jeder anderen deut-
schen Fabrik aushält. Am 15. März 1863 lud er die Leipziger Kunst-
notabilitäten zur Prüfung eines neuen Instrumentes in seinen Salon ein,
welche daselbst einen Flügel mit auf beiden Seiten geschweiften Wän-
den vorfanden, so dass sich derselbe also mit jeder Seite an eine Zim-
merwand stellen liess. Das übersaitige System, die richtig gewählte
Hammeranschlagsstelle, der elastische Resonanzboden, die Dauerhaftig-
keit des Mechanismus verschafften diesen Instrumenten bald einen be-
deutenden Ruf, welcher durch Erwerbung mehrerer erster Preise auf
einheimischen Ausstellungen noch erhöht wurde. In allerletzter Zeit,
durch den Besuch der Pariser Weltausstellung angeregt, ist Herrn
Blüthner wiederum eine Verbesserung am Resonanzboden geglückt, de-
ren Veröffentlichung uns jedoch nicht zusteht. Ein nach diesem System
erbauter, zur Meininger „neudeutschen" Tonkünstler- Versammlung
verwendeter Flügel in symmetrischer Form hat allseitiges Interesse
hervorgerufen und wir selbst glauben nach genauer Prüfung versichern
zu können, dass die Fabrikate anderer deutscjier oder französischer Fir-
202
men schwerlich einen Vergleich aushalten würden, wenn man Piano
gegen Piano aufstellen wollte. Gegenwärtig beschäftigt Blüthners Fa-
brik 112 Arbeiter; da aber das Etablissement fort und fort mehr Boden
im Publicum gewinnt, so dürfte sich bald die Erweiterung desselben als
Noth wendigkeit herausstellen, die auch für künftiges Jahr in's Auge ge-
fasst worden ist.
Die Form seiner symmetrischen Concertflügel erkennen wir in bei-
stehender Figur. Den erwähnten symmetrischen Flügel auf der Pariser
Weltausstellung zieren noch die Bildnisse mehrerer berühmter Meister,
und in französischen wie deutschen Fachjournalen sind demselben die
lobendsten Anerkennungen zu Theil geworden. Gleichfalls verdienen
die Instrumente des Berliner Fabrikanten Bechstein die vollste Würdi-
gung, wenn sie auch theil weise noch ein schwerfälligeres System erken-
nen und daher auch die Weichheit und Modulationsfähigkeit des Tones
nicht im höchsten Grade in den Vordergrund treten lassen. Bezüglich
der Stärke und Eleo;anz sind sie sicher über die Pariser Instrumente
Erard's zu stellen und in der Spielart dürften sie denselben die Wage
halten. BezügUch der Klangfarbe machten sich jedoch einige Bedenken
geltend. Namentlich besass die Mitte des grossen Ausstellungsflügels
203
etwas Knöchernes und Leeres, wogegen der Bass sonor und voll ertönte.
Im Discant bemerkte man bei schärferm Angreifen das Chickering'sche
metallische Zischen, dem der nach seinen Arbeiten als sehr intelligent zu
bezeichnende Fabrikant gewiss bald abhelfen wird.
Durch BecJistein ist Berlin seit 1856 zu einem gewissen Rufe in der
Pianofortebaukunst gelangt, hingegen es früher der österreichischen Haupt-
stadt bei Weitem nachstand. Die Aufnahme nachfolgender Zeugnisse
möge diesem strebsamen Fabrikanten die Würdigung unsererseits dar-
thun, obgleich wir nicht in allen Punkten mit dem gespendeten Lobe
übereinstimmen können.
„Die Bechstein'schen Instrumente zeichnen sich durch vorzügliche
Qualität in allen Zweigen des Ciavierbaues aus; Zuverlässigkeit und So-
lidität der Mechanik, erdenklich möglichste Gleichmässigkeit ebenso der
Spielart, wie der Klangregister, eine unerschöpfliche Tonfülle, welche den
grössten Reichthum der mannigfaltigsten Abstufungen vom piano bis zum
forte in sich schliesst, kurz alle jene Eigenschaften, deren Erkenntniss
mir an den Bechstein'schen Instrumenten schon vor einer Reihe von Jah-
ren die seitdem durch nichts entkräftete Ueberzeugung mitgetheilt hat,
dass Herr Beckstein der erste deutsche Pianoforte-Fabrikant ist , welcher
seine Produkte auf eine Höhe der Vollkommenheit gebracht hat, dass
dieselben mit den trefflichsten und berühmtesten des Auslandes eine glück-
liche Concurrenz bestehen können.
(o-ez.) Freiherr Hans von Bülow.
Hof-Pianist Sr. Majestät des Königs v. Preussen."
„Auf meinen letzten Reiseii in Deutschland benutzte ich zu meinen
Concerten die Instrumente von Herrn Carl Beckstein. Dieselben zeich-
nen sich durch grossen, gesangreichen Ton, elastische Spielart nicht
allein vor andern Instrumenten aus, sondern haben auch eine Modulations-
Fähigkeit, unterstützt durch eine ausgezeichnete, leicht zu behandelnde
Mechanik, Avelche nur diesen Instrumenten eigen ist. Es macht mir ein
Vergnügen, Jedem dieselben als vortrefflich in jeder Hinsicht empfehlen
zu können
(gez.) A. Dreyschock
'Künigl. Kaiserl. Hof- Kapellmeister."
204
„Beim Preisgericht der Königlichen Commission der Londoner Aus-
gtelking für 1862 solke laut Instruction eine gleiche Auszeichnung (Me-
daille) für Alle gegeben werden.
Die Jury war dadurch in eine sehr schwierige Lage gebracht, da
sie doch Viele auszeichnen wollte, aber doch unmöglich das Hervorra-
gendste mit dem etwas Geringeren in eine Kategorie bringen konnte. Es
richteten deshalb 5 Jurors an den Präsidenten Sir George Clerk die Bitte:
die fünf ausgezeichnetsten Fabrikanten von Pianos, zwei in England, zwei
In Frankreich und Bechstein's Firma in Deutschland „ausser alle Con-
currenz" zu setzen. Es wurde dieser Vorschlag zwar als nicht praktisch
verworfen, jedoch kam der Conseil of Chairmen überein, in dem ofFi-
ciellen Berichte dieser fünf Firmen als besonders auszuzeichnender Fa-
brikanten zu erwähnen."
(Aus dem officiellen Bericht der Londoner Industrie- Ausstellung pro
1862 entnommen.)
„Preussen — Carl Sechstem, Hoflieferant Sr. Majestät des Königs
und Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Friedrich Carl von Preussen, dessen
Geschäft erst Im August 1856 gegründet wurde, aber in der kurzen Zeit
von sechs Jahren sich zu einer solchen Höhe emporgeschwungen hat,
dass er mit circa 130 Arbeitern gegen 400 Instrumente jährlich fabricirt.
worunter allein 180 Flügel zu zählen sind, und nach Amerika, Asien,
England und Russland ausführt, hatte zwei ganz ausgezeichnete Flügel
geschickt. Die Instrumente Bechsteiris zeichnen sich durch eminente
Frische und Freiheit des Tones, Annehmlichkeit der Spielart und Gleich-
heit der verschiedenen Register aus, und dürften selbst der kräftigsten
Behandlung Widerstand leisten.
Wir berichten mit Freuden, dass diese Flügel eine grosse Anzahl
von Freunden In London gefunden haben und sind überzeugt, dass sich
das schon vorhandene Renommee noch steigern und dieselben noch grös-
sere Verbreitung In England finden werden. Die Uebereinanderlegung
der Saiten in dem einen Flügel ist zwar nicht neu, aber mit grossem
Erfolg und sehr geschickt angewendet. Das Fabrikat wird mit der
„Ersten grossen englischen Preismedaille" prämllrt."
(Unterschrift des Preisgerichtes.)
205
Gegenwärtig soll Herr Beckstein in seiner neuen Fabrik gegen 200
Arbeiter beschäftigen, [welche in zweckentsprechender Weise nach ihren
Kräften vertheilt sind.
KnaJce in Münster und Schiedmayer in Stuttgart stehen nicht ganz
auf der Stufe Beckstein^ s; Streicher in Wien kann sich aber durchaus mit
ihm messen und wenn derselbe seine den Steinway'schen Fabrikaten ab-
gelernte „amerikanische Construction", welche er nach eigener Aussage
fortan nur anwenden will, weiter ausbaut, so dürfte er auch in Oester-
reich keine Concurrenz zu scheuen nöthig haben. Da sein ausgestellter
Flügel nur als eine Nachahmung des amerikanischen Systems zu be-
zeichnen ist, bei welchem er noch den früher erwähnten elastischen
Hammerstuhl eigener Construction angebracht hat, so gehen wir zu
Ehrbar, Nachfolger von Sexiffert, über, dessen Instrumente zwar Ge-
sang, aber keinen freien Gesang besassen. Der Flügel kam uns vor,
wie das Organ eines Sängers mit heiserer und gepresster Stimme. So-
wohl der Flügel, als auch das äusserlich mit prächtiger Schnitzarbeit
ausgestattete Pianino Ehrbm^'s vermochte uns über dieses Bedenken nicht
hinwegzuhelfen. Auch konnten wir seiner Bindfaden- oder vielmehr
Seidenfadenmechanik keinen Geschmack abgewinnen. Diese Mechanik
besitzt nämlich eine Feder zur Repetition, welche durch Faden von Seide
mit dem Hammerstiele verbunden ist. Die Spielart wird dadurch weder
schön, noch dauernd, und wir begreifen nicht, wie man von schätzens-
werther Seite diesen Instrumenten eine so hohe Stufe einräumen konnte,
zumal noch obendrein die Resonanzbodenlegung an den Pianinos Ehrbar s
deutlich zeigt, wie wenig dabei die Gesetze der Akustik berücksichtigt
wurden. Der Resonanzboden macht Transversalschwino-ungen als Gan-
zes und bewirkt deshalb einen heiseren Grundton und klimpernde Ober-
töne im Klange, was von der unpraktischen Freilegung desselben her-
kommt. Ausserdem setzt derselbe die den Anhänorestock vertretende
eiserne Platte, welche zwar äusserlich vom Resonanzboden getrennt ist,
mit in Schwingung, wodurch sich den schwirrenden Nebengeräuschen
auch noch das metallische Kritzeln zugesellt. Weit bedeutender erschien
uns die Ciavierfabrikation Bösendorfer'' s in Wien, obgleich wir von ihm
viel bessere Instrumente kennen gelernt haben, als seine Ausstellungs-
claviere. Diesen Fehler mochte wohl Herr Bösendorfer selbst erkennen,
indem er noch nachträglich zwei Instrumente nach Paris sandte, welche
206
freilich nicht mehr in's Bereich der Beurtheilung von Seiten der Jury
o^ezogen werden konnten. Es haben sich aber gewichtige Stimmen über
die VortreflEHchkeit dieser Instrumente vernehmen lassen, so dass wir
keinen Augenblick zweifeln, es werde dem jetzigen intelligenten Besitzer,
Herrn Bösendorfer jun., gelungen sein, seine Mechanik zum grossen Vor-
theil der Tonerzeugung zu verwenden. Leider können wir nicht aus
eigener Erfahrung sprechen, weil wir Paris bereits verlassen hatten, be-
vor die Bösendorfer'schen neuen Instrumente ausgestellt wurdene. Zellnet' s
Blätter für Theater, Musik und bildende Kunst widmen ihnen aber in
ihrer Nr. 52 einen längeren Artikel, in welchem sie namentlich den pracht-
vollen Baustyl derselben hervorheben. Das eine derselben wurde von
Ihrer Majestät der Kaiserin von Oesterreich erworben und deshalb
„Kaiserinciavier" getauft. Die angeführte Musikzeitung stellt die Poesie
des Tones über alles bisher in dieser Hinsicht im Instrumentenbau Ge-
leistete, was anzuzweifeln wir nicht in der Lage sind. In neuester Zeit,
und namentlich seit dem Jahre 1860, hat sich überhaupt das Bösendor-
fer'sche Etablissement in einer Weise emporgearbeitet, dass in quantita-
tiver Hinsicht dasselbe jetzt wohl weitaus das grösste in Wien ist. In
Schlesien galten in früherer Zeit die Bösendorfer'schen Flügel als Muster-
instrumente und übertrafen sogar die vor ungefähr 20 Jahren in jener
Gegend ausserordentlich verbreiteten Bessalie'schen Flügel bei Weitem.
Ihr Hauptvorzug ist der sehr lange nachsingende Ton, dessen Weichheit
auf uns immer sympathisch gewirkt hat, wobei man freilich Stärke und
Fülle bis jetzt etwas vermisste. Die Spielart und den Hammeranschlag
an die Saiten vervollkommnete aber der jetzige Besitzer, wie bereits er-
wähnt, durch Construction einer Mechanik, welche als eine sehr glück-
liche Combination
der deutschen und
englischen Stoss-
zungenmechanik zu
bezeichnen ist. Sie
soll in ihrer Wir-
kung die Kraft der
letzteren mit der
reizvollen Milde der Wiener Klang-erzeusung vereinigen. Die Einfach-
heit dieser Mechanik aus neuester Zeit ist, sofei'n dieselbe vom Erfinder
207
freigegeben werden sollte, im Interesse des Pianofortebaues zur Nach-
ahmung sehr zu empfehlen. Sie stellt sich unsern Augen in vorstehender Fi-
gur dar, und Ihre Wirksamkeit hat sich nach der Preisverthcilung auf der
Pariser Ausstellung, wie die Berichte fachkundiger Blätter versichern, voll-
ständig erprobt. — Schceighofer und Promherger, deren Fabriken von
jungen Männern dirigirt werden, hatten Claviere mit bekannter Wiener
Einrichtung ausgestellt, bei welcher die saubere und gediegene Arbeit
allo-emein anerkannt wurde. Ueber das- Uebrige können Avir uns kurz
fassen, da wir vom Pianofortebau alles Bedeutendere erwähnt haben.
Belgien, Italien, Spanien, Schweden, Norwegen, Dänemark sind in die-
sem Fache ausserordentlich zurückgeblieben und besonders haben wir
uns über die schwachen Leistungen Belgiens gewundert, da doch die
respectable Nähe Frankreichs Besseres erwarten liess. Um so eigen-
thümlicher erschienen uns die Auszeichnungen durch silberne und bron-
zene Medaillen, welche diesem Staate zu Theil wurden, und wir glauben
zuversichtlich, dass der belgische Juror Herr Felis hierbei doch allzusehr
die landsmännischen Interessen geltend gemacht hat. Denn thatsächlich
steht fest, dass die mit gar keiner Auszeichnung bedachten Instrumente
mancher deutschen Firma, z. B. Breitkopf ^- Härtel, Wanckel Sf Temmler,
Irmler in Leipzig, den belgischen weit überlegen sind. Von Russland
hatten wir uns mehr erwartet; das geringe Ergebniss der Leistungen
dieses Landes scheint jedoch aus der äusserst massigen Betheihgung an
der Ausstellung hervoi-gegangen zu sein, da es bekannt genug ist, dass
Petersburg und Moskau sehr tüchtige Pianofortefabrikanten besitzen.
Die Classification der Länder bezüglich der Leistungen in diesem Fache
lässt sich übersichtlich in folgender Weise fixiren:
1. Amerika, Steinicay ()• Söhne in New -York. 2. Deutschland, für
welches Land wir Norddeutschland, Süddeutschland und den Oesterreichi-
schen Kaiserstaat zusammenfassen: Blüthner in Leipzig, Streicher in Wien,
Bechstein in Berlin, Bösendorfer in Wien, Schiedmayer in Stuttgart, Knaahe
in Münster, Ehrbar in Wien, Promherger, Schiveighofer in Wien, Be-
regszaszy m. Pesth, Kaim 8f Günther in Kirchheim. 3. Frankreich: Erard,
Pleyel cj- Wolf, Philippe Herz, Henri Herz, Kriegelstein Vater und Sohn
in Paris, Allinger in Strassburg, Martin in Toulouse, Mangeot in Nancy
H. Gaveaux in Paris. 4-. P^ngland : Broadioood, Kirkman Sf Sohn, Womumy
Alisott c)'- Sohlt, Brinsmead in London. 5. Russland: Malecki cj- Schröder
208
In Warschau. 6. Schweiz: Huni Sc Hubert in Zürich. 7. Belgien: H.Gün-
ther, L. Sternberg in Brüssel. 8. Norwegen: Gebrüder //a/s in Christiania.
9. Schweden: Jilalmsioe in Gothenburg. 10. Dänemark: Hornung ^ Möller
in Copenhagen. 11. Spanien: Bernareggi Sf Comp, in Barcelona. Im
Uebrigen ist nichts Erwähnenswerthes aufzuweisen, so dass sich eigent-
lich die auf der Pariser Ausstellung wahrzunehmende Intelligenz im
.Pianofortebau auf die vier Länder: Amerika, Deutschland, Frankreich
und England beschränkte, und von diesen wiederum Amerika und Deutsch-
land bezüglich des Erfindungsgeistes im Construiren gegenwärtig die
Oberhand behaupteten, da die genialen Franzosen Sebastian Erard, Pierre
Erard, Pleyel, Pape etc. nicht mehr thätig sein können und die Engländer
an ihrem alten System mit kaum begreiflicher Starrheit festhalten. Waren
doch aber auch in Frankreich die genannten Erfinder mit Einschluss Pape^s
Deutsche, deren Wirksamkeit die Pianofortebaukunst zum höchsten
Aufschwung, deren Tod aber dieselbe zum Sinken brachte, und ist doch
in Amerika das deutsche Element durch das Haus Steinway {Steinweg)
so siegreich vorgeschritten, dass das englisch -amerikanische vollständig
in den Hintergrund treten musste, woraus im Hinblick auf die Intelligenz
in Deutschland selbst logisch zu folgern ist, dass auch die Deutschen
gerade für den Pianofortebau die befähigtsten Elemente besitzen, gleich-
wie sie in der Tonkunst das Höchste erreicht haben*).
Sprechendes Zeugniss von den tonkünstlerischen Errungenschaften
Deutschlands legten die Beethovenausgabe von Breitkopf Sf Härtel in
Leipzig, die Bachausgabe von Peters in Leipzig und Berlin, die trefflichen
Editionen deutscher Meister von Rieter - Biedermann in Leipzig und
Winterthur ab, und was ist diesen Firmen für eine Belohnung zu Theil
geworden? Das deutsche Nationalgefühl muss sich dagegen sträuben, wenn
*) Auch in den Materialien zum Ciavierbau leisteten die Deutschen Ausgezeichne-
tes. Das Uebcrziehen der Hammerküpfe mit Filz ist jetzt bei Herstellung der Mecha-
niken das herrschende Verfahren, daher auch der Fabrikation des Filzes auf der Aus-
stellung besondere Beachtung geschenkt wurde. Namentlich zeichnete sich hierin Herr
Weickert aus Leipzig aus, mit dem die französische Firma Billion und Wandlefelt jetzt
Duval u. Sohn kaum concurriren konnten.
Zu Saitenbezügen sind .die Gussstahlsaiten des Herrn Pöhlmann aus Nürnberg be -
sonders zu empfehlen, -welche nach der Prüfung mit dem WolflF'schen Dynamometer die
stärkste Spannkraft aushalten. Der in diesem Buche bereits erwähnte österreichische
Fabrikant Miller war nicht vertreten, wogegen der früher genannte Webster aus London
und'^Horsfall ebendaher ihr gewöhnliches, längst übertrofFenes Fabrikat ausgestellt hatten.
209
anan im Preisvertheilungskatalog Breitkopf Sj- Härtel mit ihrem nationalen
Unternehmen, mit ihrer treffHchen Beethovenausgabe und anderen be-
deutenden Werken mit der silbernen Medaille erwähnt und mit den
unbedeutenderen französischen Firmen: HeugeJ, Brandus SfDufour, Lemoine,
Gerard <$■ Comp., Escudier und mit der spanischen Firma Bonifacio Eslava
in gleichen Rang gestellt findet. Bieter - Biedermann, dessen Verlag
Schumann'scher Compositionen unbedingt eine der ersten Stellen behaup-
tet, befindet sich sogar in der Abtheilung der bronzenen Medaillen neben
Baudon in Paris gestellt und endlich suchen wir Peters vergeblich unter
den ehrenvollen Erwähnungen. Freilich weiss man in Paris nicht, welche
ffrosse Verdienste sich die letzterwähnte Firma um die musikalische Bil-
düng; der ganzen Welt erworben hat; man scheint dort nicht die weit-
tragende Bedeutung der billigen, handlichen Ausgaben Bach'scher, Hän-
del'scher, Gluck'scher Werke zu kennen, und hier staunt man über den
geringen Einfluss deutscher Jurors, denen es nicht möglich war, für dies©
wahren Pflegestätten musikahscher Production den so eminenten Leistun-
gen entsprechende Preise zu erringen*). Denn wir können nicht glau-
ben, dass dieselben nicht an massgebender Stelle dafür gewirkt oder
gar die Bedeutung der genannten Firmen übersehen haben sollten. Zwar
war es keine kleine Aufgabe, aus der Menge des Stoffes das Würdigste
herauszufinden und vom Geringeren zu unterscheiden; den Jurors waren
aber die Untersuchungen bei Weitem mehr erleichtert, als den Fremden,
w'elche zu den Ausstellern in gar keiner Beziehung standen. Bezüglich
der Ausgaben und tlieoretischen Werke, unter denen wir z. B. die Namen
Hauptmann und Hehnholtz vorfanden, konnten sich Letztere über das
Geleistete immerhin noch besser orientiren, als in der Abtheilung für
musikalische Instrumente, wo man an so manchem Tage zufrieden sein
musste, das verschlossene Gehäuse der Ciavierinstrumente mit Einschluss
der Harmoniums und Orgeln, ferner die hinter sicherem Verschluss in
einem Glaskasten geborgenen Saiten- und Blasinstrumente in ihrer äus-
seren Form zu betrachten, ohne die ihnen eigenthümllche Fähigkeit zur
Tonerzeuguno; kennen zu lernen und beurtheilen zu können. Erst nach
*) Lenioine's Diamantausgaben der Beethoven'schen Ciaviersonaten , der Chopin'-
schen Walzer u. s. w. , ferner die bei Brandus ^' Dufour erschienenen Partituren ^/e^/ec-
beer's und dergleichen mehr konnten doch unmöglich mit den gewaltigen Verlagswerken
von Breükopi & Härtel etc. concurriren? Und dennoch ist dem französischen National-
gefühl Rechnung getragen worden!
14
210
manchen vergeblichen Versuchen, nach wiederhohen Bemühungen und
Complimenten gelang es denn, sich über die Klangwirkung dieser Ton-
werkzeuge zu unterrichten, von denen die kleine Orgel des Orgelbauers
Cavaille-Coll in Paris eine der ersten Stellen zu behaupten berechtigt ist.
Ausser den Koppelungen konnte man 14 klingende Register, 2 Manuale
und 1 Pedal erkennen, unter denen namentlich die Hohlflöten von ganz
vorzüglicher Klangfarbe waren. Der berühmte Instrumentenbauer hat
mit dieser Arbeit wiederum ein Meisterstück geliefert, welches zwar nicht
quantitativ, wohl aber qualitativ seinen grossen Orgelwerken in den
Kirchen St. Sulpice, Notre Dame, St. Madeleine, St. Vincent, St. Paul,
Notre Dame de Lorette, St. Denis etc. getrost an die Seite zu setzen ist.
Seine Herstellung der Hohlflöten übertriflft Alles, was wir bis jetzt in
dieser Hinsicht kennen lernten *). Die Pariser Firma Stolz ^" Sohn ver-
mochte sich ebenfalls durch eine Orgel mit 26 Registern, 2 Manualen
und Pedal allgemeine Anerkennung zu erwerben, während die sogenannte
anonyme Orgelbaugesellschaft von MerMin- Schütze zwei grosse Kirchen-
orgeln mitten unter den arbeitenden Maschinen aufgestellt hatte, deren
Güte uns aber im Verhältniss zu den deutschen Orgeln von Ladegast
entschieden im Nachtheile zu sein schien. Leichte Handhabung konnte
ihnen nicht abgesprochen werden, aber das Rohrwerk vermochte uns
durchaus nicht sympathisch zu berühren, wobei allerdings die grosse
Unreinheit in der Stimmung der Werke in Anschlag zu bringen war.
Auf der einen in der belgischen Abtheilung hörten wir verschiedene Or-
ganisten vom Fach, während die Orgel in der französischen Abtheilunor
nur äusserst selten benutzt wurde **). Ausser diesen Werken der anony-
*) Cavaille-Coll wandte auch zuerst den das Orgelspiel so erleichternden pneuma-
tischen Heber Barker s an und verbesserte denselben in seinen sogenannten pneumati-
schen Motoren. Anstatt der schweren Registerzüge erblickt man an seinen grossen
Orgeln die leicht zu handhabenden Registerknöpfe, an welchen sich schwache, mit Fe-
dern gespannte Holzstäbe befinden, deren Arrangement wir in Deutschland noch nir-
gends beachtet gefunden haben.
**) Das Pariser und Brüsseler Haus von MerMin u. Schütze (Societe anonjTne pour
la fabrication des Grandes Orgues) gab, gleichwie Stoltz et ßls, gedruckte Prospecte der
eigenen Fabrikation aus. Dass sich diese Firma seit 10 Jahren zu einer bedeutenden
Höhe emporgeschwungen hat, ist ganz unleugbar, und wenn wir die Menge der von ihr
aufgestellten Orgeln in verschiedenen Ländern beti-achten, so müssen wir vor ihrem
Fleisse und ihrer Arbeitskraft staunen. Von den beiden Orgeln hatte die grössere,,
welche für Nancy erbaut war, drei Claviere, ein Pedal, 42 Stimmen, 7 Koppelungen und
drei Pedale für das Combinationsspiel in folgender Anordnung:
211
men Orgelbaugesellschaft zu Paris und Brüssel fanden wir noch eine
kleine Kirchenorgel mit 22 Registern von Chazelle ohne besondere Wir-
kung, ferner eine Saalorgel von Gebrüder Damiens, eine derselben Art
in der englischen Abtheilung aus der Werkstätte der Firma Bryceson Sf
Comp, zu London, die kleine Zimmerorgel mit 6 Stimmen von Beving-
ton in London und endlich die kleine Orgel des Wiener Fabrikanten
Hesse, von denen aber nichts Wichtigeres berichtet werden kann. Ein
Curiosum wollen wir hierbei nicht verschweigen; dasselbe betrifft wie-
derum eine sogenannte neue Erfindung, welche wir aber bereits als 60
Jahre alt kennen. Der Erbauer, dessen Name nichts zur Sache thut,
glaubte nämlich mit der Herstellung einer Pfeife, in welcher sechs ver-
schiedene Octaven einzeln und zusammen ertönen konnten, ein grosses
Wunderwerk errichtet zu haben. Das IGfüssige C war der tiefste Ton;
Ites Ciavier. 3tes Ciavier.
1. Bourdon 16 Fiiss ^ „ . , _..
^ _ . . , _ ^ 1. Harmonische Flöte
2. Principal b Fuss ., .^ , .
„ ^ ^ _ ^ 2. Vox coelestis
3. Bourdon 8 Fuss „ ^ ,
A c~ ,- ■ 1 o u ^- Gambe
4. Sahcional . . . . ö iuss ^ -r, ,
c TT- 1 1 r. u c ü *• Bourdon
5. Viola da Gamba ö tuss _ ^
n XX . , T^,. ,. T^ ö. Uctavflote
6. Harmonische Flöte 4 Fuss
7. Prestant 4 Fuss Combinationsstimmen:
8. Glockenspiel ... 2 Fuss . ^,
'■ 6. Flageolet
2tes Ciavier. 7. Fagot
^ _ . , ,^ x^ 8. Oboe u. Fagot
1. Principal 16 Fuss ^ ^
^ „ , -.r. T-, "• Trompete
2. Bourdon 16 Fuss ,a tt ,:
„ ,, o T^ 1^- Vox humana
3. Monti-e 8 Fuss
4. Bourdon 8 Fuss Pedal.
5. Harmonische Flöte 8 Fuss ., « , ,
„ ^ , Q „ 1. Subbass
6. Gambe 8 Fuss o m- ^ ^i-.
„ ^ , . £, ^ 2. Tiefe Flöte
7. Dulciana 8 Fuss o o 1,1,
„ ^ „.. . T^ o. Subbass
8. Octavflote .... 4 Fuss . ^ ,
^ ^ . ^ 4. Octavbass
9. Prestant 5 Fuss
-rv ^ . ^ . o T-. ö. Violoncell
10. Quintflote .... 3 Fuss . _,..
6. Flöte
Corabinationsstimnien : „ , . . .
Combinationsstimmen :
11. Mixtur -7 ü 1 j
_^ ^ 7. Bombarde
12. Cornet am,
^„ „ , , 8. Trompete
13. Bombarde „ ^, .
^ . ^ 9. Clairon
14. Trompete
15. Clairon
Die zweite kleinere Orgel hatte zwei Manuale, ein Pedal, vier Koppelungen, zwei
Combinationspedale und 25 Stimmen,
14*
212
nach diesem sprachen in derselben Pfeife die höhere Oetave C, dessen
Octave c und so fort &, d', c'", c"" an, auch konnten dieselben vermittelst
eines Registerzuges zu gleicher ^eit zum Ertönen gebracht werden.
Hätte uns der Instrumentenbauer die Verwendbarkeit dieses Experiments
dargethan, hätte er eine Orgel gebaut, in welcher man mit einer einzigen
Keihe von Pfeifen dieselbe Wirkung hervorzubi'ingen im Stande wäre,
wie mit 6 Reihen in anderen Orgeln, dann würden wir seinem Werke
einen hohen Rang einräumen müssen; aber so finden wir nur das alte
Curiosum wieder, was bereits der Akustiker Chladni im Jahre 1807
zur allgemeinen Kenntniss brachte. —
Den Orgeln im Klange etwas verwandt sind die Harmoniums, in deren
Herstellung das Pariser Haus Alexandre Sf- Cow2p. das Vorzüglichste auf der
Ausstellung leistete, obwohl auch die Debain'schen Fabrikate, ferner die
Harmoniums von Bevington Sf Sohn in London, Mason S,- Hamlin in New-
York und Boston, Claude 4' SoJm in London, Kelhj in London, Trayser (^•
Comp, in Stuttgart, Schiedmayer in Stuttgart etc. recht anzuerkennen sind*).
*) Alexandre' s Verdienste bestehen hauptsächlich in der sehn eilen Capacität, mit
welcher er alle Fortschritte Anderer erfasst und dann zweckmässig verwerthet. Er be-
schäftigt 1000 Arbeiter und ist in diesem Fache der populärste Fabrikant der Welt.
Nach ihm ist Debain der bekannteste, dessen Originalität dem praktischen Sinne Ale-
xandre's häufig zu Gute kam. Derselbe schickt jedes Jahr 2000 Harmoniums in die
Welt, welche er theilweise mit herabzudrückenden Klappen unterhalb der Claviatur
anstatt der unbequemen Eegisterzüge versieht. Sein Ausstellungs-Piano mecanique, das
entweder als Clavier oder vennittelst eingelegter Walzen als Drehorgel gespielt werden
kann, imd seine Harmonika, die sowohl als Handharmonika als auch als Harmonium
zu behandeln ist, sind beide alte bekannte Dinge , deren Bau ^\ir schon in Böhmen und
Dresden vor circa 12 Jahren kennen lernten. Dagegen erreichte Mustel mit seinen
Aeolsharfenstimmen und doppelten Zungenreihen für die Vox coelestis einen Fort-
schritt, welcher der Harmoniumfabrication noch sehr nützlich werden dürfte. In Ame-
rika baut Mason, Herausgeber der grossen Musikzeitung in Boston, die besten Instru-
mente dieser Gattung; ja für uns sind dieselben überhaupt die sj-mpathischsten. We-
niger Geschmack konnten wir natürlich dem Zwitterinstrument „Piano-Harmonium" des
Engländers Ramsden, noch weniger aber den zahlreichen Harmoniflütes und Concertinas,
sowie auch dem von Quentin de Giomard erbauten Cecilivun, einem Tasteninstrumente
in Gestalt einer Theorbe mit Metallzungen und Blasebälgen, abgewinnen. Unter den
..Orchestrions" von Weite, Heitzmann und Zöhringer erschien das des Erstgenannten als
das bedeutendste. Es tiiig zwölf Musikstücke vor und besass in seiner Instrumentation
Posaunen, Fagotts, Clarinetten, Flöten, Octavflöten, Pauken, Triangel, und brachte mit
nur einem Laufwerk alle Nüancirungen recht fein zu Gehör, obgleich wir im akustischen
Cabinet von Kaufmann in Dresden noch bessere Werke kennen lernten. Vollständige
Symphonien, wie sie die Instrumente Kaufmannes ausführten, haben wir auf keinem der
drei Ausstellungsorchestrions] vortragen gehört. Die Schweizer Spieldosen und Spiel-
213
An sich schon hat das Harmonium keine grosse künstlerische Bedeutung;
dasselbe kommt uns stets vor wie eine nervöse Erkrankung des Orgel-
baues. Seinen Werth verliert es aber vollständig, wenn es zu solcher
Spielerei benutzt wird, die auf der Weltausstellung förmlich paradirte.
Wir meinen die Verbindung eines Pianino oder Flügels mit dem Har-
monium, welche sich nur als das Geschmackloseste bezeichnen lässt, was
jemals in der Vereinigung verschiedener Klangfarben zu Wege gebracht
wurde. Müssen wir schon die Transponirmechanik als ein dem Dilettan-
tismus Vorschub leistendes Uebel betrachten, auch wenn dieselbe an
einem Flüg-el so geschickt ano;ebracht ist, wie in der österreichischen
Abtheilung von Herrn Pidova, einem Gesanglehrer aus Wien: so können
wir die Verbindung des Pianoforte mit dem Harmonium, wo nicht ein-
mal irgend ein praktischer Vortheil erreicht wird, nur als den Ausfluss
eines krankhaften Strebens bezeichnen, dessen Resultate man auf Kosten
alles ästhetischen Tongefühls erzielte. Dabei sind noch Registerzüge
angebracht, um das Tremuliren des Tones anwenden zu können, welches
bekanntlich als eine der grössten Unarten im Gesänge angesehen wird,
und hier will man damit einen sogenannten Effect erreichen. Wäre die-
ser Registerzug beim Harmonium noch so angebracht, dass man eine
dem Geigentone ähnliche Bebung oder die Nachahmung des seelischen
Vibrirens der Stimme bei einem wohlgeschulten Sänger erlangte, dann
wollten wir die Unvollkommenheit des der Menschenstimme ganz fern
liegenden Mechanismus wohl als erträglich bezeichnen; in der erwähnten
Weise erregt derselbe aber nur das Bedauern über die verlorene Zeit,
welche die Instrumentenbauer zur Herstellung verwendeten. Der Ge-
schmack des Publicums kann dadurch nur verdorben, aber niemals ge-
hoben werden.
Dagegen hatte sich, trotz mancher Curiosa, der Streichinstrumenten-
bau in seiner Reinheit erhalten und besonders glänzte J. B. Vuillaume in
Paris mit seinen vortreff'lichen Geigen, deren ausgezeichnete Verwend-
nhren zogen manchen Liebhaber dieser kindlichen Spielereien, welche man auch häufig
in Restaurationen und Salons vorfindet, mit magischer Kraft an sich ; der Musiker wird
dabei aber stets gleichgültig bleiben, weil durch diesen Handelsartikel der Kunst an sich
kein Nutzen ersteht. Ueberdies lieferte Challiot in Paris das beste Material für den
Orgelbau und Schiedmayer in Stuttgart die schönsten Zungenregister, welche schon durch
die akustischen Experimente des Herrn Professor Helmholtz eine Berühmtheit erlangt
haben. Vergl. Helmholtz, die Lehre von den Tonempfindungen, Seite 485.
214
barkeit im Ensemble wir in den Concerten des Conservatoireorchesters
selbst erfahren konnten. Obgleich in der äusseren Form den Fabrikaten
der alten italienischen Meister Stradiiarius und J. Guarneri nachgebildet,
besitzen Vuillaume^s Violinen einen helleren, beim starken Angreifen fast
zu grellen, schreienden Ton, der aber im Ensemble durch den Klang-
charakter der anderen Instrumente etwas gemildert wird, namentlich wenn
sich im Streichcorps des Orchesters einige Spieler befinden, deren Geigen
einen weicheren Ton besitzen, gleichwie in einem gemischten Chor durch
die Verbindung von Knaben- und Frauenstimmen eine treffliche Klang-
farbe bewirkt Avird. Vuillaiime's Verdienste — namentlich für Frank-
reich — stehen ausser allem Zweifel und wir können der französischen
Nation zu einer solch' regen, das Orchesterwesen besonders fördernden
Fabrik nur gratuliren. Ausserdem hatten die Jurors Gelegenheit, wäh-
rend des Spiels der Geiger Joachim, Alard und Vieuxtemps eine neue
Vorrichtung zu prüfen, welche die unpraktische Einrichtung der jetzt
gebräuchlichen Sordinen über Bord wirft. Vuillaume nennt seine neue
Erfindung „Sourdine pedale", deren Zweckmässigkeit dadurch erhöht
wird, dass sie jeder Geiger an seinem Instrumente anbringen kann, in-
dem sie gewissermassen eine sinnreiche Nachahmung der alten Clavier-
saitendämpfung ist und mit Berücksichtigung des eigenthümlichen Darm-
saitenklanges aus einem Streifen von Stahl besteht, der, hart am Stege
unter den Saiten liegend, vermittelst eines besonderen Kinndruckes in
Bewegung gesetzt und an die Saiten zum Zwecke der So'rdinendämpfung
gedrückt wird. Bei allgemeiner Einführung dieser wichtigen Erfindung
öffnen sich dem Componisten neue Orchestereffecte, da es ihm dann ver-
gönnt ist, in raschestem Wechsel das Spiel mit und ohne Sordinen vor-
zuschreiben. Dem Solospiel wird dieses neue Moment in der Geigen-
fabrikation weniger zu Gute kommen, weil der Virtuos selten genöthigt
ist, Sordinen zu gebrauchen; aber auch in solchem Falle weissen wir nicht,
ob nicht vielleicht die Composition der Zukunft auf diesen raschen Klang-
farbenwechsel besondere Rücksicht zu nehmen sich veranlasst fühlt. Mit
Recht sind auch die Geigeninstrumente der österreichischen Fabrikanten
Lemhöch und Bittner gewürdigt worden, obgleich sie wohl kaum den
Vergleich mit den Instrumenten des Leipziger Geigen- und Cellobauers
Ludioig Bausch auszuhalten im Stande sein dürften, gleichwie dieser auch
eine Parallele mit Vuillaume keinesfalls zu scheuen nöthig haben würde
215
ja wir glauben zuversichtlich, dass beim Vergleich Violine gegen Violine
bezüglich des Solospiels die Fabrikate von Bausch über diejenigen
Vidllaume's den Sieg davontragen würden, weil erstere in der Stärke
<len letzteren nicht nachstehen und diesen in der Schönheit der
Klangfarbe gewiss vorzuziehen sind. Unsere Sympathie für die
Instrumente dieses Leipziger Fabrikanten theilen auch Ferdinand David
und Vienxtem'ps, deren überaus glänzende Zeugnisse uns vorliegen. Ebenso
hat der verstorbene J. II. Lübeck in Holland und vor Allem der Vater
des modernen Geigenspiels D7\ Louis Spohr diesen Instrumenten das
grösste Lob zuerkannt. Letzterer spricht sogar in seinem Zeugnisse:
„Diese Violinen (aus der Fabrik ^•on Bausch) sind nicht nur den italieni-
schen Vorbildern in der Form, der Einlage, dem Lack und dem alten
Aussehen auf das täuschendste nachgeahmt, sondern es besitzt auch eine
jede den Charakter des Tons ihres Vorbildes in höchst überraschender
Weise." Nach solchen Anerkennungen bedauerten wir um so mehr, diese
Firma auf der Pariser Weltausstellung nicht vertreten zu finden, da die-
selbe in der That verdient, auch in Frankreich, dem bezüglich der Gei-
genfabrikation anerkannten Herrschersitze Vuillamne^s, allseitige Würdi-
gung zu erhalten. Im Bau der Viola ist Bausch ebenfalls ein tüchtiger
Meister, wenn er auch den früheren Gedanken Vtiillaume's, die Bratsche
in etwas grösserer Form und mit vollerem Tone herzustellen, nicht auf-
gegriffen hat. Eine der schönsten Violen lernten wir früher durch das
Florentiner Streichquartett der Herren Jean Becker^ Masi, Chiostri und
Hilpert kennen, von denen der ausgezeichnete Bratschist Herr Chiostri
sein im Solo- und Ensemblespiel ausnehmend glänzendes Instrument mit
grosser Meisterschaft handhabte. Unter den Contrabässen bemerkten
wir d"ns schon angeführte Curiosum eines Claviaturmechanismus, mit
dessen Hülfe der Spieler alle diatonischen und chromatischen Passagen
mit grösster Schnelligkeit auszuführen im Stande ist. Aber die Schwin-
gungen der Saiten werden durch die über den Saiten schwebende Me-
chanik so gestört, dass kein voller Basston, sondern nur ein näselnder,
unsympathischer Klang durch das Streichen entsteht, mithin die Erfin-
dung frommer Väter erst in ein anderes Stadium zu treten hat, bevor ihr
eine Stelle unter den künstlerischen Errungenschaften angewiesen wer-
den kann. VuiUaumes Octobass, von dem schon früher Vielerlei in die
OeffentHchkeit gelanote und dessen Vorzug vor den gebräuchlichen In-
216
Strumenten dieser Gattung in dem um eine Quarte nach der Tiefe zn
vergrösserten Umfange und in mächtigerer Tonfülle bestanden haben
soll, war auf der Ausstellung nicht zu bemerken. Das zwischen Cello
und Bratsche die Mitte haltende Instrument des Pariser Streichin strumen-
ten-Fabrikanten Dubois, sowie dessen Contrapedalbass entbehrten der
edlen Klangfarbe, während den schönen Instrumenten Mirmonfs in
Paris, Ganers, Jacqiiofs und Grandjoiis mit Recht die Aufmerksamkeit
der Jury zu Theil wurde. Aus Mirecourt, einer Stadt in den Vogesen,.
waren ebenfalls die Fabrikanten mit ihren billigen und verhältnissmässig
recht respectablen Instrumenten herbeigeeilt, gleichwie auch Belgien durch
den Brüsseler N. F. Vuillaume mit guten Geigen und Darche ebendaher
besonders durch sein aus den Ueberbleibseln eines alten Violoncells von
Amati, welches Carl IX. von Frankreich gehörte, hergestelltes Instru-
ment rühmenswerth vertreten war. Savaresse in Paris übertraf durch
die Güte seiner Darmsaiten seine französischen und italienischen ßivalen ,,
wenn auch letztere noch grössere Haltbarkeit nachwiesen.
Der vorerwähnte Bittner und der Wiener Kindl lieferten die besten
Zithern, hingegen das Monopol in der Harfenfabrikation dem Hause
Erard immer noch zuzugehören scheint, da bis jetzt keine so gewichtige
Verbesserung mit diesem Instrumente mehr vorgenommen wurde, als
wie sie Seb. Erard mit seinem „double mouvement" der Pariser Akademie
der Wissenschaften und schönen Künste im Jahre 1815 vorlegen konnte,
wogegen Spanien mit den schönsten Guitarren glänzte. Unter den
Blechinstrumenten waren die gut und tüchtig gearbeiteten Naturhörner
sehr schwach vertreten, und doch sollte man mit aller Kraft dahin stre-
ben, die Ventilhörner in denjenigen Orchestern, welche sich die Repro-
duction der Meisterwerke eines Haydn, Mozart, Beethoven zur Aufgabe
gemacht haben, nur dann anzuwenden, wenn ihnen die Ausführung neuerer
Musikstücke obliegt. Das Pariser Conservatoireorchester gebraucht für
die Symphonien der genannten Tonschöpfer nur Naturhörner und kommt
damit den Intentionen derselben in richtiger Weise nach, da unbestreit-
bar der Naturton ein schönerer und mächtigerer ist, als der auf den
Ventilhörnern erzeugte. Dennoch scheinen die in den französischen
Militärmusikchören eingeführten Saxophone, Saxhörner, Saxtrompeten,
Saxtubas etc. den meisten Anklang gefunden zu haben, da Herr Sax mit
dem Grand Prix gekrönt wurde. Der Inhalt des meist verschlossenen
217
Glaskastens, welcher dem durch Berlioz und Andere berühmt gemachten
französischen Blechinstrumentenbauer A. Sax gehörte, Hess zumeist nur
solche Instrumente wahrnehmen, wie wir sie in Militärorchestern kennen
lernten und von denen die hauptsächlichsten in Berlioz' Instrumentations-
lehre beschrieben sind. Ueber seine neuesten Erfindungen ist nur wenig
zu sagen; gleichwohl wollen wir erwähnen, dass Herr Sax für seine
Blechinstrumente und insbesondere für die Posaune eine Construction
von sechs Bohren angebracht hat, mit deren Hülfe man auf der Posaune
die schnellsten Tonfiguren ausführen kann. Dennoch besitzt die alte
Zugposaune selbstverständlich einen weit schöneren Klang, und wer den
Dresdner Virtuosen Böhm auf derselben gehört hat, wird sicherlich der
Sax'schen Erfindung keinen grossen Geschmack abgewinnen. Praktisch
erscheinen für Militärmusikchöre seine Tenorhörner und die Pavillons
tournants, d. h. Oeffnungen am Schallrohr der Blechinstrumente, welche
man nach jeder Seite hin behebig richten kann. Marschirt z. B. ein
Bataillon Soldaten auf, so können die vorangehenden Musiker den Schall
nach hinten zu strömen lassen, was natürlich das Marschiren erleichtert.
In Deutschland triffst man, wie schon Berlioz erwähnt, Posaunen und
namentlich Tenorposaunen mit Cylindern an, welche bis zum Contra B
herabsteigen. Berlioz zieht diesen Instrumenten gewiss mit vollem Eechte
die Zugposaunen vor und wir können auch nicht glauben, dass der fran-
zösische Fabrikant Gautrot — Besitzer von zwei Fabriken, welche mit
zwei Dampfmaschinen über 47,000 Instrumente aller Gattungen liefern
— mit seinen etwas verbesserten deutschen RotationscyUndern der reinen
Klangschönheit einen Vorschub geleistet habe. Sein Sarrusophon, ein
Zwitterinstrument zwischen Clarinette und Fagott, und sein im Basse
noch tiefer herabsteigendes Contrafagott, als es die gebräuchlichen Ton-
werkzeuge dieser Gattung thun, dürften ebenfalls keine Bereicherung
der Klapgschönheit sein. Das Contrafagott ist in seinen tiefsten Tönen,,
dem 32füssigen B und 16füssigen C, schon schnarrend im Klange und
entbehrt des reinen, vollen Grundtones. Noch viel mehr ist dieser Feh-
ler natürhch bei dem Gautrot'schen Instrumente wahrzunehmen, dessen
unterster Klang um eine kleine Septime tiefer steht. Am bedeutendsten
erschienen uns die Firmen Lahbaye-Raoux und Couturier, da sie ihr
Hauptaugenmerk auf den Bau von Naturhörnern gerichtet hatten,
welche zu den Symphonien der classischen Meister in jedem gediegenen
218
Orchester angewendet werden müssten, gleichwie es — wie bemerkt —
im Pariser Conservatoireorchester geschieht.
Das Bemerkenswertheste in diesem Fache war sodann noch die
Wasserklappe des New -Yorker Fabrikanten Schreiher, welcher auch die
Instrumente für Milifärorchester in gewundener Form mit Schallbechern
nach hinten baut und äusserst solide Arbeit liefert. Die Wasserklappe
hat den Vortheil, dass der Bläser während des Vortrages mit einem leich-
ten Fingerdruck das'lnstrument sofort vom angesammelten Wasser befreien
kann, ohne die Lippen vom Mundstück entfernen zu müssen. Der in
der Nähe von Steinioay und SMckering aufgestellte Glaskasten Schreiber^s
erregte wegen der originellen Form seiner darin befindlichen Instrumente
die grösste Aufmerksamkeit der Ausstellungsbesucher. An Solidität der Ar-
beit wurden die sächsischen Firmen Gebrüder Sclmster und J. A. Klemm
aus Markneukirchen von keiner anderen übertrofFen, trotzdem ihre Er-
zeugnisse von der Jury so gering beachtet worden sind. Mit Recht hat
man aber den österreichischen Fabrikanten das vollste Lob zuerkannt
und besonders die mächtigen Armee -Posaunen in B- und jE^-Stimmung
und die Jagdhörner von J. F. Cerveny aus Königsgrätz in Böhmen her-
vorgehoben. Sein Contrafagott, welches bis zum 64füssigen B herab-
steigt, scheint das Gautrot'sche System noch zu überbieten; Avir verspre-
chen uns aber von solcher Neuerung für das Orchester auch nicht den ge-
ringsten Vortheil. Als eine wichtige^ Neuerung erscheint uns die silberne
Flöte, welche das Conservatoireorchester durchweg anwendet. Schon
Gordon und Böhm verbesserten die Flöte dadurch, dass sie die Bohrung
der Löcher nicht mit Rücksicht auf die Bequemlichkeit des Spielers, son-
dern nach physikaHschen Gesetzen vornahmen und dadurch eine grössere
Reinheit in der Tonansprache, sowie gleichmässigere Vertheilung von
verdichteter und verdünnter Luft im Rohre erzielten. Um nun die äus-
seren Einwirkungen der Temperatur abzuschwächen, übertrug man das
System auf die silbernen Flöten, welche bei grösserer Helligkeit und
Stärke des Tones der Verstimmung nicht so sehr unterworfen sind. Die
köstliche Wirkung derselben ist vollständig anerkannt und wir wünschten
nur, dass man auch in Deutschland von diesem französischen Fortschritte
allgemein Notiz nähme. Von den zum eigentlichen Kunstorchester ge-
hörigen Instrumenten sahen wir Fagotte, Oboen und Posaunen in un-
veränderter Gestalt, wobei wir die in Kunstorchestern hier und da> ge-
219
brauchte Ventilposaune noch einmal als ein dem wahren Posaunenklange
nicht günstiges Instrument namhaft machen müssen, während sich die
Erfindung des spanischen Fabrikanten Romero und des Belgiers Albert
auch nur für Militärorchester bewähren wird. Dieselbe besteht in der Ver-
vollkommnung des BufFet'schen Systems, nach welchem man bei der
Clarinette in einem Rohre und ohne besonderen Aufsatz nur durch das
Drehen des Schallstückes die A und B Stimmung nach Belieben erhal-
ten konnte; Romero und Albert fügten noch die C Stimmung hinzu, wo-
durch also jedem Componisten die Möglichkeit geboten ist, plötzlich die
Stimmung wechseln zu lassen. Albert hat dem eingestrichenen B ein
besonderes Loch zugetheilt und erzielt durch ein Collier mobile die
leichteste Ansprache des zweigestrichenen B. Vermittelst der Bewegungs-
klappe ist sofort A- oder i?- Stimmung zu erlangen; doch bleibt erst ab-
zuwarten, ob sich der Klangcharakter in selbem Grade den Stimmungen
entsprechend verändert, was wir bis jetzt noch bezweifeln. Die Clari-
nettenschnäbel von Metall mit Schräubchen zur Befestisruns: und Resru-
lirung des Rohrblattes scheinen uns das lästige Bindfadenumwickeln des
Rohrblattes überflüssig zu machen, wofür der Beweis in der erfolgreichen
Einführung französischer Orchester zu finden*). Romero' s Clarinette
könnte man eigentlich die chromatische Clarinette nennen, da jeder Halb-
ton sein besonderes Loch hat und in temperirter Stimmung steht, wäh-
rend die beiden sonst aneinandergeschraubten Mittelstücke aus einem
einzigen gebohrten Holzstücke bestehen. Im Uebrigen hat seine Clari-
nette mit der Albert'schen Manches gemeinsam, doch dürfte wohl be-
ziüglich der Gleichmässigkeit in Hervorbringung der Tonfiguren sein
System dem des letztei-en vorzuziehen sein. Aber auch hierbei ist der
verschiedene Charakter der Klangfarben, wie er bei der Anwendung der
gewöhnlichen Clarinette mit den unterschiedenen Stimmungen hervorge-
bracht werden kann, total verwischt und es bleibt die Einführung in den
Orchestern wohl zu bedenken. Praktische Versuche können hierbei nur
entscheidend sein. Von den deutschen Fabrikanten lieferten der Sachse
Klemm und der Oesterreicher Ziegler die besten Flöten, wogegen von
den übrigen Ländern nur Lott und Büffet in Frankreich in der Holzblas-
instrumentenfabrikation Bedeutendes leisteten. — Unter den Schlagin-
*) Auch Mundstücke von Kristallglas und von Kautschuck figurirten auf der Aus-
stellung, deren Güte aber erst zu erproben ist.
220
Strumenten ist nur die Einrichtung von Bedeutung namhaft zu machen,
nach welcher das Fell der Pauken mittelst eines Schlüssels und einer
Stimmschraube zur gehörigen Stimmung angespannt wird. Wenn man
von Schätzenswerther Seite glaubt, dass diese Erfindung neu sei, so irrt
man sich gewaltig, da der Leipziger berühmte Paukenschläger Cand. theoL
Pfundt dieses System schon seit vielen Jahren zur Anwendung gebracht
hat. Auch ist die Annahme irrig, dass sich durch diese Einrichtung die
Stimmung nicht so rein herstellen lasse, als durch mehrere Stimmschrau-
ben. Pfundt bewies auf niederrheinischen und engHschen Musikfesten,
sowie in den Leipziger Gewandhausconcerten schon oft das Gegentheil
von diesem unmotivirten Dafürhalten, und sicherlich werden wir keinen
Gegner finden, wenn wir behaupten, dass dieser Leipziger Paukenschlä-
ger der grösste Meister auf seinem Instrumente ist. Dass die chinesischen
und japanesischen Glockenspiele und deren verbesserte Nachahmung von
französischen Ausstellern (z.B. von Bolle), sowie die anderen ausser-
halb der musikalischen Cultur der Gegenwart stehenden Instrumente,
z. B. Vina, Serinda, Nagassaran, Karna, Tourti, Nefyr, arabischen Dop-
pelflöten etc., nur für den Historiker Interesse hatten, welcher sich
freute, seine Forschungen durch praktische Beispiele bestätigt zu finden,
schien von den Besuchern der Ausstellung allgemein angenommen zu
werden; denn wir befanden uns bei Betrachtung jener zum Theil aus der
ältesten Zeit Indiens, zum Theil aus dem früheren Mittelalter herstam-
menden Formen jener Instrumente aussereuropäischer Cultur stets allein
und befreit von dem Kreise Neugieriger, Ayie er sich immer um die
kindischen Spielereien, welche man mit der Verbindung der Pianinos
und Harmoniums trieb, in ziemlichem Umfange versammelte. Schon in
unseren akustischen Bemerkungen theilten wir mit, dass Welcker mit voll-
ständiger Unkenntniss der Sache den Seidenfabrikanten Scheibler aus
Crefeld lächerlich zu machen suchte. Die Pariser Ausstellung würde
den Aberwitz dieses Pianofortebauers gründlich belehrt haben, .wenn er
•n die durch Helmholtz in Deutschland berühmt gewordenen Apparate
des Herrn R. König (Verfertiger akustischer Instrumente, Paris, Rue
Hautefeuille 30) Einsicht hätte nehmen können.
Scheibler, welcher nachwies, dass nicht bloss die Intervalle zusammen-
gesetzter Töne, sondern auch diejenigen einfacher Töne Schwebungen
geben können und dass sich demgemäss ebenfalls für solche Töne Con-
221
sonanzen und Dissonanzen scheiden, obschon viel unvollkommener als
für zusammengesetzte, weil diese Schwebungen nur auf den Combina-
tionstönen höherer Ordnung basiren: dieser geniale Mann hat auch —
wie wir früher andeuteten — einen Tonmesser construirt, mit dessen
Hülfe man eine genaue teroperirte Stimmung erhalten kann. Er beo-
bachtete nämlich, dass zwei nahe dem Einklänge eingestimmte Töne, wie
2.B. zwei Stimmgabeln im Verhältniss von 80 : 81, gewisse Pulse, Stösse
(Battemens) vernehmen lassen, welche dann entstehen, wenn die Vibra-
tionen des einen mit denen des anderen im verschiedenen Zahlverhältniss
zusammentreffen. Wenn z. B. bei zwei Tönen, von denen der erste 100,
der andere 101 Schwingungen in gleicher Zeit macht, die lOlte des
zweiten mit der hundertsten des ersten zusammentrifft, so ist dieses Zu-
sammentreffen durch einen Puls vernehmbar. Wenn das Verhältniss von
100 : 104 besteht, so werden sich in -selber Zeit 4 Pulse ergeben und
zwar verhalten sich dieselben nach der Schwingungszahl wie 25 : 26,
50 : 52, 75 : 78, 100 : 104. D. h. mit der 25sten, 50sten, 75sten, lOOten
Schwingung des ersten trifft die 26ste,52ste, 78ste, 104ste des zweiten zu-
ammen". Nach der Zahl solcher .Pulse ist aber natürlich auch die gerin-
gere und grössere Schwingungszahl im Verhältniss eines Tones zum
andern, mithin der Grad der Höhe genau zu bestimmen.
Das Hauptgesetz dieser Methode besteht also - wie bemerkt —
darin, dass zwei von gut gearbeiteten Stimmgabeln hervorgebrachte und
zugleich gehörte Töne dann eine gewisse Anzahl Stösse in einer bestimm-
ten Zeit mit einander machen und deutlich wahrnehmen lassen, wenn sie
bezüglich der Klanghöhe um ein Geringes von einander abweichen, so
zwar'^ dass sie dem Unisono nahe kommen. Diese Stösse führten Sclieih-
ler zu einem Tonmaass von einem Tone bis zu seiner Octave, vom klei-
nen a bis zum eingestrichenen a, welches er durch einen Stimmgabel-
apparat darzustellen suchte. Er fing nämlich vom kleinen a, dessen ge-
naue Vibrationszahl er damals noch nicht kannte, an und stimmte dar-
nach eine zweite' Gabel um so viel höher, dass diese mit jenem ange-
nommenen Tone a in der Secunde vier Stösse machte; nach dieser zwei-
ten Gabel stimmte er eine dritte ebenfalls um vier Stösse in der Secunde
höher und fuhr auf diese Weise fort, bis er zur reinen Octave a' kam.
Er hatte durch dieses Verfahren 220 Stösse innerhalb der Octave gefun-
den. Dass diese Stössezahl 220 mit dem Unterschiede der Vibrationen-
222
zahl, welcher sich durch den Vergleich des kleinen a mit dem eingestri-
chenen a ergiebt, nicht identisch sein konnte, zeigte Scheihler in seinen
Eechnungen und er wies darin nach, dass eine Differenz von 2
Vibrationen einen Stoss bedingen, mithin 220 Stösse eine Differenz von
440 Vibrationen anzeigen mtissten. Da er nun für das eingestrichene a
440 Doppelschwingungen oder 880 einfache Schwingungen annahm und
diese Annahme im Jahre 1834 von der deutschen Naturforscherversamm-
lung gebilligt wurde, so folgt daraus, dass dem kleinen a 440 einfache
Schwingungen zukommen. Dieses a zum Ausgangspunkt genommen,
hatte er also nach der Höhe fortschreitend in jeder Gabel 8 Vibrationen
mehr, da jede zur nächst vorhergehenden 4 Pulse hören liess. In diesem
Tonmaass besass er nun das Mittel, nach solchen Stössen ein h von 466,16,
ein h von 493,88, ein & von 523,25 Vibrationen und so alle übrigen Töne
der gleichschwebenden Scala mathematisch genau auf Stimmgabeln zu
übertragen und darnach jedes Instrument gleichschwebend zu stimmen.
Er erhielt mithin folgende Tonreihe:
8. e' = 659,26 Vibrationen.
9. f = 698,46 .
10. /?5'=(/e5'= 739,99
11. g' = 783,99
12. (/?y=as'= 830,61
13. a' = 880
7. f?«'.s'= 65' = 622,25
Zur praktischeren Verwerthung seiner Theorien bediente sich Scheih-
ler eines richtig gearbeiteten Metronoms, auf dem nicht bloss alle ganzen
Nummern, sondern auch Brucheintheilungen verzeichnet waren. Da
nämlich die Nummer des Metronoms angiebt, wie viele Pendelschwingun-
gen in der Minute stattfinden, wenn der Schieber auf diese Nummer ge-
stellt wird, so hatte er jetzt nicht mehr nöthig, sich an das Secunden-
zeitmaass zu binden, sondern er konnte leichter zum Ziele kommen, wenn
er beobachtete, auf welcher Nummer des Metronoms eine gewisse Anzahl
von Stössen bei jeder Pendelschwingung stattfindet, was sich dann auf
Nr. 60, d. i. das Secundenzeitmaass, reduciren liess. Denn die Pendel-
nummern verhalten sich umgekehrt, wüe die Anzahl der Stösse, die auf
ihnen bei jeder Schwingung geschehen, so dass z. B. 2 Stösse bei einer
\. a = 440 ^
V^ibrationen,
2. ais = h = 466,16
jj
3. ]i = 493,88
59
4. & = 523,25
»
5. eis' = des' = 554,36
»
6. d' = 587,33
?>
223
Schwingung auf Nr. 120 mit derselben Geschwindigkeit stossend, 4 Stösse
bei einer Schwingung auf Nr. 60, oder 2 Stösse auf Nr. 90, 3 Stösse auf
Nr. 60 geben, weil sich 120 : 60 = 2 : 1 und 90 : 60 = 3 : 2 verhalten,
mithin die Stösse das umgekehrte Verhältniss haben müssen. So erhielt
er nun z. B. ais = b von 466,16 Vibrationen vermittelst seines Ton-
maasses ganz leicht, indem er dasselbe nach der Gabel von 464 Vibra-
tionen so viel höher stimmte, dass beide auf Nr. 64,8 einen Stoss mit
einander vollführten; ebenso h von 493,88 Vibrationen, indem er es nach
der Gabel von 488 Vibrationen um zwei Stösse auf Nr. 88,2 höher stimmte,
u. s. w. Denn 466,16 und 464 Vibrationen, deren Differenz 2,16 ist,
würden 1,08 Stoss auf Nr. 60 geben, d. i. 1 Stoss auf Nr. 64,8; und
493,88 und 488 Vibrationen, deren Differenz 5,88 ist, würden 2,94
Stösse auf Nr. 60 machen, d. i. 2 Stösse auf Nr. 88,2 u. s. w.
Scheibler führte dann zur Erleichterung der ganzen Methode seine
Pendelgrade in die Rechnung ein, welche letzteren nichts anderes bedeu-
ten, als die Vibrationen mit T^/j zu multipliciren. Der Vortheil dieser
Rechnungsart liegt darin, dass er nur nöthig hatte, zu wissen, um wie
viele solche Pendelgrade ein Ton höher als der andere ist, um hiernach
sogleich zu folgern, dass eben diese Differenz die Nummer des Metronoras
sei, auf welcher diese beiden Töne 4 Stösse bei jeder Schwingung mit
einander machen. Wenn z. B. ein Ton um 6 Vibrationen höher ist, als
ein anderer, so wird er 3 Stösse in jeder Secunde (d. h. bei einer Metro-
nomschwingung auf Nr. 60) mit diesem machen, oder, was dasselbe ist,
4 Stösse auf Nr. 45; denn 60 : 45 = 4 : 3, und da sich die Stösse um-
gekehrt, also wie 3 : 4, verhalten, so geschehen auf Nr. 45 4 Stösse.
Nahm er nun statt der 6 Vibrationen l^j^ mal soviel Pendelgrade an, so
hatte er also in dieser Zahl 45 die Nummer des Metronoms, auf welcher
die beiden Töne 4 Stösse machten. —
Auf die Combinationstöne Scheiblers, welche auch Helmholtz in sei-
ner Lehre von den Tonempfindungen eingehend verwerthet hat, können
wir hier nicht näher eingehen; es bleibt uns hier nur zu bemerken übrig,^
dass JR. König in Paris das Scheibler'sche System mit grosser InteUigenz
ergriff und noch weiter vervollkommnete. Während dem Seidenfabrikan-
ten Scheibler zur genauen Stimmung 52 Gabeln genügten, nahm R. König
56 Stimmgabeln und stellte vom eingestrichenen c, dem er unterschieden
von dem Scheibler'schen & = 523,25 die Zahl 512 als Norm für die
224
Menge der diesem Tone zukommenden einfachen Schwingungen zutheilte,
bis zum zweigestrichenen c die chromatisch temperirte Scala her, so
zwar, dass jede Stimmgabel von ihrer nächst höheren oder tieferen um
8 einfache Schwingungen abstand, mit dieser also 4 Stösse in der Se-
cunde machte. Denn nach Scheibler gehören 2 einfache Schwingungen
zu einem Stosse, mithin kommen auf 8 solche Schwingungen 4 Stösse.
Königes zw^eigestri ebenes c musste also doppelt so viel Schwingungen als das
eingestrichene c oder 2 >< 512 Schwingungen machen. Auf die Stimmgabeln
bezogen giebt dies 512 -|- 8 (65 — 1), d. h. 1024 Schwingungen. Er er-
Aveiterte darauf seinen Tonmesser der Art, dass er für vier Octaven, vom
eingestrichenen c bis zum 32füssigen C, 8 Gabeln anfertigte, von denen je
zwei eine Octave darstellten. Diese beiden Gabeln haben Schieber, welche
auf die gezogenen Striche der Gabel mit daneben bemerkten Schwingungs-
zahlen gerückt werden, um die verschiedene Tonhöhe auszudrücken.
Selbstverständlich vermindert sich von Octave zu Octave in doppeltem
Verhältniss die Zahl der Stösse, indem vom eingestrichenen c bis zu
seiner nächst tieferen Octave die Töne um je zwei Stösse, vom kleinen
c bis zum grossen C um je einen Stoss in der Secunde von einander
differiren. Vom grossen C bis zum Contra C gehören 2 Secunden zu
einem Stosse und von diesem bis zum 32füssigen je 4 Secunden zu einem
Stosse. Nach der Höhe zu verfertigte er für jeden Ton besondere Ga-
beln, da die Schieber wegen der Menge der Schwingungen nicht prak-
tisch erschienen. Vom c" zu f'" = 1024 : 2048 braucht er 86 Gabeln,
von denen jede 12 einfache Schwingungen von ihrer nächst tieferen oder
höheren differirt, mithin zu jeder 6 Stösse in der Secunde vernehmen
lässt; von c'" zu c"" 2048 : 4096 nahm er aber 172 Gabeln in demselben
Verhältniss, wonach für die nächst höheren Octaven Stahlstäbe folgten,
deren Longitudinalschwingungen den Ton in solcher Höhe besser repro
duciren, als Stimmgabeln, zumal wenn die Stäbe bis zu c'"" 8192 durch
Reibung longitudinal und von c'"" bis c""" = 16384 durch Anschlag
transversal erregt werden. König hat diesen Tonmesser sogar bis zum
achtgestrichenen C fortgesetzt, wo der Ton nur den schärfsten Ohren
noch vernehmbar ist. Diese Fortsetzung des Scheibler'schen Tonmessers
ist ein Riesenwerk, wie es nur dem geduldigsten Arbeiter und Forscher
herzustellen möglich sein kann. Desgleichen zeichnete sich derselbe
durch die Ausstelluno; der aus den Helmholtz'schen Theorien bekannten
225
Apparate, z. B. des Vocal-Apparats und des Lissajous'schen Vibrations-
Mikroskops {verg\ Helmlioltz Seite 163 - 181 und Seite 138) besonders
aus, deren nähere Beschreibung wir hier nicht wiederholen wollen. Fer-
ner waren Pfeifen mit Kapseln und Brennern für Flammenzeiger, Instru-
mente zum Analysiren des Klanges, welches nämlich durch 8 Resonatoren
mit 8 Kapseln und den Brennern für die Flammenzeiger nebst dem Spie-
gel ermöglicht wird, Platten zur Darstellung Chladni'scher Klangfiguren,
eine meh'rstimmige Sirene (vergl. Helmholtz Seite 242), der Crova'sche
Wellenapparat und andere Instrumente vorhanden, deren Einrichtung in
der praktischsten Weise hergestellt ist, sowie auch die von Helmholtz
Seite 33 und 34 citirtcn Stimmgabel- Chronographen in verbesserter Ge-
stalt erschienen*). Das Universal -Vibroskop von Vesselhoff aus Riga,
mit welchem man alle Schwingungen der Saiten, Membranen, Stäbe
u. s. w. beobachten konnte, war wohl die einzige That, welche neben
den Errungenschaften König' s auf der Ausstellung bestehen konnte, ob-
gleich er natürlich gegenüber der Vielseitigkeit Königes, welchem die
goldene Medaille zu Theil wurde, nur die silberne Medaille erhielt.
Die Jury für die musikalische Abtheilung bestand aus den Herren:
1. Präsident Mellinet, senateur, commandant superieur de la garde na-
tionale de la Seine; 2. Vicepräsident Ambroise Tliomas, membre de l'In-
stitut, professeur au Conservatoire imperiale de musique et dedeclamation;
3. Kastner, membre de l'Institut; 4. Berichterstatter FHis, membre de
l'Academie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts, directeur
du conservatoire royal de musique de Bruxelles, membre des Jurys inter-
nationaux de 1855 et 1862. — Dessen Stellvertreter war der Componist
Qß^,aert. — b. Julius Sehiedmat/er, Instrumentenfabrikant aus Würtemberg;
6. Secretär E. Hanslick, Dr. und Professor für Geschichte der Musik an der
Universität zu Wien; 7. Lord Gerald Fitzgerald und dessen Stellvertre-
ter Hon. Seijmour Egerton aus London. —
Von diesen haben wir den österreichischen Berichterstatter Herrn
Professor Dr. Eduard Hanslick schon früher erwähnt und dessen Grund-
satz angeführt, dass jeder Juror seinem Lande so viel als möglich Me-
daillen durchzusetzen trachte. Da jedenfalls dieses Verfahren bei der
*) Vergl. auch „Catalogue des appareils d'acoustiquc construits par Rudolph König.
Paris 1865."
15
226
Beurtheilung von Seiten der Jury als massgebend betrachtet worden ist,
so müssen wir um so mehr bedauern, dass der norddeutsche Bund keinen
Juror beordert hatte, um die einheimischen Fabrikate gehörig zu vertre-
ten. Die Tüchtigkeit der Jurors ist bekannt, und nur Herr Fetts suchte
o-ar zu sehr die landsmännischen Interessen geltend zu machen. Ihn
selbst kennen wir nicht als Menschen, wohl aber als einen Historiker,
dem mehr daran gelegen ist, recht viel zu schreiben und dem Publicum
Geschichtchen zu erzählen, als gründlich zu forschen. Sein Fantasiren
in o-eographischen Dingen, indem er z. B. Städte als Personen ansieht,
seine Unklarheit in der älteren Musikgeschichte, bezügUch welcher ihn
bereits sein gelehrter, von uns hochgeschätzter Landsmann Vincent,
membre de Tlnstitut, gründlich widerlegt und zurechtgewiesen hat, end-
lich seine Art und Weise auf Bibliotheken zu arbeiten, lassen ihn nicht
als den unangreifbaren Vertreter einer internationalen Jury erscheinen.
Ueber seinen Besuch der Bibliotheken sagt z. B. sein Landsmann
Er. Tlioinan: „Man kannte von dem Buche „la Musique universelle" (des
Antoine de Cousu, welcher in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebte)
nur ein einziges Exemplar, welches seit langer Zeit der Kaiserlichen
Bibliothek gehörte; aber Herr Fäis spricht von zwei Exemplaren des
Buches von Cousu und belehrt uns, dass sich das eine von diesen in
seiner Sammlung befinde. Von seiner Seite erwähnt Herr Th. Nisard,
ohne zu sagen, in welcher BibHothek er es gefunden hat, ein drittes
Exemplar, welches (wie man es weiterhin sehen wird) nicht das der
KaiserUchen Bibliothek sein kann. Trotzdem kennt man nur noch zwei
Exemplare der „Musique universelle", das eine entdeckt durch Herrn
Nisard und das andere, welches bei Herrn Fetis ist (et l'autre qui est
chez M. FHis); denn ach! (car, helas!) das Exemplar, welches sich auf
der Bibliothek in der Rue Eichelieu (Kaiserliche BibHothek) vorfand, war
dort verschwunden. Wie ist das zugegangen? — "
Nach solchen Beispielen von Subjectivität ist es wohl glaublich,
dass auch ganz untergeordnete Waare vor den Augen des Herrn Fetis
Gnade fand, und dass die belgischen Pianos, die man ihrem Tone nach
mit verschlossenen Augen für alte Schimmel'sche Claviere gehalten hätte,
auf gleiche Höhe mit Blüthners, Bösendorf er s , Becksteins Fabrikaten
gestellt wurden. —
Geben wir zum Schluss noch alle mit Preisen bedachte Firmen an:
227
Orden.
Sax, A. J., in Paris, Offizier der Ehren-
legion (Blasinstrumente). . Frankreich.
Merklin in Paris, Ritter der Ehrenlegion
(grosse Orgeln) Frankreich.
Ausser C
Schiedmayer, J. und P. , in Stuttgart
{J. Schiedmayer, Mitglied der Jury).
Pianos und Harmoniums. Würtemberg.
Cavaill€- Coli in Paris (Beisitzer d. Jury).
Orgeln Frankreich.
Debain, A. F., in Paris (Beisitzer der
Jury). Harmoniums. . . . Frankreich.
Grosser
Sax, A. J., in Paris. Blech-Blasinstrumente
Schäfer in Paris, Ritter d. Ehrenlegion
(Associc d. Hauses Erard). Frankreich.
Chickering in Boston, Ritter d. Ehrenlegion
(Pianos). . Vcr. Staaten v. N.-Amcrika.
oncours.
Erard, Frau Wittvve, in Paris {Schäffer,
Beisitzer d. Jury). Pianos. Frankreich.
Herz, Henri, in Paris (Beisitzer d. Jury).
Pianos Frankreich.
Pleyel, Wolff u. Co. in Paris (Wolff,
Beisitzer d. Jury). Pianos. Frankreich
Vuillaume, J. B., in Paris (Beisitzer
d. Jury). Bogeninstrumcnte. Frankreich.
Preis.
Frankreich.
Goldene
Eroadwood u. Sohii in London. Pianos.
Gross - Britannien.
Steinway u. Sohn in New - York. Pianos.
Ver. Staaten.
Chickering u. Sohn in Boston. Pianos.
Ver. Staaten.
Anonyme Gesellschaft z. Fabrikation gros-
ser Orgeln {Merklin- Schütze n. Co.) in
Ixelles bei Brüssel. Orgeln.
Belgien und Frankreich.
Silberne
Schiedmayer u. Sohn in Stuttgart. Pianos.
Würtemberg.
Kirkmann ti. Sohn in London. Pianos.
Gross-Britannien.
Kriegelstein, Vater und Sohn, in Paris.
Pianos Frankreich.
Gaveaux, J., in Paris. Pianos. Frankreich.
Ehrbar, F., in Wien. Pianos. Oesterreich.
Knake, B., in Münster. Pianos. Preussen.
Berhstein, C, in Berlin. Pianos. Preussen.
Blüthner, J., in Leipzig. Pianos. Sachsen.
Günther, J., in Brüssel. Pianos. Belgien.
Sternberg, L., in Brüssel. Pianos. Belgien.
Sprecher u. Co. in Zürich. Pianos. Schweiz.
Allinger, G. L., in Strassburg. Pianos.
Frankreich.
Vogelsangs, H., in Brüssel. Pianos. Belgien.
Mulecki u. Schröder in Warschau. Pianos.
Russland.
Medaillen.
Alexandre, Vater u. Sohn (Gesellschaft der
vereinigten Magazine) in Paris. Orgeln.
Franki-eich.
Trieben, F., in Paris. Holzblasinstrumente.
Frankreich.
Streicher, J. B. u. Sohn, in Wien. Pianos.
Oesterreich.
Medaillen.
Berden u. Co. in Brüssel. Pianos. Belgien.
Huni u. Hubert in Zürich. Pianos. Schweiz.
Bösendorfer, L., in Wien. Pianos.
Oesterreich.
Biber, Aloys, in München. Pianos. Bayern.
Blanchet, P. A. C. , in Paris. Pianos.
Frankreich.
Bord, A., in Paris. Pianos. Frankreich.
Schweighoffer in Wien. Pianos. Oesterreich.
Berington u. Sohn in London. Orgeln.
Gross -Britannien.
Mustel in Paris. Harmoniums. Frankreich.
Trayser u. Co. in Stuttgart. Harmoniums.
Würtemberg.
Mason u. Ramlin in New- York. Harmoniums.
Ver. Staaten.
Miremont, C. A., in Pans. Bogeninstrumente.
Frankreich.
15*
228
Silberne Medai
Gand u. Bernardel Gebrüder in Paris. Bo-
geninstrumente Frankreich.
Vuillaume, R. F., Brüssel. Bogeninstru-
mente. Belgien.
Lemböck, Gabriel, in Wien. Bogeninstru-
mente 0 esterreich.
Distin, Henry, in London. Blechblasinstru-
mente Gross -Britannien.
Cerveny, V. F., in Küniggrätz. Blechblas-
instrumente. . . . . . OesteiTcich.
Besson, Madame, in Paris . Blechblasin-
strumente Frankreich.
Mahillon, Vater und Sohn, in Brüssel'.
Blechblasinstrumente. . . Belgien.
Courtois, A., in Paris. Blechblasinstrumente.
Frankreich.
Gautrot, P. L., in Paris. Blechblasinstru-
mente Frankreich.
Lablaye, J. C. , in Paris. Blcchblasinstru-
raente Frankreich.
Bock, Frans, in Wien. Blechblasinstrumente.
Oesterreich.
Roth, J. C, in Strassburg. Blechblasinstru-
mente. Frankreich.
Millereau u. Co. in Paris. Blechblasinstru-
mente Frankreich.
Missenharter in Stuttgart. Blasinstrumente.
Würtemberg.
Martin, Jules, in Paris. Blechblasinstru-
mente Frankreich.
Albert, E., in Brüssel. Holzblasinstrumente
Belgien.
Büffet- Crampon u. Co. in Paris. Holzblas-
instrumente Frankreich.
Lot, L., in Paris. Holzblasinstrumente.
Frankreich.
11 en (Fortsetzung).
Romer oy, Andia, in Madrid. Holzblasin-
strumente Si>anien.
Godefroy, Clair , in Paris. Holzblasinstru-
mente Frankreich.
Cocfie, V., in Paris. Holzblasinstrumente.
Frankreich.
Ziegler, J., in Wien. Holzblasinstrumente.
Oesterreich.
Bollet. Mechanische Instrumente.
Weite u. Sohn in Vührenbach. Mechanische
Instrumente Baden.
Kelsen, P. F., in Paris. Mechanische In-
strumente Frankreich.
Schwander u. Co. in Paris. Mechanische
Instrumente. Frankreich.
Rohden in Paris. Ciaviermechanik.
Frankreich.
Pöhlmann in Nürnberg. Ciaviersaiten von
Gussstahl Bayern.
Breitkopf u. Härtel in Leipzig. Musikalien-
Editionen Sachsen.
Heugel in Paris. Musikalien - Editionen.
Franki'eich.
Brandus u Ditfour in Paris. Musikalien-
Editionen Frankreich.
Lemoine in Paris. Musikalien - Editionen.
Franki-cich.
Eslava, Bonifacio, in Madrid. Musikalien-
Editionen. Spanien.
Gerard u. Co. in Paris. Musikalien - Edi-
tionen Frankreich.
Martin in Toulouse. Pianos. Frankreich.
Thibout u. Co. in Paris. Pianos. Frankreich.
Mangeot, Gebrüder u. Co. in Nancy. Pianos.
Frankreich.
Escudier, L in Paris. Musikalien - Edi-
tionen. . Frankreich.
Brinsmead, John, in London. Pianos.
Gross-Britannien.
Kaim u. Günther in Kirchheim. Pianos.
Würtemberg.
Elcke, F., in Paris. Pianos. Frankreich.
Promberger, J. Sohn, in Wien. Pianos.
Oesterreich.
Alison und Sohn in London. Pianos.
Gross - Britannien.
Aucher, Gebr., in Paris. Pianos. Frankreich.
Bronze-Medaillen.
Schwechten in Berlin. Pianos. Preussen.
Hardt, Carl, in Stuttgart. Pianos.
Würtemberg.
Beregszazy, Louis, in Pcsth. Pianos.
Oesterreich.
Dorner in Stuttgart. Pianos. Wm-tembcrg.
Hals, Gebrüder, in Christiania. Pianos.
Norwegen.
Mahnsjö. in Gothenburg. Pianos.
Schweden.
229
B r o n z c - M e (1 a i 1 1 e n (Fortsetzung)
Dleinel, Fr., in Wien. Pianos. Oesterrcich.
Hornung u. Möller in Copenhagen. Pianos.
Dänemark
Prestel in Strassbnrg. Pianos. Frankreich.
Worniim in London. Pianos.
Gross- Britannien.
Stoltz und Sohn in Paris. Orgeln.
Frankreich.
Bryceson und Co. in London. Orgeln.
Gross - Britannien.
Ramsden in London. Harmoniums.
Gross -Britannien.
Rodolplie in Paris. Harmoniums.
Frankreich.
Christophe u. Etimne in Paris. Harmoniums.
Frankreich.
Fourneaux in Paris. Harmoniums.
Frankreich.
Darche in Brüssel. Bogcninstrumcnte.
Belgien.
Jacquot, Vater, in Nancy. Bogcninstrumcnte.
Frankreich.
Diehl in Darmstadt. Bogcninstrumcnte.
Hessen.
Vnillaime, S., in Paris. Bogeninstrumente.
Frankreich.
Memiegaud in Paris. Bogeninstrumente.
Frankreich.
.Lirquot, Sohn, in Nancy. Bogeninstrumente.
Frankreich.
Grandjou in Paris. Bogeninstrumente.
Frankreich.
Gemunder, J., in New- York. Bogcninstru-
mcnte Ver. Staaten.
Guadagnini in Turin. Bogeninstrumente.
Italien.
Grimm in Berlin. Bogeninstrumente.
Preusscn.
Bittner, Dar., in Wien. Bogeninstrumente.
Oesterreich.
Halsumnder, Joh., in München. Instrumente,
deren Saiten mit Fingein geschnellt wer-
den • • ß'^y'^i-"-
Kindl, Anton, in Wien. Instrumente,
deren Saiten mit Fingern geschnellt
werden Oesterreich.
Amhergcr, B., in München. Instrumente,
deren Saiten mit Fingern geschnellt i
werden. Bayern. \ .
Gonzalez, F., in Madrid. Instrumente,
deren Saiten mit Fingern geschnellt
werden Spanien.
Tomschick, Martin, in Brunn. Blcchblas-
instrumente Oesterreich.
Van Osch, E. F., in Mastrich. Blechblas-
instrumente Niederlande.
Schreiber, L., in New -York. Blechblas-
instrumente ... Ver. Staaten.
Coutiirier, J. , in Lyon. Blechblasinstru-
mentc Frankreich.
Bohhmd, G., in Graslitz. Blcchblasinstru-
mente Oesterreich.
Lausmann, ./. W., in Linz. Bluchblasinstru-
mente Oesterreich.
Pelitti in Mailand. Blasinstr. Italien.
Lecomte, A., in Paris. Blechblasinstrumente.
Frankreich.
Breton, J. JK, in Paris. Hol/l)lasinstrumente.
Frankreich.
Martin, Gebrüder, in Paris. Holzblasinstru-
mente Frankreich.
Choudens, A., in Paris. Musikalien - Edi-
tionen Frankreich.
Moucelot, L., in Paris. Notendruck.
Frankreich.
Colomhier, J. F., in Paris. Musikalien-
Editionen Frankreich.
Mass in Paris. Musikalien -Editionen.
Frankreich.
Panseron, Wwe., in Paris. Musikalien-
Editionen Frankreich.
ThibotiviUe d. Aeltere, in Paris. Holzblas-
instrumente Frankreich.
Bujj'et in Paris. Holzblasinstrumente.
Frankreich.
Biv in Paris. Holzblasinstrumente.
Frankreich.
Heintzmann. Mechanische Instrumente.
Baden .
Chaillot, Emilie, in Paris. Werkzeuge und
Fournituren für Orgelbau. Frankreich.
Thihouville-Lamy in Paris. Darmsaiten.
Frankreich.
Savaresse, L. H., in Paris. Darmsaiten.
Frankreich.
Duvol und Sohn (The Wandlcfelt Co.) ir.
Paris. Clavicrfilz. . . • Frankreich.
230
Bronze-Medail
Weickert, L. D., in Würzen. Ciavierfilz.
Sachsen.
Billion u. Co. in Saint- Denis. Ciavierfilz.
Frankreich.
Rieter- Biedermann in Leipzig. Musikalien-
Editionen Sachsen.
Baudon, L. B., in Paris. Notenstich.
Frankreich.
Bressler Sohn in Nantes. Pianos.
Frankreich.
Philippi, Gebrüder. Pianos. Frankreich.
Baudasse- Cazoüe in Montpellier. Darm-
saiten Frankreich.
Klemm, G. A., in Markneukirchen. Metall-
saiten Sachsen.
len (Fortsetzung).
Bremond, B. Ä., Spieldosen. Frankreich.
Ducommim - Girod in Genf. Spieldosen.
Schweiz.
Greiner, Th., in Genf. Spieldosen. Schweiz.
Lecoutre - Suhlet in Sainte-Croix. Spiel-
dosen Schweiz.
Paillard- Vaucher und Sohn in Sainte-
Croix. Spieldosen Schweiz.
Jaccard, L. P., in Sainte-Croix. Spiel-
dosen Schweiz.
Gavioli in Paris. Drehorgeln. Frankreich.
Kelsen in Paris. Mechan. Orgeln. Frankreich.
Hesse, Ch., in Wien. Kirchenorgeln.
0 esterreich.
Baudon, Zinnplatten und Notendruck.
Ehrenvolle E
Franche in Paris. Pianos. . Frankreich.
Montal in Paris. Pianos. . Frankreich.
L€veque, J. L., in Paris. Pianos.
Frankreich.
Hoeberechts u. Sohn in Lüttich. Pianos.
Belgien.
Westermann u. Co. in Berlin. Pianos.
Preussen.
Gramer, Gottfried, in Wien. Pianos.
Oesterreich.
Hagele, Heinr., in Aaden. Pianos.
Würtemberg.
Stavenow, L., in Stockholm. Pianos.
Schweden.
Soler, Miguel, in Saragossa. Pianos.
Spanien.
Dopere, E., in Brüssel. Pianos. Belgien.
Klemms, J. L., in Düsseldorf. Pianos.
Preussen.
Westennayer, E., in Berlin. Pianos.
Preussen.
Yot - Schreck u. Co. in Paris. Pianos.
Frankreich.
Oehler, Christian, in Stuttgart. Pianos.
Würtemberg.
Souffleto in Paris. Pianos. Frankreich.
Simon, Jul., in Wien. Pianos. Oesterreich.
Bernareggi u. Co. in Barcelona. Pianos.
Spanien.
Bertringer, P., in Paris. Pianos. Frankreich.
Burckardt und Co. in Paris. Pianos.
Frankreich,
rwähnungen.
Rinaldi-Usse in Paris. Pianos. Frankreich.
Salaum, Schwab u. Co. in Paris. Har-
moniums Frankreich.
Kelly, Ch., in London. Harmoniums.
Gross - Britannien,
Couty u. Richard in Paris. Harmoniums.
Frankreich.
Kirchweger, Ludtv., in Frankenthal. Bogen-
instrumente Bayern.
Padeivet, J., in Carlsruhe. Bogeninstru-
mente Baden.
Dubois. Bogeninstrumente. Frankreich.
Neuner u. Hornsteiner in Mittenwald. Bo-
geninstrumente Bayern.
Reiter, Joh., in Mittenwald. Bogeninstru-
mente Baiern.
Lechner, F., in München. Instrumente,
deren Saiten mit Fingern geschnellt
werden Bayern.
Tumhardt, F., in Salzburg. Instrumente,
deren Saiten mit Fingern geschnellt
werden Oesterreich.
Weigel, Fr., in Salzburg. Instrumente,
deren Saiten mit Fingern geschnellt
werden Oesterreich.
Farsky, J., in Pardubitz. Blechblasinstru-
mente Oesterreich.
Leroux, Fr., der ältere, in Paris. Holz-
blasinstrumente. . . . Frankreich.
Kruspe, Ch., in Erfurt. Holzblasinstru-
mente. . Preussen.
231
Ehrenvolle Erwähn
Genteilet in Paris. Holzblasinstrumente.
Frankreich.
Mollenhauer, F., in Fulda. Holzblasin-
strumente. . Preussen.
Gr^goire in Paris. Schlaginstr. Frankreich.
Galtotti in Cremona. Schlaginstrumente.
Italien.
Keurop£-Kildji in Psamatia. Schlaginstru-
mente Türkei.
Bandet, C, in Paris. Mechanische Instru-
mente Frankreich.
Lachenal in London. Mechanische Instru-
mente Gross -Britannien.
Gehrling in Paris. Ciaviermechaniken.
Frankreich.
ungen (Fortsetzung).
Hensel in Paris. Pianos. . . Frankreich.
Pfeiffer u. Co. in Stuttgart. Pianos.
Würtemberg.
Steingräber, E., in Bayreuth. Pianos.
Bayern.
Mola, Giuseppe, in Turin. Harmoniums.
Italien.
Petroni, Antonio, in Rom. Saiteninstru-
mente Kirchenstaat.
De Gromard, Que.ntin, in Eu. Ceciliums.
Frankreich.
Menard. Orgeln Frankreich.
Faccini in Forli. Blasinstr. Italien.
Pelitii in Mailand. Blasinstr. Italien.
Werkführer (oder Mitarbeiter).
Bronze- Medaillen.
Linnemann, Pierre, bei Erard. Frankreich.
Neukomm, Basile, bei Erard. Frankreich.
Stockhausen, bei Plei/el, Wolff und Co.
Frankreich.
Neubärger, bei CavailU-Coll. Frankreich.
lieinburg, Gabr., bei CavailU- Coli.
Frankreich.
Pabis, Achille, bei Debain. Frankreich.
Knoust, bei Jacques Herz Neffe. Frankreich.
Lappuchin, bei Rohden . . . Frankreich.
Cabrol,hei Blanchet. . . . Frankreich.
Eland, bei Blanchet. . . . Frankreich.
Thiemann, bei CavailU- Coli. Frankreich.
Gandillon, bei Gautrot d. altern. Frankreich.
Sarrazin, bei Gautrot d. altern. Frankreich.
Mary , bei Gautrot d. altern. Frankreich.
Carbonnier, Ck., bei Grandpn. Frankreich.
Mahin, F., bei Grandjon. . Frankreich.
Brulart, ./., bei Mangeot Gebr. Frankreich.
Bartsch, bei Ad. Sax. . . Frankreich.
Feuillet, P., bei Ad. Sax. . Frankreich.
Erwähnungen.
Bellanger, bei Henri Herz.
Raimond, bei Henri Herz.
Gontier, bei Henri Herz. .
Michel, bei Henri Herz. .
Bardony, bei Heiiri Herz.
Bouvet, J., bei Ad. Sax.
Courois, L., bei Ad. Sax.
Husson, H., bei Ad. Sax.
Farnouw, W., bei Ad. Sax.
Roche, A., bei Ad. Sax. .
Chapitel, E., bei Grandjon.
Haene, bei Pleyel. . . .
Ehrenvolle
Michel, Georges, bei Erard. Frankreich.
Chalaison, Michel, bei Erard. Frankreich.
Gann, bei Pleyel, Wolff u. Co. Frankreich.
D'Haerie , bei Pleyel, Wolff und Co.
Frankreich.
Millot, bei Debain Frankreich.
Voirin, Frang. Nicolas, bei Vuillaume.
Frankreich.
Barb^, Aimable, bei Vuillaume. Frankreich.
Deschner, Franz, bei Schiedmayer.
Würtemberg.
Raupp, Otto, bei Henri Herz. Frankreich.
Guellier, Hipp., bei Henri Herz. Frankreich. |
In der Klasse 84) erhielten bezüglich des Musikunterrichts Folgende Preise:
Goldene Medaille.
Soci^t^s orph^nir/ues de France in Paris. Musikalische Werke Frankreich.
Franki-eich.
Frankreich.
Frankreich.
Frankreich.
Frankreich.
Frankreich.
Frankreich.
Frankreich.
Frankreich.
Frankreich.
Frankreich.
Frankreich.
232
Silberne Medaillen.
Papifi in Paris. Musikmethode. Frankreich.
Delafontaine in Paris. Musikmethode.
Frankreich.
Batiste u. Heugel in Paris. Lehrbücher d.
Conservatoriums Frankreich.
Hullah in London. Musikalische Werke.
Gross ' Britannien.
Cheve, Wwe., in Paris. Gesangmethode.
Frankreich.
Bronze-Medaillen.
Rossi. Gesangmethode. . . . Italien.
Lahausse - dflssy in Paris. Musikalische
Uebungstabellen Frankreich.
Ferret, Leon, in Pont - Leveque. Musik-
werke Frankreich.
Pauraux in Paris. Mechanische Tonleiter-
Tabelle - . . Frankreich.
Dessirier, Paris. Gesangmethode. Frankreich.
Clement, F., in Paris. Kirchengesang-
Methode . Frankreich.
Vervoitte in Paris. Kirchenmusik-Sammlung.
Frankreich.
Delcasso u. Gross in Paris. Gesangmethode.
Frankreich.
Ehrenvolle Erwähnungen.
Soriano Fuertes. Musikalien. Spanien.
Mouzin in Metz. Gesangmethode. Frankreich.
Rahn in Baris. Gesangmethode. Frankreich.
Lebeau der ältere in Paris. Musikverlag.
Frankreich.
Hanon in Boulogne-sur-Mer. System zur
Begleitung des Kirchengesanges, Musik-
methode Frankreich.
Danel in Lille. Gesangmethode. Frankreich
Möchten sich Im Jahre 1872 auf der Berliner Ausstellung noch grös-
sere 'Fortschritte und vor allen Dingen noch mehr Bethätigungen ver-
schiedener Firmen nachweisen lassen.
Man soll nicht glauben, dass eine so grossartige Ausstellung, auch
wenn sie noch so viele Schattenseiten zeigt, auf die Fortentwickelung,
auf das ganze Denken und Empfinden der Industriellen keinen Einfluss
ausüben könne. Es verhält sich damit gerade so, wie mit allen bedeuten-
deren Unternehmungen, welche bei gehöriger Inangriffnahme auch stets
wichtige Folgen nach sich ziehen.
Möchte man doch immer das Schiller'sche Wort bedenken:
Nur der grosse Gegenstand vermag
Den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen;
Im engen Kreis verengert sich der Sinn,
Es wächst der Mensch mit seinen grossem Zwecken.
Nachträge.
Zu Seite 7: Herr Ämbros, welcher die Schrift „de musica" von
BoetJims für ein „schwer verständliches Werk" hält, urtheilt über
die Glarean'sche Ausgabe beregten Werkes im zweiten Theile seiner
Geschichte der Musik, Seite 39, folgendermassen:
„Die von Glarcan zur Erläuterung des BoetJims entworfenen Figu-
ren gleichen bald Maschinen und wunderlichen Apparaten aus irgend'
einem Laboratorium zu phantastischen Zwecken, bald märchenhaften
Kuppelbauten, bald verschlungenen Drachenleibern, bald Zaubercharak-
teren. So begegnen sie dem Blicke fast auf jedem Blatte und seltsam
volltönende griechische Namen und mystische Zahlen, die zur Erläuterung
der den Beschauer geheimnissvoll ansprechenden Gebilde beigeschrieben
sind, konnten (im Mittelalter) den anregenden Reiz der Sache nur ver-
mehren. Die Universitätsbibliothek zu Prag; besitzt einen ganz
ausgezeichneten Boethius in einem grossen prächtigen Pergamentcodex
des lOten Jahrhunderts. Auch dieser ist mit seltsamen (?) Aufrissen
reichlich ausgestattet."
Wir haben in den auf verschiedenen Bibliotheken befindlichen zahl-
reichen Manuscripten der fünf Bücher de musica des Boethius, von denen
der von uns in Cöln entdeckte und zuerst angezeigte Codex das höchste
Alter hat, durchaus keine seltsamen Aufrisse, sondern nur einfache
Figuren meist in Bogenform gefunden, die zur Erläuterung der Intervalle
und Klanggeschlechter dienen. Die Zahlen sind ebenfalls gar nicht
„mystisch", sondern in ihrer Bezeichnung der Tonverhältnisse klar zu
erkennen und zu verstehen. Boethius bediente sich zu seiner Zeit ganz
desselben Versinnlichungsmittels, wie in neuester Zeit Morits Ilmqjt-
mann in seiner „Natur der Harmonik und der Metrik", wo gleichfalls die
mannigfachen harmonischen und metrischen Beziehuno;en häufisr durch
Bogen veranschaulicht sind. Und so sind auch in der Baseler Ausgabe
234
des Boetliius die wenigen von Glarean hinzugefügten Figuren zu dem-
selben Zwecke den Manuscriptfigurcn nachgebildet. Der Prager Codex,
den Herr Amhros nur erwähnt und nicht näher beschreibt, gehört nach
Joseph HanslicKs Geschichte und Beschreibung der Prager Universitäts-
bibliothek wahrscheinlich ins Ute Jahrhundert. Näheres über den Werth
der Schrift jenes alten Musikphilosophen und über die besten Manuscripte
findet man in unserer Dissertation: „Die absolute Harmonik der Grie-
chen", Leipzig bei Alfred DörfFel, wo auch die Tonzeichen facsimilirt und
erklärt sind Bisher ist noch keine Uebersetzung und vollständige
Erklärung der Schrift des Boethms in einer lebenden Sprache versucht
worden, daher auch der aus neueren Werken schöpfende Compilator
Herr Arrey von Dommer, welchem die alten Sprachen fern zu liegen
scheinen, in seinem „Handbuche der Geschichte der Musik", Leipzig bei
Grounow 1868, das Werk des Boethius, gleichwie sein gelehrterer Vor-
nan o-er Herr Äntbros, ein „allerdings schwer verständliches" nennt. Die
Verlao-shandlung des Herrn A. H. Payne hat sich entschlossen, eine
Uebersetzung aus unserer Feder herauszugeben, in welcher wir den
für die Musikgeschichte so wichtigen Inhalt darzulegen hoffen.
Zu Seite 49: Der Mönch Huchald aus St. Amand in Flandern
t 930, nimmt in der Geschichte der Musik eine bedeutsame Stellung ein
und zwar hat derselbe seine Berühmtheit durch das sogenannte „Orga-
num" erlangt. Betreffs des „Organum" führt Herr ^möros, dessen Mei-
nungen über die mittelalterliche Geschichte der Musik von den neuesten
Historikern allein zu beachten sind, weil z. B. die Herren Brendel und Arrey
von Dommer in ihren Handbüchern nur als Ausschreiber erscheinen, die
Ansicht aus, dass man zu Huchald' s Zeiten in parallelen, zugleich er-
klingenden Quinten und Quarten gesungen habe, welches Curiosum durch
Gerbert beigebracht und von späteren Geschichtsschreibern in den modernen
Sprachen nacherzählt wurde. In Deutschland hat namentlich Kiesewet-
ter durch zusammenhangslose Angabe einiger Stellen aus den Werken
Huchald' s, wie sie schon ForTcel citirt hatte, jene widersinnige Quinten-
und Quartentheorie zu allgemein angenommener Giltigkeit erhoben, was
um so mehr zu bedauern ist, als dadurch dieser Abschnitt der Musik-
geschichte als etwas Besonderes, als in keinem organischen Zusammen-
hange mit dem grossen Ganzen Stehendes angesehen werden musste.
Herr Amhros will zwar die vermeindichen Quinten- und Quarten-
235
parallelen HucbalcVs sowie Guides, des im Mittelalter so berühmten Ton-
lehrers und Nachfolgers unseres Hncbalä, als Durchgangspunete zur wirk-
lichen Polyphonie betrachtet wissen. Wie kann aber eine Theorie als
Durchgangspunkt angesehen werden, welche zu einer späteren Zeit im
geraden Gegensatze steht, und wie ist es möglich, einen solchen Gegen-
satz für eine Grundstufe weiterer Entwickelung zu halten?
Herr Amhros geht noch weiter als Kiesewetter, welcher Letztere die
parallelen Quinten- und Quartengänge als eine Speculationstheorie mittel-
alterlicher Mönche hinstellt, aber die praktische Ausführung derselben
bezweifelt, wogegen Ersterer jene vermeintliche Theorie als eine täglich
geübte Singweise jener Zeit angenommen wissen will. Obgleich wir
schon früher in den Wiener Recensionen, Jahr 1865, Nr. 25, in ähnlicher
Weise auf diesen Irrthum aufmerksam gemacht haben, so halten wir es
an diesem Orte doch wiederum für Pflicht, auf die Unhaltbarkeit jener
Ansichten hinzuweisen. Zunächst ist zu bemerken, dass die meisten
neueren Historiker nicht mehr, ja noch weniger von den Schriften Huc-
batd's wissen, als was bereits von ForJcel angegeben worden ist. Sie
haben auf Treu und Glauben angenommen, dass „concentus" mit „har-
monischer Zusammenklang" zu übersetzen sei, anstatt mit „melodische
Folge", weil dieser Ausdruck eben nicht unserm Begriff von Harmonie
entspricht, sondern dem griechischen von hermosmenon und harmonia,
wie auch Wallis in seiner Ausgabe des Ptolemaeus richtig nachweist.
Ferner hat man „in unum canere" fälschlich mit „zugleich singen" über-
setzt, anstatt dass es heissen muss: „auf einerlei Art singen" (in unum
seil, modum canere): denn wenn eine Stimme mit der andern zusfleich
singt, so heisst dies: „vox simul cum voce canit." Auch bedeutet „com-
mixtio vocum" nicht eine Mischung harmonischer Stimmen, sondern eine
Mischung melodischer Stimmen.
Indem Hucbald die drei verschiedenen Quartengattungen erklärt,
welche sich durch den Sitz des Halbtones unterscheiden, z. B. Hede,
c d e f, d e f g, und diesen auch die vier Quintengattungen nach den-
selben Grundsätzen hinzugefügt, bemerkt er zugleich, dass vermittelst
dieser Symphonien, nämlich der Quarten und Quinten, das Organum
bewerkstelligt werden könne. Das Organum, meint er, sei eine Antwort,
welche der Principalstimme nachfolge, und zwar könne eine einzige
Stimme einer vorhergehenden Principalstimme auf der Quarte oder
236
Quinte als „Organum" antworten, oder auch zwei durch Octaven ver-
doppelte Stimmen dürften die Antwort bewirken, ja, es wären sogar zwei
durch Octaven verbundene Stimmen berechtigt, ein „Organum" zu zwei
durch Octaven verknüpfte Principalstimmen herzustellen. Organum
bedeutet eben weiter nichts als „Nachahmung", „Nachfolger", „Anwort"
auf der Quarte oder Quinte. Z. B. stellt er ein Exempel in vier Zeilen
auf welches wir durch Buchstaben in unserer Tonbezeichnung aufschrei-
ben und jedem Tone die ihm zugehörige Silbe beisetzen:
4. Principalstimme
3. Organum
2. Principalstimme
1. Organum
d' f 9' 9' 9' 9' 9' «' /' «' d'
Tu pa tris sem pi ter nus es fl li us
a c' d' d' d' d' d' e' r' h a
Tu pa tris sem pi ter nus es fi li us
(Ifg gggsrafed
Tu pa tris sem pi ter nus es fi li us
A c d d d d d e c H A
Tu pa tris sem pi ter nus es fi li us
Knabenstimme.
Knabenstimme.
Männerstimme.
Männerstimme.
Hierzu sagt Huchald Folgendes:
Sive namque simplici cantui du-
plex Organum adjungas, quod potest
significare primus versus ac tertius,
qui ad secundum versum vicem
Möge man nun dem einfachen
Gesänge (der einfachen Principal-
stimme) ein doppeltes Organum hin-
zufügen, welches die erste und dritte
Zeile bezeichnen kann, die (beide
zusammen) zur zweiten Zeile den
tenent organi; sive ad duplicem Wechsel des Organums festhalten
(den Wechselgesang bewirken) ; oder
cantum simplex Organum referatur, .. r i i u r^
^ '^ möge man aul den doppelten (jre-
quod versus secundus designat et sang (auf die verdoppelte Principal-
stimme) ein einfaches Organum be-
quartus, Organum in suo medio
continentes, seu et Organum gemi-
nes et cantum, sive etiam triplum
ziehen, welches Verfahren die zweite
und vierte Zeile kennzeichnet, die
in ihrer Mitte (d. h. zwischen sich)
das Organum enthalten, oder möge
utrumque facias, descripta ad invi- man sowohl das Organum, als auch
den Gesang (die Principalstimme)
verdoppeln oder auch beide ver-
et humanae voces, et in aliquibus dreifachen, so consonirt es wechsel-
cem consonat ratione. Possunt enim
237
instrumentis musicis non modobinae
et binae, secl etiam tcrnae ac ternae
hac sibi collatione misceri, dum
utii^ue uno impulsu, vel tribus in
unum vocibus actitatis, totidem vo-
ces respondent orfj;anum. UbI atten-
dendum, ut vox media inter duas
non aequo spatio se ad utrasque
habeat, quippe cum in octavo nu-
mero unitatis medietas non sit;
verum si ab inferlori latere ad can-
tum diatessaron spatio respondeatur,
a superiore vero spatio diapente. Et
ut hoc clarius insinuetur ncscien-
tibus sine fastidio scientium, si voce
virili organizetur simul cum voce
puerili, sunt hae duae voces sibi
per diapason consonae; ad eam
autem vocem, quam inter se mediam
contintnt, ad quam scilicet utraeque
Organum respondent, acutior, quae
est puerilis, quinto extat loco supe-
rior, ea quae virilis, quarto loco
seitijx auf die beschriebene Weise
CT)
Denn es können sowolil Menschen-
stimmen, als auch Instrumental-
stimmen nicht nur je zwei und zwei,
sondern auch je drei und drei in
dieser Verbindung sich mischen,
indem dann, wenn sogar drei Stim-
men auf einerlei Weise thätig wa-
ren, ebensoviel Stimmen auf einen
Antrieb, d. h. zugleich als Organum
antworten. Hierbei ist zu beachten,
dass die zwischen beiden liegende
mittlere Stimme sich nicht in glei-
chem Zwischenraumsverhältniss zu
beiden verhält, weil nämlich in der
8. Zahl die Mitte der Einheit nicht
ist; sondern wenn von der Tiefe aus
gerechnet dem Gesänge (der Princi-
palstimme) im Zwischenraumsver-
hältniss einer Quarte geantwortet
wird, dann von der Höhe aus ge-
rechnet im Zwischenraumsverhält-
niss einer Quinte. Und damit dies
den Nichtwissenden ohije Ueberdruss
der Wissenden deutlicher eingeprägt
werde; wenn nämlich durch eine
Männerstimme zugleich mit einer
Knabenstimme organizirt wird, so
sind diese beiden Stimmen sich
selbst in der Octave consonirende;
zu der Stimine aber, welche sie
zwischen sich als die mittlere hal-
ten, der nämlich l)eide als Organum
antworten , zeigt sich die höhere,
nämlich die Ivnabenstimme, auf der
fünften Tonstufe als die höhere, die
238
gravior. Sic enim cognato nexu Männnerstimme auf der vierten Ton-
stufe als die tiefere. Denn so ver-
sese mutuo symphoniae ligant: ut . . • i i i i. i /•,
•^ ^ ° emigen sich durch verwandtschatt-
quicumque sonus ex hac parte ^'^^^^ Verbindung wechselseitig die
Symphonien, so dass jedweder
quartana collatione sese habet ad Klang, der auf der einen Seite in
i-„_ -ii , T Quartenbeziehung zu einem andern
anum, ex illa parte per diapason ^ °
steht, auf der andern Seite in der
quinta regione ad eundem respiciat. Octave auf der fünften Stufe zu
demselben zurückblickt (d. h. das
Quintenverhältniss zeigt).
Huchald sagt also, dass ein Gesang, eine Principalstimme gege-
ben sei, wie wir sie in dem aufgestellten Exempel durch fettere Schrift
in Nr. 2 ausdrücken konnten. Zu dieser Principalstimme könne man ein
doppeltes Organum setzen, z. B. Nr. 1 und Nr. 3, welche zusammen den
Wechselgesang herstellen, d. h. nach dem Vortrage der Principalstimme
beginne der Wechselgesang, welcher nichts Anderes sei, als eine durch
die tiefere Octave verdoppelte Nachahmung auf der Quinte, so dass
natürlich die tiefste Stimme des Organum um eine Quarte tiefer lag,
als die Principalstimme und von dieser die höchste Stimme des Organums
um eine Quinte entfernt war. Aber auch die Principalstimme dürfe man
verdoppeln, wie es Nr. 2 und 4 darstellen, wo dann Nr. 3, wenn eben
nur drei Stimmen vorhanden sind, als Organum, d. h. als Nachfolger, als
Antwort erscheint. Endlich sei man auch im Stande, sowohl die Princi-
palstimme, als auch das Organum, die Antwort, durch Octaven zu ver-
doppeln, ja zu verdreifachen, wo dann eben so viel Stimmen als Organum
antworten, wie viele als Principalstimmen thätig waren. Das Verhältniss
des Gesanges beruht nämlich auf der Theilung der Octave. Die Octave
A — a konnte eingetheilt werden in Quinte und Quarte A — e — a, oder in
Quarte und Quinte A — d — «, wie wir es schon in unserer absoluten
Harmonik der Griechen darlegten. Dem angeführten Beispiele liegt die
Eintheilung A — d — a zu Grunde, mithin der hypodorische Ton, dessen
authentischer Ton die Octavengattung d—a — d' war. Wenn also die
Principalstimmen auf dem authentischen Tone die Melodie vorgetragen
hatten, so begannen dann die Stimmen des Organums ihre Antwort auf
dem Piagaltone, und zwar wurden die beiden Principalstimmen ebenso
239
von einem Manne und einem Knaben in der Octave, mithin in äquiso
nen Klängen ausgeführt, wie die beiden Stimmen des Organums. Huc-
bald findet es also passend, wenn Knaben- und Männerstimmen in,
Octaven den Gesang vortragen , wonach in der Quarte oder Quinte-
wiederum durch Octaven verbunden, Knaben- und Männerstimmen als
Organum antworten. Die Octave hatte eben gleichklingende Stimmen
(voces aeqnisonae) , wo die tiefere Stimme zugleich mit der höheren
Stimme (simul cum voce) eine Melodie vortragen konnte. Im Diatessaron
und Diapente, d. h. in der Quarte und Quinte, konnte aber nur der
Wechselgesang, die Diaphonie, stattfinden, weil diese Symphonien bei
genauer Beobachtung der Klangstufen berechtigt waren, den Wechsel
des Organums (vicem organi teuere), den Wechselgesang zu behaupten
und aus dieser Verknüpfung, d. h. aus der Aufeinanderfolge des Ge-
sanges und der Antwort (organale responsum) entstand dann eine ange-
nehme Melodie (suavis concentus).
Nachdem wir nun diese von ForJccI, Kiesewetter , Coiissemaker,
Felis, Änibros etc. beigebrachte Ansicht von den Quinten- und Quarten-
parallelen zurückgewiesen haben, müssen wir noch kurz berühren, dass
auch das sogenannte „schweifende" Organum, aus dem Kicscivetter und
Amhros „Orgelpuncte" und contrapunctisch „taumelnde" Stimmen nach
Gerhert und Forkel ableiten, nur ein Phantom falscher Erklärer ist.
Man hat sich dabei neben Huchald hauptsächlich auf Guido gestützt,
welcher aber ebenfalls die Stimmen des Gesanges als voranschreitende
(praecedentes voces) und die des Organums als nachfolgende (subsequen-
tes voces), aber nicht beide als zugleich fortschreitende bezeichnet. Auch
bezieht der berühmte mittelalterliche Schriftsteller diese ganze Singweise
auf die Antiphonien, von denen er z. B. Miserere mei Dens anführt in
folgendem Beispiel:
Diapason.
cf d' e' c' d' e' d' & d & h a g d d' & d' d' d
Diapente.
f g a f g a g fffedcfgaggf
Diatessaron.
c d e c d e d c c c IIA G c d e d d c
Wir haben dieses Beispiel gleich in unserer Tonbezeichnung wieder-
gegeben, um unwesentliche Weitläufigkeiten und Missverständnisse zu
240
vermeiden. Die mittlere Reihe ist die Antiphonie Miserere mei Deus
und enthält die voran schreitenden Stimmen (praecedentes voces) und die
anderen beiden durch Diapason verbundenen sind die nachfolgenden
(subsequentes voces), welche als Organum antworten, gleichwie wir es
durch Huchald kennen lernten. Ueber der untersten Reihe steht Dia-
tessaron, d. h. Quarte, weil sie die Töne der Antwort enthält, welche zum
Gesänge, zur Principalstimme, im Verhältniss der Quarte stehen. Die
Principal stimme ist mit Diapente, d. h. Quinte, überschrieben, weil die
Töne zur obersten Stimme das Quintverhältniss zeigen und die oberste
Stimme steht zur untersten im Octavverhältniss, weshalb ihr die Ueber-
schrift Diapason, d. h. Octave, zugetheilt ist. Nachdem die mittlere
Reihe, d. h. die Principalstimme, gesungen war, ertönte antiphonisch das
Organum, bestehend aus der untersten und obersten Stimme, so dass
also von Quinten- oder Quartenparallelen gar keine Rede ist. Dann
stellt Guido aber auch noch die besondere Regel auf, dass die Antwort
(Organum), welche einem auf den tonus tritus der Finaltöne = f com-
ponirten Gesänge nachfolge, nicht tiefer als zum c herabsteigen dürfe,
sobald man in ihr dieselbe Tonart festhalten wolle, z. B.
Gesang: f f (j cj f f
Antwort: c c d d c c
d e f e d c
c c c c c G
Von da ab, wo wir den Strich gemacht haben, steigt also der Gesang
tiefer als /'herab, es muss deshalb die Antwort auf c stehen bleiben, weil
sie zur Festhaltung des Tonus tritus nicht tiefer herabsteigen darf.
In dem ersten Beispiel lag dieselbe Tonart zu Grunde, nämlich der
Plagalton des Tonus tritus == c — f — c', die Antwort konnte dort aber
streng durchgeführt werden, weil derselben nicht die Beschränkung auf-
erlegt war, dieselbe Tonart festzuhalten. Hier jedoch musste, um in der
Antwort nicht aus der Plagaltonart des Tonus tritus unter den Finaltönen
{d e f g) herauszutreten, das System c — f — & streng bewahrt werden,
daher die Antwort in ihrer letzten Hälfte auf dem tiefsten Tone des
Systems stehen blieb.
Und das ist nun so ein vermeintlicher Orgelpunct eines sogenannten
„schweifenden" Organums, welchen die Erklärer deswegen aufgebracht
haben, weil sie mit dem Texte nicht vertraut waren, der das Organum
ausdrücklich als subsequutor (Nachfolger, Nachahmer) bezeichnet.
241
Der Nachweis kann bei allen Beispielen HucbaMs und Guidö's in
ähnlicher Weise .geführt werden, so dass sich gewiss die Ueberzcugung
Bahn brechen nuiss, wie die ganze Musikgeschichte durch eingehende
Quellenforschungen eine vollständig veränderte Gestalt gewinnt und wie
mit allen Compilationen trotz der geistreichsten Diction nichts auszu-
richten ist.
Herr Amhros sagt nun, dass die Quarten- und Quintenparallelen
eine vielgepflegte Singweise gewesen seien. Das ist, wie wir sahen,
unrichtig; das Organiziren jedoch, wie wir es hier als Wechselgesang
nachwiesen, war sehr verbreitet, wofür man den Beweis in den Zuständen
der Sängerschule St. Gallens finden kann; ja schon die Hebräer und
Griechen kannten ein ähnliches Verfahren , wie man bei richtiger Ein-
theilung der Psalmen und aus den griechischen Schriften über Musik zu
erkennen vermag. Dass auch die Franzosen an dem alten G erh er fnoh&n
Märchen von den Quintenparallelen hängen, geht aus der ganz unrichti-
gen Uebersetzung Goussemalcer's von einigen herbeigezogenen Stellen
hervor; z. B. übersetzt dieser Historiker in seinem Werke „Histoire de
l'harmonie au moyen äge" Seite 230 folgendermassen:
„Organum est vox sequens „L'organura est une voix, qui
praecedentem sub celeritate accompagne rapidement, ä la
diapente et diatessaron ; quarum vi- quinte et ä la quarte, une autre voix
delicet praecedentis et subsequentis qui la precede, de maniere que
fit copula aliqua decenti conso- l'assemblage de l'une et de l'autre
nantia." produise une consonnance conve-
nable."
Er übersetzt also sequi mit accompagner und sub celeritate mit rapi-
dement; dann weiss er nicht, was er mit der vox praecedens anfangen
soll, über die er sich in eine geradezu komische Erklärung einlässt.
Musste aber dem Franzosen für das Wort sequi der entsprechende fran-
zösische Ausdruck suivre nicht recht nahe liegen? — Die citirte Stelle
heisst einfach so:
„Das Organum ist eine Stimme, welche einer vorangehenden nach-
folgt in der Schnelligkeit (d. h. in der Vibrationsschnelligkeit in dem
Schwingungsverhältniss) einer Quinte und Quarte, und die Ver-
16
242
knüpfung der vorangehenden und nachfolgenden Stimme geschieht durch
eine geziemende Consonanz", d. h. also, wenn die vorangehende Stimme
gesungen hat, so folgt die andere in der Quarte und Quinte nach (man
vergleiche das vorstehende Beispiel Guido' s) und der Anschluss beider
Melodien, nämlich des Gesanges und der Antwort, bildet sich durch eine
passende, den Gegensatz kennzeichnende Consonanz. Bekanntlich ist
gerade in der Quinte, sowie in deren Umkehrung, der Quarte, das gegen-
sätzliche, das antiphonische Element enthalten und wer in Haupt-
mannes Natur der Harmonik und der Metrik einen Blick gethan hat, der
wird die Ansichten der mittelalterlichen Theoretiker nicht unnatürlich
finden.
Zu Seite 187 : Wir haben gezeigt , dass der Firma Stdmoay Sf Söhne
in New -York die erste erfolgreiche Anwendung des kreuzsaitigen
Systems für die Saitenlegung gelang. Die äussere Form des kreuz-
saitigen Systems ist bekanntlich sehr alt. Denn schon im 16ten und
17ten Jahrhundert brachte man auf dem Resonanzboden zwei Stege an,
von denen der eine die Normalsaiten, der andere die um eine Octave
höher erklingenden Saiten trug. Man verwarf später das System als ein
unpraktisches; doch suchte Pape im Anfang der dreissiger Jahre unseres
Jahrhunderts dieses Princip auf andere Weise wieder zur Geltung zu
bringen, worauf wir schon im Texte hindeuten konnten. Er versuchte
nämlich ein Instrument herzustellen, welches einen sehr kleinen Raum in
Anspruch nahm. Die Höhe desselben betrug nur 1 Metre, die Claviatur
umfasste jedoch 6 volle Octaven. Der innere Strebekasten bestand aus
einem eisernen Gitter, ferner hatte der Instrumentenbauer zwei Reso-
nanzboden angebracht, um einen volleren Ton zu erzielen und die
Discantsaiten liefen vertical über einen Resonanzboden bis zur kleinen
Bassoctave, bis wohin die Länge der Saiten nicht mit der Höhe des
Instruments in CoUision kam. Hinter dem Eisengitter lag ein zweiter
Resonanzboden, mit welchem die schräglaufenden Basssaiten durch einen
besonderen Steg in Verbindung gesetzt waren.
Dieses System fand in Herrn Lichtenthai zu Petersburg einen Nach-
ahmer, welcher dasselbe bei der Construction von Flügeln anwandte und
1851 ein in dieser Form construirtes Instrument auf der Londoner In-
dustrieausstellung vorführte. Die beigedruckte Zeichnung soll dieses System
einigermassen veranschaulichen, a a ist die Scheide zwischen
243
den beiden Resonanzboden, von denen der eine für die Basssaiten be-
stimmte um 3/j Zoll höher lag, als der für die Discantsaiten. x ist der
Steg für die tiefsten Saiten, welche der Construction gemäss sehr dicht
zusammengelegt waren, y ist der Steg für die geradliegenden, unbe-
sponnenen Stahlsaiten, die mit den Tasten und den Hämmern parallel-
liefen. Der Ton des Flügels erwies sich auf der Ausstellung nicht zu
Gunsten der Construction, weshalb auch die Idee, vermittelst zweier
Resonanzboden einen volleren Ton zu erzielen, verurtheilt wurde. Wie
wir gesehen haben, brachte die Firma Steinway ^- Söhne durch ganz
neue Erfindungen in der Construction das kreuzsaitige System erst zur
Anerkennung, und wenn gewisse Leute behaupten, die Steinway'' &Qhe
Construction sei eine Nachahmung früherer Errungenschaften, so
zeigen dieselben nur, dass sie mit dem Hergang der Sache nicht ver-
traut sind.
Zu Seite 208: Ueber das Haus Breitkopf & Härtel haben die Signale
in ihrer Nr. 12 vom Jahre 1867 einen sehr eingehenden und vortrefflich
ausgeführten Artikel gebracht, welcher, so viel wir wissen, der Feder des
16*
244
Herrn Custos Alfred Dörffel, einep der gründlichsten musikalischen
Schriftsteller, entstammt. Es wird in diesem Artikel gesagt, dass der
Musikalienhandel in unserem jetzigen Sinne von dem berühmten Hause
mit in's Leben gerufen sei. Ferner erfahren Avir, dass von Bernhard
Christoph JSreitkopf aus Clausthal im Jahre 1719 die Buchdruckerei er-
richtet und von dessen als Typograph berühmt gewordenen Sohne Jo-
hann Gottloh Immanuel BreitJcopf im Jahre 1745 übernommen wurde,
welcher bis zu seinem Tode, den 28. Januar 1794, Seele und Leiter des
Geschäftes blieb. Der 1750 geborene Sohn des Letzteren, Christoph
Gottloh Breitliopfi associirte sich 1795 mit Gottfried Christoph Härtel aus
Schneeberg (geb. den 27. Januar 1763), wonach die Firma „BreitJcopf &
Härtel''^ entstand, welche bald das Geschäft durch eine Stein- und Zinn-
druckerei, sowie durch eine Fabrik musikalischer Instrumente erweiterte.
Im Jahre 1800 erlosch der Stamm Breitkopf, Härtel blieb der alleinige
Vorsteher und Eigenthümer der Handlung. Nach dessen Tode, im Jahre
1827, theilten sich, abgesehen von einem kurzen Provisorium, seine beiden
Söhne in die Leitung. Dies sind die noch gegenwärtigen Führer: Dr. jur.
Hermann Härtel, bekannt als kunstsinniger Erbauer des sogenannten
„Römischen Hauses" am Petersstein weg, und Baymund Härtel, derzeit
Stadtältester In Leipzig. Am Beginn des Jahres 1867 endlich erhielt
deren Neffe, Wilhelm Volhnann, die Procura." Der Artikel begrenzt
sodann das Bestehen des Hauses in folgenden Perioden:
„1719 — 1745, Bernhard Christoph Breitkopf. Buchdruckerei, Schrift-
giesserel und Buchhandel.
1745 — 1794. Johann Gottlob Immanuel Breitkopf Notendruck, Mu-
sikalienverlag und Musikalienhandel. — Ph. Em. Bach, Leop.
Mozart, Graun, Rolle, Doles, Hiller etc.
1794—1827. Gottfried Christoph Härtel. Stein- und Zinndruckerei.
— Haydn, Mozart, Giemen ti, Dussek.
1827 — 1867. Hermann und Raymund Härtel. — Mendelssohn, Schu-
mann; Gesammtausgabe von Beethoven, Ausgabe der Bach- und
der Händelgesellschaft.
Wir haben hierbei durch Zufügung der Coraponisten-Namen zugleich
angedeutet, welche Editionen musikalischer Werke diese Zeitabschnitte
charakterisiren."
245
Nachdem der Verfasser die Verdienste dargelef^t hat, welche sich
die gefeierte Handlung um die Herausgabe der grössten Meisterwerke,
sowie um den Musikalienhandel überhaupt erwarb, fährt er fort: „Ihr
muss fürwahr die Nachwelt zu Danke verpflichtet bleiben, so lange jene
Werke irgend noch ein Menschenherz beglücken werden!"
„Aber noch eine weitere That, nicht minder gross und nicht weniger
die Culturinteressen der deutschen Nation fördernd, ist ihr zu danken:
das ist die Gründung und Forterhaltung der „Allgemeinen Musikalischen
Zeitung", von welcher am 3. October 1798 die erste, am 27. December
1848 die letzte Nummer ausgegeben wurde, ein Unternehmen demnach,
das reichlich ein halbes Jahrhundert hindurch seinen segensreichen Ein-
fluss auf Kunst und Künstler ausübte, das lange Zeit als einziges Boll-
werk für die Muse der Tonkunst dastand, mitten unter den Trümmern
und Verheerungen der Kriegsjahre festen Fusses sich behauptend. Denn
mit Schluss der „Berlinischen Musikalischen Zeitung", welche der Capell-
meister Beichard von Anfang 1805 bis Mitte 1806 herausgab, verlor die
Allgemeine Musikalische Zeitung ihre jüngere Collegin , und erst im
Jahre 1817 erwuchs ihr in der anfänglich von Mosel in Wien heraus-
gegebenen „Allgemeinen Musikalischen Zeitung mit besonderer Rücksicht
auf den österreichischen Kaiserstaat" eine neue, nicht unebenbürtige
Mitvertreterin der musikalischen Interessen, welcher dann Ä. JB. Marx
1823 mit der „Berliner Allgemeinen Musikalischen Zeitung" und Gott-
fried Weber 1824 mit der „Cäciha" nachfolgten. Von Mitte 1806 an
bis zum Jahreschluss 1816 also, gerade während der Zeit, dass der Genius
des herrlichen Beethoven in reichster Fülle waltete, war und blieb die
Allgemeine Musikalische Zeitung der alleinige Hort für die Tonkunst
und ihre Jünger. Der Leser wird schon aus dieser äussern Thatsache
die hohe Bedeutung und Wichtigkeit der Zeitung zu würdigen wissen.
Erinnern wir nun daran, dass ihr Gründer und Leiter 20 Jahre hindurch
ein Mann wie Friedrich HocMitz war, dass später der ehren werthe, bie-
dere G. W. Fink (Michaelis 1827 — 1841) mit ungemeinem Fleisse, mit
Treue und Beharrlichkeit sondergleichen die Redaction führte, so wird
wohl Niemand etwas dagegen einwenden, wenn wir dem längst gesche-
henen Ausspruche mit ganzer Ueberzeugung beistimmen: „Diese Zeitung
wird auf in)merwährende Zeiten ein Majjazin der Kunstgeschichte für
alle kommende Literatoren der Musik sein." Die Verlasshandluna; hat
246
aber auch nichts unterlassen, dieses Magazin als ein streng in sich ge-
schlossenes ^ doch mit Leichtigkeit zugängliches und zu übersehendes
Ganze zu Nutz und Frommen der Nachwelt hinzustellen: sie hat sich
dadurch noch hoch verdient gemacht, dass sie ein alphabetisches Gesammt-
register anfertigen und drucken Hess, welches in seinen drei Abtheilungen
(^179^3 _ 1818, 1819 — 1828, 1829 — 1848) zusammen einen Band von
der Stärke eines ganzen Jahrgangs bildet. Mit Hülfe dieses sehr sorg-,
fältig und genau verfassten Registers lassen sich bald alle Quellen auf-
finden, denen der Forscher nachtrachtet, Quellen, die in vieler Beziehung
eben nur dieser Zeitung eigenthümlich sind. Es würde zu weit führen
und ausserhalb des Rahmens, den wir vorgesteckt haben, zu stehen
kommen, wollten wir nur annähernd einen Auszug des Inhaltes jener
weiten Reihe von Bänden hier niederlegen. Zur Charakteristik der ver-
schiedenen Phasen, welche die Zeitung durchlebte, genügt es, die „Ab-
schiede" der beiden Hauptredactoren mitzutheilen. Bochlitz schreibt in
seiner edlen, gemüthvollen Weise zum Jahreschlusse 1818 wie folgt:
„Hiermit scheide ich von Dir, geehrter Leser, nicht nur für dies
Jahr, sondern für immer, in wiefern ich nämlich Redacteur dieser
Blätter von ihrem Entstehen bis heute gewesen bin. Habe Dank, dass
Du bey ihnen, und in so weit auch bey mir, treulich ausgehalten hast.
Deine Ausdauer ist der Lohn für die meinige in guter und böser
Zeit, und schmückt mir nun das Bewusstseyn, während dieser zwanzig
Jahre schwerlich zwanzig Tage verlebt zu haben, wo ich Deiner gar
nicht gedacht, mich um Dich gar nicht bemühet hätte. Jetzt . . .
Was der Mensch frey anfängt, soll er auch frey enden: am besten
endet er aber mit jedem Vorhaben (so wie das Schicksal mit ihm selbst),
bevor die Kraft sinkt, der Antheil ermattet. Damm sage ich Dir jetzt
das LebeAvohl. Und vergönnest Du mir noch, was mir Alle Schei-
denden sonst gern vergönnen — einen Wunsch zum Abschiede, so sey
es der: Behalte in wohlwollendem Andenken — mich selbst, oder willst
Du das nicht, doch das Beste von dem was ich hier für Dich geleistet
habe! — Mit Vergnügen setze ich hinzu, dass mein Zurücktreten den
Fortgang des Instituts nicht stören wird. Auch sehe ich voraus, meine
alte Anhänglichkeit an dasselbe wird mich von Zeit zu Zeit veranlassen,
als Mitarbeiter (mit meines Namens Unterschrift) zu den Lesern zu-
rückzukehren."
247
Die „alte Anhänglichkeit" hat MochlUz bis zu seinem am 16. De-
cember 1842 erfolgten Tode noch oft bewährt. Der am 27. August 1846
verewigte Fink spricht sich in der Schlussnummer des Jahrganges 1841
so aus:
„So wie ich 1827 ohne mein Zuthun, und gern, die Redakzion
dieser Blätter 'übernahm, so lege ich sie jetzt auch wieder nieder. Um
meiner vielen Freunde und um der Liebe willen, die mich an das
Geschäft ketteten, ist mir der Rücktritt allerdings nicht gleichgiltig,
und ich will es gar nicht verhehlen, dass sich ein vorübergehender
Schmerz in den Dank mischt, den ich meinen getreuen Mitarbeitern
und den geneigten Lesern für ihr mir reichlich erwiesenes Wohlwollen
abstatte. Aber ich habe mir auch Unzufriedene und Gegner verdient,
und kann nicht einmal sagen, dass ich es bereue, vielmehr halte ich es
für einen wesentlichen Theil der Menschenehre, auf die ich Anspruch
mache, der Ehre rechtlicher, aufrichtiger und fester Gesinnung. Ich
hoffe daher, dass meinen Freunden mein Abschied nicht ganz lieb,
meinen Gegnern hingegen mindestens eine heimliche Freude sein soll,
wenn auch nicht auf lange. Denn es ist jetzt Krieg im Reiche der
Harmonie. Da tritt kein Mann zurück; ich gewiss nicht. Es ist also
kein Scheiden von der Kunst, wenn ich von der Verwaltung und Pflege
dieser Blätter zurückzutreten mich genöthigt sehe. Darum auf baldiges
Wiedersehen."
Unverkennbar liegt diesen Worten eine Missstimmung zu Grunde,
die Viele gegenwärtio- nicht zu deuten wissen werden. Wir haben hierzu
den Schlüssel vollständig in Händen und können daher versichern, dass
der Aufschluss hier nicht am Orte sein würde.
Wenden wir uns vielmehr dem neuesten Zeitabschnitte des Hauses
Breitliopf & Härtel zu, den Jahren 1827 bis zur Gegenwart. Mendels-
sohn, Schumann, Chopin, Gade, David, — Liszt, Thalberg, Henselt,
St. Heller, — Meyerbeer, Halevy, Lortzing, Wagner: dies sind berühmte
Namen genug, um darauf hinzudeuten, welche Bereicherungen der Mu-
slkalienverlasf der Handlung in dieser Zeit erfahren hat. Vor Allem
muss aber des Monumentes gedacht werden, dass sich das Haus durch
die Gesammtausgabe der Beethoven'schen Werke gesetzt hat. In der
unglaubHch kurzen Zeit von vier, fünf Jahren, 1862 — 1866, ist diese
Ausgabe vollständig nach Partituren und Stimmen, einige kurze und
248
nebensächliche Compositlonen höchstens abgerechnet, bewerkstelligt
worden, und zwar in einem gleichmassig schönen, gewissenhaft zuberei-
teten Gewände, an dem sich Herz und Sinn erfreuen. Die Werke selbst
sind in 24 Serien, fortlaufend von Nr. 1 — 263, abgetheilt und sowohl in
Bänden als in einzelnen Nummern, je nach Wunsch der Abnehmer, zu
bekommen. Abgesehen von den Titeln, so waren für diese Ausgabe
13,470 Platten erforderlich, eine Zahl, welche das nunmehr glücklich
beendete Unternehmen in seiner Grossartigkeit sicher vor Augen stellt.
— Weiter gedenken wir des Verdienstes, welches sich die Handlung
durch ihre Betheiligung an der Herausgabe der Bach - Gesellschaft er-
worben hat und fortwährend noch erwirbt. Es fragt sich, ob diese Aus-
gabe je den Bestand so gewonnen hätte, wenn ihr nicht von Anfang an
diese Stütze zu Theil geworden und getreulich zur Seite geblieben wäre.
Wer von den Mitgliedern der Bach - Gesellschaft wäre, der sich nicht
über die herrliche Austattung freute, wer wäre, der am Schluss des eben
abo-elaufenen Jahres den vierzehnten Jahrgang, das Wohltemperirte Cia-
vier enthaltend, nicht mit grosser Befriedigung entgegengenommen hätte?
— Auch der Herausgabe der Händel-Gesellschaft widmete die Handlung
in den ersten Jahren die ausgezeichneten Kräfte und Hülfsmittel ihrer
Officinen vollständig, und auch heute noch bestäti'gen die prachtvollen
Titelblätter der Bände den nämlichen Ursprung wie früher*).
Wir o-ehen nunmehr zu den einzelnen Zweigen des Hauses Breit-
Jcopf 8f Härtet über und suchen sie ihrem gegenwärtigen Umfange nach
zu veranschaulichen.
Der Bücherverlag weist Werke aus allen Wissenschaften auf.
Wir erwähnen u. a. das Hauslexicon, das Compendium der christlichen
Dogmengeschichte von Baumgarten-Crusius, das Lehrbuch der Geschichte
des römischen Rechts von Danz, Goethe's Briefe an Leipziger Freunde
(herausgegeben von Otto Jahn), die Kirchengeschichte von Hase, die
Evangelische Dogmatik von Demselben, den Cursus der Institutionen
von Puchta, die Theologie von L. J. Rückert, die Allgemeine Pathologie
von K. W. Stark, Yorick's sentimentale Reise durch Frankreich und
*) Die Lithographen kennen längst den Namen des trefflichen Mannes, der die
Härtel'schen Titel anfertigt, und \\issen sie als Fachleute leicht auch ohne Beisatz der
Firma unter Hunderten herauszufinden. Wir dürfen den Lesern diesen Namen nicht vor-
enthalten, selbst auf die Gefahr hin, dass es Herr C. H. Nicklas nicht gern sähe.
249
Italien von L. Sterne, das System des sächsischen Civil- und Admini-
strativ-Processes von J. Volkmann, die Predigten von Fr. A. Wolf, den
Literarischen Nachlass von Caroline v. Wolzogen, verschiedene Werke
von J. C. Gottsched. Ferner ist hier die Sammhmg von Bildnissen
berühmter Deutschen, grüsstentheils von Meister Sichling gestochen,
rühmlichst hervorzuheben. - Aus der musikaUschen Literatur machen
wir folgende wichtige Werke namhaft, und zwar catalogmässig:
Adlung, ./.: Anleitung zur musikalischen Gelahrtheit.
Beethoven L. ra«: Thematisches Verzeichniss sämmtlicher im Druck erschienenen Werke.
Chladni, E. F. F.: Die Akustik.
Chrysander, F.: G. F. Händel. 2V2 Bde.
Jahrbücher für musikalische Wissenschaft. 2 Bde.
Fortlage, C: Das musikalische System der Griechen in seiner Urgestalt.
Gretry, A. E.: Versuche über die Musik.
Hauptmann, M.: Die Natur der Harmonik und der Metrik.
Jahn, 0.: W. A. Mozart. 4 Bde.
Kandier, F. S.: Ueber das Leben und die Werke des G. Pictluigi da Palestrma,
Kiesewetter, R. G.: Geschichte der europäisch-abendländischen oder unsrer heutigen
Musik.
Schicksale und Beschaffenheit des weltlichen Gesanges,
Ueber die Musik der neueren Griechen.
Guido von Arezzo.
Die Musik der Araber.
Köchel, L. V.: Chronologisch- thematisches Verzeichniss sämmtlicher Tonwerke
Wolfgang Amade Mozart's.
Lobe, J. C: Lehrbuch der musikalischen Komposition. 3 Bde.
Marx, Ä. B.: Die Lehre von der musikalischen Komposition. 4 Bde.
Allgemeine Musiklehre.
Richter, E. F.: Lehrbuch der Harmonie.
— — .Lehrbuch der Fuge.
Schicht, J. G.: Grundregeln der Hannonie.
Sechter, S.: Die Grundsätze der musikalischen Komposition. 3 Bde.
Tucher, G. v.: Schatz des evangelischen Kirchengesangs. 2 Bde.
Wagner, R.: Drei Operndichtungen.
Winterfeld, C. v.: Der evangelische Kirchengesang. 3 Bde.
Zur Geschichte heiliger Tonkunst.
Ein Prachtwerk, welches im Jahre 1840 „als Festschrift für die
vierte Jubelfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst" von C. v. Winter-
feld herausgegeben wurde, bilde den Schluss dieser Abtheilung. Dasselbe
enthält: „Dr. Martin Luther's deutsche Geistliche Lieder nebst den wäh-
rend seines Lebens dazu gebräuchlichen Singweisen und einigen mehr-
stimmigen Tonsätzen über dieselben von Meistern des sechzehnten Jahr-
hunderts. Mit eingedruckten Holzschnitten nach Zeichnungen von
A. Strähuber."
250
Der Musikalienverlag umfasst eine solche enorme Masse der
verschiedenartigsten Compositionen fast aller des Nennens werthen und
vieler des Nennens unwerthen Tonsetzer, dass wir kaum wissen, wie wir
derselben beikommen sollen. Denn wenn wir auch sagen, dass z. B. die
im Jahre 1860 erschienene grosse Partitur zu Wagner's „Tristan und
Isolde", welche 444 Platten erforderte, die Verlagsnummer 10,000 trägt
und dass die eben gegenwärtig laufende Verlagsnummer auf 11,295 zu
fixiren sei, so giebt dies noch lange keinen Maassstab zur Beurtheilung
dessen, was in dieser Zeit und vorher fertig geworden ist. In diese fort-
laufenden Nummern ist weder die ganze Beethoven - Ausgabe, noch sind
die zahlreichen Typendruckwerke mit eingerechnet worden; ausserdem
laufen unter ein und derselben Nummer oft Stücke, die, weil sie einzeln-
abgegeben werden, auch besonders für sich hätten numerirt werden
können. Will man nun die Beethoven - Ausgabe als ein für sich abge-
schlossenes Ganzes betrachten, will man von allen kürzeren Tonstücken
(Etüden, Variationen, Liedern etc.) absehen, will man die Arrangements
jeglicher Art bei Seite lassen und sich vielmehr nur an die Werke cykli-
scher Form und an solche halten, die schon eine grössere Anzahl von
Platten zur Herstellung erheischten, also an Symphonien, Ouvertüren,
Quint- und Quartette, Sonaten etc., an Oratorien und Concertvocal werke,
Opernclavierauszüge und sonst andere derartige Volumina: so überblicke
man zur Orientirung folgenden Catalogauszug, mit Mühe und Sorgsam-
keit angefertigt. Es sind erschienen, und zwar von Orchester- und
Kammermusik- sowie von Kirchen- und Concertmusikwerken zumeist in
Partitur und Auflegestimmen, folgende Werke von:
Abert, J. .7. : Oper (Astorga).
Adam, A.: 2 Opern (die Scliweizerhütte , der König von Yvetot).
Angely. 1 Singspiel (sieben Mädchen in Uniform).
Auber, D. F. E.: 6 Opern (die Barcarole, Fiorella, die Braut, Stumme von
Portici, der Feensee, die Sirene).
Bach, C. Ph. Em.: 1 Oratorium (Auferstehung und Himmelfahrt Jesu), 1 Sym-
phonie.
Bach, J. S.: Matthäus-Passion. 6 Motetten, 6 Violinsonaten, Violin-Chaconne,
das wohltemperirte Ciavier, das musikalische Opter, viele Orgelcompositionen.
Baillot, P.: 5 Violinconcerte.
Bargiel, W.: 1 Symphonie, 1 Ouvertüre, 1 Ciaviersuite vierhändig, 1 desgl.
zweihändig.
Beethoven, L. v.: Leonore (Ciavierauszug der zweiten Bearbeitung mit den Ab-
weichungen der ersten).
Bellmi , V.: 1 Oper (Romeo und Julie).
251
Benedict, ./, : 1 Concertvocalwerk (Undine), 1 Clavierconcert.
Bertini, H.'. 4 Ciaviersextette.
Blumner, M.: 1 Oratorium (Abraham).
Boieldien, A. F.: 1 Oper (Rothkäppchen).
Boisselot, X.: 1 Oper (die Königin von Leon).
Brahms, J.: 1 Serenade für Orchester, 1 Chxviertrio, 2 Claviersonaten.
Bramhach, C. J.: 1 Ciaviersextett.
Brassin , L, : 1 Clavierconcert.
Bruch, M.: 2 Streichquartette, 1 Ciaviertrio.
Campagnoli, B.'. 1 Violinconcert.
Carafa, M.: 1 Oper (Masaniello).
Cherubini, L.: 2 Requiem, 6 Opern (Ali Baba, der portugiesische Gasthof. Elise
Faniska, Medea, der Wasserträger), 9 Ouvertüren.
Chopin, F.: 1 Clavierconcert, 1 Ciaviersonate mit Violoncello, 2 Claviersonaten.
Cimarosa, D.: 1 Oper (die Heirath durch List).
Clementi, M.: Gradus ad Parnassum, 20 Claviertiios, 14 Claviersonaten mit
Violine bez. Flöte, 2 Sonaten für zwei Claviere, 7 Claviersonaten vierhändig,
64 desgl. zweihändig.
Cramer, J. B.: 6 Clavierconcerte , 1 Ciavierquartett, 8 Claviersonaten mit Violine
bez. Flöte, 2 Claviersonaten vierhändig, 38 desgl. zweihändig.
David, F.: 1 Streichsextett, 1 Streichquartett, 3 Violinconcerte , 1 Violinschule.
Dittersdorf, C. v.: 2 Opern (Hieronimus Knicker, der Schiffspatron).
Donizetti, G.: 2 Opern (Adelia, Lucrezia Borgia).
Dotzauer, J. J. F.: 3 Streichquartette.
Dussek, J. L.: 3 Streichquartette, 10 Clavierconcerte, 1 Ciavierquintett, 1 Cla-
vierquartett, 16 Ciaviertrios, über 40 Claviersonaten mit Violine bez. Flöte,
8 Claviersonaten vierhändig 32 desgl. zweihändig.
Eilerton, J. L.: 1 Wald-Symphonie.
Ernst, H. W.: \ Violinconcert.
Fesca, F. E.: 1 Streichquartett.
Field, ./. : 7 Clavierconcerte, 1 Ciavierquintett, 4 Claviersonaten
Gade, N. W.: 5 Concertvocalwerke (Comala, die Kreuzfahrer, Frühlingsphantasie,
Frühlingsbotschaft, die heilige Nacht), 4 SjTnphonien, 3 Ouvertüren, 1 Streich-
octett, 1 Streichquintett, 1 Ciaviertrio , 2 Claviersonaten mit Violine, 1 desgl. ohne.
Gernsheim , F.: 1 Ciavierquartett.
Gluck, J. C. V.: 1 Oper (Iphigenie in Aulis, nach Richard Wagnet's Bearbeitung).
Goltermann , G : \ Symphonie.
Gouvy , Th.: 1 Symphonie, 1 Ciaviertrio, 1 Ciaviersonate.
Graun, C. H.: 1 Cantate (der Tod Jesu).
Gross, J. B.: 1 Streichquartett, 1 Ciaviersonate mit Violoncello.
Gyrowetz, A.: 1 Oper (der Augenarzt).
Halevy, F.: 4 Opern (die Dreizehn, Guido und Ginevra, Karl VL. Pique-Dame).
Händel, G. F.: Messias, Athalia, Esther.
Haydn, J. : 3 Oratorien (Schöpfung, Jahreszeiten, Sieben Worte), 7 Messen,
1 Stabat mater, 1 Te Deum, 1 Oper (Orpheus und Euridice), 12 Symphonien,
3 Streichquartette, 31 Cla\nertrio.s , 8 Claviersonaten mit Violine bez. Flöte.
34 Claviersonaten.
Heller, St.: 1 Ciaviersonate.
Henselt , A.: \ Clavierconcert.
Herold, F.: 2 Opern (Marie, die Täuschung).
252
Hesse, A.: 2 Symphonien.
Hiller, J. A.: 6 Opern (Lisuart und Dariolette, Lottchen am Hofe, die Liebe
auf dem Lande, der Dorf barbier, die Jagd, der Krieg).
Hitler, F.: 1 Oper (ein Traum in der Christnacht), 1 Concertvocalwerk (Ver
saerum), 1 Ouvertüre.
Himmel, F. H.: 1 Oper (Fanchon), 9 Ciaviertrios.
Hoven, J.: 1 Oper (ein Abenteuer Carl's ü).
Hummel, J. N.: 1 Clavierconcert, 1 Clavierquartett, 2 Ciaviersonaten mit Violine
oder Flöte.
Jadassohn, S.: 1 Ciaviertrio.
Joachim, J.: 1 Ouvertüre, 2 Violinconcerte.
Kalkbrenner, F.: 1 Clavierconcert, 1 Clavierseptett, 1 Ciavierquintett, 2 Ciavier-
trios, 1 Ciaviersonate vierhändig, 3 desgl. zweihändig.
Kalliwoda, J. W.: 1 Symphonie, 1 Violinconcert.
Kittl, J. F.: 1 Oper (Bianca und Giuseppe), 1 Symphonie.
Klein, B.: 1 Oratorium (Hiob), 2 Ciaviersonaten.
Klengel, A. A.: Canons und Fugen in allen Tonarten. 2 Bde.
Kreutzer, R.: 7 Violinconcerte, 11 Streichquartette, 6 Streichtrios, 1 Ciaviersonate
mit Violine.
Kullak, Th.: 1 Clavierconcert.
Kunzen, F. L. E., 1 Oper (Oberon).
Lajont, C. P.: 2 Violinconcerte.
Leonhard, J. E.: 1 Oratorium (Johannes der Täufer), 1 Ciaviertrio.
Lindhlad, A. F.: 1 Symphonie.
Lindpaintner , P.: 1 Oper (der blinde Gärtner), 10 Ouvertüren,
Lipinshi. C. : 1 Violinconcert, 1 Streichtrio.
Lizst, F.: 1 Messe, 12 sjTnphonische Dichtungen, 1 Dante-Symphonie, 1 Clavier-
sonate.
Lobe, J. C. : 1 Oper (die Flibustier), 3 Ouvertüren, 2 Ciavierquartette.
Lortzing, A. : 7 Opern (Casanova, Czaar und Zimmermann, zum Grossadmiral,
Hans Sachs, Undine, der Waffenschmied, der Wildschütz).
Louis Ferdinand, Prinz: 1 Clavieroctett, 1 Ciavierquintett, 2 Ciavierquartette,
3 Ciaviertrios.
Luther, M. : Deutsche geistliche Lieder (als Festschrift herausgegeben).
Marliani, M. A.: 1 Oper (die Xacarilla).
Marschner, H: 1 Oper (des Falkners Braut), i Ciaviersonate.
Marx, A. B.: Oratorium (Mose-).
Mehul, F.: 4 Opern (die Schatzgräber, Helene, der Tollkopf, Joseph), 1 Sym-
phonie.
Mendelssohn, F.: Musik zum Sommernachtstraum, zu Athalia, zu Oedipus in
Kolonos, zu Christus, zum Loreley-Finale ; 2 Psalmen, 1 Liederspiel (Heimkehr
aus der Fremde), 1 Symphonie-Cantate , 2 Symphonien, 4 Concertouverturen,
1 Violinconcert, 1 Streichoctett, 1 Streichquintett, 6 Streichquartette, 2 Cla-
vierconcerte, 2 Ciaviertrios, 6 Orgelsonaten.
Meyerbeer, G.: 2 Opern (die Hugenotten, der Prophet).
Molique, B.: 1 Oratorium (Abraham), 2 Violinconcerte.
Mozart, W. A.: Requiem, Davidde penitente, 2 Messen; 9 Opern (Don Juan,
Titus, Cosi fan tutte, il Re pastore, Entführung, Zauberflöte, Hochzeit des
Figaro, Idomeneo, der Schauspieldirector) , 11 Symphonien, 7 Ouvertüren in
Stimmen, 1 Serenade für Blasinstrumente, 5 Streichquintette, 12 Streichquar-
253
tette 1 Flöten-, 1 Clarinettenconceit , 1 Hornquintett, iJO Olavierconcerte, 1 Cla-
vierquintett, 2 Ciavierquartette, 7 Clavicrtrios , 18 Chwiersonaten mit Violine,
1 Sonate für zwei Clavierc, 5 Claviersonatcn vierhändig, 17 desgl. zweihändig.
Müller, C. G.: 1 Symphonie, 3 Streichquartette.
Naumann, E.: 1 Ciaviertrio, 1 Ciaviersonate mit Viola.
Naumann, J. G.: 1 Vaterunser, 1 Psalm, 1 Oper (Orpheus und Euridice).
Neukomm, S.: 1 Oratorium (Christi Grahlegung), 1 Requiem, 1 Cantate (der
Ostermorgen), 1 Te Deum, 2 Symphonien, 3 Ouvertüren, 1 Ciaviersonate mit
Violine.
Nicolo, J.: 1 Oper (Aschenbrödel).
Onslow G: 2 Opern (l'Alcade de la Vega, der Hausirer), 1 Symphome,
14 Streichquintette, 15 Streichquartette, 1 Ciaviersextett, 9 Ciaviertrio«, 9 Cla-
vierduos, 2 Ciaviersonaten vierhändig, 1 desgl. zweihändig.
Paer, F.: 2 Opern (Sargino, die Wegelagerer), 11 Ouvertüren, 3 Claviertnos.
Palestrina, J. P. da: 3 Bände Messen, 1 Messe ausserdem.
Perfall, K.: 2 Concertvocahverke (Dornröschen, Undine).
Pixis J P- 1 Symphonie, 1 Ciavierquartett, 1 Ciaviersonate.
Reicha, Ä.: 2 Symphonien, 14 Streichquartette, 1 Ciaviertrio, 3 Ciaviersonaten
mit Violine.
Reinecke, C: 1 Operette (der vierjährige Posten), 1 Symphonie, 1 Ouvertüre,
1 Clavierconcert, 1 Ciaviertrio, 1 Ciaviersonate mit Violoncello.
Reinthaler, C. : 1 Oratorium (Jephtha), 1 Symphonie.
Reissiger, C. G.: 1 Ouvertüre, 1 Ciaviersonate mit Violine.
Richter, E. F.: 3 Psalmen, 1 Streichquartett, 1 Ciaviersonate mit Violine,
1 Ciaviersonate.
Righini, F.: 5 Opern (Armida, der Zauberwald, das befreite Jerusalem, Tigranes.
Aeneas in Lazium).
Ries, F.: 2 Symphonien, 1 Streichquintett, 1 Ciaviersonate.
Rietz, J.: 1 Symphonie, 1 Ouvertüre.
Rode, P.: 6 Violinconcerte, 4 Streichquartette.
Rolle, J. H.: 1 Singspiel (Melida).
Romberg, A.: 1 Violinconcert, 7 Streichquartette, 3 Ciaviersonaten mit Violine.
Romberg, B.: 1 Ouvertüre, 3 Streichquartette, 1 Streichtrio.
Rossini, J: 1 Cantate (Trost und Erhebung), 13 Opern, (Tancred, die Getäuschten,
Elisabeth, die diebische Elster, der Barbier von Sevilla, Othello, der Türke
in Itahen, das Fräulein vom See, Aschenbrödel, Moses in Egypten, Armida,
die Belagerung von Corinth, Graf Ory).
Rubinstein, A.: 6 Streichquartette, 4 Ciaviersonaten mit Violine bez. Viola und
Violoncello, 2 Ciaviersonaten.
Salieri, A.: 1 Oper (Armida).
Sarti, J.: 1 Miserere.
Scarlatti, D.: 3 Hefte Ciaviersonaten.
Schicht, J. G.: 11 Hefte Motetten, 1 grosse Choralsammlung.
Schmidt, G.: 2 Opern (Prinz Eugen, Weibertreue).
Schmitt, A : 3 Streichquartette.
Schneider, F.: 1 Oratorium (das Weltgericht), 1 Clavierconcert, 1 Ciaviersonate,
vierhändig.
Scholz, B.: 1 Requiem, 1 Ciaviersonate mit Violoncello.
Schubert, F.: 1 Symphonie.
Schulz, J. A. G.: 1 Oper (Ahne).
254
^rJiu7naun, R.: Das ^Paradies und die Peri, Musik zu Manfred, Requiem für
Mignon, Adventlied, 2 Sympiionien. 3 Streichquartette, 1 Violoncelloconcert,
1 Clavierconcert, 1 Ciavierquintett, 2 Ciaviertrios, 1 Ciaviersonate mit Violine,
1 Ciaviersonate, 1 Clavierjjhantasie.
Seidelmann, F.: 1 Singspiel (Arsene).
Seyfried, J.: 4 Ouvertüren.
Spohr. L.: 1 Oratorium (der Fall Babylons), 1 Quartett-Concert mit Orchester
2 Violinconcerte, 1 Streichquintett, 1 Streichquartett.
Steibeü, D.: 5 Clavierconcerte, 4 Ciaviertrios, 38 Ciaviersonaten mit, 25 desgl.
ohne Begleitung eines Instnimentes.
Stiehl, H., 1 Ciavierquartett, 3 Ciaviertrios.
Taubert, W.: Musik zu Shakespearc's Sturm, 1 Streichquartett.
Thalberg, S.: 1 Ouvertüre, 1 Ciaviersonate.
Thomas, A.: 1 Oper (der Blumenkorb).
Veity W. H.: 1 Symphonie, 1 Streichquartett.
Verhdst, J. J. H.: 1 Ouvertüre.
Vierling, G.: 1 Ouvertüre.
Viotti, J. B.: 4 Violinconcerte, 6 Streichquartette, 12 Streichtrios.
Vogt, J.: X Oratorium, die Auferweckung des Lazarus.
Volkmann, R.: 1 Streichquartett.
Wagner, R.: 1 biblische Scene (das Liebesmahl der Apostel), 2 Opern (Lohen-
grin, Tristan und Isolde), 1 Faust- Ouvertüre, 1 Ciaviersonate.
Weigl, J.: 2 Opern (das Waisenhaus, die Schweizerfamilie).
Winter, R: 1 Requiem, 1 Cantate (Timoteo), 3 Opern (Calypso, Ogus, das
unterbrochene Opferfest), 1 Schlacht-Symphonie, 8 Ouvertüren.
Wölfl, J.: 2 SjTnphonien, 9 Streichquartette, 4 Clavierconcerte, 9 Ciaviertrios
19 Ciaviersonaten mit Violine, 8 Ciaviersonaten.
Wuerst, R.: 1 Ciaviertrio.
Zumsieeg, J. R.: 17 Cantaten, 1 Trauercantate, 1 Ode, 3 Opern (die Geister-
insel, das Pfauenfest, Elboudokani).
Bei Revue des Cataloges waren wir beflissen, zugleich zu erforschen,
welche Namen etwa nicht vertreten seien, haben demgemäss noch Man-
chen in's Auge gefasst, der in obigem Auszuge nicht mit enthalten ist.
Nur einen Einzigen können wir als fehlend bezeichnen, selbst bei den
zahlreichen „Bildnissen": dies ist der von C. M. v. Weber. Das ist
merkwürdig, thut aber keinen Eintrag. Man mag nun den Schluss
ziehen, wie viele Platten und welches Quantum an Papier in den Nieder-
lagen des Geschäftes sich befinden mögen, was für Gewicht und Raum
diese Vorrathsmasse innehält. Dies genau festzustellen, dürfte selbst den
Eingeweihten grosse Mühe verursachen.
Die Buchdruckerei, welche selbstverständlich ihren Ruhm heute
noch ebenso wie vor hundert Jahren behauptet, arbeitet zur Zeit mit
6 Schnell- und 8 Handpressen und beschäftigt ein Personal von ungefähr
120 Personen. Ihr Schriftvorrath, welcher auf fast alle Sprachen, be-
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sonders auch auf Notensatz eingerichtet ist, beläuft sich auf mindestens
1600 Centner, wovon 558 Centner auf Fractur, 635 auf Antiqua, 52 auf
Griechisch, Arabisch etc., 85 auf Noten, 140 auf Quadratendurchschuss,
der übrige Theil auf Accidenzsachen zu rechnen sein dürften. Eine
Specialität derselben ist auch feiner Vignettendruck. Dem Laien wird
es zu wissen nicht uninteressant sein , dass zu solch* einem Centner
durchschnittlich 40,000 einzelne Typen gehören; die Gesammtzahl für
letztere würde ein einfaches Multipliciren bald ergeben.
Die S chriftgiesserei arbeitet fast nur für den eigenen Gebrauch
des Hauses; sie ist mit Stereotypie und Galvanoplastik verbunden.
Die Stein- und Kupferdruckerei beschäftigt sich zum grössten
Theile mit Herstellung von Musikwerken eigenen und fremden Verlages;
1 lithographische Schnellpresse, 9 lithographische und 15 Kupferdruck-
Pressen sind hier in Thätigkeit. Der Fachmann ersieht hieraus, wie
viele Drucke täglich geliefert werden können; für den Laien fügen wir
bei, dass die Schnellpresse täglich 6000 Drucke fertig bringt. Die be-
rühmten „Härterschen Titel", deren wir bereits gedacht haben, finden
hierselbst ihre Entstehung.
Die Notenstecherei liefert jährlich über 5000 Platten. Auch diese
Ziffer kann nur annähernd beurtheilen lassen, wie bedeutend der Verlasr
jährlich wachse, indem in dringenden Fällen ausserhalb des Hauses be-
findliche Kräfte zugezogen werden. Dass der Stich selbst und die durch
ihn bedingte Ausstattung der Werke den zu stellenden Anforderungen
guten Geschmackes entsprechen, dass diese Ausstattung letzterem lange
Zeit hindurch zur Richtschnur gedient habe, bedarf unseres Bedünkens
keiner besonderen Beweisführung.
Die Piano fortefabrik endlich, welche ihren Vorzug in Lieferung
des Besten, nicht der Menge sucht, entsendet jährlich 80 — 100 Instru-
mente und beschäftigt, abgesehen von den ausserhalb des Hauses thätigen
Hülfsarbeitern , 30 — 35 Personen. Die Güte dieser Instrumente ist
allenthalben anerkannt, und es thut ihnen nimmer Eintrag, wenn manche
Federn mit stereotypem Eifer und bei jeder Gelegenheit andere Leipziger
Fabrikate in den Vordergrund zu stellen bemüht sind. Wenigstens Hess
sich kurz vor letztem Weihnachten an mancherlei Erdenbewohnern die
Erfahrung machen, dass sie nach geschehener Verloosun«- der „zum
Besten der Hinterlassenen gefallener Sachsen nnd Invaliden der Sächsi-
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sehen Armee" veranstalteten Lotterie, deren Hauptgewinn ein Flügel
von Breitkopf & Härtel war, dem glücklichen Gewinner gegenüber kaum
eines unlöblichen Neides sich erwehren konnten. Uebrigens erhielt die
Handlung schon längst die ersten Auszeichnungen. So wurde ihr 1840
die grosse goldene Medaille der Sächsischen Ausstellung zu Dresden,
1844 die silberne Medaille der ersten Zollvereins -Ausstellung zu Berlin,
1850 die grosse goldene Medaille der Sächsischen Ausstellung zu Leip-
zig, 1851 und 1862 die Preis - Medaille der Ausstellungen in London
verliehen, wobei nicht ausser Acht zu lassen, dass sie die Pariser Aus-
stellungen nie beschickt hat. (Mit Ausnahme derjenigen von 1867.)
Dies wäre in Kürze oder in Länge Dasjenige, was sich vom Hause
Breithopf S Härtel sagen lässt. Gern hätten wir in Bezug auf die so-
eben einzeln aufgeführten Geschäftszweige genauere Statistik geliefert,
um dem Culturhistoriker ein schätzbares Material zu beschaffen. Allein
es Hess sich ohne Indiscretion nicht gut thun, die dafür nöthigen Unter-
lagen zu gewinnen. Der geneigte Leser wolle daher mit dem Dargebo-
tenen fürlieb nehmen."
Diese Auszüge, welche wir dem beregten Artikel der Signale über
das berühmte Haus Breithopf & Härtet entnommen haben, mögen zu-
gleich die Anerkennung beweisen, die wir überhaupt dem „Adressbuch
für die musikalische Welt" zollen. Nachdem dieses „Adressbuch"
theilweise in den Signalen erschienen war, hat es Herr Senff in wei-
terer Ausarbeitung als Buch herausgegeben, wodurch in der musikali-
schen Welt eine fühlbare Lücke ausgefüllt worden ist.
Zum Schluss wollen wir noch bemerken, dass auch die Häuser
Feters, 'Kistner , Hofmeister, Senff, Bieter-Biedermann nicht wenig zum
musikalischen Ruhme Leipzigs beigetragen haben und in der ganzen
Welt als Firmen ersten Ranges geschätzt sind. Nähere Nachrichten über
dieselben findet man ebenfalls in dem trefflich gearbeiteten „Adressbuch
für die musikaUsche Welt", Leipzig, Verlag von Bartholf Senff 1868.
Druck von A. H. Payne in Reudnitz bei Leipzig.
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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
652
P32
Music
Paul, Oskar
Geschichte des Claviers vom
Ursprünge bis zu den modernsten
Formen dieses Instruments
nebst einer Uebersicht über
die musikalische Abtheilung der
Pariser Weltausstellung im
Jahre 1867
Druck von A. H. Payne in Reudnitz bei Leipzig